Wrackbesuch: Kontakte und Messungen ...
Kontaktaufnahme: Telefonat mit einem "Loco de barco" ...
Bill Lee hatte uns mit einer Idee und einer Frage konfrontiert: Würden sich wohl die berühmten Skulpturen der AMERICA mit den Tierkreiszeichen, die auch noch an Bord der AUSTRALIS gewesen sein sollen, ebenfalls in dem Lager auf Fuerteventura befinden, das einst Ibrahim Quintana, der als "El loco de barco", der "Verrückte vom Schiff" bekannte, angelegt hatte?
Und wie mochte es wohl derzeit aussehen mit den Resten der berühmten Original-Kunstwerke des amerikanischen Künstlers Charles Baskerville aus dem Jahr 1946, sind sie immer noch vorhanden oder sind sie vielleicht bereits zerstört auch durch unsachgemäße Lagerung? Viele Fragen, die nicht nur Bill Lee beschäftigen, sondern auch noch viele andere mit dem Wrack befasste Kenner des Schiffes, nicht nur in den Vereinigten Staaten ...
Also nehmen wir vor Ort Kontakt auf mit dem "Loco de barco", der vermutlich nur Spanisch spricht und uns so vor ein gewisses Problem stellt. Wir tätigen einen Anruf bei Ibrahim Quintana, ein erster Versuch in Englisch und Deutsch. Doch Quintana legt sofort auf - sowohl von seiner Reaktion am Telefon als auch vom Verhalten insgesamt ein gelungener erster Eindruck: Sympathischer Kerl!
Zweiter Versuch: Sylvia vom Maravilla unterstützt uns hervorragend, in dem sie unsere Themenliste perfekt auf Spanisch abarbeitet und mit dem Mann ein wirklich eingehendes Telefonat führt, bei dem sie sich sehr in unser Vorhaben vertieft.
Aber der gute Mann bleibt sich treu: Er ist ausschließlich darauf aus, ein möglichst hohes finanzielles Angebot von uns zu bekommen. Man solle ihm ein derartiges Angebot machen, dann würde er entscheiden, ob es attraktiv genug für ihn ist, mit uns sprechen. Vermutlich für einen Aufpreis will er auch noch einen eigenen Dolmetscher stellen - ein Freund von ihm spricht Englisch.
Auch der Hinweis auf unser nicht-kommerzielles Magazin oder auf den Wunsch von Veteranen des Schiffes, nur ein wenig über die verschwundenen Kunstwerke des Schiffes zu erfahren, stößt auf taube Ohren: Er erweist sich nur als geldgierig, dieser Mensch, der einst arbeitslos war, als die American Star an der Playa de Garcey strandete und der seine Existenz dem Wrack verdankt, das er ausplündern konnte: Ein "Majorero", der nicht mal ein Gespräch ohne Geld führen will, geschweige denn seine Schatzkammer zeigen.
Auch wenn einst der NDR-Film und sein Amateurfilmausschnitt darin die Preise verdorben haben mag - dieser Wrackplünderer, den nicht wenige einfach als Dieb bezeichnen, ist auch viele Jahre später in dieser Angelegenheit nicht im Geringsten geläutert.
Dass er aus den Wrackteilen ein Touristenziel wie das Café Naufragio in Puerto del Rosario hatte aufbauen können und dass er dem Schiff letztlich seine Existenz verdankt, ändert an diesem Sachverhalt offensichtlich nichts.
Den Mann als Gesprächspartner können wir somit nicht gerade weiter empfehlen und ob man dessen Lokal in Puerto del Rosario weiter besuchen sollte, um ihm seine begehrten Euros zu bringen, muss wohl jedem selbst überlassen bleiben.
Aber vielleicht sollten sich ja einfach mal die "Marines" mit einer Rückholaktion der Kunstwerke befassen: Das Explorer Magazin jedenfalls würde eine derartige Aktion wohlwollend kommentieren ...
Messungen: Bugbewegungen ..?
