Auf der Sinishalbinsel
Nun blättern wir wieder in unserem Wanderführer und nehmen uns die Touren 41 und 42 vor, beide auf der Sinishalbinsel: Capo Mannu am Nordrand und Capo San Marco an der Südspitze der Halbinsel. Wie schon in anderen Reiseberichten festgestellt, ist diese Region für Camper mit Affinität zum Sandstrand ein Spitzenrevier: In unserem Team sind das Renate und Kasper, die demokratische Mehrheit eben. Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Bergstraßen müssen warten und wir reihen uns in die "Tupperschüsseln" ein ...
Bei all dem habe ich einen Trost: Mein Bremach sieht schon besser aus als Ducato und Co. - oder etwa nicht? Und die großen Landschiffe aus dem immerhin 2,5 cm tiefgründigen Sand bzw. Schlamm ziehen kann auch nur er ...
Aber ehrlich muss ich schon sein: Es sind schöne Tage dort und der einzige Schlechtwetternachmittag wird uns durch ein sportliches Großereignis hervorragend ausgefüllt. Ich glaube, es ist die italienische Kite-Surfer Nationalmannschaft, die ein Duell mit dem dort campenden Berliner Kiter führt: Zehn Drachensurfer sind gleichzeitig auf dem Wasser und in der Luft und der Wettkampf dauert bis in die Abendstunden. Da können sich Kind und Kegel nur schwer trennen, das versteht man auch bei dem Anblick!
Die Wanderung am Südzipfel der Sinishalbinsel bringt dann wieder etwas Bewegung in die schöne Ruhe und mich faszinieren die Ruinen der alten Stadt Tharros: Die Geschichte dieser im Altertum wirklich bedeutsamen Hafenstadt und das unrühmliche Ende im 10. Jahrhundert einfach dadurch, dass der Bischofssitz u.a. wegen der vielen Piratenüberfälle nach Oristano verlegt wurde und die Bewohner allmählich, aber vollständig und dauerhaft abwanderten. Die kleine Broschüre über die Ausgrabungen vor Ort hat es ebenfalls in sich: Sehr abfällig äußert sich der Autor über die Vorgehensweise der früheren Archäologen, die mehr kaputt machten als sie ausgruben. Der Gipfel von Pfusch sind die beiden Säulen, die sich so stilvoll ins Ruinengelände einfügen: Die bestehen aus teils originalen und teils rekonstruierten Säulenscheiben. Und damit alles besser aussieht, haben die Italiener des letzten Jahrhunderts eine schöne weiße Verputzhülle drum herum gemacht: Jetzt sehen sie aus wie neu - toll! Aber immerhin keine Plastikhülle, das wäre dann doch allzu amerikanisch ...
Nächstes Ziel: Die Costa Verde ...
Als nächstes Ziel sind die Sanddünen an der Costa Verde angesagt, etwa 40 km südlich von Tharros. Auf dem Weg dorthin nehmen wir noch einen Einkauf im Leclerc in Oristano und ein gepflegtes Restaurant (McD) mit WLAN-Hotspot auf uns. Die Fahrt durch die weite Mündungsebene des bedeutendsten Flusses der Insel, des Tirso, ist landschaftlich hochinteressant: Während weite Landesteile mit steinigem Boden und dünner Lehmdecke absolut unfruchtbar erscheinen und nur Macchie wachsen kann, blüht die Landwirtschaft in dieser Ebene, die Felder sind parzelliert, bewässert und intensiv bewirtschaftet.
Unbedingt passieren sollte man hier den Ort Arborea an der SP49 Richtung Süden: Man fühlt sich hier nicht in Italien, eher in einem wohlhabenden amerikanischen Vorort mit breiten Alleen, exklusiv wirkenden Bungalows auf großen Grundstücken und toter Hose auf den Straßen. Arborea wurde erst im Jahr 1928 gegründet und hieß früher Mussolinia - aha, deshalb wohl heute so ganz anders. Anschließend heißt es noch durch die Anbaugebiete zu rollen und die Hecken am Rand der Felder zu bestaunen: Vergleichbare zuhause haben unsere Bauern längst alle weggemäht bis auf den letzten Brennesselbuschen. Brutal ist dann schließlich der landschaftliche Kontrast, wenn man die Brücke über den Stagno di Marceddi nach Sant´Antonio di Santadi herüber fährt: Hier ist man von einem Meter zum anderen wieder im trockenen Macchiengebiet ...
