Rückreise (1): Durch Norwegen und Finnland ...

So. 23.07.00

Sonntag morgen, 7:00 Uhr, der folgende Originaltext wurde Wochen später auf dem Magnetband eines Diktiergerätes aufgefunden:

"Es ist zum aus der Haut fahren! Schon seit ca. 2:00 Uhr heute morgen ist die Sonne wieder hinter dem gegenüber liegenden Berg hervor gekommen und scheint hemmungslos auf den Explorer. Inzwischen haben wir schon wieder 27°C in der Kabine, und das um diese Zeit auf der Bett-Etage! Draußen regt sich kein Windhauch, wie schon so oft in den letzten Tagen. Die Bucht von Skjanes liegt in der jetzt schon gleißenden Morgensonne. Man kann die ersten ca. 10 oder 20 Mücken zählen, die sich draußen am Fliegengitter niedergelassen haben. Einige von ihnen, die vorhin schon wieder auf irgend einem noch unbekannten Weg in das Innere der Kabine gelangt sind, konnten soeben erschlagen werden. Offensichtlich zu spät, denn den Unterarm zieren schon wieder einige Stiche, die mit Teebaumöl bearbeitet werden sollten. Danach ist erst mal die Luft raus aus dem Aufsteh-Manöver - geht das alles nur noch so weiter, seit dem wir aus Gamvik weg sind?"

Militärs haben weltweit den selben IQ: Auch Radfahrer dürften hier nicht halten ...Wir fahren nun endgültig wieder zurück nach Süden. Bevor wir an der Engstelle ankommen, die die Nordkinn-Halbinsel nur zur Halbinsel und nicht zu einer Konkurrenz-Veranstaltung zur Insel Mageroy mitsamt ihrem Nordkap macht, wollen wir kurz die heutigen Sunset-/Sunrise-Werte unseres nächsten geplanten Camps in Skoganvarre checken. Wir sind sehr erstaunt, als wir die Werte sehen - unser Garmin-GPS hat offensichtlich schon auf Polarnacht umgestellt mit Sonnenaufgang gegen 23:20 Uhr und Sonnenuntergang um 01:30 Uhr - und hat damit offensichtlich einen erheblichen Bug in seiner Software! Direkt nach unserer Rückkehr werden wir Garmin den Fehler melden!

Weiter geht´s nach Südwesten. Bald schon sind wir wieder auf der E6 bis Lakselv am Porsanger Fjord - der Campingplatz hier wird zwar von uns besucht, ist aber in jeder Hinsicht unakzeptabel - da kann man nur noch weiter fahren ...

Das D2-Mobiltelefon ist hier erstmalig wieder zu gebrauchen - wir scheinen zurück zu sein aus der Arktis!

Wir folgen dem gleichnamigen Fluss in Serpentinen steil bergauf  bis auf ca. 300 m Höhe und werden mit einem Blick über den Porsanger Fjord belohnt. Wir erreichen "die einsame, baumlose Finnmarksvidda - ein urweltliches Hochplateau mit herumliegenden Felsbrocken". Wie heißt es im Reiseführer weiter: "Sturm im Winter - Mücken im Sommer ..."

Südlich von Lakselv auf der E6 kommen wir in die Nähe von Porsangmoen. Plötzlich sind wir mitten in einem äußerst albernen militärischen Sperrgebiet - nicht mal aussteigen und halten darf man - was macht eigentlich ein Radfahrer, der hier durch fährt, muss der erbarmungslos weiter strampeln? Auch in Skandinavien gibt es offensichtlich Beispiele für den weltweit ähnlichen militärischen IQ ...

Wir rasen ohne anzuhalten weiter - man verzeihe uns das unscharfe Bild des Fotografierverbots, aber was tun wir nicht alles für die militärische Logik! Auf diese Weise gehetzt erreichen wir bald unser Ziel, wo wir auch mit dem militärische Segen wieder anhalten und aussteigen dürfen: In der Mitte des Hochplateaus an einem See werden wir nun in Skoganvarre campieren (Camp 8) (N69°50.31998´ E025°04.53225´) ...

Camp Skoganvarre am südlichen Rand des militärischen Sperrgebiets ...

Eigentlich sehr angenehm hier: Es geht ein kräftiger Wind, der im Moment das übliche Getier vertreibt, auch die Temperatur ist in Anbetracht des sonnigen Tages mehr als angenehm - an dieser Stelle werden wir unseren nächsten Ruhetag verbringen!

