VogelbeobachtenPlädoyer für ein Reisehobby ... |
Eine Reise braucht ein Motto oder auch mehrere: Man fährt doch nicht irgendwo hin, nur um da gewesen zu sein und den Ort gesehen zu haben!? Das wäre jedenfalls etwas wenig. Und deshalb gibt es eben Reiseführer, Kulturführer, Stadtführer, Strandführer, Naturführer, WoMo-Führer und Reiseberichte im Internet ...
So findet man interessante Plätze mit orginellen Menschen, antike Stätten oder idyllische Badebuchten, um die kostbare Urlaubszeit auszufüllen. Am schönsten ist es aber trotz allem in der freien Natur, und dort gibt es besonders viel zu entdecken. Wenn man bei diesen Entdeckungstouren allerdings tiefer in die Materie eindringen will, sollte man sich meiner Meinung nach auf ein oder zwei Teilgebiete konzentrieren. Ich habe das im Bereich der Vögel gemacht und empfehle dies auch allen Lesern hier. Warum?
Die relativ vielen Vogelarten bieten im Gegensatz zu den wenigen Säugetieren ausreichend Abwechslung und eine gewisse Herausforderung, aber dennoch einen guten Überblick. Bei Pflanzen und Insekten ist das Artenspektrum dagegen uferlos und nur Spezialisten finden sich zurecht. Vögel kann man sowohl hören als auch sehen und Vögel sind außerhalb von Jagdgebieten meistens nicht sehr scheu. Im Gegenteil, sie sind oft neugierig und kommen nahe heran, um die verrückten Naturbeobachter selber zu beäugen. Deshalb also die Vögel - sie sind schön und einfach zu finden ...
Es gibt sicherlich einige, aber viele werden es bestimmt nicht sein unter den Lesern des Explorer Magazins, die genauer informiert sind über das sogenannte "Birdwatching". Deshalb möchte ich hier einige Erläuterungen zu meiner "Nebenbeschäftigung" beim Reisen geben.
Wie in jeder Disziplin gibt es auch beim Vogelbeobachten verschiedene Spielarten, in denen man diesen "Sport" betreiben kann. Stichwort Sport: Auch mit zum Teil verbissenem Ehrgeiz und wettkampfmäßigen Vergleichen kann man in dieser Szene tätig werden. Es ist eine eingeschworene und nicht ganz kleine Gruppe von meist jüngeren Leuten, vertreten durch das Internetportal Club300, denen es um das Sammeln selbst beobachteter Vogelarten geht und um das Ranking, also die Einstufung, an welcher Position innerhalb des Clubs man steht.
Der Name sagt bereits, dass es für die Clubmitglieder erst ab 300 beobachteten Arten richtig interessant wird, Spitzenreiter können aber Tausende von Arten aufweisen. Das Weltranking wird angeführt mit derzeit über 8.500 Arten, was ich aber eigentlich kaum glauben kann. In Deutschland hat der Spitzenreiter 440 der insgesamt 527 vorkommenden Vogelarten beobachten können - eine beachtliche und wenigstens noch glaubwürdige Leistung!
Einen lebendigen Einblick in diese Welt der Vogelsammler bietet eine alte Reportage aus dem Heft 04/2005 von natur&kosmos, in dem auch die englischen Fachausdrücke und der englische Club400 vorgestellt werden. Ja, in England bestehen noch höhere Hürden, um in diesen skurrilen Club in Ehren aufgenommen zu werden. Aber immer noch besser als manche Jäger mit ihrer Sammlung ausgestopfter Beutevögel!
Zu den erwähnten "Spitzenbirdern" zähle ich mich gewiss nicht, ich weiß nicht einmal annähernd, wie viele Arten ich schon gesehen habe. Ein interessantes, für viele Menschen jedoch unverständliches Phänomen ist es aber schon, das leistungsmäßige Vogelsammeln. Doch warum nicht? Es gibt schließlich viele leistungsorientierte Läufer und Radler und ein bequemer Sonntagsausflügler wird die Motivation eines Triathleten auch nicht begreifen ...
Viele Vogelfreunde, besonders solche aus England, buchen von Zeit zu Zeit eine Vogelreise unter Leitung eines kundigen Führers.
