Schweden 2000:

Schwerpunkt: Kiruna - Aktivitäten über und unter Tage ...


Das LKAB dominiert die Stadt ...Was meint das örtliche Infoblatt zu dieser Stadt: "Kiruna ist ohne Zweifel eine spannende und besondere Stadt in Schweden. 200 km nördlich des Polarkreises und  trotzdem nicht abseits gelegen, ... die eng mit der Gebirgswelt und der Wildnis verbundene junge Stadt Kiruna, geprägt von der größten unterirdischen Eisenerzgrube der Welt."

"Reise Know-How Schweden" meint dagegen: "Ich glaube nicht, daß es in Lappland eine noch häßlichere Stadt gibt! ... Grubenarbeiter strömten zu Beginn dieses Jahrhunderts aus allen Teilen des Landes hierher, um in den neuen Gruben des ´Schneehuhns´, wie die Stadt in der Sprache der Samen heißt, zu arbeiten. ... Die Grube bestimmt das Stadtbild, obwohl es hier mehr Kilometer unterirdische Straßen als überirdische gibt."

Und dann noch "Reise Know-How Skandinavien": "Kiruna ist eine neue, moderne Stadt. Sie wurde 1900 gegründet, als man begann, größere Mengen Erz abzubauen. Einige Jahre später wurde die Eisenbahnlinie Kiruna - Narvik fertiggestellt, und nun begann der Ort explosionsartig zu wachsen. ... Man sieht dem Ort nicht an, daß hier Erz gefördert wird, keine Fördertürme, keine Schlote, eigentlich kommt einem der Ort etwas verschlafen vor. Dabei hat Kiruna die größte Erzgrube der Welt!"

Drei Quellen, drei Meinungen! In der Tat muss man selbst da gewesen sein, um zu sehen, dass von allem etwas wahr ist, wie viel von allem, muss man selbst beurteilen. Unser Eindruck: Kiruna - doch bereits auf den ersten Blick dominiert von der Industrie und dem Erzbergbau der LKAB, dem hier alles beherrschenden Unternehmen im Erzbergbau.

Dieses bereits 1890 gegründete Unternehmen ist hier mit Sicherheit wichtigster Arbeitgeber und versteht sich selbst als Qualitätsführer in seiner Eigenschaft als Lieferant hochveredelter Eisenerzprodukte nach Europa und in die übrige Welt. Die "Pellets" genannten Produkte, gebrannte, zentimetergroße Kugeln mit hohem Eisengehalt, sind der Grundstoff für die Stahlindustrie. Die Verladung dieses Eisenerzes, das auch in einer weiteren Niederlassung in Malmberget hergestellt wird, erfolgt im ganzjährig eisfreien Hafen von Narvik und von Lulea aus, dort allerdings mit eisverstärkten Schiffen.

Natürlich muss man ein derart bedeutendes Bergwerk besuchen, wenn dort schon eine besondere "Info-Mine" existiert, das "Besucherbergwerk" der LKAB. Mit einem Bus geht es in rasender Fahrt auf das "540m-Niveau" unter der Erdoberfläche. Besonders wenn es oben drückend heiß ist, wie bei unserem Besuch, sind die hier unten herrschenden 10-12°C eine echte Wohltat!

Freude bei 8°C im Bergwerk: Garantiert sonnen- und mückenfrei!! Ein Touri in der Info-Mine ...
Bergbauvorführung im Besucher-Bergwerk ...

Von den Führern wird man zu verschiedensten interessanten Stellen begleitet, wobei sowohl der Abbau als auch die verwendeten Maschinen vorgeführt werden. Das Gruben- und das Maschinenmuseum unter Tage vermitteln authentische Eindrücke des Lebens und der Arbeit im Umfeld der Mine. Filmvorführungen, ein Café und Präsent-Tütchen mit den berühmten "Pellets" folgen - ein mehr als eindruckvoller Trip unter Tage, den sich kein Besucher Kirunas entgehen lassen sollte!

Doch dann geht es zurück in die Stadt: Von "Ripans Camping" in Kiruna aus kann man die Stadt bequem zu Fuß erkunden - das Camp ist zwar nicht gerade schön mit seinen Betonstellflächen, aber arm an Mücken und echt zentral gelegen! In der Umgebung schnell von hier aus zu erreichen: Das bis Mai geöffnete "Eishotel", das vollständig aus Eis errichtet ist und das dazu gehörige "Art-Center". Oder auch der weniger als 100 km entfernte Abisko-Nationalpark, ein lohnendes Ziel für einen winterlichen Besuch mit dem Hundeschlitten!

Asphalt-Vergnügen: Ripans Camping in Kiruna ... So wenig Moskitos wie hier hätten wir gerne die Wochen davor gehabt ...

Alles in der Stadt ist auf das LKAB ausgelegt - vom Glockenturm angefangen, der 1964 zum schönsten öffentlichen Gebäude Schwedens gekürt wurde, bis zum letzten Balkon in der Stadt - alles erinnert irgend wie an das Bergwerk - so ein Zufall! Und in der Ferne immer und überall sichtbar: Die Abbauhügel mit den charakteristischen "Skip"-Türmen drauf. Die Skips selbst kann man als Besucher in der Mine hinter Spezialscheiben in ihren Schächten mit ungeheuerer Geschwindigkeit hochschießen sehen, gefüllt mit Eisenerz  ...

Vom Glockenturm des Rathauses ... ... bis zum letzten Balkon: Viele Grüße vom LKAB ...!

Der Weg führt durch die Stadt und ihre Attraktionen ...

Eindrücke vom Stadtbild ...