Nach dem Studium der Hinweisschilder am Campingplatz beschließen wir, noch heute Abend die Reste eines der größten deutschen Feldlazaretts in der unmittelbaren Nachbarschaft aufzusuchen - wieder ein Beispiel von Tätigkeiten in ruhmreicher Vergangenheit (siehe hierzu unser Schwerpunktthema: Hinterlassenschaften - Überreste deutscher Aktivitäten). Aber Achtung: Die Entfernungsangabe im Camp bezieht sich offensichtlich nicht wie angegeben auf das Lazarett, sondern scheinbar nur auf das nächste Hinweisschild, von dem aus man wieder mehr als einen Kilometer laufen muss ...

Der Lazarettbesuch südlich des irgendwie (wie die Faust aufs Auge!) passenden nahe gelegenen militärischen Sperrgebiets erfolgt gegen 22:30 Uhr: Unzählige ebenso passende Wächter erwarten uns dort - die Mücken! Lazarettmoen (N69°49.8874´ E025°08.3206´) ist in der Tat einen Besuch wert, wie man am späten Abend im Schein der Mitternachtssonne feststellen kann - Gruseln garantiert ...


Mo. 24.07.00

Ruhetag mit Paddeln etc., Drachen ist angesagt in Skoganvarre - wirklich ein angenehmer Platz!

Zwei Deutsche mit Kennzeichen "GG", die seit 6 Wochen unterwegs sind und von Schweden hoch kommen, campieren direkt neben uns. Sie sind es diesmal, die uns die alljährlich übliche Geschichte zu berichten wissen: Überwiegend schlechtes Wetter gab es in den letzten Wochen wie noch nie, da wo sie wie immer herkommen (wo kamen sie nochmal her??)!

Wir sind begeistert von unserem neuen "Beiboot" der Redaktion, das Gugel Montana bewährt sich bestens!

Heute Abend wird eine Geschichte diskutiert (man kann nun endlich wieder Goretex-Jacke tragen gegen die plötzlich erneut vorhandenen unzähligen Schwärme!): Dass die Anzahl der Mücken in Skandinavien mit Sicherheit immer noch geringer ist als die Anzahl der Körner in der legendären Geschichte von den möglichen Reiskörnern auf dem Schachbrett - wer sie wissen will, dem werden wir sie sicher irgend wie erklären können ...


Di. 25.07.00

Heute sind nur ca. 180 km eingeplant. Wir verlassen das Hochplateau und kommen nahe heran an Karasjok, eine der größten Samensiedlungen in Norwegen. Die ersten Bewohner dieser Gegend waren echt arme Schweine, die mussten gleichzeitig Steuern zahlen an Norwegen, Schweden und Russland, ein wahres Amokland für manch einen begeisterten Steuerbürger!

Im Cockpit haben wir - na was wohl?? - ca. 30°C, keine Wolke erkennbar am gesamten sichtbaren Himmel: In der "rollenden Sauna auf dem Autan-Highway", wie wir das Teil nun gerade mal taufen, in dem wir uns gen Süden bewegen, ist es wieder mal nahezu unerträglich - auch wenn an der Straße einzelne Seen zum Anhalten geradezu einladen ...

An der E6 auf dem Weg nach Karasjok: Seen so viele man sehen will ...

Was kann man in "Skandinavien" von Frank-Peter Herbst und Peter Rump zur "Reisezeit" nachlesen: "Als erstes muß mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, in Lappland gäbe es nur Schnee und Eis. ´Lappland, das ist doch da irgendwo am Nordpol?´ sagte ein Bekannter mal zu uns. Der lappländische Sommer kann einem schon zu schaffen machen, in Zentrallappland werden an manchen Sommertagen höhere Temperaturen gemessen als am Mittelmeer! Wehe dem, der in der schattenlosen Tundra bei 35°C eine Autopanne hat."

An diese Passage müssen wir uns heute wieder mal mehr als deutlich erinnern - wie recht sie doch haben, die Autoren!

Wir fahren weiter bis Kautokeino, einem Ort (Camp 9) (N68°59.95422´ E023°02.17781´), der stolz ist, dass hier im Winter mehr Rentiere (70.000) als Menschen leben. Im Sommer ist der Ort verlassen, denn alle ziehen in den Norden zu den Sommerweiden. Kautokeino wurde im 2. Weltkrieg von den Deutschen platt gemacht und diese haben sogar versucht, die riesigen Rentierherden abzuschlachten ...

