Deutschland 2017
Eine Reise quer durchs Land ins Weltall ...
Wer von euch war schon einmal im Weltall und hat die Erdkugel von oben gesehen?
Bestimmt keiner. Und auch ich habe in meinem Leben die entscheidenden Weichen dazu falsch gestellt. Weder habe ich mich zu einem Astronauten ausbilden lassen noch bin ich zu den 10 Millionen Euro gekommen, die so ein Trip für Privatleute in etwa kosten dürfte ...
Für uns "Versager" in dieser Hinsicht bietet sich derzeit die einzige Möglichkeit, doch noch in den Genuss des einmaligen Anblicks zu kommen und die Erdoberfläche mit all ihrer Wolkendynamik und ihren Lichterscheinungen von außerhalb der Atmosphäre zu bestaunen: Für bescheidene 10 Euro Eintritt kommt man in Oberhausen in das Innere eines Gasometers, dem ehemaligen Speicher für Stadtgas, der inzwischen als riesiger Ausstellungsraum dient.
Mit über 110 Meter Höhe und knapp 70 Meter Durchmesser bietet er reichlich Platz für einen 20 Meter durchmessenden weißen Ballon, der von vielen Beamern angestrahlt wird, was insgesamt eine perfekte Nachbildung der Erdkugel erzeugt. Diese Simulation des Erdballs vom All aus soll so gut sein, dass selbst Astronauten zugeben, dass es neben dem Original wohl kaum eine bessere Ansicht der Erde gebe ...
Diese Vorschusslorbeeren locken sogar mich vom südlichen Rand der Republik die 700 Kilometer nach Oberhausen, schließlich sollte man das einfach gesehen haben. Zu meinem Glück wurde die aktuelle Ausstellung "Wunder der Natur" um ein ganzes Jahr und bis zum 30.11.2017 verlängert. 2016 hatte ich einfach keinen Termin für mich gefunden, aber nun, am verlängerten Faschingswochenende vom 24. bis zum 28.02.17 können wir es endlich einrichten.
700 Kilometer mit dem Wohnmobil in einem Stück durchfahren ist nicht so mein Ding. Deshalb habe ich für die Hin- und Rückfahrt interessante Zwischenstopps ausgesucht: Am Freitag geht es erst einmal nach Wetzlar in Hessen.
Die hübsche Altstadt mit den vielen Fachwerkhäusern wurde im Krieg nicht zerstört und so blieb das Motiv der weltweit ersten guten Kleinbildaufnahme aus dem Jahr 1913, der Wetzlarer Eisenmarkt, für mich und euch erhalten. Damals hatte Oskar Barnack, der Erfinder der Leica, seine erste Kamera mit diesem Motiv getestet.
Es ist doch klar, dass ein derart historisches Fotomotiv einen Besuch wert ist, oder? Auch sonst bietet Wetzlar eine wunderbare Kulisse für einen entspannten Stadtrundgang und einen architektonisch besonderen Dombau: Vorne der himmelstrebende gotische Turm und dahinter quer dazu ein älterer romanischer Bau. Dass hier seit etwa 1561 die älteste Ökumene Deutschlands wirkt, der Dom also von Katholiken und Protestanten genutzt wird, heutzutage sogar gemeinsam, sieht man von außen nicht.
Die Umgebung an der Lahn bietet uns einige Kilometer flussabwärts einen schönen, naturnahen Übernachtungsplatz in Ruhe und Einsamkeit ...
Am nächsten Vormittag besuchen wir die Stadt Limburg und staunen auf dem Domberg über den großen Betrieb des bischöflichen Ordinariats: Wirklich viele Parkplätze sind für deren zahlreiche Mitarbeiter reserviert. Die müssen über ein beachtliches Budget verfügen. Die 30 Millionen, die der frühere Bischof Tebartz van Elst für seine "goldene Badewanne" ausgegeben hat, dürften da kaum ins Gewicht fallen ...
