Weiter auf Kurs: Portugal 2022Vieira de Leiria – Renne! Um dein Leben! |
Mit dem LERRY zu reisen ist nicht besonders kompliziert: Er macht einfach alles mit. Er ist so zuverlässig wie es seinerzeit auch schon mein "Mini-Womo" war. So habe ich mit ihm Anfang Februar 2022 das Cabo de Sao Vicente besucht, den südwestlichsten Punkt Europas und Portugals. Ab hier geht die Reise nun wieder nordwärts: Gegen Ende März soll sie in Deutschland enden ...
Ich fahre weiter und erreiche am 05. Februar 2022 die Stadt Sines. Sie ist die Geburtsstadt Vasco da Gamas, der mit seinen Seereisen viel Wissenswertes entdeckte. Für mich hat er heute allerdings keine Zeit: Wie das bei Seeleuten so ist, hat die wartende Ehefrau bei seiner Rückkehr ganz andere Aufgaben für den Seefahrer ...
So fahre ich wieder weiter und komme zwei Tage später am Cabo Espichel an: Dieses Kap liegt westlich von Setubal an einer Steilküste. Bis auf einen Meter wage ich mich an den Abgrund heran, dann aber habe ich plötzlich die Worte des Mönches aus Ossos in der Knochenkirche und die Bilder der tausenden Totenschädel im Kopf: Ich glaube, mein Besuch dort war zu erfolgreich ..!
Vielleicht haben mir meine Gedanken in diesem Augenblick das Leben gerettet: Die Felsen sind sehr brüchig und ich konnte nicht erkennen, ob der letzte Meter vielleicht nur noch ein Überhang war. Das wäre ein wilder Flug geworden: Vierzig Meter abwärts und ohne Landebahn! Zum Arme ausbreiten hätte es aber gereicht ...
Ich übernachte in der portugiesischen Stadt Sesimbra. Hier erlebe ich abends gegen 21 Uhr den totalen Zusammenbruch des portugiesischen Telefonnetzes meines Anbieters: Ich habe kein Internet mehr, also auch kein Navi. Mein Anbieter bekommt das mit meinem Handy auch nicht wieder hin ...
Es geht weiter nach Norden und ich muss ohne Navi durch Lissabon!
Mein Ziel ist erneut Vieira de Leiria, wo ich erst kürzlich auf die Suche nach den Plastikkugeln gegangen war. Dort leben Bekannte von mir, die ich aufgrund meiner veröffentlichten Reisen mit dem "Mini-Womo" kennengelernt habe. Ich habe Glück und finde das Haus nach einigem Suchen auch ohne Navi. Hier kann ich erst einmal bleiben und habe wenigstens das hauseigene WLAN zur Verfügung ...
Inzwischen schreiben wir den 08. Februar 2022: Jetzt muss ich auch noch für den LERRY ein eigenes Navi-Gerät besorgen, da mein Anbieter nicht in der Lage ist, mein Internet vor dem 03. März 2022 wieder zum Laufen zu bringen. Dafür erfahre ich aber hier eine sehr herzliche Gastfreundschaft. Natürlich bleibe ich auch an diesem Ort nicht tatenlos, denn meine Neugier ist wie immer dabei: Ich unterhalte mich mit einigen Einwohnern aus Vieira. Dabei stoße ich auf Erzählungen, die ich hier an die Leser weitergeben will. Ein Hinweis gleich zu Anfang: Der Titel dieses "Abenteuers" ist NICHT übertrieben ..!
Zunächst gilt es einmal die Orte Vieira und Praia da Vieira vorzustellen: Beide Ortschaften liegen etwa 40 km südlich der portugiesischen Stadt Figueira da Foz direkt an der Küste. Das Wort Praia ist das portugiesische Wort für Strand. Der Ort Vieira gehört zu größeren Stadt Leiria, die etwa 25 km weiter östlich liegt. In der Karte findet man deshalb auch die Bezeichnung Vieira de Leiria. Praia da Vieira bedeutet somit einfach Strand von Vieira. Ein Luftbild zeigt: Direkt an der Küste liegt gut zu erkennen Praia da Vieira und im Hintergrund Vieira, umgeben von Wald. Der rote Punkt auf dem Bild bezeichnet den aktuellen Standort von mir und dem LERRY vor dem Haus einer netten Familie hier. Seit dem Jahr 1740 ist Vieira eine eigenständige Gemeinde mit gut 6.000 Einwohnern.
Bevor wir in diesem Bericht weiter gehen, muss ich auch noch einen hier in Portugal sehr gut bekannten Mann vorstellen: König D. Dinis, Portugal war von 1139 - 1910 ein Königreich. Für eine persönliche Audienz bei ihm war ich hier (leider) erheblich zu spät, denn der Herr lebte in der Zeit von 1279 – 1325 ...
