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Marokko   Marokko 2022

Teil 3: Bergpisten im Antiatlas


Nationalpark und Gravurenfelsen

Meine Leidenschaft sind weniger die trockenen Wüsten (Teil 1) oder die langen Bergwanderungen und alpinen Kletterrouten (Teil 2), die ich als junger Alpinist noch gut meistern konnte. Heute mit meinen 70 Lenzen auf dem Buckel stehe ich mehr auf motorisierte Touren ins Gebirge mit Anfahrten über einsame Pisten und Übernachten an abgelegenen Orten, wo man die nähere Umgebung intensiv in Augenschein nehmen kann, weil man ja ein, zwei Tage bleiben wird.

Damit am Zielpunkt nicht zu viel Tourismus stattfindet, müssen die Anfahrtswege dorthin aber schon etwa anspruchsvoll sein und dienen damit zur Abschreckung der Mehrheit von Campern z.B. in frontgetriebenen und überladenen Ducatos. Deshalb fahre ich mit meinem geländegängigen Wohnmobil auch gerne die von der Pistenkuh veröffentlichen Routen, die solchen Ducatos zu anspruchsvoll sind und mir tagelange Scoutarbeit in unbekannten Regionen ersparen ...

Kartenausschnitt: Marokko 2022, Teil3 Quad im Anhänger mitnehmen geht auch Mein Besuch muss hinauskomplimentiert werden
Vogelschutzgebiet Oued Massa Oued Massa versickert kurz vor der Mündung im Sand

Für diese Reiseform finde ich in Marokko viele attraktive Ziele und kann eintauchen in die Schluchten des Hohen Atlas oder Antiatlas, ebenso kann ich einsame Bergdörfer im Rifgebirge suchen. Sonja und Andi im weißen Bremach sind dafür die idealen Begleiter und haben schon einige solche Reisen unternommen, so z.B. nach Sardinien mit Roland und seinem Trex oder nach Albanien mit unserer kleinen Bremachgruppe. Nach der Besteigung des Toubkal treffen wir die beiden wieder am Meer und bleiben einen Großteil der restlichen Zeit zusammen.

Im Rahmen von ein paar Tagen Strandurlaub nahe Sidi R´bat an der Mündung des Oued Massa, etwa 50 km Luftlinie südlich der Stadt Agadir, besuchen wir den dortigen Nationalpark Souss Massa. Hier ergießt sich der träge Fluss ins Meer, indem er unter der Sanddüne an der Flussmündung hindurchtaucht. Dieser Park beherbergt die letzte wilde Kolonie der Waldrappe, einer kahlköpfigen, durch intensive Jagd in früheren Zeiten fast ausgestorbene Ibisart. Seit über 20 Jahren werden diese Vögel dort intensiv geschützt und haben ihre Bestände in der Zeit mehr als verdoppelt auf über 200 Brutpaare und ebenso viele Singles.

Bekannt geworden sind die spektakulären Wiederansiedlungsprojekte in Europa, etwa im bayrischen Burghausen, wo anfangs Eier aus einem Tierpark im Brutschrank nach Deutschland gebracht wurden. Dort prägte man die geschlüpften Vögel an einen Menschen und gewöhnte sie an ein Fluggerät. Im Herbst folgten die Jungvögel dann dem "Muttertier Flugdrachen" zu ihrem zugewiesenen Überwinterungsgebiet in der Toskana. Inzwischen sind die Burghausener Waldrappe nicht mehr auf menschliche Flugbegleiter angewiesen, sie fliegen allein ins Winterquartier und die Kolonie stabilisiert sich trotz Rückschlägen, wie aktuell Stromschläge an ungesicherten Hochspannungsmasten, langsam von selbst (Mehr Infos zu diesem bemerkenswerten Vogel hier).

Nach diesem Ausflug zu den Waldrappen geht es für unsere zwei Bremachs in den Antiatlas: Die nordwestliche Zufahrt führt uns zur Kleinstadt Ait Baha und über die ersten Ausläufer des Gebirges auf landschaftlich sehr eindrucksvollen Strecken nach Tafraoute, dem Touristenzentrum am westlichen Rand des Antiatlas. Die App p4n (park4night) hat wieder einmal einen guten Tipp und wir übernachten am südlichen Ortsausgang mitten in einem lichten Palmenhain und direkt neben den angeblich prähistorischen Gazellen Gravuren im Fels ...

Erste Eindrücke vom Antiatlas Heute trockene Terrassen dienten früher der Landwirtschaft
Stellplatz neben den Gazellen Gravuren Gazellen Gravuren Am Fels ist der "dezente" Hinweis für Touristen ;-))
Painted Rocks südlich von Tafraoute Erweiterte Farbgestaltung ...

Ich glaube ja eher, dass die Marokkaner die Gravuren nachgemacht haben und mit dem weißen Farbklecks uns Touristen darauf stoßen wollen. Wie früher schon erwähnt, haben die Muslime in Marokko generell wenig Ehrfurcht vor antiken, also vorislamischen Relikten. Kultur begann ja bekanntlich erst mit Mohammed um das Jahr 620 n.Chr. ...