Danach will ich die Stadtschwebebahn in Wuppertal besichtigen: Oft bin ich schon die A3 nach Norden gedüst, noch nie hatte ich Zeit für die Stadt wenige Kilometer östlich der Autobahn. Nun also rein ins Zentrum, ein Parkplatz und ein guter Mittagsimbiss finden sich schnell und die Bahn schwebt über uns hinweg ...
Aber ich wundere mich nicht wirklich, dass diese Technik kaum Nachahmer gefunden hat: Die wuchtigen Stahlstützen, die etwa alle 50 Meter breitbeinig dastehen, verschandeln das Straßenbild doch gewaltig. Man könnte positiv formuliert auch sagen, sie bestimmen das Stadtbild von Wuppertal und machen es einmalig - das schon, aber es ist wie immer Geschmacksache. Eine U-Bahn erscheint da schon besser und die Schwebebahn macht klar, warum jede Großstadt lieber in eine U-Bahn investiert ...
Der Besuch im Gasometer von Oberhausen muss gut vorbereitet sein: In einem knappen Jahr sind dort schon 500.000 Besucher gezählt worden. Da kann man an einem Wochenendtag schon mit 3.000 Menschen rechnen. Also versuchen wir dem Massenandrang zuvor zu kommen und sind bereits Sonntagfrüh um 10 Uhr mit den ersten Leuten an der Pforte. Zügig queren wir die beiden Ausstellungsstockwerke und betreten als Erste den großen dunklen Raum, der - innen schwarz angestrichen - 100 Meter in die Höhe reicht. Noch ist der weiße Ballon nicht angestrahlt und im Restlicht erkennt man auch das Seil, an dem er von oben herabhängt ...
Einen guten Einblick in die Technik bekommt man in einem YouTube-Video zu diesem Thema.
Nun werden große Sitz- oder Liegekissen auf der Treppenempore verteilt und die Beamer eingeschaltet. Ich richte mir mit einem Kissen einen bequemen Liegeplatz ein und das Schauspiel beginnt ...
Langsam dreht sich die Erde vor meinen Augen, der Tag-Nachtschatten wandert vorbei und im dunklen Teil der Erdkugel leuchten alle Großstädte der Kontinente hell auf. Das auffälligste Gebilde dabei ist das hufeisenförmige Lichtmuster von Florida. Wieder Tag geworden fliegt unser Raumschiff über Asien und die arabische Halbinsel in Richtung Sahara, das Mittelmeer erscheint ziemlich klein und unscheinbar.
Man erkennt in dieser Position aber gut die Land/Meer Grenzen von Europa und Nordafrika, beeinträchtigt nur durch die gegenwärtigen Wolkenmosaike. Über den Atlantik geht es nach Amerika weiter und danach zum Pazifik. Die Landgrenzen der Kontinente kennt man ja vom Weltatlas, aber die hier gezeigten Wolkenbilder und deren Bewegung sind faszinierend ...
Nach dieser Erdumrundung folgen andere Simulationen im Zeitraffer: Eine davon zeigt die Vereisung der Nordpolregion im Jahresverlauf. Man kann gut erkennen, wie das Eis im Sommer schmilzt und sich im Winter wie eine Krake ausbreitet. Am interessantesten finde ich die Wolkendynamik entlang des Golfstroms: In der Karibik entstehen die Wolkenzüge wie aus dem Nichts, ziehen wie ein großes S über den Nordatlantik nach Nordeuropa und prallen an der Eisfläche Grönlands ab, von wo sie wie reflektiert über Island und Schottland nach Europa einfallen. Schon sehr beeindruckend!
Aber Kritik darf auch sein. Zusammengefasst: Man könnte es noch viel besser machen! Vor allem einen erklärenden Text vermissen wir alle sehr. Ich bekam am Eingang zwar einen Audioguide, der behandelt aber nur die Fotoausstellung in den beiden unteren Etagen und mit keinem Wort die Details der Darbietung im Weltall. Vielleicht hätte ich auf Nachfrage einen solchen Führer ja erhalten, ich weiß es nicht. Angeboten bekam ich diesen jedoch nicht.
