Zwischen Fels, Garrigue und Weinbergen ...
Für französische Verhältnisse ist das Frühstücksbuffet phänomenal: Salami, Schinken, kräftige Ziegen- und Schafskäse, zahlreiche Sorten Kuchen, Obst, Marmeladen, Joghurts, knuspriges Baguette, alles Bio, was will man mehr? Vielleicht ein Ei? Egal wie? Da muss der Service allerdings passen, denn die Köche kommen erst um 10:00 Uhr und so ein Ei (garantiert Bio vom glücklichen Huhn) muss hier schließlich vom Sternekoch fachkundig zubereitet werden ...
Doch auch ohne Ei geht es schließlich gut gelaunt auf unsere Landpartie, die Sonne erwartet uns schon: Die Landschaft ist geprägt von Hügeln, aus denen Felsen blitzen, Weinbergen und der Garrigue, einer Art Heide mit Sträuchern und vielen Gewürzpflanzen, die in der Sonne den typischen Geruch der Region verbreiten.
Wir werden bei Bertrand Bergé erwartet, einer Kellerei im Fitou in der Grenzregion zwischen Languedoc und Roussillon, die schon seit Generationen von Frauenhand geleitet wird, denn in der Familie gab es nur Töchter als Nachkommen.
Die Chefin erwartet uns schon, ebenso wie eine Lieferung Grenache, frisch geerntet aus einem der Weinberge. In der Maschine werden nun unter unseren Augen die Traubenbeeren von den Reben getrennt und in den Gärtank gefüllt. Auch hier wird Wein biologisch produziert, die Weinberge sind verteilt in der Region mit verschiedensten Böden.
Der Mann der Chefin - Önologe - ist stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen: So wollte er unbedingt die Rebsorte Mourvèdre kultivieren. Seine Kollegen hielten ihn für verrückt, denn ein Spruch besagt: Mourvèdre will das Meer sehen und keiner der Weinberge von Bertrand Bergé liegt so, dass Meerblick möglich ist. Nun kommt der Spruch nicht von ungefähr, gemeint ist nämlich, dass Mourvèdre Anforderungen an Böden stellt, die man typischerweise in Meeresnähe findet und nicht hier im Hinterland. Also wurden die Weinberge von einem Bodenexperten untersucht und geprüft - und tatsächlich, es fand sich ein Eck für einen erfolgreichen Versuch, der alle Erwartungen übertraf. Selbst die skeptischen Kollegen sind nun überzeugt: Chapeau, Monsieur Bertrand!
Kaum sind die Trauben verarbeitet, werden wir durch die Kellerei geführt und dürfen auch hier in das Weinfass horchen. Die Gärtanks aus Glasfaser, die wir auf unseren anderen Weinreisen noch nicht oft gesehen haben, werden in der nächsten Saison durch Stahltanks ersetzt, eine große Investition ist geplant. Die Verkostung gibt uns neben Flaschenabfüllung und Lager einen schönen Überblick zu den Weinen der Domaine:
Rotwein:
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Süßwein:
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Die Rotweine - alle ziemlich gehaltvoll - sind recht unterschiedlich, nicht nur aufgrund der Rebsorten, sondern auch aufgrund der Böden. Aber auch die berühmten Süßweine Rivesaltes (Vins doux naturels) überzeugen - was für tolle Desserts könnte man dazu genießen!
Es geht weiter: Wir brechen auf nach Cucugnan, das den Lesern der "Briefe aus meiner Mühle" von Alphonse Daudet bekannt sein wird. Fast wie ein Nest hängt das Dorf an einem Hang. Der Spaziergang zur alten Mühle lohnt sich unbedingt. Neben dieser hübschen Mühle wird man mit einem Blick über die Landschaft bis hin zur Katharer Burg Queribus belohnt.
Ebenso Pflicht ist ein Einkauf in der nahen Bio-Bäckerei mit ihrem Holzbackofen. Im Landgasthof Auberge du Vigneron à Cucugnan nehmen wir unser Mittagessen ein - typische Gerichte der Region, und der Biertrinker freut sich ebenfalls sehr: es gibt frisches, schmackhaftes, gezapftes Bier im Überfluss ...