Von hier sind es nur wenige Kilometer zu den bemalten Felsen, die 1984 vom belgischen Künstler Jean Vérame mit 18 Tonnen Farbe vorwiegend in Blau gestaltet wurden und sich zu einem wichtigen und unverzichtbaren Touristenmagneten entwickelten. Nach 35 Jahren mussten die verblichenen Farben kürzlich aufgefrischt werden und die heutigen Maler fügten weitere Farbtöne wie Gelb und Rosa dazu. So westlich-dekadente Rücksichtnahmen wie Urheberschutz zählen in Marokko wenig, wenn der allmächtige König mitgestaltet ...

Oase und Speicherburg

Danach folgen wir der Empfehlung von Edith Kohlbach zu einer Schluchtenrundfahrt über Ait Mansour, der herrlichen Palmenoase im tiefen Taleinschnitt eines kleinen, ganzjährig wasserführenden Baches, an dem nur der gepriesene Wasserfall ausgetrocknet ist. Die Straße ist schmal aber asphaltiert und wirklich für jedes Fahrzeug machbar - und absolut lohnend. Für die Rückfahrt Richtung Tafraoute wählen wir ab Tizerkine eine alternative Piste, die uns durch trockene Fels- und Tallandschaften zum nächsten Nachtplatz führt, wo wir die interessanteste Begegnung der ganzen Reise haben.

Ende der Flussoase hinten Oase Ait Mansour Weiter auf trockenen Pisten ...
Neben einem ausgetrockneten Oued Feuerholz gibt es nicht überall ... ... aber hier reicht es locker für ein Lagerfeuer

Wir sitzen noch nicht lange, als der einzige vorbeikommende PKW anhält und der Fahrer zu uns an den Tisch kommt. Gerne laden wir ihn ein bei uns zu sitzen und bieten ihm ein Getränk an. Er nennt sich Said und entpuppt sich als höchst interessanter Gesprächspartner: Er hat in Paris Wasserbau-Ingenieurwesen studiert und ist nun beruflich in der Gegend unterwegs. Mit großer Begeisterung referiert er in passablem Englisch über seine Arbeit. Wir erfahren interessante Details zur Wasserversorgung auf dem Land und in größeren Städten:

Seit 12 Jahren habe es in großen Teilen Marokkos zu wenig, und seit 8 Jahren überhaupt nicht mehr nachhaltig geregnet. Die Staudämme seien fast leer und der Wasserbedarf werde im Inland mit 250 Meter tiefen Bohrungen gedeckt, die pro Sekunde 50 Liter antikes, also tausende Jahre altes Wasser entnehmen und über ein Leitungssystem verteilen.

In entlegene Kleinsiedlungen werde das Wasser per Tanklastwagen geliefert und im ganzen Land bekäme jede Person maximal 50 Liter am Tag zu einem Preis von zwei Euro pro Kubikmeter. An der Küste seien zahlreiche Entsalzungsanlagen für Meerwasser entstanden, die 100 Liter Trinkwasser pro Sekunde fördern, welches nach denselben Regeln und Kosten verteilt würde.

Wasseringenieur Said redet gerne über seine Projekte ...Als Abschiedsgeschenk bringt er uns noch ein paar Kilogramm Zwiebeln, die er gerade im Auto hat. Ich schenke ihm als Gegengabe eine Tafel meiner Lieblingsschokolade, eine Lindt Excellence mit 90% Kakaogehalt: Diese Art von Genussschokolade, bei der es auf den Kakaogeschmack ankommt und die man in kleinen Stücken und sehr langsam lutschen sollte, kennt er wohl nicht. Er packt sie sofort aus und nimmt einen riesigen Bissen. Fast kann man das Erschrecken über die eher trockene Konsistenz und den bitteren Geschmack in seiner Mimik sehen. Ich hoffe, er wird später den feinen Geschmack dieses Kakaoriegels noch realisieren und ihn nicht in den Müll werfen ...

Nach dieser Schluchtenrundfahrt auf zumindest passablen Pisten verlangen unsere Geländewagen wieder etwas artgerechtere Haltung: Der Offroadführer hat in dieser Gegend die Tour AIA von Izerbi nach Amtoudi anzubieten, die wir nun suchen. Suchen ist gut, denn der Straßenbau hat in dieser Gegend heftig zugeschlagen und einige der Pistenabschnitte sind nun geteert, andere verlegt oder ganz neu geschaffen. Nur ein etwa 20 Kilometer langes Teilstück ist unbearbeitet, weil die Region von der anderen Seite besser erschlossen wurde. Diese ursprüngliche Passage ist luftlinienmäßig sogar eine Abkürzung zu unserem Ziel und wird genommen.