Zu Fuß aus von unserem Camp erkunden wir die Umgebung und Beispiele für Samenniederlassungen. Schließlich finden wir sogar etwas ganz und gar Unglaubliches: Einen Pub, in dem wir ein kaltes Bier schlürfen können (vom Preis reden wir wie üblich besser nicht) ...

Kautokeino: Samen-Vorführsiedlung ...
... mit allem ...
... was man so erwartet ...

Ansonsten gibt es in Kautokeino zwei berühmte Silberschmieden, die eine gehört dem deutsch/dänischen Ehepaar Juhls, die andere einem Südtiroler ....

Die Samen mussten ihren Silberschmuck stets aus Russland oder Schweden importieren, deshalb gab es eigentlich keinen traditionellen Samenschmuck. Mitte der 60er Jahre baten die Samen das Ehepaar Juhls, eine Silberschmiede zu errichten, zuerst für Reparaturen der alten Familienschmuckstücke, dann für die Entwicklung von Samensilber(schmuck).

Kurzwellenempfang ist heute gegen 21:06 Uhr wieder möglich, also scheint dies auch eine Frage der geografischen Breite zu sein, nicht nur der Dämmerung, denn die Sonne ist hier noch nach wie vor über dem Horizont. Und wieder mal ist es mehr als unheimlich: Wir erinnern uns noch genau an Island 97, wo wir am 31. August im Ort Djúpivogur vom Ableben der Prinzessin Diana erfahren, als wir in den heutigen Nachrichten als erstes nach tagelanger "Radiopause" einen Absturz serviert bekommen: Eine Concorde ist bei Paris direkt nach dem Start abgestürzt, über 100 Menschen kommen dabei ums Leben ... 

Auch unsere "Haus"tiere sind heute Abend wieder recht aktiv. Was für uns aber inzwischen nur noch Gewohnheit ist und wofür wir keine speziellen Schutzmaßnahmen mehr ergreifen, scheint für die Gruppe von Mädels und anderen Spaziergängern vor dem Camp am Rand der Stadt doch extrem zu sein: Merkwürdig verkleidet kommen sie daher, das würde in Deutschland mit Sicherheit unter das historische "Vermummungsverbot" fallen ...

Ladies in Black in Kautokeino beim Spaziergang - die fliegenden Killer warten schon ...


Mi. 26.07.00

Heute reisen wir durch drei Länder - rund 200 km oder auch mehr sollen das werden. Zuerst geht es von Norwegen nach Finnland: Die Uhr stellen wir nicht erneut um, auch wenn wir kurz noch einmal durch den wirklich schmalen nordwestlichsten Streifen Finnlands, den so genannten "Finnischen Arm", fahren. Von Norden aus Richtung Kautokeino kommend folgt man hier der Straße 93 über Enontekiö. Noch einmal haben wir im örtlichen Supermarkt Gelegenheit, das gute Lapin Kulta zu bunkern (Lapin Kulta = Gold von Lappland) - ein Bier muss sein, sonst übersteht der Explorer alias Jürgen die Tour mit Sicherheit nicht!

Ganz in der Nähe dieses Ortes, wo wir ein letztes Mal in Finnland halten, finden sich mit der "Sturmbock-Stellung" erneut Überreste deutscher Hinterlassenschaften. Aber widmen wir uns angenehmeren Dingen - es ist an der Zeit, noch einmal etwas zu den "ansässigen" Bieren zu sagen (zugegeben sehr subjektiv, aber doch nüchtern, schließlich sind hier kaum Urteile etwa nach der 43. Sturzhalben möglich):

Finnland Biere (Olut Klasse III)

  • Olvi (Das beste!)
  • Lappin Kulta Legend (ok)
  • Lappin Kulta 4,5% (gut trinkbar!)
  • Karjala 4,6% (ok)
  • Karhu 4,6% (ok)
  • Koff 4,5% (schleimig ölig?)

Von Finnland nun nach Schweden: Die Straße 45 erweist sich wieder als üble Betonpiste - wir haben es mit dem sogenannten "Inlandsvagen" zu tun, der Straße, die große Strecken neben der "Inlandsbanan", der historischen Nord-Süd-Zugverbindung Schwedens verläuft. 110-90 km/Std als Geschwindigkeitsbegrenzungen sind jedoch wieder üblich auf diesen Strecken - was die Norweger beim Brotbacken, sind die Schweden beim "Straßenbacken": Scheinbar die miserabelsten Straßenbauer Skandinaviens ...

