Die "Streetcamera" ...


Vorbemerkung der Red.: Beim Begriff der "Streetcamera" handelt es sich um keine feststehende Definition, sondern eigentlich um die Abkürzung für eine "Camera for Street-Photography", also einer geeigneten Kamera für die so genannte Straßenfotografie als eigenes fotografisches Genre. Unser Autor Sepp Reithmeier hat den Begriff nicht erfunden, sondern ist vielmehr auf ihn bei etlichen Kommentaren von Kamerabewertungen und in Anwenderberichten gestoßen, weshalb er ihn auch im nachfolgenden Artikel verwendet. Zur Vertiefung des Themas "Street-Fotografie" empfiehlt er allen Interessierten, auch die 102 Dinge über die Street-Fotografie von Eric Kim zu lesen - ein hervorragender Beitrag zur Fotografie im Allgemeinen und zur Street-Fotografie im Speziellen, wie wir mit unserem Autor meinen!


Als Reisender und stiller Beobachter der Umgebung hatte ich schon immer ein Problem mit meiner Fotoausrüstung: Große Spiegelreflexkameras würden zwar alle Qualitätsansprüche erfüllen, sind aber zu schwer und sperrig, um sie jederzeit dabei zu haben. Außerdem möchte ich nicht wie der typische japanische Tourist vor 20 Jahren rumlaufen, schwer bepackt mit Potenz demonstrierenden fetten Teleobjektiven. Oder wie der Fotoreporter auf dem Bild, der aber damit sein Geld verdienen muss ...

Heutzutage haben viele Touristen nur noch ihre Smartphones dabei und man erkennt diese Reisegruppen schon von Weitem daran, dass vor den Sehenswürdigkeiten alle mit weit nach vorne ausgestreckten Armen stehen und auf die Suchermonitore schauen. Älteren Leuten mit ihrer Sehschwäche werden dabei leicht die Arme zu kurz () und die Gefahr des Verwackelns ist groß. Unauffällig ist diese Art des Fotografierens auch nicht und mir ist diese Stellung geradezu verhasst. (Anm. der Red.: Siehe zu diesem Thema auch unseren Fotobeitrag vom Goldenen Dachl in Tirol! )

Unterwegs mit "unauffällig" fetten Teleobjektiven ..? Hoffentlich sind die Arme lang genug!
"Tablet-Fotografie": Auch nichts für jeden ... Ricoh (Mitte) neben Canon S 110 (links) und Canon EOS 7D (rechts)

Ein Wort zum Zoomobjektiv: Ihr habt doch sicher auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Zoomfunktion bei schnellen Schnappschüssen nur aufhält bis der beste Augenblick vorbei ist. Lasse ich das Zoomen also gleich bleiben!?

Und so habe ich vor Kurzem mit einer neuen Art des Fotografierens begonnen, die diese angesprochenen Nachteile vermeidet: Mit der schnellen Kompaktkamera ohne Zoomobjektiv, aber mit großem Bildsensor, der "Streetcamera".

Derzeit, Mitte 2014, kenne ich vier Fabrikate dieser Art: Die Nikon Coolpix A, die Fuji X100S, die Sigma DP1 Merrill und die Ricoh GR, für die ich mich schließlich entschieden habe, mit seinerzeit 650 Euro noch die preiswerteste davon und die schnellste. Preislich weit darüber und nur zur Vervollständigung seien noch die edle Leica X2 und das Profigerät Sony DSC-RX1 für über 2.000 Euro und doppelt so großem Sensor genannt.

Ricoh in der Hülle, Fernauslöser in der HandschlaufeNach dem Einschalten dauert es eine Sekunde und in eingeschaltetem Zustand weniger als 0,3 Sekunden für die automatische Fokussierung bis das Bild im Kasten ist. Ganz schön schnell, nicht? Obwohl zur Zeit fast monatlich noch schnellere Prozessoren auf den Markt kommen.

Natürlich hat eine neue Kamera dieser gehobenen Preisklasse noch alle möglichen nützlichen und speziellen Einstellungen parat, 4 Bilder pro Sekunde (im Fixfocus sogar 11, wer das braucht) und langsamere Sequenzen von bis zu 99 Bildern über einen langen Zeitraum etwa, diverse Belichtungsserien und viele viele andere Gimmicks, die ich normalerweise nie einstelle. Aber entscheidend sind der riesige APS-C Sensor (einige mm größer als der entsprechende Sensor von Canon), das hochwertige Weitwinkelobjektiv und die Schnelligkeit.

