Rumänien 2022
Die Zeiten ändern sich ...
Kaum zurück aus Albanien mit den schönen Bergstrecken und den einsamen Übernachtungsplätzen träumten einige der Teilnehmer schon von einer Fortsetzungsreise im nächsten Jahr: Zur Abwechslung und um wieder ein anderes Land kennen zu lernen, dürfte es 2022 gern auch Rumänien sein.
In der ersten Vorbereitungsphase sah es ganz danach aus, dass sich vielleicht 4-5 Fahrzeuge anschließen würden, fast schon zu viele. Aber das wetterbedingt misslungene Vorbereitungstreffen war vielleicht schon das erste schlechte Vorzeichen, mehrere Absagen aus verschiedenen Gründen kamen dazu und auch der Ukraine-Krieg dämpfte allgemein die Reiselust in die Nähe des Kriegsgeschehens.
Schlussendlich machte sich unser Autor zusammen mit den schon in Vorjahr beteiligten Mitfahrern Erich und Grazyna aus Nürnberg allein und mit nur einem Fahrzeug, seinem Bremach, auf den Weg in den Südosten Europas ...
Anreise
Vollgepackt und geputzt setzt sich mein Bremach in Bewegung: Es ist Anfang Mai und wir haben drei Wochen Zeit. Der Diesel kostet bei uns 2,20 EUR und in Österreich nur noch 1,98 EUR, weshalb wir mit nahezu leerem Tank bei Salzburg über die Grenze rollen und halb auftanken. Er soll noch billiger werden, je weiter man von Deutschland entfernt ist, heißt es. Als erste Tagesetappe habe ich Andau nahe dem Neusiedler See ausgewählt: Als begeisterter Vogelbeobachter weiß ich, dass dort etwa zwanzig Großtrappen leben - nahe der Straße zur historisch berühmten Andauer Brücke, wo im Jahr 1956 mehrere zehntausend Ungarn auf der Flucht vor dem russischen Einmarsch den Grenzfluss nach Österreich überquerten. Ich fahre jedes Mal, wenn ich dort Station mache, bei meinen gefiederten Trappenfreunden vorbei, die heute weit entfernt und nur mit Fernrohr und 60-facher Vergrößerung zu erkennen sind ...
Neben der Andauer Brücke stand früher ein hoher Aussichtsturm, diesmal befindet sich da nur ein österreichischer Grenzposten und schiebt Wache: Der Turm sei vor etwa zwei Jahren entfernt worden, sagt der Soldat. "Meinst Du, ich kann hier übernachten?" "Weiß nicht, mir ist es egal", ist seine Antwort. Also bleiben wir, es ist ja außerhalb des Nationalparks.
Aber einsam wie früher ist es nicht mehr: Den ganzen Abend und nach ruhiger Nacht kommen morgens schon ab 6 Uhr immer wieder PKWs mit Vogelbeobachtern vorbei. Mit einem Paar aus Lippstadt komme ich ins Gespräch und erfahre ihre ornithologische Ausbeute: Klar, die Großtrappen haben sie beobachtet, eine Sumpfohreule fliegen sehen und drei Wendehälse nahe der Brücke gehört, einen davon auch gesehen. Später trifft ein älteres österreichisches Paar mit großem Wohnmobil ein, auch der Womo-Kater darf aussteigen und herumstreunen. Die beiden Ösis gehen jeweils mit Fernglas bewaffnet in verschiedene Richtungen und sprechen kein Wort miteinander: Genau wie bei mir zu Hause, wenn mal der Haussegen schief hängt ..!
Wir überlegen lange, ob wir in Ungarn Station machen und eine ungarische Therme sowie eventuell die Puszta besuchen sollen. Wegen der kurzen Reisezeit verzichten wir allerdings darauf und düsen in einem Satz durch Ungarn. Der Dieselpreis auf den Autobahntankstellen ist überall gleich, und zwar 1,30 EUR/Liter. Kleine Einschränkungen umgehen wir stillschweigend: Es dürfen nämlich nur Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen dort bis zu 100 Liter pro Tag tanken, wir also nicht. Aber niemand kontrolliert es ...
Unser Zugang nach Rumänien läuft über Belgrad und Szeged bis nach Arad im rumänischen Banat, alles schnelle Autobahnen. Leider nur vierspurig und die rechte Spur ist tatsächlich in ganz Ungarn voll mit Lastern. Zum Glück sind heute am Freitag nur wenige schnelle PKWs unterwegs, die uns in die LKW-Schlange drängen. So schaffen wir mit unserem Reisetempo von etwas über 90 km/h die 480 km locker bis gegen 18 Uhr.
