Kulturprogramm Siebenbürgen

In Turda gibt es am Stadtrand und direkt neben dem Tiergarten einen kleinen Salzsee, den Rest einer längst aufgelassenen Saline. Dort nächtigen wir ungestört und nutzen am nächsten Morgen den Steg am See für das Frühstück und ein erfrischendes Bad im leicht salzigen Wasser. Danach besuchen wir die touristische Hauptattraktion der Stadt, die Saline Turda, die trotz Abneigung gegen Massentourismus unbedingt besucht werden sollte.

In mehreren riesigen, über Jahrzehnte entstandenen Abbauhöhlen, die man über Treppen oder zwei Lifte bis zur Tiefe von 80 Metern erreichen kann, wurden verschiedene Installationen errichtet: Ganz unten der kleine Salzsee, den man mit Ruderbooten befahren kann, darüber in zwei Etagen beleuchtete Ruheplätze, Kioske, Sportgeräte etc. Das mag kitschig erscheinen, lockt aber die Besucher an und amortisiert so die Investitionen. Die hohe salzige Luftfeuchtigkeit und die niedrige Temperatur wirken sich sehr gut auf Bronchialkranke aus. Aber das Auge hat am meisten zu tun, so eindrucksvoll sind die Maserungen der Höhlenwände und die Anlage überhaupt. Im Zugangsbereich sind einige sehr interessante Museumsstücke zum Thema "historischer Salzabbau" ausgestellt. Besonders eindrucksvoll ein Model der Förderanlage und ein Originalteil, nämlich die von Pferden angetriebene Aufzugswinde. Zwei Stunden sollte man für so einen Aufenthalt in der Tiefe schon einkalkulieren ...

Salzüberzug nach Jahren ... Installationen der untersten Etage mit Salinensee Neue Holzkonstruktion noch ohne Salzüberzug Original der pferdebetriebenen Aufzugswinde

Nach dieser großartigen Besichtigung und nach einem Mittagessen in einem touristisch ausgerichteten Restaurant nahe der Saline fahren wir zur zweiten Attraktion, der Schlucht von Turda: Ich war bereits 2008 schon einmal hier, allein mit VW-Bus und Hund, rein gar nichts war seinerzeit hier los. Heutzutage rockt hier der Bär: Hunderte von Parkplätzen, die es damals noch nicht gab, sind voller PKWs, auf einem Campingplatz etwas oberhalb der Talsohle haben sich junge Leute, vorwiegend Kletterer, eingerichtet und bearbeiten tagsüber die 474 Routen in 40 Sektoren, wie Kletterfreund Roland recherchiert hat.

Der Trubel ist mir zu viel, ich will mich nicht in die Schlange der Schluchtenwanderer einreihen und bleibe deshalb am Auto, während Erich und Grazyna wieder Bewegung brauchen und für zwei Stunden in der Schlucht verschwinden. In der Folge kommt es bei mir zu einigen netten Begegnungen. Mein Bremach zieht immer wieder neugierige Interessenten an: Eine junge Österreicherin begeistert sich für so ein Auto. Wir finden aber gemeinsam heraus, dass sie mit ihrem Toyota Hiace 4x2 Bus besser bedient ist als mit einem 4-Tonnen Bremach. Und ein Amerikaner mit Familie kommt zu mir mit dem Ruf "What a beast!", er schaut sich das "Ungetüm" genauer an. Sehr amüsiert ist er von der Typenbezeichnung "Trex". Er hat in Kaiserslautern seinen Militärdienst abgeleistet, aber wohl kaum ein Wort Deutsch gelernt.

So vergeht die Zeit, bis meine Wanderer mit einer kleinen Attraktion zurück sind: Neben vielen Kletterern auf extrem schwierigen Routen haben sie zwei junge Bären in der Schlucht gesehen, einen sogar fotografieren können. Von der Mutter und damit von Gefahr war weit und breit nichts zu erkennen. Außerdem, die Menschenmasse habe sich in der weitläufigen Schlucht schnell verlaufen und wäre für die Wanderung überhaupt kein Problem gewesen, meinen sie ...

