Karpaten unplugged
Hunedoara (Deutsch: Eisenmarkt) ist die Stadt, von der aus es ins Gebirge gehen soll, morgen. Heute wollen wir nach den frustrierenden Einzahlversuchen ein gutes Lokal finden und ein Passant empfiehlt die Kette Rustic, wo wir kulinarisch auch gut bedient werden. Durch all diese Verzögerungen kommen wir in Zeitnot, verlassen Hunedoara schließlich eilig und kommen auf der Stellplatzsuche doch noch in die Dunkelheit, weil ein angepeilter Campingplatz uns einen unmöglich schrägen Platz anbietet und ein zweiter geschlossen hat.
Wenige Meter neben der Straße finden wir mühsam und mit Hilfe der "Rentnerkeile" eine waagrechte Stelle und stehen auf dem einzigen suboptimalen Nachtplatz der ganzen Reise. Ruhig ist die Nacht trotzdem, also klagen wir nicht ...
Der nächste Morgen, es geht in die Karpaten: Poiana Rusca heißt dieser Vorgebirgszug und Karpatenwilli beschreibt die Region als "Karpaten unplugged". Im Führer "Rumänien Offroad" von Burkhard Koch alias Pistenkuh werden zwei Zugänge angeboten und einer davon, "2HR" sei anfangs so zugewachsen, dass er für unsere Fahrzeuggröße nicht empfohlen wird.
Wir nehmen also den anderen Einstieg, "2DH" über die offiziellen Zufahrten der Dörfer dort oben und klappern die Sehenswürdigkeiten ab. Erst passieren wir zu Fuß den 900 Meter langen Stollen, durch den früher die Eisenerze ins Tal nach Hunedoara befördert wurden.
Danach finden wir den alten Hochofen in Govajdia, der zu den zwei frühesten kontinuierlich laufenden Hochöfen der Welt gehörte. Diese Technik fasziniert mich besonders und es ist kaum zu glauben, dass die Rumänen bereits im Jahr 1810 derartige Fähigkeiten besaßen und später sogar wichtige Stützelemente für den Eiffelturm hier produzieren konnten. Oben wurden damals wie heute Erzgestein und Kohle in Lagen eingeschichtet. Durch den Verbrennungsvorgang und das Abstechen von flüssigem Eisen und von Schlacke am Boden des Hochofens wurde dann oben wieder Platz frei für neue Lagen Kohle und Erz: Genau wie auch bei modernen Hochöfen heutzutage ...
Auf einsamen Almstraßen, wie es sie in den Alpen auch gibt, nur leider für den Verkehr gesperrt, gewinnen wir langsam an Höhe und haben endlich gute Sicht auf die noch schneebedeckten Gipfel des südlich von uns gelegenen Retezat-Massivs, dem südwestlichen Eckpfeiler des Karpatenbogens. Auf dem Bergrücken oberhalb des Ortes Lelese machen wir Rast an einem überdachten Brotzeitplatz, wie sie hier in der Gegend öfter zu finden sind, packen die Reste des gestrigen Apfelstrudels aus und schauen dem Hirten mit seinen Schafen zu, die allmählich näherkommen.
Plötzlich ist die Vorhut bei uns: Nicht nur die ersten Schafe, sondern auch die Hunde, die schon aus geringer Ferne von Schafen kaum zu unterscheiden sind, sondieren das Terrain. Wir haben keine Angst und verhalten uns ruhig, genau wie die etwa zehn Hunde, die nur neugierig sind, auf Abfälle unserer Brotzeit warten und sich gemütlich in den Schatten unseres Autos legen. Sie machen Siesta, ist ja kein Bär da ...
Nach dem Hundetreffen führt uns die Piste wieder ins Tal und wir steuern den Ort Alun an, der auf dem nächsten Höhenzug liegt und früher von dem hochwertigen Marmor aus dem Steinbruch lebte. Dieser aufgelassene Abbau bietet uns eine interessante Kulisse für die Nacht und wir werden im Laufe der Reise noch häufiger alte Steinbrüche als Geheimtipp für Nachtplätze entdecken. Ein kleiner Spaziergang durch Alun zeigt uns die Idylle einsamer Bergdörfer ...
Am nächsten Tag wollen wir das Sommerdorf Vadu Dobri auf einer mittelschweren Piste aus dem Offroadführer erreichen (obere Hälfte von "2HR") und tatsächlich wird die Straße abenteuerlicher, nicht mehr gepflegt und anfangs mit tiefen lehmigen Schlammpfützen übersät. In der größten dieser Lehmkuhlen bleiben wir auch erst einmal stecken, alle Räder drehen durch. Durch mehrmaliges Vor-zurück-Schaukeln kommt Erich gerade noch hinaus, bevor ich zu unangenehmeren Mitteln greifen müsste. Unangenehm für mich, denn in dieses Wasserloch steigen und Luft ablassen oder die Wafelboards unterlegen wäre hier meine Aufgabe als Beifahrer ...
Im weiteren Verlauf dieses schlechten Weges folgt plötzlich eine Gabelung, und wir nehmen den besser aussehenden linken Pfad, obwohl der Track von der Pistenkuh nach rechts weist, aber in einem engen dunklen Hohlweg verschwindet, der uns abschreckt. Links handelt es sich um eine teils gut präparierte Piste für Holzlaster, die anfangs annähernd auch die richtige Richtung einschlägt, dann aber durch ein matschiges Steilstück nach unten führt und an einem Holzplatz endet.
Für uns wäre das ein "Point of no Return", ohne Winde oder Zweitfahrzeug kämen wir da möglicherweise nicht mehr hoch, ohne die Schneeketten auszupacken und uns vollständig einzusauen. Deshalb heißt mein Kommando: Zurück zum nächsten Wendeplatz. Etwa 200 Meter müssen wir dazu die Steigung im Rückwärtsgang hochfahren. Das funktioniert bei meinem Auto mit dem Heckfenster erstaunlich gut: Ich als Beifahrer habe meine Nase an der Heckscheibe und rufe die Kommandos zum Lenker. Nur bedeutet ein Ruf "LINKS", dass Erich rechts lenken muss und umgekehrt. Nicht immer funktioniert dieses Umdenken und die Räder kommen manchmal dem Abhang recht nahe. Der richtige Track in den Hohlweg erweist sich dann aber als gut fahrbar, bald sind die Schwierigkeiten überwunden und Vadu Dobri ist erreicht.
Eigentlich wollten wir nördlich über Dobra entlang der Mieresch aus dem Vorgebirge Poiana Rusca hinausfahren, erwischen aber ganz oben eine falsche Abzweigung und enden nach langer staubiger Pistenfahrt schließlich wieder in Hunedoara. Auch recht! Die bekannte dortige Burg Corvinilor haben wir ja in der Eile vorgestern Abend noch nicht besichtigen können und wollen das nun nachholen. Aber die touristische Aufmachung mit Ticket und Sperrschranken reizt nicht zu einem Besuch: Führungen in Englisch gäbe es zwar, den Aufwand wollen wir aber gar nicht. Wir knipsen "das Ding" ein paarmal und verschwinden wieder. In dem guten Lokal der Rustic-Kette bestellen wir zum Mittagessen Pizza und wissen nachher, warum die Pizza in Italien die Beste ist: Die rumänische Pizza ist es jedenfalls nicht ...
© 2022 Sepp Reithmeier, weitere Fotos: Erich Junker