Entdeckungstour ...
Ruhig schippert die Color Fantasy durch die Kieler Förde. Das ist das erste, was auffällt: Die Motoren arbeiten kaum merklich. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass man auf einem fahrenden Schiff ist. Erfreulich ist, dass man alle Durchsagen bestens versteht. Die akustischen Anlagen sind gut geplant und installiert. Vom Sonnendeck mit integriertem Hubschrauberlandeplatz kommt man zu einem der zahlreichen Restaurants: Die Sports&Burger Bar hat die Ausstattung eines American Drugstores und bietet Hamburger, Pommes, Hotdogs und ähnliches an. Daran angeschlossen ist eine Kinderdisco mit Internetanschluss. Wer hier schon mal auf die Karte schaut, sieht es sofort: Das Schiff ist norwegisch. Alles wird nur in norwegischen Kronen ausgepreist und auch das Preisniveau ist norwegisch und nicht deutsch. Man nimmt an allen Kassen gerne Euros entgegen, und der Kassenzettel enthält auch den Eurobetrag. Nachträglich haben wir ausgerechnet, dass das Zahlen mit Kreditkarten ca. 3% günstiger ist als die Barzahlung mit Euros ...
Einen "Rundgang" durch das Schiff kann man eigentlich nicht machen: Stets ist man unterwegs in gläsernen Fahrstühlen, denn die machen so viel Spaß, dass man die Treppen nicht mehr benutzen mag. Man geht vom Bug zum Heck und vom Heck zum Bug und entdeckt stets etwas Neues.
Die Ausstattung des Schiffes ist grandios: Dicke, weiche, blaue Teppiche mit kunstvollen Ornamenten schlucken alle Geräusche in den Fluren. Die Beleuchtung ist raffiniert und überall hängen Kunstobjekte, so dass die Color Fantasy auch als kleines Museum für moderne Kunst dient. Für Kurzweil an Bord ist gesorgt, jedoch sollte man auch ein bisschen Taschengeld mitgebracht haben. Geht einem das Taschengeld aus, so steht einem ein Geldausgabeautomat zur Verfügung.
Zentrum ist die 163 Meter lange Promenade auf Deck 7 mit Geschäften und Lokalen. Für einen kleinen Snack empfiehlt sich das Selbstbedienungscafé, das 24 Stunden geöffnet hat. Wir nutzen die Gelegenheit und kaum sitzen wir, erklingt auch schon Lifegesang durch die Promenade: Eine Künstlerin der Showtruppe wirbt für die abendliche Show in der Show Lounge, einem Showtheater, das wie ein kleines Amphitheater konstruiert ist.
Neben dem Promenadencafé kann man auf kurzem Weg raus an die Reling und sich den Wind um die Nase wehen lassen.
Unter dem großen fliegenden Fisch geht es runter in das Casino: Im Gegensatz zu den anderen Fähren, die wir kennen, wo die Zocker sich auf Fluren oder in Flurecken herumdrücken müssen, wurde für sie auf diesem Schiff ein El Dorado geschaffen. Der Eingang ist prachtvoll gestaltet, im Boden ein Aquarium eingelassen, in dem Goldmünzen Appetit auf die Gewinne machen sollen. Unzählige Automaten schreien nach Münzen ...
Gegenüber ist der große Buffetraum: Hier wird Mittags und Abends ein großes Buffet angeboten. Alle, die keine Suite gebucht haben, müssen morgens hier frühstücken. Zwar ist der Saal wirklich groß und hat auch einige Nebenräume, aber die Anzahl der Getränkeausgabestellen ist zu gering. Lange Schlangen bilden sich von Öffnungsbeginn bis zum -Ende vor den begehrten Kaffeeautomaten. Auch die Anordnung des Buffets kann noch verbessert werden. Man muss sich entscheiden: Nur warm oder nur kalt. Will man beides, so muss man zwei Mal anstehen. Denn die warmen Gerichte stehen vor den kalten Gerichten und das führt bei dem überaus langsamen Fortkommen in der Schlange unweigerlich zum kalten Rührei. Will man auch noch heißen Kaffee zum warmen Rührei, sollte man mindestens zu zweit sein und sich das Anstellen in den Warteschlangen aufteilen. An ruhiges Frühstücken ist hier wirklich nicht zu denken. Es geht turbulent zu!