Steilwand voller Kletterer auf schwierigsten Routen ... Einen Bärenjungen konnte Grazyna sogar mit Handycam fotografieren ...

Turda war ein lohnender Ort, doch nun wollen wir Kirchenburgen und Städte in Siebenbürgen anschauen: Sighisoara, das alte Schäßburg soll eine der schönsten Altstädte haben und zieht uns an. Der Campingplatz oberhalb der Stadt mit schöner Aussicht ist inzwischen kein CP mehr, sondern ein Eventlokal. Etwas ratlos verlassen wir den Platz und fahren den nächstbesten Waldweg hinein. Nach vielleicht einem Kilometer finden wir in der ersten Waldlichtung eine Ausweichstelle, wo wir die nächste Nacht stehen können, ruhig, ungestört und unkompliziert, wie fast überall in Rumänien.

Nach dem Frühstück stellen wir das Auto im Stadtzentrum ab und bewandern die Altstadt auf dem Burgberg: Große Teile der alten Mauer und einige Wehrtürme sind zu besichtigen, etwa der Schusterturm oder der Schneiderturm, der damals von der namensgebenden Gilde gebaut und von ihr verteidigt werden musste. Sehr bekannt ist auch die Schülertreppe, eine überdachte Holzkonstruktion, mittels der die Schüler von Schäßburg trocken zum Gymnasium auf dem Berg gehen konnten. Hinunter laufen wir durch den alten Friedhof mit geschichtsträchtigen Grabinschriften ...

Unser Tagesziel Sibiu ist über zwei Strecken zu erreichen: Wir verzichten auf die östlichen Kirchenburgen wie etwa Viscri (Deutsch-Weißkirch) und nehmen die westliche Route, die an den Wehrkirchen in Biertan, Alma Vii und Mosna vorbeiführt. Die Stadt Mediasch ist eindeutig der Höhepunkt dieser Strecke und nach kurzer Besichtigung der Altstadt haben wir in der großen evangelischen Margarethenkirche wieder eine prägende Begegnung.

Schneiderturm Schusterturm Schülertreppe Familienschicksale ...
Wehrkirche von Alma Vii, ruhig und schön gelegen ... Wertvolle orientalische Teppiche in der Kirche Mediasch, evangelische Margarethenkirche Sibiu, turbulenter Hauptplatz

Die Frau am Eingang verkauft uns die Tickets und kommt etwas später, als sie unsere deutsche Unterhaltung hört, auf uns zu. Es entwickelt sich ein langes Gespräch mit der waschechten Siebenbürger Sächsin und sie erklärt nicht nur die Herkunft der vielen kostbaren orientalischen Teppiche in der Kirche, sondern auch das Schicksal der Siebenbürger Sachsen in Zeiten vor, während und nach der kommunistischen Herrschaft unter Ceausescu. Heute habe die Gemeinde noch ca. 500 Einwohner, das seien wenige Prozent der früheren Stärke. Aber die Deutsche Schule neben der Kirche laufe trotzdem noch gut. Viele rumänische Eltern schicken ihre Kinder absichtlich dort hin, zum einen weil sie konservativ geführt sei und zum anderen weil die Eltern einen späteren Vorteil für ihre Kinder erwarten durch die gute Vermittlung der deutschen Sprache. Heute kommen manche, damals nach Deutschland ausgewanderte Sachsen wieder zurück. 90% als sogenannten "Sommersachsen" kommen zum Jahresurlaub in ihre wiedererworbenen Häuser, ein kleiner Prozentsatz bleibt aber auch dauerhaft.