Die Holzkirche: Kiruna Kyrka, 1912 von der Grubengesellschaft (von wem sonst?) gestiftet, auf ihrem Dach verschiedene vergoldete Holzfiguren, die unterschiedliche Gemütszustände darstellen sollen - hier hat man sie alle!

Die Kiruna Kyrka ... ... mit ihren ausdrucksstarken vergoldeten Holzfiguren ...

An zwei aufeinander folgenden Tagen sitzen wir draußen in der Sonne auf der Terrasse wohl eines der besten Lokale Kirunas. Gegenüber der "System Bolaget" - der Laden, in dem man jede Form von Alkohol kaufen kann - eine Mischung aus Apotheke und Arbeitsamt mit Nummern für die Kasse und mit weißen Kitteln der dort Angestellten - eine bizarre Atmosphäre!

Der größte Alkoholladen der Stadt ...

Immer wieder verlassen "echte Männer" den Laden - ganze Träger mit Bier und anderem auf der Schulter. Wollte man etwas anderes kaufen als Bier (Wein, Schnaps etc.), hätte man sich bei den "Apothekern" anstellen müssen, nur bei ihnen ist gegen Abgabe der gezogenen Nummer ein derartiges Getränk erhältlich, wir dagegen begnügen uns mit einigen Dosen zehnprozentigen Biers, das man auch ganz normal über die Kasse kaufen kann ...

Auffällig ist hier ein echtes Alkoholproblem: Niemand schaut hin, während draußen auf den Straßen die Volltrunkenen herumgrölen, die schon im Lokal hinter uns ihren Stammtisch zu haben scheinen. Alle sehen weg - geradezu auffällig ist, wie wenig hier Notiz genommen wird von den Alkoholproblemen der anderen. Während heute in der Nachmittagssonne immer wieder die selben Fahrzeuge und Motorradfahrer ihre Runden durch die City und vorbei am Lokal drehen, schaut niemand hin, wenn draußen vor der Terrasse gegrölt wird - Kiruna, du merkwürdige Stadt nördlich des Polarkreises ..!


1. Nachtrag, Januar ´04: Noch mehr zu Kiruna ...

Inzwischen hat auch unser Autor Karsten Franke nach seiner Online-Reise Skandinavien 2003 ein Feature zu Kiruna verfasst. Mehr dazu in unserer Rubrik Reiseziele: Kiruna - Schwedens Hauptstadt des Eisenerzes ...


2. Nachtrag, Januar ´12: Wie lange wird es Kiruna noch geben?

Bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde orakelt, ob die Stadt Kiruna nicht bereits um das Jahr 1990 herum am Ende sein würde - damals hatte man eine möglicherweise bevorstehende Unrentabilität des Erzabbaus in der Region befürchtet.

Doch das ist alles ganz anders gekommen, aber nun droht eine neue alte Gefahr, und diesmal ist sie wohl viel realistischer: Nämlich die des bedrohten Untergrunds der Hauptstadt des schwedischen Eisenerzes. Die Süddeutsche Zeitung v. 14./15.01.12 schreibt in ihrem Report "Wird alles anders" zu dieser Bedrohung:

"Denn bei ihrer Jagd nach Bodenschätzen haben die Arbeiter des staatlichen Bergbauunternehmens LKAB die Fundamente ins Rutschen gebracht, auf denen Kiruna errichtet wurde. Südlich der Mine klaffen breite Risse im Erdreich, die sich langsam, aber stetig auf die Stadt zu bewegen. Mit einer Geschwindigkeit von sieben Zentimetern pro Tag, wie Experten ausgerechnet haben. Nach jeder Sprengung unter Tage sackt der Boden weiter ab. In zwei bis drei Jahren werden die Risse den Stadtrand erreichen. Bis zum Sommer 2013 müssen erste Wohngebiete verschwinden. Das Rathaus soll 2016 geräumt werden, später der Ortskern mit dem Kulturzentrum, dem großen Hotel und all seinen Geschäften. ... Fast die ganze Kommune mit mit ihren 18 000 Einwohnern soll in den kommenden Jahrzehnten umziehen, um Platz für die Mine zu machen."


2. Nachtrag, Juni ´13: "Räumungsklagen"

Unter diesem Titel veröffentlicht nun wieder die Süddeutsche Zeitung am 10. Juni 2013 eine komplette "SEITE DREI" Story: Autor Thomas Kirchner hatte sich aufgemacht nach Lappland, um zu beschreiben, was in der Stadt derzeit geschieht: Der weitgehend von der LKAB finanzierte Umzug von Kiruna ab dem Jahr 2014 rund 4 km Richtung Osten. Wohnungen, Zentrum, Krankenhaus, Kirche, Rathaus und anderes sollen herausbewegt werden aus der so genannten "Deformationszone", die sich durch den mittlerweile mehr als 1.360 m tiefen Erzabbau ergeben hat und die dazu führt, dass sich Risse mit 40 m pro Jahr nun doch wesentlich schneller nähern als noch wenige Jahre zuvor gedacht.

Wie schreibt der Autor dazu: "Der Umzug von Kiruna. Kann sein, dass er gelingt, dass man Kirche, Seele und Geschichte verpflanzen kann; dass Stadt und Menschen wieder Wurzeln schlagen; dass sie den Schmerz über die Ruptur überwinden und vergessen.

Eine große Erzählung nimmt gerade ihren Anfang, eine Geschichte von Verlust und Neubeginn, deren Ausgang niemand kennt, eine Geschichte des Verschwindens, wie sie die Menschheit, im Versuch, die Kraft der Natur für sich zu nutzen, immer wieder schreibt ..."


© Text/Bilder 2000-2013 J. de Haas