Der große Bildwinkel des Objektivs, das in Kleinbildformat umgerechnet einer Brennweite von 28 mm entspricht, erübrigt ein genaues Zielen mittels Suchermonitor. Grobes Anpeilen sollte genügen um das Zielobjekt mit auf dem Bild zu haben. "Da muss ich ja jedes Bild am PC nachbearbeiten" lautet die berechtigte Kritik. Ja das stimmt, aber nur jedes gute Bild und nur solche Bilder, die ich für Vorträge oder Postings brauche. In der Summe sind das relativ wenige Aufnahmen für Otto, den Normalverbraucher. Es gibt halt im Leben nichts Gutes, das nicht auch etwas Schlechtes, in diesem Fall etwas Mühsames in sich hat ...

Nun habe ich diese Art des Fotografierens ohne Suchereinsatz Schritt für Schritt und auf meine persönlichen Ziele ausgerichtet weiterentwickelt: Zuerst die Kamera in einer selbst genähten Hülle umgehängt und mit einem Kabelfernauslöser in der Hosentasche verbunden kann ich abdrücken ohne auffällige Körperhaltung: Die ersten Aufnahmen zeigen, dass es beileibe nicht immer funktioniert.

Fernauslöser in einer Handschlaufe unterhalb der Kamera integriert ... Durch Zug auch Höhenausrichtung des Bildwinkels veränderbar ...

Bedenken muss man die im Vergleich zu den Augen des Fotografen deutlich niedrigere Position der Kamera, was zu einem anderen Blickwinkel führt und bei sehr nahen Objekten absolute Fehlschüsse produziert. Und die automatische Fokussierung erfolgt mittenzentriert, was gelegentlich zu erheblichen Unschärfen des Zielobjektes führt, wenn dieses am Rand des Formates liegt. Diese Bilder müssen dann eben in den Papierkorb. Es gäbe bei der pfiffigen Ricoh auch die Fixfokuseinstellung, damit habe ich aber noch nicht experimentiert. Hier könnte man fest auf eine vorgegebene Entfernung fokussieren, etwa 2 Meter, 5 Meter oder unendlich. Die Auslöseverzögerung wäre dann nur noch 0,04 Sekunden - praktisch Null.

Wenn der Kabelfernauslöser in der Hosentasche versteckt ist, wird die Kamera etwas unhandlich: man kann sie nicht einfach in die Westen- oder Brusttasche stecken, hängt doch das Kabel daran. Außerdem muss man mit einer Hand doch ein wenig die Kamera auf das Objekt ausrichten.

Nun habe ich in einem zweiten Schritt den Fernauslöser in eine Art Handschlaufe unterhalb der Kamera integriert, mit der man durch Zug auch die Höhenausrichtung des Bildwinkels relativ unauffällig verändern kann und natürlich bei Bedarf den Auslöser betätigt. Das funktioniert schon besser und die Kamera ist auch schnell hochgehoben für eine konventionelle Aufnahme mittels Sucherbildschirm.

Inzwischen ist die Ricoh schon einige Monate in Gebrauch und ich bin damit auf einer 8-wöchigen Reise in der Türkei und Georgien unterwegs gewesen. Meine bisherigen Erfahrungen sind kurz zusammengefasst: Das Prinzip der schnellen Streetcamera ist gut aber nicht universell einsetzbar, manchmal muss man eben doch stark zoomen. Gut, wenn einer im Team eine DSR (Digitale Spiegelreflex)-Kamera mit fettem Zoomobjektiv dabei hat. Der große Sensor ist aber eine tolle Sache: Man kann am PC erstaunlich kleine Bildteile ausschneiden bei noch ganz guter Auflösung. Das ersetzt ein 4-fach Zoomobjektiv absolut, solange man die Bilder nur auf Monitor oder Beamer anschaut. Die lösen ohnehin nicht mehr als 2 Megapixel auf.

Gesamtmotiv ... ... und Ausschnitt mit Photoshop
Und noch einmal das Gesamtbild ... ... und der Ausschnitt ...

Solche Leistungsdaten sind zwar bei einer modernen Spiegelreflex Standard, die Canon EOS 7D meines Schwiegersohnes  kann das genau so gut und mit Einsatz des Zoomobjektivs noch viel besser. Aber was ist das für ein Monstrum im Vergleich zur Ricoh, siehe Bild oben!?