Die Fahrt zur Costa Verde geht weiter über gewundene Teersträßchen und den einen oder anderen Pass vorbei an den reizvollen Bergen um den Monte Arcuentu ans Meer nach Marina di Arbus. Dort wird wieder touristisch aufgerüstet und Ferienhaussiedlungen sind wie Schwalbennester an die Steilküste geklatscht. Die Dünenregion befindet sich etwas weiter südlich an der Mündung des von den Eisenmineralien ganz rostrot gefärbten Rio Piscinas ...
Die Straße dorthin, bis zu den Feriensiedlungen noch geteert, wird hier immer natürlicher: Wir finden Sandpisten mit zum Teil erheblichen Auswaschungen an Steigungen und einer Furt durch einen kleinen Nebenarm des Piscinas, die richtig Spaß macht und Fahrer kleinerer PKW´s schon zum Nachdenken erst einmal anhalten lässt. Aus den Landkarten geht dieser Straßenzustand nicht hervor und so fahren da auch noch normale Wohnmobile hin: Die danach mit bleibenden Erinnerungen von diesem Abenteuer schwärmen ...
Camping exklusiv ...
Bei uns ist wieder einmal ein Campingplatz angesagt, das Wasser geht langsam zur Neige und eine Dusche wäre auch wieder nötig (sagt meine Frau). Da haben wir riesiges Glück. Der dortige CP mit dem unaussprechlichen Namen Sciopadroxiu hat noch geöffnet und zeigt sich von seiner besten Seite: Wir sind die einzigen Gäste, finden einen der wenigen Plätze mit freier Sicht auf Meer und Düne und bekommen im stilvollen Restaurant ein mehrgängiges Abendessen serviert, und das für einen Preis, der mich gleich zur Gabe von 10 Euro Trinkgeld an die sehr nette und gesprächsbereite Bedienung animiert. Wohlgemerkt, das Essen finde ich mit 40 Euro für uns beide preiswert, die Platzgebühr erscheint mit 21 Euro normal.
Sehr bekannt ist die hier zu findende hübsche kleine Wanderdüne, die man jedoch nicht befahren darf. Aber derart kleine Dünengebiete muss man auch sperren, noch dazu in Italien, wo alle Männer autoverrückt sind und für meinen Bremach mehr Augen haben als für meine Frau (Textpassage von der Zensur als nicht frauenfeindlich eingestuft und freigegeben ).
Ein kleines Zuckerchen kann ich aber anbieten: Der von Weitem erkennbare Aussichtsturm auf einer der Dünen ist anfahrbar. Das wird aber von mir nur für Geländewagen mit Untersetzung empfohlen: Die Auswaschungen an der steilsten Stelle sind so tief, dass man nur sehr langsam darüber kriechen sollte. Wie der Italiener neben mir mit seinem normalen Fiat da hoch fuhr, weiß ich nicht. Bestimmt aber nicht materialschonend!
Die Lore am Strand, beziehungsweise was von dem Eisenwagen übrig geblieben ist, erinnert mich wieder an mein Thema Minengebäude: Während der Weiterfahrt über Ingurtosu achten wir nun besonders auf die Reste des früheren Bergbaubooms und finden einige interessante Ruinen, Abfüllanlagen, Schachttürme und Verarbeitungsgebäude. Aber mir fehlen der fachliche Hintergrund, die geschichtlichen Daten und archäologischen Angaben. Ohne dieses Wissen sind die Bauruinen nur museale Kulissen und beflügeln nicht die Fantasie bezüglich der damaligen Menschen und deren Lebensweise. Beim nächsten Mal also besser vorbereiten!
Vor Ort findet man nur wenig Material, und wenn, nur auf Italienisch. Auch der in dieser Gegend liegende Tempel von Antas beeindruckt uns nur mittelmäßig, da wir keine ausreichenden Informationen über ihn haben. Das ist meine Erfahrung mit historischen Bauten und Stätten überhaupt: Wenn ich vor dem Besuch ausreichend Berichte darüber gelesen habe, wird die Fantasie angeregt und die alten Steine erwachen zu neuem Leben. Ich habe aber den Dumont Reiseführer zu Hause liegen gelassen, ich Trottel ...
Bei den Nuraghen-Ruinen ...
Die Zeit auf Sardinien wird knapp: Ein letzter Programmpunkt, nämlich Wanderung Nr. 43 in unserem Büchlein, das ist die Hochebene von Giara di Gesturi auf einem großen Tafelberg in der Marmilla und die Besichtigung einiger Nuraghen in dieser Gegend, und danach müssen wir uns schon wieder auf die Rückreise Richtung Olbia machen.
Der hier zu findende Parco della Giara ist etwas Besonderes und einen Umweg auf jeden Fall wert, auch wenn die Serpentinenstraße vollständig geteert ist. In der Nebensaison kann man auf dem Parkplatz dort oben wunderbar und ungestört stehen und die Wanderungen bieten echte Höhepunkte, speziell für Pflanzenliebhaber.