An der Information auf der Promenade fragen wir nach der Storebeltbrücke und bekommen eine genaue Auskunft, wann wir sie unterfahren. Leider ist es schon dunkel, aber so wirkt die gigantische Brücke diesmal richtig gespenstisch, die wir erstmals auf unserer Tour Norwegen 96 unterquert hatten, als sie noch im Bau war ...
Geschäfte mit Parfümerieartikeln oder typischen norwegischen Waren wie Pullover, Elch-worauf-auch-immer-Andenken oder Rentierfelle sollen zum Einkauf verführen. Für deutsche Verhältnisse sind das nicht unbedingt Schnäppchenläden. Der Dutyfree-Shop ist da schon verlockender, zumal man hier feinste Aquavitsorten erhält, die bei uns nicht in jedem Laden im Regal stehen ...
Der mediterran gestaltete Italiener "Mama Bella" sorgt mit Pizza und Pasta für das leibliche Wohl ebenso wir eine Tapas Bar, die unser Favorit wird. Es steht nirgends, was ein Tapasteller kostet und man stellt fest, dass es zwar eine überaus köstliche Form der Sättigung ist, aber leider auch eine nicht ganz billige. Ein guter Tempranillo rundet die Mahlzeit ab.
In einer Nische der Promenade sind einige Internetterminals aufgestellt, so dass man auf der Ostsee seine Verbindung zum Web nicht vermissen muss.
Am Ende der Promenade wird pures Titanic-Feeling vermittelt: Glitzernde Kronleuchter schweben über dem "Oceanic Restaurant", in dem die Suitebewohner frühstücken dürfen. Das riesige Heckpanoramafenster vermittelt unmittelbare Meeresnähe.
Der Haupttreffpunkt auf der Promenade liegt aber in der Mitte und ist der irische Donkey Pub, in dem - wie überall - frisch gezapftes norwegisches Ringnes ausgeschenkt wird, das sich - im Gegensatz zu früheren Zeiten - mittlerweile als durchaus trinkbar entpuppt. Aber zusätzlich gibt es hier noch Guiness und Kilkenny. Für schlappe 11,50 EUR bekommt man zwei Gläser serviert.
Hier tobt das Leben fast rund um die Uhr: Wechselnde Musiker, mit Jazz, Rock, Irish Music und vielem mehr sorgen für die Stimmung. Auch wir versacken jeden Abend hier. Die Atmosphäre ist kommunikativ, denn viele Norweger nutzen die für sie günstigen Alkoholpreise, um sich mal so richtig die Dröhnung zu geben. Auch LKW-Fahrer sprechen dem flüssigen Stoff kräftig zu - Restalkohol scheint für sie kein Thema zu sein ...
Ruhiger geht es auf dem höchsten Deck, dem 15. Deck zu. Dort haben die Architekten die ufoförmige "Observation Lounge" mit Cocktailbar verankert, die einen unglaublichen Blick auf das Meer ermöglicht. Man hat den Eindruck zu schweben. Ein Nebenraum ist als Bibliothek mit offenen Kamin (Attrappe) gestaltet. Hier oben merkt man wenig, wenn darunter der "Tower Night Club" loslegt. Er erstreckt sich über 2 Decks, aber bis Mitternacht ist hier der (See-)hund begraben. Er füllt sich erst, wenn der Pub sich leert.
Wer lieber gesünder lebt, hat hier ebenfalls ausgiebig Gelegenheit dazu: Im gut ausgestatteten Fitnessraum mit Golfsimulator kann man sich verausgaben und anschließend im fantastisch gestalteten Wellnessbereich mit Sauna und Dampfbad relaxen. Masseure stehen bereit, die müden Muskeln durchzukneten. Wer sich im "Aqualand" nur umsehen will, muss sich nicht "nackig" machen. Zwei Plastiküberschuhe, so wie man sie von Spurensicherern aus Krimis kennt, reichen aus, damit man rein darf. Eine Rutsche über zwei Decks, Whirlpool, Schwimmbecken, Lichtspiele in der Kuppel, Blick auf das Meer und schwebende Flugobjekte bieten viel Spaß, wie man an den vor Freude kreischenden und herumrasenden Kindern leicht sehen kann ...
