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Marokko   Marokko 2022

Teil 2: Der Berg ruft ...


Marokko mit Marrakech, Toubkal, Siroua und TodraschluchtSeit Wochen unterwegs ...

Mehr als vier Wochen bin ich mit Roland schon unterwegs durch die Wüsten Marokkos und wir haben uns trotz der Enge von sechs Quadratmetern Wohnfläche in meinem Bremach noch nicht die Köpfe eingeschlagen. Nachts liegt das an einer geschickten Inneneinrichtung mit getrennten Einzelbetten am vorderen und hinteren Ende der Kabine, jeder schläft außerhalb der Reichweite der Arme des anderen. Tagsüber werden die Hände des Fahrers am Lenkrad gebraucht und beim Beifahrer durch Funkmikro, Marokkoführer oder Kamera gebunden. Wie soll man sich da schlagen ..?

Aber langsam wird Roland schon etwas unleidig: Er ist ja nur mitgefahren gegen das heilige Versprechen, die Besteigung des Toubkal, dem mit 4.167 Metern höchsten Berg Nordafrikas rechtzeitig einzuplanen und nun geht der Oktober schon zur Neige und wir kratzen immer noch in der Wüste herum. Deshalb müssen wir uns nun in Foum Zguid trennen von den anderen Reisefreunden und queren den Hohen Atlas auf dem Weg zum gelobten Berg 300 km nach Norden.

Hier liegt Marrakesch: In dieser total angesagten Touristenmetropole kommen wir gegen 17 Uhr an und suchen im täglichen Verkehrschaos über eine Stunde nach einem Stellplatz innerhalb der Altstadt. Ein Motorrad hätte da noch irgendwo hingepasst aber nicht ein 5,50 Meter langes Auto. Spät erst brechen wir die erfolglose Suche ab und steuern, von der App park4night geleitet, einen Campingplatz 15 km südlich der Stadt an.

Am nächsten Morgen versuchen wir es ziemlich früh noch einmal. Wie erwartet ist fast nichts los und Parkplätze auch nahe dem Zentrum sind zu finden. Das erleichtert zwar die Besichtigung der Altstadt und der vielen Souks, aber die berühmte abendliche Atmosphäre finden wir nur andeutungsweise vor. Also der Tipp: Außerhalb parken und mit Taxi oder Bus abends in das Zentrum kommen. Die Medina und die spezialisierten Marktstraßen, Souks genannt, sind aber trotzdem interessant: orientalisch bunt und belebt. Auf dem berühmten Platz der Gehängten, dem Jamaa el Fna, ist aber neben den gelangweilten Schlangenanbetern noch kaum Verkehr ...

Jamaa el Fna früh morgens Keine Bekleidungsvorschriften für Touristinnen ... Jamaa el Fna gegen Mittag
Verkaufsgasse in der Medina Medina = Altstadt Klimbim so weit das Auge reicht ...

Wir bleiben nur bis Mittag und beobachten eine allmähliche Zunahme des Verkehrs auf den Straßen wie auf den Plätzen und beeilen uns, hier wegzukommen. Genau nach Süden führt die R203 etwa 50 km bis zur kleinen Stadt Asni, wo wir noch ein Mittagessen nehmen und das Nötigste einkaufen. Dabei werden wir prompt von einem berberischen Silberschmied angesprochen, der sich beklagt, dass die neuerdings gute Straße zum Jebel Toubkal das lukrative "Touristen Geschäft" in das 15 km entfernte Imlil verlagert hat. Kaufen wollen wir seine dürftigen Produkte nicht, aber mit einigen Dirham Trinkgeld versuchen wir schnell davon zu kommen. Lessons Learned: Gib nicht Geld ohne Gegenleistung - der Aufenthalt dauert nämlich damit länger als geplant, bevor es die 15 km nach Imlil hochgeht, dem Bergsteigerdorf am Fuße des Toubkal. Die Suche nach einem Stellplatz in Imlil selbst bleibt zwar ohne Erfolg, aber wir machen dabei wieder einen Touristenfänger auf uns aufmerksam.

Auf den Toubkal!

Der heißt Ibrahim und nähert sich uns auf dem Parkplatz vor dem Ortseingang und verwickelt uns freundlich in ein Gespräch. Er spricht ausreichend Englisch und macht den Eindruck eines wichtigen Mannes hier in Imlil. Selbstverständlich kann er einen Bergführer für die zweitägige Gipfeltour organisieren und lädt uns in sein Gästehaus im Dorf zu einer Tajine ein. Ich habe keine Lust, aber Roland lässt sich überreden, schließlich geht es ihm ja um den Führer. Seit dem Mord an zwei jungen Skandinavierinnen im Dezember 2018 am Fuße des Toubkal ist es nämlich verboten, ohne Bergführer die Region zu besuchen und Militärkontrollen an den Zugangspunkten stellen dies auch sicher.

Erster Blick auf den Gipfel Imlil - Touristen- und Bergsteigerdorf Modernes Sportgeschäft, alles zu kaufen in Einzelteilen ...

