Aussteiger in der Serra da Estrela
Der Sohn von Wolle hat noch ein altes Motorrad (Kawasaki 250, 1980er Jahre Straßenmaschine) im Holzschuppen stehen, das die Vermieterin ihm als Schenkung überlassen hat. Da ich mich als alter Mechaniker gut mit der Retrotechnik auskenne, ziehen wir es aus dem Schuppen und stellen fest, dass es komplett ist: Ein paar Stunden später, nachdem ich das Schloss wegen fehlendem Schlüssel zerlegt und außerdem Tank sowie Vergaser gesäubert habe, schnalle ich eine Autobatterie hinten auf - und die Karre fährt tatsächlich gleich los zu unser aller Erstaunen ..!
Den ersten Esel in den Bergen
sehen wir später: Ein ziemlich großes Tier. Auch viele Aussteiger befinden sich
hier in
den Bergen, darunter auch einige Deutsche. Einer von ihnen, Thomas,
macht einen ganz schön schwachen Eindruck: Er meint "Long COVID" und seit der Impfung sei er völlig schlapp
und kraftlos ...
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Rupert, ein anderer Aussteiger, lebt in seiner kleinen, selbst gebastelten Hütte ohne Strom. Er wollte vor Jahrzehnten mit seinem Nachbarn Thomas eine kleine gemeinschaftliche Kolonie gründen, aber Thomas hat sich mit mehr Geld die wichtigsten Immobilien selbst gekauft und auch nur selbst genutzt, zumindest so weit er dazu in der Lage war oder noch ist ...
Die
spätere Fahrt nach
Figueira da Foz ans Meer
ist einerseits entspannend,
endlich mal raus aus den Bergen, andererseits zeigt das Meer mal
wieder seine unberechenbare Stärke. Bei 15°C Wassertemperatur ist
das Schwimmen zwar möglich, aber nicht besonders angenehm, zumal die
Atlantikwellen mit etwa drei Meter Durchschnittshöhe nicht leicht zu
handhaben sind. Auf dem Weg hinaus aus der kühlen Erfrischung überholt
uns eine ungewöhnlich starke Welle: Obwohl wir unsere Sachen
relativ hoch gepackt haben in der Annahme, dass bald wieder Ebbe
folgt, erwischt die kurze Flut unsere kompletten Sachen und will
sie ins Meer reißen. Jedoch ein schneller Sprint und geschickte
Würfe retten unsere Klamotten mitsamt Kleingeld, Portemonnaie
und Autoschlüssel vor dem Verschwinden ... (Anm. der Red.: Gut, dass nicht auch noch
viele der hier am Strand
vorhandenen Plastikkugeln verschluckt werden ..!
)
Die
Temperatur erreicht am Nachmittag noch 23°C, später suchen wir
eine Imbissmöglichkeit in der Stadt. Aber entweder ist das nächste Restaurant
geschlossen oder am Yachthafen besonders teuer, so dass wir uns dann
schließlich für eine Snackbar entscheiden: Wir bestellen drei
Kebab und einen Hamburger sowie ein paar kühle Biere, auf den Tisch
kommt später ein schleimiger Fleischbrei mit viel Mayonnaise, umwickelt von
einem unausgegorenen bleichen Teiglappen. Um den runter zu
kriegen, schütten wir noch ein paar Halbe hinterher ...
Wolle hat seinen Kebab fast aufgegessen, als er einen kleinen Glassplitter in dem Rest findet. Ich habe bereits nach Dreiviertel des Schleimbreis aufgegeben und gehe mit meinem Teller und dem Glassplitter zum Chef, der aussieht wie ein alter, abgehalfteter Lude, um mich an Wolfgangs Stelle darüber zu beschweren. Er bietet mir einen neuen Kebab an, welchen ich allerdings dankend ablehne. Immerhin berechnet der Chef fairerweise dann auf der Rechnung nur zwei Kebab, auch die halben Liter Bier sind noch relativ günstig mit 2,20 Euro. Die schlammigen Teiglappen kosten 4,50 Euro ...
Die Rückfahrt in die Berge mit einigen Drinks am Hals und ein paar Kippen verläuft locker und entspannt, immer ohne Maut zu zahlen auf der linken Spur, die eigentlich für die portugiesischen Einwohner freigehalten wird ...
Der Treffpunkt vieler Auswanderer und Aussteiger ist der allwöchentliche Markt
am Donnerstag in Arganil, wo
es neben einigen heimischen Produkten auch gegrilltes Spanferkel
gibt.
Ein paar Tage später sind wir zu einer Geburtstagsfeier eingeladen von Rupert, dem Althippie in dem kleinen Dorf, fast auf der Spitze des Berges, Almeida Velha. Dort sind fast alle Hippies der Bergregion versammelt, viele von ihnen sind früher mal in Indien gewesen, in Goa. Sie haben sich jetzt nach Portugal in die Berge zurückgezogen, mehr oder minder erfolgreich, meist auf "kleiner Flamme": Zum Beispiel wohnen sie in Wohnwagen oder alten Bussen, die sich nicht mehr bewegen, oder aber in kleinen, halb zerfallenen Hütten. Geraucht wird hier fleißig, der eigene Anbau ist ein beliebtes Hobby. Was sie alle eint, ist die kritische bis negierende Einstellung zur Corona Show ...