Aber die Strecke wird nun nicht mehr befahren und somit nicht mehr gepflegt. Viele mehr als faustgroße Steine liegen rum, können oft nicht umfahren werden und machen die Fahrt langsam und sehr unbequem. Wir nehmen für etwa 15 Kilometer einen Anhalter auf, einen Beduinen, und brauchen über eine Stunde für diese Strecke. Der sagt kein Wort - wir hätten es auch nicht verstanden - aber sicher denkt er wie wir: Besser schlecht gefahren als gut gelaufen. Im Anschluss daran sind die 30 Kilometer bis Amtudi wieder eine Erholung für Mensch und Fahrwerk.

Amtudi würde ich mit 3 Sternen versehen, das heißt, es ist nicht nur einen kurzen, sondern auch einen weiten Umweg wert. Der preiswerte Campingplatz der Gemeinde hat saubere, praktisch neue Toilettenanlagen sowie einen großen Pool. Leider aber überhaupt kein Wasser! Auf den Installateur würden sie schon länger warten, aber morgen …  

Amtudi mit dem bekannten Agadir id Aissa hinten Nagelneue moderne Sanitäranlage Trockendusche Wirklich nirgendwo Wasser ...

Egal, die Attraktion von Amtudi ist nicht das Camp: Die große und sehr exponiert auf dem Felsen thronende Speicherburg Agadir id Aissa kann besichtigt werden und wir bestellen für den nächsten Tag einen Führer dorthin. Ab Mittag liegt der Serpentinenweg voll in der Sonne. Wir sind deshalb früh dran und genießen die relative Kühle im schattigen Aufstieg.

Oben angekommen sind wir beeindruckt von der großen und exponierten Anlage, über deren Geschichte unser junger Führer viel zu erzählen hat. Aber zuerst müssen wir dem Burgwächter eine Aufwartung machen, ihm die zustehenden 20 Dirham pro Person überreichen und seine Teezeremonie mit trübem Wasser in kaum gewaschenen Gläsern überstehen. Roland wird sich Monate nach der Reise noch darüber wundern, dass er von diesem Berberwhisky keinen "Durchmarsch" bekommen hat ...

Bei der anschließenden Burgbesichtigung bekommen wir einen guten Eindruck von den Gewohnheiten der Menschen des Mittelalters in dieser Gegend. Auf mehreren Etagen können wir auf Pfaden durch die Burg gehen, von denen aus alle paar Meter eine massive Holztür in einen Vorratsraum führt. Die Steinmauern sind sehr dick und nur winzige Fensterluken lasse etwas Licht, aber wenig Hitze in den Raum. Heute kann man in viele Kammern hineinschauen, teilweise sie sogar betreten und die alten Tongefäße oder bearbeiteten Kokosnussschalen gestapelt erkennen. Eine Kuriosität sind die zahlreichen Korbröhren für Bienenvölker, die in Friedenszeiten zur Honigproduktion dienten, bei einer Belagerung durch Feinde aber als Wurfgeschoss mit stechendem Inhalt eingesetzt wurden ...

Beeindruckende Anlage Aufstieg im Schatten Der Burgwächter lädt zum Tee ein
Blick in eine der Vorratskammern Hinein in die Kammern ... Museale Anordnung alter Vorratsgefäße
Bienenkasten für 50 Bienenvölker Der Canyon dort unten führt flussaufwärts zu Badegumpen

Auf dem Bild oben rechts erkennt man beim Blick in das Tal den Canyon, den wir am Nachmittag erwandern werden: Die hohen Felswände und das kleine Bächlein im Talgrund sorgen für angenehme Temperaturen. Höhepunkt sind aber eindeutig die herrlich frischen Badegumpen, die wir nach einer guten Stunde Wandern und Überklettern harmloser Felsbänke erreichen.

Nach dem wohltuenden Bad im kalten Wasser lassen wir uns Zeit für den Rückweg und bewundern die extrem exponierte Anlage eines zweiten, kleineren Agadirs, der absolut unbezwingbar aussieht. Die Reise nach Amtudi ist also wirklich lohnend und irgendwann wird auch der Installateur den Wasseranschluss am Campingplatz geschafft haben ...

Hier trennen sich die beiden Reiseteams. Während wir über Siroua zur Todraschlucht fahren (siehe Teil 2) zieht es Sonja und Andi noch einmal ans Meer, wo sie einsame und herrlich ausgesetzte Stellplätze finden. Nach 10 Tagen treffen wir uns wieder, um noch ein paar schöne Bergpisten unter die Räder zu nehmen.

Schmaler Pfad entlang eines angelegten Rinnsals Interessante geologische Formation an der Felswand hinten Agadir Aguellouy An unseren einsamen Badegumpen angekommen
Die Teams trennen sich: Relaxen am Atlantik Stell- und Sitzplätze nach Maß ... Einsamkeit ... ... und fantastische Ausblicke ...

© 2023 Sepp Reithmeier, Fotos: Sepp Reithmeier, Roland Schömer