Wir fahren nun weiter zur Katharer Burg Queribus, denn nach so viel Essen und Trinken tut ein wenig Bewegung gut und so steigen wir vom Parkplatz auf 728 Meter hoch. Die Katharer waren eine christliche Glaubensgruppe von 12. - 14. Jhdt.: Als Ketzer verrufen wurden sie im Rahmen des Albigenserkreuzzugs verfolgt und ihre Städte Béziers, Carcassonne und Albi erobert. Die Burg Queribus war der letzte Zufluchtsort und fiel in 1255 an den französischen König.
Nach dem die Katharer getötet und vertrieben waren, wurde die Burganlage bis ins 17. Jhdt. "modernisiert", wobei ein Umbau erfolgte und sie Schießscharten erhielt. Wir können uns kaum von der fantastischen Aussicht trennen, aber die nächste Domaine ruft ...
Das weltweit bekannte Weingut Mas Amiel nahe des Orts Maury erwartet uns schon: Die Adresse ist dem Navi unbekannt, die Beschreibung der Zufahrt wenig hilfreich und so fahren wir ein wenig offroad durch die Weinberge - kurios, dass Mas Amiel diese Touren durch die Weinberge für Touristen anbietet. Trotz kleiner Extra-Tour erreichen wir schließlich doch noch pünktlich die Kellerei ...
Unverkennbar draußen vor der Kellerei die Glasballons "Bonbonnes", in denen der Rotwein ein Jahr lang Wind und Wetter ausgesetzt wird und in der Sonne vor sich hin reift. 2000 solcher Glasballons sind auf dem Gelände verteilt. Auf den 600 Glasballons vor dem Hauptgebäude befinden sich blaue und gelbe Konservendosen zur Abdeckung. Die Verteilung der bunten Dosen ist aber nicht zufällig, sondern so gewählt, dass man aus der Luft das Logo der Domaine erkennen kann.
Im Keller erwarten uns neben den Stahltanks 30 riesige Fässer (350 HL) aus österreichischer Eiche, die mehr als 100 Jahre alt sind und in denen der Süßwein viele Jahre reift. Einige wenige der Fässer sind leider nicht mehr verwendbar.
Aber nicht nur Süßweine werden hier produziert, weniger bekannt sind die trockenen Weiß-, Rosé- und Rotweine. Wir verkosten auch hier etliches aus der Rubrik "trockener Wein" ...
Rotwein:
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Weißwein
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Süßwein (dafür ist Mas Amiel berühmt):
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Mancher Süßwein erinnert uns an die frühere Weinreise nach Porto, was nicht verwunderlich ist, denn hier wie dort wird die Gärung durch Zusatz von Weingeist unterbrochen, um den Zuckergehalt zu bewahren. Lediglich der weitere Ausbau variiert, wie hier zum Beispiel durch Reifung in der freien Natur. Insgesamt finden sich in den regionalen Süßweinen mehr honigartige Aromen.
Ganz gemütlich fahren wir zurück zu unserem Hotel Riberach, wo uns am Abend das nächste mehrgängige Menü erwartet. Ein wenig Sorgen machen wir uns um unseren Bierreisenden: Laut Auskunft vom Service gibt es kein "La belle en goguette" mehr, die Mikrobrauerei könne auch in naher Zukunft nicht liefern und der Vorrat der Minibars scheint biertechnisch ausgereizt zu sein. Zu Beginn des Menüs bestätigt der Service erneut ausdrücklich, dass das begehrte Bier nicht mehr vorhanden sei ...
Aber bei Weinreisen Rettich gibt es noch Wunder, denn alle unsere Minibars waren mit der richtigen Sorte Bier aufgefüllt worden und so plündern wir erneut noch einmal erfolgreich die Minibars.