Der kluge Ibrahim wickelt uns jedenfalls kräftig um den Finger: Er organisiert alles zur Zufriedenheit, will aber auch seinen Teil dafür haben. Allerdings bitte nicht zu wenig, schließlich hat er 5 Kinder und 20 Enkel zu versorgen. Für uns Europäer sind das alles keine Summen und nach zwei Jahren Coronapause sind die Menschen in den Touristengegenden ausgehungert und wir gönnen ihnen auch einen Zuschlag. Deshalb schmunzeln wir mehr über die kleine Abzocke und geben ihm diesen oder jenen Hunderter, in Dirham natürlich (Kurs ca. 0,09 EUR = 1 MAD, Stand März 23). natürlich. Roland bekommt dafür einen guten Führer mit rudimentären Englischkenntnissen vermittelt und nach langem, langem Warten auch eine Tajine vorgesetzt ...

Beim Versuch zu bezahlen nennt der schlaue Ibrahim keinen Preis. "Gib was du gerne gibst". Roland reicht ihm 100 Dirham: "Das ist zu wenig !" In Ermangelung von kleinen Scheinen wird es ein "Münchner Tollwood Preis" von 200 Dirham und damit mehr als dreimal so viel, wie ich am nächsten Tag an einer Garküche im Ort für die Tajine mit Cola bezahlen werde. Leben und leben lassen ...

Früh am nächsten Morgen klopft 30 Minuten vor der vereinbarten Zeit Guide Muhamed an unser Auto und treibt Roland dadurch zur Eile an: So vergisst er beim Rucksackpacken seine Brotzeit und leidet später unter dem Gipfel ein wenig an Hunger und Durst, an Kälte sowieso. Wenn die beiden nebeneinander stehen, könnte man meinen, Roland würde mit seinen langen Beinen dem kleineren Muhamed auf und davon laufen. Aber weit gefehlt: Die wieselflinken Marokkaner rennen jeden Tag da hoch und haben eine Bombenkondition!

Den gleichmäßigen und kräftesparenden "Bergführerschritt" zur Schonung des Touristen kennt man hier allerdings nicht: Marokko ist halt nicht Nepal oder die Schweiz und der weit vorauseilende "Guide" agiert mehr als "Wegweiser" denn als "Vermittler der Kultur". Mehr sollte man also nicht erwarten ...

Blick von meinem Parkplatz auf den Toubkal Camping für 3 Autos: Dar Tizi Mizi Der Anstieg führt in das Tal nach rechts

Während die Alpinisten sich zwei Tage lang plagen, mache ich es mir gemütlich im Auto, lese Marokkoführer, schreibe am Tagebuch und schaue den Kids auf dem benachbarten Bolzplatz zu. Ein Spaziergang durch Imlil mit Einkäufen, SIM-Karte verlängern und Imbiss an einer Garküche sorgt für Kurzweil. Beim Versuch, über die Fahrstraße zu Fuß nach Arumd hochzulaufen, finde ich am Ortsausgang von Imlil doch noch eine Campingmöglichkeit, jedenfalls für maximal drei niedrigere Fahrzeuge wie normale Geländewagen. Das "Dar Tizi Mizik" bietet auch "Gite" (Franz.: Ferienunterkunft) und Restaurant. Na ja, eine Tajine wird es halt geben. Weiter hoch gehe ich aber nicht und beschließe, mir für den nächsten Tag ein Taxi nach oben zu organisieren und dann bergab auf anderen Wegen zu laufen ...

Kaum zurück an meinem Wohnmobil kommt schon wieder Ibrahim daher: Er bietet mir an, mich durch den Ort Imlil und in die schöne Gegend zu führen. Ich wechsle das Thema und erkläre ihm, dass ich morgen früh mit dem Taxi nach Arumd hochfahren und dort oben wandern will. Kein Problem, er hat einen Taxifahrer in der Familie, wann soll der morgen kommen. Wir vereinbaren 9 Uhr und einen Preis von 150 Dirham, fast mehr als man in Deutschland für 5 km Taxi zahlen müsste. Für diese Vermittlung will Ibrahim auch noch 100 Dirham und weitere 60 Dirham für den Parkwächter hier auf diesem tatsächlich gebührenpflichtigen Stellplatz. Er macht das aber alles mit großem Charme, erzählt von seiner Familie, aber auch von den Problemen hier im Ort und wird mir deshalb nicht unsympathisch. Und das Taxi, sein Neffe mit privatem PKW, ist dann auch pünktlich zur Stelle. Wie gesagt: Leben und leben lassen!

Gegen 15:00 Uhr am Folgetag kommt Roland mit seinem Bergführer zurück und hat viel zu erzählen ...

Rolands Erzählungen: Zum höchsten Gipfel Nordafrikas ...