Sibiu, unser nächstes Ziel und zweitgrößte Stadt Rumäniens,  kann die übersichtliche und fast schon private Atmosphäre der kleineren Städte nicht bieten: Der Hauptplatz der Stadt ist riesig und voller turbulenter menschlicher Aktivitäten. Eigentlich wie jede angesagte Großstadt der Welt. Die Gastronomie vielfältig, aber überteuert. Absichtlich suchen wir etwas entfernt vom Zentrum nach einem Restaurant und essen gemütlich und lecker. Zum ersten Mal erlebe ich es, dass ein Lokal keine gedruckte Speisekarte besitzt und den Gästen nur einen QR-Code zur Internetseite anbietet. So digital geht es bei uns zu Hause zum Glück noch nicht zu ...

Zur Übernachtung fragen wir wieder einmal die App: Aber das, was uns Park4night da anbietet, soll wohl ein Witz sein. Neben dem Freilichtmuseum am südlichen Stadtrand hat die Ausfallstraße massenhaft Parkbuchten für die Museumsbesucher. Aber doch wohl nicht zum Übernachten im Camper! In einem Land, wo man fast überall frei stehen kann! Wir fahren noch ein paar Kilometer weg von der Stadt und suchen auf der OSM-Karte einen Waldweg. Der erste Versuch ist bereits ein Treffer, was sonst. Wenige hundert Meter von der Durchgangsstraße entfernt und damit absolut ruhig findet sich am Waldrand die geeignete Wegverbreiterung für den Stellplatz, und es wird die ganze Nacht nur ein einziges Auto vorbeifahren, gegen 6 Uhr früh. Meinen beiden "Hyperaktiven" bietet der Waldweg gleich die Gelegenheit, das Terrain zu Fuß zu erkunden.

Am nächsten Morgen besuchen wir das Freilichtmuseum Astra, vor dem uns die App hätte übernachten lassen: Es soll eines der größten Museen seiner Art sein und das glauben wir gerne. Bestimmt zwei Stunden laufen wir von einem Ausstellungsbau zum anderen. Mit etwas technischem Verständnis, und das braucht man hier unbedingt wegen fehlender Erklärungen an den Exponaten, kann man sich die Funktionen der diversen Werk- und Produktionsstätten gut vorstellen. Breiten Raum hat u.a. die frühe Textilverarbeitung aus Wolle oder Flachs. Ein kleines Dorf aus dem Donaudelta ist hierher versetzt worden und zeigt neben drei Windmühlen auch zwei mobile Wasserkraftwerke: Einfach ein Wasserrad zwischen zwei miteinander verbundenen Bootskörpern. An geeigneter Stelle in einem Fluss vertäut konnte damit die Strömung zum Antrieb genutzt werden. Das viel Schatten spendende Gelände ist auf jeden Fall ein sehr lohnendes Besuchsobjekt für stadtmüde Reisende ...

"Blau ist das Haus, reich der Mann" hieß es früher, Lapislazulifarbe war teuer Stube einer Weberin Mobiles Wasserrad aus dem Donaudelta Familienfoto von 1932, Exponat Eingangshalle

Aber jetzt geht es wieder ins Gebirge, die viel gepriesenen Offroadpisten in den Südkarpaten warten. Am einfachsten von Sibiu aus ist die Auffahrt zu dem bekannten Bergdorf Paltinis, wo Pistenkuhs Track "3SV" beginnt. Eigentlich suchen wir solche ruppigen Wege ja, aber dieser hier hat kaum Aussichtsstellen, man ist immer im Wald. Auf diese Weise überqueren wir einen 1.600 m hohen bewaldeten Bergrücken, kämpfen uns wieder hinunter ins Tal, wo wir die Route "3TT" queren und arbeiten uns erneut hoch zur nächsten Anhöhe, auf der unser Offroadführer einen einsamen Nachtplatz in einer der seltenen Waldlichtungen anpreist ...


© 2022 Sepp Reithmeier, weitere Fotos: Erich Junker