Solche Gruppen von bis zu fünfzehn mit Spektiven schwer bewaffneten Vogelkundlern sieht man in den einschlägigen Naturräumen allenthalben in gemieteten Sprinterbussen herumfahren, an den bekannten Hotspots aussteigen, wenige Schritte in die Landschaft gehen und dort Ausschau halten.
Im Doñanagebiet wird man statt in einem Sprinter sogar in einem "richtigen" Auto herumgefahren - in einem Unimog ...
Diese Methode ist bequem, auch für ältere Leute geeignet und sehr effektiv. Erstens kennt der Führer die Plätze, an denen man mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seltene Arten stößt und zweitens entkommt einer solchen Gruppe kaum ein Vogelversteck. Fünfzehn Augenpaare suchen unterschiedliche Bodenflecken ab, und wenn einer etwas entdeckt, erfahren es sofort alle anderen.
Nun hängt es vom Führer und der Gruppenzusammensetzung ab, wie ehrgeizig und erfolgsorientiert man hier vorgeht. Ich habe in einem unter Birdern bestens bekannten Hotel in El Rocio, Andalusien, beobachtet, wie eine englische Gruppe abends am Esstisch saß und von ihrem Guide wie in der Grundschule abgefragt wurde, welche Arten am vergangenen Tag wo gesichtet wurden, damit ja jeder eine vollständige Artenliste mit nach Hause nehmen konnte.
Ich selbst dagegen betreibe dieses Hobby viel entspannter: Auf meinen täglichen Hundespaziergängen habe ich immer ein kleines Fernglas in der Brusttasche und natürlich Augen und Ohren gespitzt. Mein Hund stört dabei selten: Er läuft ohne Leine und mit der Nase am Boden langsam mit, jagt und bellt nicht und verschreckt auch selten einen Vogel, es sei denn, er will mal sein Bad im vorbeifließenden Bach nehmen, in dem sich gerade ein paar Enten versteckt haben ...
Ausgesprochene Vogelraritäten suche ich nicht gezielt, der Aufwand wäre mir zu groß. Aber zufällig komme ich doch hin und wieder in den Genuss eines solchen Erlebnisses. Im Urlaub fahre ich aber schon bewusst dahin, wo man viele Vögel oder besondere Arten und ein noch ungestörtes Umfeld finden kann.
Meine an Birdwatching absolut uninteressierte Frau hat auch schon gemerkt, dass diese Gegenden landschaftlich die Perlen der bereisten Länder darstellen und klagt nicht über meine Ortswahl - wenn nur abends eine nette Taverne oder ein ansprechender Campingplatz winkt ...
Vor einigen Jahren hatten meine Freunde und ich die "Kranichphase": Schon seit langem hatten uns diese beeindruckenden Vögel besonders interessiert und wir besuchten eine ganze Zeit lang zum Teil gemeinsam, aber auch einzeln, fast alle der bekannten Sammelplätze auf ihrem Zug von Skandinavien über die Ostsee, Mitteldeutschland, Frankreich und Spanien.
Das waren immer schöne Reisen, auch mit kulturellen Höhepunkten und Weinproben auf dem Weg. Aber die Spannung war stets am höchsten, wenn früh morgens Unruhe in die im flachen Wasser stehenden Kraniche kam und Tausende von ihnen laut trompetend plötzlich abhoben und über unsere Köpfe hinweg zogen. Da bewährte sich dann unser mobiles Heim, in dem wir die Nacht in der Nähe des Rastplatzes verbringen konnten und den dramatischsten Moment des Massenabfluges nicht verpassten. Solche Höhepunkte verstanden dann auch unsere nicht vogelinfizierten Mitreisenden ...
Im Laufe der Jahre und insbesondere, wenn man mit dieser Leidenschaft schon in Jugendjahren angefangen hat, kommen einige Fertigkeiten hinzu: Schon im Augenwinkel registiere ich Vogelbewegungen, die meiner Begleiterin überhaupt nicht auffallen und mit dem Fernglas habe ich das Flugobjekt wesentlich schneller als ein Ungeübter eingefangen. Die Stimmen und Gesänge vieler Vögel werden allmählich immer vertrauter und der Erfolg beflügelt wie überall die Leidenschaft. Wenn auch vor allem die Beobachtung einer Rarität jeden Birder aufputscht, so kann man doch auch lange vor einem Busch voller Spatzen stehen und dem lauten Treiben der lustigen Gesellen zuschauen ...