Fotos: William Bento
Nach meinen Erkenntnissen zur Geschichte Portugals handelte es sich bei ihm wohl um eine Persönlichkeit, die selbst heute noch Respekt verdient und im Volk auch bekommt. Dieser König trat seinerzeit den Machtansprüchen der Kirche gegenüber dem portugiesischen Volk mehrfach erfolgreich entgegen. Außerdem setzte er sich erheblich ein für die Förderung der Wirtschaft des ihm anvertrauten Königreiches und gründete im Jahr 1290 die Universität von Lissabon. Alle diese Aktivitäten brachten ihm wohl verdient den Namen "Dinis, der Gerechte" ein ...
Mit meinen aktuellen Erlebnissen hier steht er offensichtlich stark im Zusammenhang, denn er setzte sich auch maßgeblich für die Entstehung der großen Waldflächen ein. In der damaligen Zeit war er ein Mann mit einem ungewöhnlichen Weitblick für die Zukunft Portugals: Durch seine Besiedlungsmaßnahmen wurde der Ort Vieira im 13. Jhdt. gegründet. Auf dem Bild oben sind sehr gut die ausgedehnten Waldflächen Richtung Norden und auch der von Osten her mündende Rio Lis zu sehen.
Man betrachte einmal die obigen Aufnahmen: Als erstes ist oben links der Rio Lis (gesprochen Rio Liesch) zu sehen, ein kleiner flacher Flusslauf, der aus östlicher Richtung kommend direkt nördlich von Vieira und Praia da Vieira vorbei fließt und kurz darauf in den Atlantik mündet. Der kleine Fluss wirkt vielleicht etwas zu sehr begradigt, doch das Meer ergießt sich oft mit der Tide und auch den Stürmen kraftvoll in die Mündung, weshalb sie befestigt werden musste. Ich bin einige Male mit dem Fahrrad an ihr entlang gefahren ...
Kilometerlange Waldwege und von Bäumen umsäumte Straßen warteten einst auf den Wanderer: Es gab etwa 11.000 ha Staatswald, wo man leicht den ganzen Tag verbringen konnte. In der Sommerhitze gab es überall ausreichend Schatten, die Bäume reichten teilweise bis in die Ortschaften hinein.
Man fragt sich nun sicher, warum all das plötzlich in der Vergangenheitsform geschrieben wird: Der Grund ist ein Gebilde bestehend aus einer im Bild gezeigten kleinen Flasche und etwas Aluminiumfolie ...
Aber schauen wir zunächst einmal zurück zum 17. Oktober 2017: Es ist Sonntag. Und es gibt einige Menschen hier, denen ist der Wald nicht recht, sie wollen die Flächen lieber für anderweitige Profite verwenden. Für sie ist Wald eine mit Pflanzen angelegte Fläche, die in ihren Augen keinen (finanziellen) Nutzen bringt, vor allem keinen schnellen. Portugal ist aber ein im Sommer heißes und vor allem trockenes Land. Wald und auch Wasser haben hier eine ganz andere Bedeutung als etwa in Nordeuropa.
Zu den Haupteinnahmequellen des Landes zählt der Tourismus, viele Menschen nutzen das Land für eine angenehme Zeit. Viele Menschen brauchen aber auch viel Wasser. Auch die Waldflächen hier waren bei den Einwohnern und Besuchern Portugals hoch angesehen. Trotzdem aber versuchten einige Personen, diese recht stabile Naturlage für ihre Interessen zu verändern. Ging das nicht auf dem legalen Weg, wurde eben illegal nachgeholfen ...
So z.B. eben mit diesen Aluminiumgebilden: In den kleinen Glasflaschen befand sich eine leicht brennbare Flüssigkeit, die sich bei einer Temperatur ab 30°C entzündet. Diese Temperatur wird hier im Sommer leicht erreicht. Um diese aber in die kleine Flasche zu bekommen, wurde das Aluminium verwendet: Es heizt sich im Laufe des Tages durch Sonneneinstrahlung entsprechend auf. So wurden also diese Brandsätze etwa vormittags ausgelegt und nachmittags, bei der Zündung, konnte an diesen Stellen niemand mehr beobachtet werden.
Fotos: William Bento
Die Brandsätze legte man passend zur Windrichtung aus, um die Richtung des Brandes vorzugeben: Deshalb finden sich an den Brandsätzen selbst auch keine Brandspuren. Sie entzündeten die Umgebung und der Wind trieb das Feuer sofort weg in die gewünschte Richtung. Ein einheimischer Feuerwehrmann hat mir dieses Prinzip genau erklärt und mir auch die Flüssigkeit genannt, die zur Zündung verwendet wurde. So begann hier vor viereinhalb Jahren am Sonntagnachmittag eine ungeahnte Katastrophe ...