Aber irgendwann muss man schlafen gehen. Für das Kino haben wir keine Zeit an diesem Abend gehabt. Schnell versinkt man in Schlaf in den bequemen Betten der gemütlichen und lautlosen Kabinen ...
Am nächsten Morgen - das Frühstückschaos wurde ohne Verletzungen überstanden - fährt die Color Fantasy durch den Oslofjord: Die Morgenstimmung ist traumhaft, die Sonne geht hier erst um 09:10 Uhr auf . Leider liegt kaum Schnee, was sehr ungewöhnlich ist, wie uns die Norweger bestätigen.
Menschenmassen ergießen sich langsam aus der Fähre, es dauert schon eine Weile, bis alle von Bord gehen können.
Am Pier erwarten Busse die "Kreuzfährer": Für Besucher, die Oslo schon kennen, empfiehlt sich die Tour "Zeitreise", eine Fahrt in die Vergangenheit, die von der Steinzeit mit alten Felsmalereien zu Kirchenruinen aus dem Mittelalter weiter zu alten Barockstadtvierteln und letztendlich zum legendären Holmenkollen mit seiner Sprungschanze und zu den hypermodernen Hotelbauten führt. Man erfährt viel über die Geschichte Oslos: Drei Stunden Information bieten selbst Oslokennern viel Neues. Besonders kurios ist die Geschichte der Straßenbahnen. Die Stadt Oslo hat sich letztes Jahr schöne neue blaue Straßenbahnen gegönnt. Ein Großeinkauf in Italien! Doch kaum wurden die Straßenbahnen mit dem norwegischen Winterwetter konfrontiert, gaben sie ihren Dienst auf und man musste ganz schnell die alten winterfesten Straßenbahnen reaktivieren ...
Wir hatten in Kiel beobachtet, wie problemlos die "Kreuzfährer" aus Oslo wieder zurück an Bord gekommen waren. Hier in Oslo ist aber alles ganz anders: Man muss sich durch eine Halle zwängen, die voll gestopft mit Menschen ist. Irgend wann entdeckt man eine Glastür und dort steht auf verlorenem Posten das Personal mit Handscanner: Es versucht aus den Menschenmassen die Rückkehrer herauszufiltern. Jedem sicherheitsbewussten Passagier sträuben sich die Nackenhaare. Wenn hier Panik ausbricht, gibt es mindestens Verletzte ...
Zurück an Bord kann man durchatmen. Platz! Die Color Fantasy legt ab. Ballonfahrer scheinen uns zu verabschieden. Wieder hat man nicht den Eindruck, auf einem Schiff im Meer zu sein. Man fühlt sich eher wie in einem Raumschiff in einer surrealen Welt. Nach ca. einer Stunde Fahrt durch den Oslofjord kommen wir an der Stelle vorbei, wo das einst modernste deutsche Kriegsschiff Blücher am 9. April 1940 beim Versuch Oslo einzunehmen, versenkt wurde und es immer noch liegt. Es war der erste Einsatz des Schiffes ...
Im Oktober 2004 geriet das Wrack in die Schlagzeilen, da aus einem Riss Öl auslief. Es besteht Gefahr, dass das 202 Meter lange Wrack zerbricht, da das Heck frei schwebt und der Bug auf einem Sockel liegt. Man hofft, dass das Wrack sich insgesamt ohne Bruch auf den Meeresboden senkt. Es wurde zwar schon ein Teil des Öls aus dem Schiff abgepumpt, aber weitere Arbeiten erscheinen zu riskant, da noch die gesamte Munition im Wrack liegt.
Schnell wird es dunkel im Oslofjord. Ein schöner Abend liegt vor uns und wieder müssen viele Entscheidungen getroffen werden: Wo gehen wir zuerst hin? Wo gehen wir essen? Wo gehen wir danach hin? Gehen wir diesmal ins Kino oder in die Show? Wann gehen wir in den Pub?
Als wir am anderen Tag wieder in Kiel ankommen, erwartet uns die nächste angenehme Überraschung: Obwohl wir von einem Nicht-EU-Land nach Deutschland einreisen, ist das Zollhäuschen nicht einmal besetzt. So stellen wir uns freizügiges Reisen vor ...
© 2005 Text/Bilder S. Zerlauth, Bilder Nachtrag: Dirk Evers
Nachtrag, November ´06: Ohne "Rost und Gefahren" ..?