Ohne jede Erklärung der gezeigten Bilder bedarf es schon einiger geographischer Kenntnisse, um die Vorgänge auf der Erdoberfläche zu verstehen. Kinder sehen darin dann nur eine bunte Kugel, eher langweilig. Auch für mich gibt es unverständliche Szenen: Im Bild links sieht man eine der nicht selbsterklärenden Darstellungen, eine Satellitenaufnahme mit langwelligen Strahlen, die durch Wolken hindurchgehen und vermutlich die Meerestiefen zeigen und damit die tektonische Plattengrenze mitten im Atlantik.
Es gibt zwar um 14 Uhr eine allgemeine Führung. Aber Massenandrang reicht mir schon vom Oktoberfest, dafür muss ich nicht nach Oberhausen fahren ...
Auch schade ist, dass die ganze Animation nur etwa 30 Minuten dauert und danach das Programm wie in einer Endlosschleife von neuem beginnt. Aber verstehen kann ich dies schon: Bei 3.000 Tagesbesuchern muss der Veranstalter dafür sorgen, dass die ersten Besucher möglichst bald wieder Platz machen für die nächste Gruppe. Bei 500.000 Besuchern geht es halt auch um bisher 5 Millionen Euro Umsatz, das erklärt manches!
Man hat aber noch genug Abwechslung: Etwa die Fahrt mit dem gläsernen Lift, der an der Weltkugel vorbei zum Dach des Gasometers gleitet. Oben gibt es einen Ausstieg auf das Dach des Gasometers mit Blick aus 117 Metern Höhe auf Oberhausen, den Ruhr-Herne-Kanal und die ganze nähere Umgebung.
Auch den sogenannten Zauberlehrling, einen "besoffenen" Strommasten, kann man im Fernglas erkennen ...
Dann darf man auf keinen Fall die Ausstellung "Wunder der Natur" versäumen: Auf den zwei Etagen des fast 70 Meter durchmessenden Innenraumes, also auf insgesamt etwa 6.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, werden großformatige Naturaufnahmen vom Allerfeinsten gezeigt. Von der Makrobiologie der Landschaft über die Tierwelt und Menschheit bis zur Feinstruktur pflanzlicher und tierischer Gewebe. Man kann gar nicht alles anschauen, so viel ist geboten und vor allem in so hoher Bildqualität, dass man nicht vorwärts kommt. Jedes zweite Bild zieht mich in seinen Bann und ich schaffe nur die obere Etage. Den Zyklus der Menschwerdung im Mutterleib, der meine Frau so begeistert, sehe ich nicht einmal.
Einige besonders spektakuläre Fotos der Ausstellung findet man
auch in einem
YouTube-Video ...
Dann finden sich allmählich immer mehr Besucher ein, unsere Kräfte und Aufnahmebereitschaft sinken und wir verlassen die Ausstellung gegen 12:30 Uhr ...
Das Programm des restlichen Tages in Oberhausen und Essen und unsere Rückfahrt über Maria Laach, die Übernachtung auf dem Rochushügel in Bingen und der Besuch von Burg und Stadt Wertheim am nächsten Tag runden die Reise ab, sind aber nicht weiter spektakulär oder erwähnenswert.
Zusammengefasst war es ein eindrucksvolles Erlebnis. Der Besuch lohnt sich für verhinderte Raumfahrer auf jeden Fall. Und das sind wir Reiseverrückten doch alle, oder?
Eher bodenständige Zeitgenossen, die auch ein
Existenzrecht haben, können sich ja an der hervorragenden
Ausstellung am Boden ergötzen und in dieser Zeit ihre Partner ins
All schicken ...
© 2017 Sepp Reithmeier
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von unserem Autor Sepp Reithmeier im Explorer Magazin:
- Vogelbeobachten: Plädoyer für ein Reisehobby
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