"Gegen 7 Uhr und noch bei Dunkelheit starteten wir und marschierten schnellen Schritts erst noch mit einigen anderen Touristen und Mulitreibern einen Schleichweg zum vier Kilometer höher gelegenen Arumd hoch und von dort den 16 km langen Wanderweg bis zur Hütte auf 3.200 Meter Höhe. Aufgrund des schnellen Vorankommens und der frühen Ankunft am "Refuge Les Mouflons" schlug Mohammed vor, noch am selben Tag den Gipfel zu besteigen. In Ermangelung einer Pause und der fehlenden Jause wurde diese Idee von mir aber verworfen, auch weil ich insgeheim spekulierte, einen Sonnenaufgang am Grat oder am Gipfel des Toubkal erleben zu dürfen.

Größenvergleich: Bergsteiger vor dem Start ... Aufstieg, Führer weit voraus Die bessere, private Berghütte Tagsüber der kälteste Platz weit und breit

Bis zum Abend füllte sich nicht nur das inzwischen beheizte "Refuge Les Mouflons" und das gegenüberliegende "Refuge Nelter", sondern auch der Zeltplatz mit Trekking Gästen und Berganwärtern aus aller Welt. Der Hüttenstandard ist vergleichbar mit dem von Hochgebirgsunterkünften in Europa und verfügt sogar über "Kaltwasserduschen" - oder kann man sich hier auch Wasser aufwärmen lassen? Die Trekkinggruppen werden aber von ihren Guides oder Mulitreibern gefühlt besser betreut und bekocht als der Individualtourist.

Nach vielen interessanten Gesprächen mit den "Locals" und Touristen erschien mir der von Muhamed vorgeschlagene Aufbruch um 8:00 Uhr als viel zu spät. Nach längerer Verhandlung einigten wir uns auf 6:30 Uhr "sharp". Um 3:00 Uhr klingelten gleich mehrere Wecker im Gemeinschaftslager und es startete ein reges Treiben. Deshalb saß auch ich schon um 3:30 Uhr im Frühstücksraum und wurde von Guides anderer Gruppen liebevoll mitversorgt.

`Verdammt, die erste Gruppe verlässt schon die Hütte und ich muss noch mindestens zwei Stunden warten!´ Der Sonnenaufgang am Grat rückte schon in weite Ferne. Ein aufmerksamer Guide einer anderen Gruppe erkannte mein Problem und weckte offenbar meinen Führer. Für mich unerwartet stand Muhamed plötzlich neben mir und es konnte losgehen: Mit Stirnlampe Richtung Toubkal ...

Blick nach Süd auf den Nebengipfel, auch über 4.000 m Abstieg vom Toubkal

Bereits vor Einsetzen der Morgendämmerung konnten wir durch Verzicht auf Steigeisen von Beginn an ein höheres Tempo vorlegen und einen Großteil der "Frühstarter" überholen. Kurz vor dem Toubkalgrat ging die Sonne auf - ein beeindruckendes Spektakel. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse: Beim Versuch, die Steigeisen wegen zunehmender Eisflächen doch aufzuziehen, bemerkte ich, dass diese nicht auf meine Schuhe eingestellt waren und mir die Finger einfroren. Nach kurzer Abstimmung entschieden wir, den Aufstieg ohne Steigeisen zu machen. Ein gewisses Sicherheitsrisiko wohl - in diesem Fall aber kaum vermeidbar. Nicht nur meine Finger, auch die Batterie des Handys fror bitterlich und erlaubte nur wenige Fotos - leider kein einziges vom Gipfelbereich aus.

Oben angekommen gab es surreale Vorführungen einer spanischen "Selbstdarstellergruppe": Lautstark wurde Film- und Fotomaterial produziert - nicht ganz ungefährlich für den "Kickboxer" am Abgrund.

In Ermangelung einer funktionsfähigen "Fotomaschine" und wegen der ungemütlichen Kälte ging es bereits nach wenigen Minuten Gipfelrast wieder Richtung Hütte zurück. Nach gut zwei Stunden kamen wir dort als erste Gruppe vom Berg zurück und erhielten sofort unser vorgezogenes Mittagessen.

Einladung bei einer marokkanischen Familie, Frauen lugen nur kurz mal rein ...Während der ganzen Tour bewunderte Muhamed meine schicke Faserpelzjacke und klagte mehrfach über die Unmöglichkeit, so ein Ding hier in Marokko zu bekommen. Ob ich ihm dieses edle Teil nicht überlassen könnte? Als Gegenleistung bot er eine Einladung in sein Haus zum Duschen und Abendessen an. Das sollte es mir wert sein und finanziell wollte ich hier Leistung und Gegenleistung nicht gegeneinander aufrechnen. Es war immerhin die einzige Einladung in eine marokkanische Familie und das ist ja auch schon was!"


Beim Eintreffen der Bergsteiger am Wohnmobil ist natürlich Ismail wieder zur Stelle und will uns in sein Haus zum Abendessen einladen. Da hat er aber leider Pech. Wir haben schon eine Einladung und die ist bereits bezahlt!


© 2023 Sepp Reithmeier, Fotos: Sepp Reithmeier, Roland Schömer