Normalerweise schwimmt er ja ab und zu rund um die American Star, unser Mann für Rost und Gefahren, Dirk Evers ...
Dieses Mal ist er aber auf und mit einem einem Schiff unterwegs gewesen, und zwar gemeinsam mit Freundin Heidi auf der Color Fantasy nach Oslo und zurück. Und eigentlich kaum verwunderlich, wenn Dirk auch bei dieser Reise eine Begegnung der unheimlichen Art hat: Die neben der Color Fantasy hängenden norwegischen Hubschrauber des Typs "Black Hawk" erinnern dabei direkt an unseren Modellkeller: Black Hawk down ...
Hier der Bericht von Dirk:
Hallo Jürgen,
da sind wir wieder, zurück aus dem nassen und kalten Oslo. War sehr schön und die Fantasy ist ja wirklich ein sehr schönes Schiff. Damit meine ich allerdings nur die Inneneinrichtung usw. Ansonsten finde ich das Schiff nicht besonders formschön: Auch nur ein schwimmender Container mit ein paar kleinen Ausnahmen. Die Zeiten der wirklich formschönen Liner sind ja leider vorbei ...
Die Fahrt war, wie schon in eurem Bericht beschrieben, sehr unterhaltsam. Wir hatten übrigens Glück mit der Anzahl an Passagieren und mussten nirgendwo warten oder uns anstellen, auch nicht beim Frühstück. Man kann schon eine ganze Menge unternehmen und auch ne Menge Kohle vernichten. Der "Donkey Pub" war immer wieder der Anlaufpunkt nach Touren auf dem Schiff. Danach wusste man später gar nicht mehr so recht, ob die Wellen oder das Kilkenny Schuld an der merkwürdigen Gangart waren.
Der Wellengang war aber tatsächlich auch nicht schlecht, besonders vor dem Oslo-Fjord! Da sind sehr viele Leute nicht mehr klar gekommen mit der normalen Schrittweise usw. Mich hat es einmal quer durch unsere Kabine geworfen und ich war völlig nüchtern! Heidi ist dann auf der Rückfahrt nicht ganz wohl in der Magengegend gewesen ... das hat sich dann nach einiger Zeit aber wieder gelegt (Dank an den "Donkey Pub").
Die Abfahrt aus Kiel war auch ganz nett, da der Kapitän das Seitenstrahlruder überprüfen und eine 360° Drehung in der Kieler Bucht durchführen musste. Das hat ca. 5 Minuten gedauert und war schon eine ungewöhnliche Zugabe ...
Eine weitere Zugabe gab es dann auch bei der Abfahrt aus Oslo: Ich stand da so auf dem Helicopter Landeplatz und wartete auf Abholung , als doch tatsächlich gleich 2 Helis von hinten kurz über der Wasseroberfläche angeknattert kamen! Kurz vor dem Heck wich einer nach links, der andere nach rechts aus und flogen steil nach oben bis etwa zur Mitte des Schiffs. Die Seitentüren gingen auf und wir wurden "beschossen". Ich bin der Meinung, die haben Fotos von den Passagieren gemacht. Eine Frau neben mir fragte ihren Begleiter "Wieso haben die auf ihren Knarren so komische Lichter und beschießen uns damit?" Das war eindeutig Militär, aber dürfen die tatsächlich ein Passagierschiff und die Menschen darauf als "Übungsgerät" verwenden??
Die "Angriffe von hinten" wurden 5 bis 6 mal wiederholt und alles dauerte etwa eine halbe Stunde. Selbst die Kellner und andere Crew-Mitglieder sind an Deck gekommen um ihre Fotohandys zu aktivieren. Irgendwann fingen einige Passagiere an zu winken und die Norweger-Heli-Fighter winkten zurück. Die Piloten der beiden Helis waren recht mutig und kamen teilweise extrem dicht an das Schiff heran. Der Eintrag in das Bordbuch war aber vermutlich " ... kein Verlust bei Crew, Passagieren und Heli-Fightern gemeldet ... "
Wir können diesen Kurztrip jedem empfehlen, hat wirklich Spaß gebracht. Wer Oslo allerdings nicht kennen sollte, wird mit zwei Tagen Aufenthalt in dieser Stadt wohl noch besser bedient sein.
Bis dann, viele Grüße, Heidi & Dirk