Nach einer gewissen Zeit der Beschäftigung mit diesem Teil der Natur kommt es fast von selbst, dass man sich nach Gleichgesinnten umsieht, entweder im Netz oder im lokalen wie auch bundesweiten Rahmen, wie etwa dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) oder dem Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU). Dort findet man neben neuen Freunden vielleicht auch neue Aufgaben, etwa die Teilnahme und später sogar die Leitung einer Vogelwanderung, Teilnahme an Vogelzählaktionen wie "Zählung der Wintervögel am Futterhaus" oder der Vögel im eigenen Garten.
Auch wissenschaftliche Projekte brauchen eine Vielzahl von ehrenamtlichen Helfern, wobei man etwa an der Internationalen Wasservogelzählung oder an einem Brutvogelmonitoring mitwirken und dabei viel lernen kann. Nur derjenige, der sich in irgend einer Weise wissenschaftlich beteiligt, und sei es nur "niederschwellig", darf sich Ornithologe nennen, also Vogelwissenschaftler und nicht nur Vogelbeobachter. Jedenfalls sehe ich das so ...
Nicht zuletzt geht es für uns Ältere auch um die Motivation junger Leute und darum, dem allgegenwärtigen Smartphone eine spannende Alternative entgegenzusetzen.
Aber hier wie überhaupt, kommt es anders als man glaubt (Wilhelm Busch): Die Jungen laden sich ganz einfach die App "Club300 mobile" herunter und ihr Samsung Galaxy führt sie dann auf kürzestem Weg zur nächsten Vogelrarität. Meinetwegen ...
Ihnen fällt es auch nicht schwer, ihre Beobachtungen von seltenen wie auch alltäglichen Vögeln in der inzwischen fast europaweit existierenden Datenbank ornitho.de (bzw. ornitho.at, ornitho.ch, ornitho.it ...) richtig einzutragen und sogar Auswertungen damit durchzuführen (siehe Beispiel unten). Wir älteren Beobachter stellen uns dabei oft etwas ungeschickt an und profitieren hier eindeutig von unseren Nachwuchskräften.
Zum Schluss möchte ich auf eine von mir besonders bewunderte Spielart dieser Naturbeschäftigung eingehen, der Vogelfotografie. Bewundert deshalb, weil ich selbst in dieser Disziplin nichts Gescheites zusammenbringe, von einigen Zufallsschnappschüssen einmal abgesehen.
Aber ich bringe auch die dafür erforderliche Disziplin nicht auf, etwa stundenlang in einem engen Versteck zu warten, mit geringstem Bewegungsspielraum oder Hitze und Mücken etc., um dann vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, einen Geier im nahen Vorbeiflug zu bannen. Oder etwa mit schwerem Fotorucksack tagelange Fußmärsche zu besonderen Plätzen zu unternehmen. Ja selbst das lange Ausharren vor dem Spatzenbusch oben, bis endlich eine gute Bildszene vorhanden war, hat dem Fotografen sehr viel Geduld abverlangt. Ein zufälliger Schnappschuss ist das jedenfalls nicht ...
Von derartigen Leistungstypen gibt es zum Glück einige und wir sind ihnen echt dankbar für ihre einmaligen Aufnahmen. Aber eine nicht geringe Besessenheit gehört schon dazu und viel Wissen und Erfahrung. Sie verdienen deshalb meine Bewunderung, müssen mich aber nicht als zukünftigen Konkurrenten fürchten.
Aus der Menge der renommierten Vogelfotografen möchte ich Günter P. Reinartz und seine Fotobox erwähnen, dessen Aufnahmen zumeist in seinem Heimatkreis Unna entstehen und vor Lebendigkeit strotzen. Man muss also nicht unbedingt weit reisen, um schöne Vogelbeobachtungen erleben zu können. Aber auf Reisen macht es sicherlich noch mehr Spaß.