Wie es der Zufall will, haben die Brandstifter wohl kaum einkalkuliert, was sie mit ihrer Brandstiftung auslösen könnten: An diesem Tag herrschte heißes Wetter und ein kräftiger Wind. In wenigen Minuten entstand so ein Brand, der völlig außer Kontrolle geriet. Da mehrere Brandsätze der beschriebenen Art an verschiedenen Orten ausgelegt worden waren, wurde durch die Brandstifter mehr oder minder ungewollt ein Flächenbrand riesigen Ausmaßes erzeugt: Der heiße kräftige Wind trieb das Feuer blitzschnell vor sich her und breitete es vor sich auch immer weiter seitwärts aus.
So ein Brand ist unter diesen Umständen in der Ausbreitung derart schnell, dass wegrennen nicht mehr ausreicht: Man wird beim Rennen von den Flammen schnell eingeholt und sogar überholt. Die Ausbreitung kann unter solchen Bedingungen problemlos Geschwindigkeiten von 50 km/h und mehr erreichen.
Sehr viele der Bäume hier sind Eukalyptusbäume. Wir kennen alle das Eukalyptusöl aus der Apotheke: Hier ist es Bestandteil der Bäume - und hochgradig brennbar! Diese Bäume entzünden sich dadurch mit einer riesigen Flamme. Vieira war seinerzeit umgeben von Wald, nach nur drei Stunden hatte das Feuer den Ort komplett eingekreist ...
Fotos: William Bento
Auf den hier gezeigten Bildern erreicht das Feuer gerade die Ortschaft. Meine Gastgeber und deren Bekannte erzählten mir sehr viel von diesem Tag: Sie denken mit Schaudern daran zurück. Flucht war bei der Ausbreitungsgeschwindigkeit kaum möglich, denn auch die Straßen von und nach Vieira waren beidseitig von Wald umsäumt. Feuer, das sich mit einer solchen Geschwindigkeit durch den Wind ausbreitet, springt problemlos von der einen Straßenseite zur anderen über und breitet sich immer weiter aus ...
Vielleicht noch etwas zum Nachdenken: Bei einem solchen Feuer gibt es kaum Rauchvergiftungen wie etwa in einem brennenden Gebäude. Innerhalb eines brennenden Gebäudes sterben Menschen oder Tiere eher an dem Rauch, bevor auch ihre Körper verbrennen. Hier im Freien ist das anders: Der Rauch kann problemlos nach oben abziehen, das Feuer saugt sich den zur Verbrennung benötigten Sauerstoff aus der Umgebung und von unten an. Und das mit einer heftigen Sogwirkung, denn Sauerstoff ist rundherum ausreichend vorhanden. Das bedeutet aber auch, dass ALLES, was im Freien ins Feuer gerät, sofort verbrennen wird: Also Gebäude, Autos, alles das, was irgendwo herumsteht, Tiere und natürlich auch Menschen.
Der Abend war gekommen: Überall warteten Einsatzkräfte und Einwohner und griffen nur noch gezielt ein. Inzwischen herrschte auch Wasserknappheit. Viele Bewohner, so auch meine Gastfamilie, hielten sich bei ihren Häusern auf, um mit den ihnen verbliebenen Möglichkeiten ihr Hab und Gut zu schützen.
Am nächsten Tag gibt es noch überall kleine Brände zu löschen: Die Bäume sind total verbrannt und nicht mehr zu retten. Der Brand hat sich rasend schnell und kilometerweit von den Küstenorten Praia da Vieira bis weit in den Osten nach Leiria und an der Küste entlang nach Süden und Norden ausgebreitet. Das Feuer ist sogar über den kleinen Fluss Rio Lis gesprungen, von den 11.000 ha Staatswald wurden 9.560 ha in einem einzigen Tag vernichtet. Neununddreißig Menschen haben das Feuer hier nicht überlebt ...
Nach diesen Erzählungen ist ein Besuch des Ortes Vieira angesagt: Die vielen Spuren des Brandes sind bis heute noch nicht beseitigt.
Auf unseren Bildern unten sieht man die Zufahrtsstraße, die aus dem Osten nach Vieira hinein führt: Oben unmittelbar nach dem Brand und unten heutzutage. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs auf Spurensuche ...