Auf der Menükarte steht heute ein Gang mit Ziegenkäse: Da den nicht alle mögen, wird beim Service angefragt, ob man vielleicht einen Ersatzgang bekommen könne, z.B. ein paar Blätter Salat, etwas Tomate - nichts schwieriges also. Auch für andere Gänge wird nach Ersatz gefragt. Der Service zieht sich zur Beratung mit der Küche zurück. Das Ergebnis überrascht uns dann aber sehr - schließlich ist das hier ein Sternelokal: Der Gast, der keinen Ziegenkäse mag, bekommt ... nichts! Alle anderen, die einen Ersatzgang möchten, bekommen ... einen zusätzlichen Gang mit Ziegenkäse. Da fragt man sich dann doch: Muss der Ziegenkäse etwa weg ..?
Die Weinauswahl heute stammt ganz und gar von den Jungen Wilden, Winzer der Region, die Bioweine herstellen und dabei viel experimentieren oder wie es auch bezeichnet wird: kompromisslos vinifizieren. Der Weißwein von Matassa aus 2012 (Grenache gris, Macabeu) besteht mal wieder zu allen Aromen. Der Rotwein Enfant Sauvage von Les Enfants Sauvages aus 2014 (Grenache, Carignan, Mourvèdre), der von einem deutschen Winzerehepaar hier produziert wird, ist ebenfalls gut zum Essen gewählt.
Dann kommt das Schokoladendessert: Der Sommelier des Hauses empfiehlt zusammen mit Gerhild den roten Matassa aus 2012, einem reinsortigen Carignan, der wunderbar zu den Kakaoaromen passen soll. Der Wein wird eingeschenkt, doch das Bouquet haut einen um: Statt Früchten, Beeren oder Kräutern sticht ein Aroma in die Nase nach Jauche und Levkojen (mancher Kenner nennt dies "rustikale Nase"). Der Sommelier bemerkt die Irritation und fragt Gerhild, was denn da gesagt wurde. Sie verweigert zunächst die Übersetzung und ich selbst habe wenig Lust auf eine Diskussion mit dem Hausexperten. Schließlich gibt Gerhild seinem Drängen nach und übersetzt: Dem Sommelier fallen fast die Augen aus, ein önologischer Abgrund zwischen ihm und mir tut sich auf - gut, dass wir morgen abreisen ...
Aber vielleicht ist ja nur das Bouquet das Problem, kurz wird die Nase "abgeklemmt" und rein mit dem Schluck: Bis jetzt wusste ich nicht, wie Jauchearoma schmecken könnte, nun weiß ich es. Das erste Mal im Leben, dass ein Wein vollkommen untrinkbar erscheint - das haben die 112 Jahre alten Weinstöcke nicht verdient. Die Vorstellung einer Harmonie mit dem Schokoladendessert ist überhaupt nicht möglich. Doch wie fanden die anderen Reiseteilnehmer diesen Wein ..?
Nun, man entrinnt der Verkostung mit Hinweis auf Fructoseallergie, Alkoholunverträglichkeit, Histaminintoleranz (schließlich ist bis jetzt ja alles so gut verlaufen, da will man nichts überstrapazieren ), man verweist auf Bierpurismus oder bedient sich des Arguments, man habe eh schon genug für den heutigen Abend. Übrig bleibt im Wesentlichen der harte Münchner Weinreisekern und alle ordnen den Wein an das untere Ende der Skala vom "göttlichen Tropfen" bis zum "Ausguss" ein ...
Übrigens: Am nächsten Abend habe ich natürlich vom Rest wieder probiert, denn laut Gerhild wandelt sich der Wein. Sie hat recht: Zwischen dem jauchigen Anklang mischt sich nun auch zwar intensiveres Erdbeeraroma, das auch im Geschmack dominiert, aber leider immer noch Erdbeeren mit Kuhfladen ...
Recherchen haben ergeben, dass Matassa rouge u.a. beschrieben wird als "Pièce de resistance" (Widerstandstück) oder als Ausrufezeichen, was auch immer die Weinkenner einem damit sagen wollen.
Ein sehr lehrreicher Abend, denn nur so kann man in etwa ermessen, was sich hinter dem Begriff "Naturwein" verbergen kann - und - ich werde es immer wieder probieren ...
© 2016 Sixta Zerlauth, Bild unten rechts: Dr. Bernd Vestweber