Da wäre etwa der botanische Garten, ein sachkundig und liebevoll gepflegter Park mit einheimischen Pflanzen, meist Macchiengewächsen, die im Frühjahr sicher herrlich blühen. Selbst im Oktober staunen wir noch über die Vielfalt der Arten und die Sorgfalt der Darstellung - wir sind aber keine Kenner der Materie. An den Ruinen zahlreicher Nuraghen vorbei kommt man im Rahmen eines etwa 5 km langen Rundweges durch die Botanik an einige flache Seen, die jetzt im Herbst zwar vollständig ausgetrocknet sind, im April oder Mai aber mit gut einem halben Meter Wasserhöhe ein Meer von blühenden Blumen bieten. Die sind Nahrungsgrundlage für etwa 600 Wildpferde, "die kleinen Pferde des Tafelberges". Sie sind wirklich klein, wie Esel etwa, zur Zeit recht abgemagert, aber nicht scheu. Sie hören uns richtig zu, wenn wir mit ihnen reden, begabte Therapiepferde offensichtlich. Auch unser Hund ist sehr entspannt dabei ...
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Dann muss ich schließlich noch einen "Landesfrevel" begehen: Vom weiteren Umfeld der Nuraghe Tutturuddu, einem ehemaligen Wachturm am Aufgang zu dieser Hochebene, stehle ich einen etwa faustgroßen Stein. Den soll mein Bruder beim Aufbau seiner geplanten Modelleisenbahnanlage einbauen. Ein Stein mit besonderer Energie aus 3.000 Jahre alter Geschichte: Von dem ignoranten Argument meiner Frau, dass die Steine von anderen Stellen genau so alt seien, lasse ich mich aber nicht täuschen. Dabei fällt mir übrigens auf, dass direkt bei der Nuraghe keinerlei kleine Steine herum liegen, nur die großen Brocken, die in keine Jackentasche mehr hinein passen. Warum wohl? Da waren bestimmt schon viele Besucher, die den Unterschied zwischen normalen Brocken und 3.000 Jahre alten, echten Steinen ganz klar spürten. Oder haben die Parkwärter im Herbst nur vergessen, die kleinen Steine direkt bei der Nuraghe nachzufüllen ..?
Direkt neben diesem Tafelberg liegt die große Nuraghensiedlung Su Nuraxi, der wir natürlich noch einen Besuch abstatten müssen. Dort hole ich mir ein kleines Büchlein über die Nuraghenkultur und kann mir nun einigermaßen vorstellen, wie die Menschen damals gelebt haben. Das Thema Nuraghen wäre ein nettes Leitthema für eine weitere Sardinienreise. Und da erwacht das Offroader-Herz wieder: Die meisten Nuraghen liegen sehr abgelegen und sind schwer erreichbar. Rund 6.500 sind es insgesamt - auf geht`s, packen wir es an!
Am Montagabend geht die gebuchte Nachtfähre von Olbia und wir nehmen für die letzte Übernachtung wieder den schönen CP Isuledda, den ich aber in der Saison meiden würde. Noch einen Tag im Meer baden und entspannen - dann leider zurück in den alltäglichen Wahnsinn zu Hause ...
Und das Fazit? Sardinien außerhalb der Saison und abseits der Teerstraßen ist einfach genial! Das haben zwar schon viele berichtet und wir haben nichts wirklich Neues hinzuzufügen. Aber trotzdem habe ich euch den langweiligen Bericht zugemutet, ihr Armen. Wer allerdings hier angekommen ist, wird es wohl geschafft haben, ihn dennoch bis zu Ende zu lesen ...
© 2013 Sepp Reithmeier
Anm. der Red.: Mittlerweile gibt es von unserem Autor Sepp Reithmeier auch eine Reihe weiterer Artikel in unserem Magazin, sowohl Reiseberichte als auch andere Beiträge:
- Vogelbeobachten: Plädoyer für ein Reisehobby
- Spanien 2008: Birdwatching in der Doñana
- Finnland 2016: "Weiße Flecken" auf der Landkarte ..?
- Island 2015: Kontrastprogramm zum Hitzesommer
- Türkei-Georgien 2014: Die lange Reise ...
- Beskiden 2012: Erinnerungsprotokoll einer "Kulinarischen Reise"
- Die "Streetcamera": Mal was anderes ...
- Ein Klappbackofen für die Reise: Luxus passt in die kleinste (> 4 Tonnen- ) Hütte ...
- Reiseberichte im Internet: Warum man manchmal gern auch im Explorer Magazin schreibt ...