Oben nun also die Zufahrtsstraße, wie sie heute aussieht: Hier gab es früher rechts und links noch Wald. Bisher ist es offensichtlich noch nicht gelungen, die vielen Kilometer verbrannten Waldes neu anzupflanzen. Weite Strecken haben noch immer nur den sandigen Boden, der nach dem Brand übrig geblieben ist. Andere Bereiche haben bereits etwa zwei bis vier Meter hohe Bäume vorzuweisen. Überall dazwischen finden sich noch verkohlte Baumstümpfe. Viele der Bäume waren über 50 Jahre alt, selbst Eukalyptusbäume können einige hundert Jahre alt werden. Das Bild oben links zeigt das ausgebrannte Haus des Försters, es lag einmal im Wald. Das Bild oben rechts zeigt eine kilometerweite Fläche, die bis zum Atlantik reicht. Auch das war einmal alles ein Waldgebiet ...
Ein Foto habe ich von einer Anhöhe der Zufahrtstraße aus gemacht: Ohne Wald kann man nun sehr weit blicken. Links liegt die Stadt Vieira, wie erwähnt einst vollständig vom Wald umgeben. Von der rechten Seite des Bildes bis zum kleinen Ausschnitt des Atlantiks links und bis zu den weißen Häusern am Horizont in der Mitte des Bildes: Das alles war einmal Wald. Wir sehen hier nur nach Norden. Das ist EIN TEIL der Waldfläche, die am 17. Oktober 2017 innerhalb eines Tages vernichtet wurde, es handelt sich um etliche Kilometer. Man kann sich vielleicht nun besser vorstellen, mit welcher Geschwindigkeit das Feuer über das Land raste: Weglaufen unmöglich - wer in so etwas hinein gerät, verbrennt!
Mit dem Fahrrad fahre ich weiter hinein in die Stadt: Das Feuer war bis hierhin vorgedrungen, da die Waldflächen ebenfalls bis in die Stadt reichten. Ich besuche ich den Supermarkt Continente: Direkt daneben lag eine Firma, die Stahlprofile herstellte, sie brannte ab. Das Feuer kam bis an den Parkplatz des Supermarktes, der seinerzeit nicht geschlossen war, denn hier haben die Geschäfte auch Sonntags geöffnet. Ein Übergreifen der Flammen konnte im letzten Moment verhindert werden, die Ruine der Firma nebenan ist dagegen bis heute geblieben.
Mit dem Rad fahre ich weiter bis zur Küste und dann nach Norden: Ich will noch an der Mündung des Rio Lis auf Spurensuche gehen ...
Der Rio Lis kurz vor der Mündung in den Atlantik: Das Feuer ist damals sogar über den Fluss gesprungen, auf der gegenüber liegenden Seite sind die weiten Flächen der verbrannten Erde unübersehbar. Auch auf diesen Flächen war einst Wald ...
Auf meiner Seite sieht es nicht besser aus: Verbrannte Reste von Bäumen. Der ehemalige Waldboden ist hier überall sehr sandig, es besteht die Gefahr, dass er durch den fehlenden Wald von der Erosion abgetragen werden kann. Ich muss nicht lange unterwegs sein, um die ersten Brandruinen zu finden: Die Häuser wurden nicht wieder errichtet. Bei vielen fehlte auch einfach eine passende Versicherung, es sind zerstörte Existenzen.
Der Rio Lis etwas weiter landeinwärts: Auf beiden Seiten erkennt man die Flächen des ehemaligen Waldes. Überall sind die Brandspuren noch sichtbar, immer wieder finden sich verbrannte Baumstümpfe im Boden. Sie blieben beim Abtransport der toten Stämme zurück. Man beachte die Breite des Rio Lis und die daneben verlaufende Schotterstraße: Das Feuer ist mit dem Wind darüber hinweg gesprungen!
Auch jetzt noch, nach viereinhalb Jahren, sind die riesigen kahlen Flächen ein beeindruckender Hinweis, welches Feuer hier getobt haben muss. Mit etwas Fantasie denkt man sich noch die Eukalyptusbäume dazu, die durch ihr Öl eine 10 – 15 Meter hohe Flammenwand mit entsprechender Hitze entlang des Flusses erzeugten. Dazu noch dicker grauer Rauch bis in den Himmel. So war das hier auch im Bereich des Rio Lis, der eigentlich der einzige Fluchtweg in Richtung Meer ist ...
Die Reise mit dem LERRY geht weiter: Mein Dank gilt all den freundlichen Menschen hier, die mir bei dieser Erkundung mit Rat und Tat zur Seite standen. Es wurde eine Geschichte, die zeigt, was aus Dummheit, Leichtsinn und Raffgier entstehen kann. Ob die Brandstifter jemals gefunden und bestraft wurden, ist mir nicht bekannt ...
Inzwischen ist der 20. Februar 2022 angebrochen: Ich bereite den LERRY für die Abfahrt vor. Wieder ein kleines Stück Richtung Norden, nach Coimbra, erneut nicht weit entfernt von Conimbriga ...
© 2022 Jürgen Sattler
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