Im Internet habe ich ein Thermalbad nahe Arad gefunden, welches uns für die entgangenen ungarischen Bäder entschädigen soll und dieses Gradina Termala fahren wir schließlich auch an. Ohne Koordinaten (N46,35088 O21,2459) oder die Adresse finden wir den Ort allerdings nur mühsam und dort angekommen müssen wir feststellen: Hier ist nichts los. Wir dürfen aber kostenlos auf dem Parkplatz übernachten, einer baumgesäumten Wiese, die Campinggebühr sei im Eintrittspreis zum Bad von 30 Lei pro Person, also ca. 7 EUR, enthalten.
Der Eingangsbereich wirkt nicht sehr einladend auf verwöhnte westdeutsche Touristen und auch eine negative Kritik auf der Seite von park4night macht uns misstrauisch. Noch sind wir an rumänische Zustände nicht gewöhnt. Trotzdem gehen wir am nächsten Tag gleich nach dem Frühstück hinein und finden drei Becken aus blau gestrichenem Beton, nicht etwa mit edlen Keramiken gefliest.
Ein Becken ist leer und wird gerade mit Druckstrahler gereinigt. Im "Kaltwasserbecken" (bestimmt 28°C! ) schwimmt der einzige Besucher und weiter hinten wird das Thermalbecken gerade aufgefüllt: Aus zwei dicken Rohren kommt einmal Kaltwasser und diagonal gegenüber bräunliches Thermalwasser mit 59°C und vermischen sich. Das ergibt interessante Temperaturverläufe: Man muss beim Kaltwassereinlauf anfangen und kann sich nach ausreichender Anpassung langsam in Richtung Thermalwasserrohr vorarbeiten. Das heiße Wasser ist aber anstrengend, was man erst merkt, wenn man das Becken verlässt und der Blutdruck schwächelt. Eine kalte Cola regelt das Problem allerdings schnell. Insgesamt ist es ein großartiges Erlebnis und alle Vorurteile platzen!
An der Bar sitzt nur der einsame Schwimmer aus dem sogenannten kalten Becken und spricht mich an: Auf Deutsch! Er heißt Toni und kommt aus Stuttgart, ist Stammgast und fast jeden Morgen hier. Geboren als Rumäniendeutscher im Banat ist er in kommunistischen Zeiten nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen und achtmonatiger Haft aus Rumänien rausgeflogen: Solche Leute kann der Kommunismus nicht brauchen, war die Erklärung dafür. Danach hat er 30 Jahre als Fernfahrer gearbeitet und dabei wirklich ganz Europa von Norwegen bis Tunesien/Marokko und die Türkei befahren. Nun ist er seit 6 Jahren in Rente und reist mit seinem VW T5 allein herum, besucht Länder, die er früher nicht befuhr, wie Russland, Georgien, Armenien, Aserbeidschan und schon bekannte, die er nun aus touristischer Perspektive ganz anders erlebt.
Er hat seine deutsche Familie in Stuttgart gelassen und hier in der Nähe ein Haus gekauft, wo er viele Monate allein lebt. Und heute hat er zum Glück jemanden gefunden, der sich seine Geschichten und Reiseerlebnisse gern anhört und sogar einige Erfahrungen mit ihm teilen kann, nämlich mich. Nach über einer Stunde kommen Erich und Grazyna aus dem Beckenbereich zurück und setzen sich zunächst an den Nachbartisch. Schließlich werden auch sie von Tonis Geschichten unterhalten und muntern ihn sogar auf, Weiteres preis zu geben ...
Nach kurzer Mittagspause fahren wir weiter Richtung Deva, nehmen aber nicht die langweilige Autobahn, sondern die gut ausgebaute Landstraße entlang des Flusses Mieresch. Plötzlich stoppt uns eine Polizeistreife und erklärt, wir seien zu schnell gefahren: 73 km/h zeigte das Messgerät und 50 km/h seien erlaubt, bis 60 km/h ginge die straffreie Toleranzzone. 70 EUR Strafe kann unsere Haushaltskasse zwar verkraften, aber die Suche nach einer Zahlstelle wird uns noch Tage beschäftigen.
Die Polizei nimmt nämlich kein kein Geld entgegen und nennt uns lediglich die zuständige Bank. Dort werden allerdings nur rumänische Bürger "entschuldet", wir sollten jedoch zum Bürgermeisteramt gehen. Tage später hat eine Stadtangestellte in Brad die rettende Idee: Die Finanzamtskasse ist zuständig, diese nimmt schließlich unser Geld an und gibt die Zahlungsbestätigung aus. Jedenfalls halten wir uns die restlichen Wochen strikt an die erlaubten Geschwindigkeiten (plus Toleranz natürlich). Nicht nur das Geld, sondern vor allem die Einzahlprozedur schreckt uns ab ...
Und weiter geht´s ...
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© 2022 Sepp Reithmeier