Massenhaft scheinen in diesen Tagen hier Finnen auf Urlaub zu sein: Unmengen an finnischen Fahrzeugen kommen uns entgegen.

Im Cockpit: 35°C, wer hätte es gedacht!? Eine Irrfahrt folgt: In Övre Soppero nicht der erwartete Campingplatz. Die Nachfrage im örtlichen Restaurant klärt einiges. Es handelt sich hier um eine Kirche der Zeugen Jehovas mit anschlossenem Restaurant: Hilfsbereit sind sie, stecken inmitten einer Versammlung offensichtlich, ihr Tipp: Weiter nach Nedre Soppero fahren, dort soll es ein Camp geben!

Wir folgen der Straße 45: Kurz vor Nedre Soppero (unser Fehler!) folgen wir der Abfahrt und der Wegweisung zu einem Camp Richtung Lannavaara: Die Irrfahrt wegen blöder Beschilderung dorthin, einer alten Goldgräberstadt mit Mineralienfachgeschäft und einem wirklich schlimmen Camp - einem lieblosen Parkplatz mit Stromanschlüssen und Müllabladeplatz - kann man wirklich vermeiden!

Denn Nedre Soppero (Camp 10) (N68°02.72113´ E021°45.66468´) liegt direkt hinter der Abfahrt, man muss nur 2 Minuten durchhalten! Doch was uns hier und heute nach Rückkehr von unserem ungewollten Abstecher in die Wildnis Nordschwedens erwartet, spottet jeder Beschreibung.

Die ältere Lady, die uns einen Stellplatz in der Nähe des Flusses zuweist, verschwindet sofort wieder, und man ahnt schon, warum: Uns erwartet heute Abend die zweite echte Mückenhölle des Trips, die Viecher einatmen ist nicht schwer, insbesondere, wenn man mal für ein Foto anhält im Laufe eines späteren Spaziergangs ...

Rasenmähen: Man fragt nach, ob man heute abend noch Lärmen darf ...
Aber das Problem ist ein anderes: Bei 30°C wieder Mücken-Sturmangriff auf den Explorer ...
Spieglein, Spieglein, an der Explorerwand: Wer ist die heißeste im ganzen Schwedenland?

Heute Abend, nur einen Reisetag entfernt von Kiruna, sitzen wir hier also mitten in der Wildnis Nordschwedens im Explorer und können eigentlich nicht mehr raus nach unserer Rückkehr vom Spaziergang: Was sich hier draußen angesammelt hat, spottet jeder Beschreibung. Wir bleiben drin und gießen uns im Namen der Bier- und sonstigen Forschung einen ein - draußen ist es schön, idyllisch, warm - aber leider auch zunehmend lebensfeindlich!

Wenn das nun alles wäre, schön und gut! Aber wie sagt man: Ein Moskito kommt selten allein - nun bricht natürlich auch noch eine Zahnfüllung - wo sonst wäre ein besserer Platz, als hier in der Wildnis? Vom Zahn 37 bleibt nur noch ein Rest, abfeilen mit dem Schweizer Messer funktioniert leider nicht, da der Zahn zu hart ist, aber mit der bordeigenen Diamant-Nagelfeile klappt es. Wenn man jetzt noch irgendwo einen Baumarkt und Spachtelmasse fände, bräuchte man eigentlich keinen Zahnarzttermin mehr, dennoch wird dieser 2 Tage später über Handy in Deutschland vorsichtshalber abgemacht ...Nun fehlt nur noch ein Baumarkt: Zahnarzttermin im Explorer ...

Viele Möglichkeiten für "Kleintier-Studien" ergeben sich noch in Nedre Soppero. Irgendwie scheinen alle Mücken unterschiedlich zu sein, die wir in den letzten Wochen kennen gelernt haben: Diverse Formen finden sich, angefangen von den Rüssel-Formen bis hin zu unterschiedlichem Verhalten gegenüber Autan - auch kleine Kriebelmücken finden sich ein neben großen, sogar extrem fetten. Daneben kleine, dünne - gibt es eigentlich auch gestreifte (!??)

Es wird Zeit, dass wir aus der Wildnis in die Stadt wechseln (hört hört !!!) - warum nicht nach Kiruna - dorthin wollen wir nun spontan und ungeplant fahren (flüchten?)  - vielleicht wird auch dort alles besser?


© Text/Bilder 2000 J. de Haas