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Thomas berichtet aus der
Zeit in den 1980er Jahren, wo er als einer der ersten
Siedler in die Berge gekommen war. Besonders das Bergdorf, in dessen
Kulturhaus wir feiern, war damals eine ganz andere Welt: Jedes
alte Häuschen hatte einen kleinen Weinkeller, wo selbstgebastelte
alkoholische Getränke gelagert wurden. Thomas erinnert sich,
dort oben oft gewesen zu sein, die Menschen waren damals unglaublich
gastfreundlich und luden ihn in jeden Keller ein, um dort ein Gläschen zu
nehmen und ein wenig zu plaudern. Damals hatte er einen kleinen
Mercedes Unimog, mit dem er Holz aus den Bergen holte und die
umliegenden Dörfer besuchte. Der hatte auch ein "Kriechgetriebe" und
so konnte er halbwegs gefahrlos von dem hohen Bergdorf im ersten
Gang wieder nach Hause zurückkriechen ...
Rupert erzählt, wie er in den 1980er Jahren noch keinen Weg zu seinem Haus hatte, der befahrbar war. Es gab nur einen Pfad, wo man hintereinander gehen konnte, aber nicht nebeneinander. Warum er denn keinen Esel genutzt habe, ist meine Frage. Einmal habe er es versucht mit einem Esel, aber der wäre ihm nach kurzer Zeit abgestürzt ...
Im kleinen Bergdorf, in dem ich mich
zur Zeit aufhalte, stehen jede Menge kurze, schrappelige Olivenbäume mit
nicht allzu vielen Oliven, von denen etliche angeknabbert oder nicht richtig
ausgewachsen sind. Etwa um das Jahr 1984 wurde ich damals im Herbst auf
Ithaka von drei
alten, schwarz gekleideten Frauen eingeladen, gegen Kost und Logis und
etwas Taschengeld die Olivenernte mitzumachen. Aus verschiedenen
Gründen habe ich es damals unterlassen. Heute, im Herbst 2021, habe ich
nun zum
ersten Mal den Versuch unternommen, Oliven zu ernten: Das Ergebnis
war eine halb gefüllte Plastiktüte. Nach einigen Tagen wollen wir
weiter ernten und stellen fest, dass die schon gesammelten Oliven in der
Plastiktüte verschimmelt sind. Permanenter Schiefstand, das ist
hier die Lage ..!
Ein Tag in Coimbra ...
Die älteste europäische Universität ist angeblich in der kleinen Stadt gegründet worden, die rund 16 km von der antiken Römerstadt Conimbriga entfernt ist, von der sie den Namen hat. Ich vermutete, dass hier die Buchkultur besonders entwickelt sein müsste und in Folge auch einige Antiquariate die Stadtkultur beleben würden. Mühsam klettern wir den Berg zur Unibibliothek hinauf ...
Doch schon auf dem Weg wird mir klar, dass in Anbetracht all der Boutiquen und anderer Tourismusstände die Buchkultur wohl doch eher weitgehend verschwunden ist. Ein linker Studentenverband hat ein Haus mal etwas anders herausgeputzt.
Ein paar armselige Stände mit gebrauchten Büchern kleben dennoch zwischen den Hauswänden. In der unteren Stadt sind viele Geschäfte für immer geschlossen, immerhin finde ich noch einen Antiquitätenhändler, der mir gleich auf alle Bücher 50% anbietet, unter anderem habe ich bei ihm einen kleinen russischen Reiseführer entdeckt.
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In einer Bar am Berg wird haltgemacht, die Biermengen sind
wie in Belgien auch in Portugal minimalisiert, aber ich will
unbedingt eine Halbe schlürfen. Imperial nennt man ein so großes Bier, was
dennoch nicht einer Halben entspricht, sondern nur 0,4 l. Das Glas
will ich mitnehmen, aber die Bedienung versteht nicht richtig, was ich
meine und bietet mir einen Plastikbecher an. Ich zeige mit dem Glas auf
den Boden und deute mit den Händen die Bezahlmöglichkeit an (Anm.
der Red.:
). Dann
zahle ich erst einmal die zwei Bier, 6 Euro und noch was, und gebe ihr 10
Euro, zeige auf das Glas und stecke es ein. Nun versteht sie,
muss lachen und gibt mir ein neues, sauberes Glas zum Mitnehmen.
In
einem kleinen Verkaufsladen, wo ich mal so nebenbei reinschnuppere,
entdecke
ich ein paar Flaschen mit gut gekühltem Weißwein - das wäre ja was nach
der Bergwanderung! Ich frage nach dem Preis und man nennt mir 1,05
Euro für eine 0,7l Flasche -
so billig habe ich noch nie Wein gekauft! Also heißt es gleich die
drei
Flaschen mitnehmen, die noch da sind, 10,5% Alc. und super
fruchtiger, sprudelnder Geschmack ...
Auf der Rückfahrt in die Berge ist noch eine Stärkung in einer Raststätte fällig, ein Thunfischsandwich ohne Thunfisch, nur mit einer schleimigen mayonesigen Paste gefüllt. Ein paar Arbeiter kommen rein und kippen schnell einige kleine Gläser Weißwein ...
© 2022 Michael Gallmeister