Zwei Nachteile meiner Streetcamera sind bisher aufgefallen: Eher harmlos ist die relativ weiche Oberfläche des Suchermonitors. Schon nach 2 Monaten hatte ich deutliche Kratzspuren darauf, ohne mich an materialbelastenden Umgang zu erinnern. Eine Bildschirmschutzfolie nachträglich über die schon verkratzte Oberfläche geklebt und unsichtbar sind die Kratzer. Also, mein Tipp: unbedingt eine Folie drüber vor dem ersten Einsatz. Meine von Hand zugeschnittene Folie passt allerdings nicht exakt, wie man auf dem Bild unten links sieht.

Falsch positioniert: Plus/Minustaste rechts oben zur BelichtungskorrekturWesentlich schwerer wiegt für mich der zweite Nachteil, die unpraktische Lage der Einstellknöpfe für die Belichtungskorrektur. Eine Voreinstellung der Belichtung um einige Belichtungsstufen rauf und runter haben ja alle Digicams. Oft geschieht das an einem Stellrad, manchmal auch an einem Objektivring, was vielleicht etwas mühsamer zu bedienen ist, aber dafür nicht unabsichtlich verstellt werden kann.

Das ist bei der Ricoh nun genau umgekehrt: Es muss nur einer von zwei sehr gut erreichbaren Knöpfen gedrückt werden und der Einstellbereich ist riesig. Man kann vor dem Auslösen der Aufnahme auf dem Monitor schon erkennen, wie hell das Bild wird - von ganz dunkel bis weit überstrahlt. Schon eine tolle Sache, wenn man mit Sucher arbeitet. Aber die zwei Einstellknöpfe liegen genau an der Stelle, wo beim Halten des Kamerakörpers mein rechter Daumen hin gehört. Und der drückt dann meist auf die Minustaste und das Bild wird dunkler.

Oft habe ich das gar nicht bemerkt und ganze Serien von unbrauchbaren Dunkelbildern produziert. Und immer wieder passiert es mir, obwohl ich inzwischen sehr sensibilisiert bin. Der Druckknopf ist einfach am total falschen Platz (siehe Bilder unten).

Haltestellung ohne Verstellgefahr Und so gehalten passiert es dann ...

Dieses Detail bedeutet für mich eine erhebliche Abwertung und ich denke bereits über die Anschaffung einer anderen Kamera nach. Mal sehen, was ich für die Ricoh noch bekäme. Jedenfalls begutachte ich inzwischen alle anderen Kameras nach genau diesem Detail und stelle fest, dass die anderen oben genannten Modelle diese Schwäche offenbar nicht haben.
So hat z.B. die Canon 110 den richtigen Daumenplatz reserviert (siehe Bild unten rechts).

Richtig platziert: Der Daumenplatz bei der Canon 110 ...Zur provisorischen Abhilfe klebt nun ein kleines weißes Plättchen links neben diesen falsch positionierten Druckknöpfen – in Weiß, damit ich beim Hinschauen sofort an das Problem erinnert werde und einige mm erhaben, damit mein Daumen nicht bei jeder leichten Berührung sofort die Belichtung verstellt.

Und wenn die Kamera in der geschlossenen Schutzhülle steckt, sollte ein versehentliches Verstellen ganz ausgeschlossen sein. Erste Testreihen bestätigen diese Theorie.

Ein ganz anderes Problem tut sich mit dieser Technik auf: Es ist ja überhaupt nicht erlaubt, Einzelpersonen ohne deren Zustimmung zu fotografieren und schon gar nicht, diese Bilder im Netz zu zeigen. Und eigentlich finde ich das auch richtig so. Aber wer hält sich wirklich daran? Sind etwa alle diese Milliarden Fotos von Menschen mit deren Erlaubnis entstanden? Wohl kaum. Diesen juristischen und ethischen Graubereich muss man bedenken, wenn man verdeckte Aufnahmen machen will.

Ich schreibe auch deshalb hier im Explorer Magazin darüber, weil das Magazin angeblich nur drei Leser hat, was man seit dem Autorentreffen 2007 und dem Südtreffen der "4x4 Friends" weiß: Einer davon bin ich und ihr beiden anderen werdet schon nicht viel anstellen mit der Streetcamera, hoffe ich ...

Schön ist es nicht, das weiße Distanzstück! Aber nun drückt der Finger nicht mehr auf die Taste ...

© 2014 Sepp Reithmeier


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Autor Sepp Reithmeier in unserem Magazin: