Schweden  Kiruna:

Schwedens Hauptstadt
des Eisenerzes ...

 


Nördlich des Polarkreises, in den unendlichen Weiten Lapplands, liegt die kleine Stadt Kiruna. Aus der Ferne fallen zuerst zwei riesige schwarze Berge und hässliche Hochhäuser ins Auge. Sie wirkt wie ein Fremdkörper in der Wildnis, etwas das dort nicht hingehört. Tatsächlich gibt es für die Existenz dieser Stadt nur einen Grund: Eisenerz.

Entdeckt wurden die Vorkommen bereits im 17. Jahrhundert, doch erst als im Jahre 1902 die Eisenbahnlinie nach Narvik fertig gestellt wurde, konnte die Ausbeutung im großen Stil beginnen. Zuerst im Tagebau, ab den 1960er Jahren unter Tage. Heute befindet sich in Kiruna das größte Untertage-Bergwerk der Welt.

Das Bergwerk ... ... ist überall ...

Ein Nachmittag mitten im Juni: Es ist kalt, der Himmel voller Wolken und es bläst ein frischer Wind. Einige Einheimische laufen trotzdem im T-Shirt rum, vor dem Touristenbüro hat sich eine warm angezogene Gruppe von Touristen versammelt. Alle wollen das Bergwerk besichtigen, ein Bus bringt uns hin. Dort angekommen geht es hinab zur 500 Meter unter der Erde liegenden Besuchermine. Auch dorthin fährt uns der Bus. Mehr als 500 Kilometer unterirdische Straßen gibt es in Kiruna, deutlich mehr als an der Oberfläche.

Sicherheit wird hier groß geschrieben - ohne Helm darf niemand die Mine betreten.

Die Zeiten, wo Bergbau ein Knochenjob war, sind hier längst vorbei: Die riesigen Radlader, mit denen das Erz abgetragen wird, werden bequem aus dem staubfreien Kontrollzentrum bedient, so wie fast alle Maschinen, die hier zum Einsatz kommen.

Unter Tage ... ... Gerätschaften zum Anfassen ...

Rund 20.000 Menschen leben in Kiruna, mehr als 3000 stehen auf der Lohnliste von LKAB, dem Betreiber des Bergwerks. Kiruna und das Bergwerk sind untrennbar miteinander verbunden. In jeder Nacht wird um 2:00 Uhr gesprengt. Obwohl inzwischen tausend Meter unter der Erde abgebaut wird, sind die Sprengungen in der Stadt deutlich zu vernehmen. Auf dem Weltmarkt dagegen spielt LKAB mit vier Prozent Markanteil kaum eine Rolle. Um gegen die Konkurrenz bestehen zu können, setzt man in Kiruna vor allem auf Qualität. Was in die Güterwagons verladen wird, ist hochfeines Eisen in Kugelform - sogenannte Pellets. 20 Millionen Tonnen werden davon jedes Jahr per Bahn zu den Häfen im norwegischen Narvik und nach Lulea an der Ostsee gebracht. 

Die Besuchermine ist ein Ort der Gegensätze. Ungefähr so, wie wenn man bei einem alten Auto den Innenraum neu gestalten würde, das Äußere aber unverändert lässt. In einer Grotte ist ein hochmoderner Hörsaal eingerichtet; wie in einer Universität, mit Parkettboden und Beamer. Die Wände bestehen jedoch aus nacktem Fels. In der Kantine erinnern Fotos an vergangene Zeiten. Sie zeigen Männer in dreckigen Klamotten, auf einfachen Holzbänken sitzend, beim Mittagessen. Ihr Essen haben Sie in Blechkisten mitgebracht. 

Wir stürzen uns auf das Büffet, anschließend bringt uns der Bus wieder zur Erdoberfläche. Kiruna ist ein Ort der Extreme. Lange Winter, mit monatelanger Dunkelheit und nur kurze Sommer, die dafür heiß und mückenreich sind. In manchen Reiseführern wird Kiruna als hässlichste Stadt Schwedens bezeichnet. Trotzdem übt sie einen starke Anziehungskraft aus. Die T-Shirts im Souveniershop formulieren es so: "Fifty million mosquitos can´t be wrong: Kiruna is best!"


© Text 2004 Karsten Franke, Fotos: Explorer Magazin, Skandinavien 2000


  • Mehr zu Karsten Franke´s Skandinavien-Tour, über die wir einen Online-Reisebericht brachten: 
    Skandinavien 2003
    :  "Online" mit Zelt, Handy, Laptop

1. Nachtrag, Januar ´12: Wie lange wird es Kiruna noch geben?

Bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde orakelt, ob die Stadt Kiruna nicht bereits um das Jahr 1990 herum am Ende sein würde - damals hatte man eine möglicherweise bevorstehende Unrentabilität des Erzabbaus in der Region befürchtet.

Doch das ist alles ganz anders gekommen, aber nun droht eine neue alte Gefahr, und diesmal ist sie wohl viel realistischer: Nämlich die des bedrohten Untergrunds der Hauptstadt des schwedischen Eisenerzes. Die Süddeutsche Zeitung v. 14./15.01.12 schreibt in ihrem Report "Wird alles anders" zu dieser Bedrohung:

"Denn bei ihrer Jagd nach Bodenschätzen haben die Arbeiter des staatlichen Bergbauunternehmens LKAB die Fundamente ins Rutschen gebracht, auf denen Kiruna errichtet wurde. Südlich der Mine klaffen breite Risse im Erdreich, die sich langsam, aber stetig auf die Stadt zu bewegen. Mit einer Geschwindigkeit von sieben Zentimetern pro Tag, wie Experten ausgerechnet haben. Nach jeder Sprengung unter Tage sackt der Boden weiter ab. In zwei bis drei Jahren werden die Risse den Stadtrand erreichen. Bis zum Sommer 2013 müssen erste Wohngebiete verschwinden. Das Rathaus soll 2016 geräumt werden, später der Ortskern mit dem Kulturzentrum, dem großen Hotel und all seinen Geschäften. ... Fast die ganze Kommune mit mit ihren 18 000 Einwohnern soll in den kommenden Jahrzehnten umziehen, um Platz für die Mine zu machen."


2. Nachtrag, Juni ´13: "Räumungsklagen"

Unter diesem Titel veröffentlicht nun wieder die Süddeutsche Zeitung am 10. Juni 2013 eine komplette "SEITE DREI" Story: Autor Thomas Kirchner hatte sich aufgemacht nach Lappland, um zu beschreiben, was in der Stadt derzeit geschieht: Der weitgehend von der LKAB finanzierte Umzug von Kiruna ab dem Jahr 2014 rund 4 km Richtung Osten. Wohnungen, Zentrum, Krankenhaus, Kirche, Rathaus und anderes sollen herausbewegt werden aus der so genannten "Deformationszone", die sich durch den mittlerweile mehr als 1.360 m tiefen Erzabbau ergeben hat und die dazu führt, dass sich Risse mit 40 m pro Jahr nun doch wesentlich schneller nähern als noch wenige Jahre zuvor gedacht.

Wie schreibt der Autor dazu: "Der Umzug von Kiruna. Kann sein, dass er gelingt, dass man Kirche, Seele und Geschichte verpflanzen kann; dass Stadt und Menschen wieder Wurzeln schlagen; dass sie den Schmerz über die Ruptur überwinden und vergessen.

Eine große Erzählung nimmt gerade ihren Anfang, eine Geschichte von Verlust und Neubeginn, deren Ausgang niemand kennt, eine Geschichte des Verschwindens, wie sie die Menschheit, im Versuch, die Kraft der Natur für sich zu nutzen, immer wieder schreibt ..."