Das Projekt eines anderen Fotografen will ich ebenfalls noch vorstellen, aber nicht zur Nachahmung weiterempfehlen: Uwe Hasubeck hat sich am Rand einer Kolonie von Küstenseeschwalben hingesetzt und auf die Flugattacken der Bewohner gewartet. Dabei gab es eine ganze Reihe von Spitzenaufnahmen der wütenden Seeschwalben, die ihn schlussendlich auch erfolgreich vertreiben konnten.
Man kann aber auch Hobbyfotografen für die Vögel begeistern. Das habe ich bei meinem Reisefreund Martin geschafft. Nach meinem Rückflug von unserer gemeinsamen Islandreise mit wenigen Gelegenheiten zum Vogelschauen ist er für die restliche Zeit seines Inselaufenthals in den Nordwesten Islands gefahren und hat an den Westfjorden Vogelfelsen besucht.
Dabei sind ihm sehr schöne Aufnahmen gelungen, die er mir mit großer Schadenfreude täglich mailte. Während unserer gemeinsamen Zeit waren uns solche Beobachtungen nämlich nicht gelungen. Nun ist er mächtig stolz auf seine Bilder und alle, denen er zum Beispiel die Aufnahme mit dem tropfnassen Papageientaucher zeigt, staunen über seine Begabung. Ein tolles Erfolgserlebnis, wie man anhand seiner Bilder unten sehen kann!
Im Internet verfolge ich derzeit in dem Reiseblog itchyweels zwei junge Deutsche auf ihrer langen Reise durch Nord- und Südamerika. Die ersten Bilder der Reisenden zeigten auch zwei Aufnahmen nordamerikanischer Vögel, die sie mangels Kenntnissen nicht bestimmen konnten. Doch mein Freund Matti, ein noch viel erfahrener Vogelkenner als ich, konnte den beiden Globetrottern die Namen der Vögel nennen und ihnen auch das richtige Bestimmungsbuch für Nordamerika empfehlen. Und was ist passiert? Sie haben das Buch gekauft und alle exotischen Vögel, die sie sehen und ablichten, erhalten nun den richtigen Namen, nachzulesen in ihrem Bericht. Ein neues Reisehobby ist für die zwei entstanden - viel Spaß damit!
Auswertungsbeispiel: Ornitho.de liefert alle Beobachtungseinträge von Kranichen in einem bestimmten Zeitraum.
Sehr gut zu sehen sind hier die beiden Hauptzugstrecken durch Deutschland. Erst seit wenigen Jahren findet man auch von Jahr zu Jahr zunehmende Kranichmeldungen am nördlichen Alpenrand und hat sich anfangs gewundert - vielleicht Irrläufer?
Nein, durch Hinzunahme österreichischer und ungarischer Meldezahlen erkennt man, dass diese zunehmende Zahl von Kranichen aus Russland und über die ungarische Puszta kommt. Es handelt sich dabei um Vögel, die früher über die Türkei, Syrien und Ägypten nach Afrika flogen, nun aber vermehrt am Alpenrand entlang über die Schweiz segeln und in Frankreich dann nach Süden abbiegen (Als Kranich würde ich ehrlich gesagt das Kriegsgebiet dort und die IS-Gewehre ebenfalls meiden! ).
Wie man sieht, ist Vogelzugforschung ein hochinteressantes und äußerst spannendes Gebiet!
© 2015 Sepp Reithmeier
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sepp Reithmeier im Explorer Magazin
zum "Birding":
- Finnland 2016: "Weiße Flecken" auf der Landkarte ..?
- Spanien 2008: Birdwatching in der Doñana
... und sonstige:
- Island 2015: Kontrastprogramm zum Hitzesommer
- Türkei-Georgien 2014: Die lange Reise ...
- Sardinien 2012: Viel Landschaft und ein T-Rex
- Beskiden 2012: Erinnerungsprotokoll einer "Kulinarischen Reise"
- Die "Streetcamera": Mal was anderes ...
- Ein Klappbackofen für die Reise: Luxus passt in die kleinste (> 4 Tonnen- ) Hütte ...
- Reiseberichte im Internet: Warum man manchmal gern auch im Explorer Magazin schreibt ...
Und alles weitere ab sofort in der neuen Autorenübersicht!