Szenenwechsel: Wegen tiefstmöglicher Ebbe fahren wir früh am Sonntagmorgen zum Wrack. Gegen 8:00 Uhr kommen wir bereits durch Antigua, wo uns Polizei anhält: Alkoholkontrolle! Dieser Sachverhalt wirft ein merkwürdiges Licht auf die Lage: Ist das etwa die Zeit, zu der alkoholisierte Einheimische am frühen Sonntagmorgen nach Hause fahren oder hat es nur mit dem karnevalistischen Treiben in der Umgebung zu tun?
Nachdem der uns anhaltende Polizist erst einmal ein ausführliches Handygespräch führen muss, während wir warten, kommt sein Kollege von der anderen Straßenseite herüber: Wohl etwas verärgert über das merkwürdige Verhalten seines Kollegen winkt er uns weiter ...
Wir erreichen die Playa de Garcey: Bei Niedrigst-Ebbe, deren Zeit wir vorher bestimmt hatten, wollten wir einen Blick auf die Überreste des hinteren versunkenen Bugteils werfen. Außerdem hatten wir mit Bill Lee abgestimmt, dass wir etliche Messungen vornehmen wollten, um die Lage der Bugspitze zu überprüfen, hatten wir doch verschiedentlich den Eindruck bekommen, sie hätte sich möglicherweise nach rechts und weiter in Richtung zum Strand verschoben ...
Ausführlich hatten wir unser Messverfahren vorbereitet: Von verschiedenen Standorten aus, deren Position wir genau per GPS ermitteln wollten, würden wir Kompasspeilungen zur Bugspitze durchführen. Mit einem Kompass, der u.a. auch über eine Visiereinrichtung verfügt, sollte dies kein Problem darstellen. Nach Rückkehr könnte man dann mittels einer GPS-Software und den aus den Messungen erzeugten Routen einen Schnittpunkt bestimmen, an dem sich die Bugspitze derzeit befindet - kein Problem für einen alten Navigator!
Und das Verfahren funktionierte: Verglichen werden konnte der so ermittelte Schnittpunkt als aktuelle Position der Bugspitze mit diversen alten Messungen sowie auch den Positionen des Wracks auf zwei verschiedenen Bildern von Google Earth, die ebenfalls Koordinaten liefern. Unser Messverfahren ist schematisch dargestellt anhand des Ausschnitts einer Luftaufnahme unten vom Februar 2006, die uns der Airlinerpilot Timo Weber schickte ...
Und selbstverständlich wollen wir auch an dieser Stelle nicht das Ergebnis verschweigen. Obwohl es in der Tat so scheint, als hätte sich der verbliebene Bugrest bewegt, und zwar nach rechts in Richtung Strand, wo er nun fast zum Greifen nahe zu liegen scheint: Der Eindruck täuscht, was man auch sofort ahnt, wenn man jemanden sieht, der bei Niedrigst-Ebbe ins Wasser steigt und versucht, in Richtung Wrackrest zu gehen. Während die Person schon nach wenigen Augenblicken immer kleiner zu werden scheint, bleibt der noch sichtbare Wrackrest in seiner dann immer noch beachtlichen Größe erhalten - ein klassisches Beispiel optischer Täuschung, zum Teil noch erheblich verstärkt durch kräftige Teleobjektive.
Unser Messergebnis zeigt eines: Auch wenn es anders wirkt auf den ersten Blick, die Bugspitze ist im Wesentlichen immer noch an der selben Stelle wie schon seit vielen Jahren ...
Kontakte, Messungen und Eindrücke: Die Impressionen beim Spiel der Gezeiten sind auch derzeit noch gewaltig, was sich bei verschiedenen Aufenthalten an der Playa de Garcey beweist. Mehr als je zuvor weiß man allerdings diesmal eines mit großer Sicherheit: Diesen Rest der Bugspitze eines einst gewaltigen Ozeandampfers werden wir nicht mehr lange sehen - die See hat ihr unermüdliches Werk in rund eineinhalb Jahrzehnten fast vollbracht ...
© 2008 Explorer Magazin, Bild Skulpturen AMERICA: Bill Lee