Norwegen   Spitzbergen 2019

Campen im Winter: Kälte mal anders ...


Vorbemerkung der Red.: Und wieder in die Arktis ...

Mittlerweile wissen wir es ganz genau: Diese arktische Region nördlich von Norwegen fasziniert uns ganz ungeheuer! Zweimal bereits war auch das Explorer Team schon auf Spitzbergen, eine Tour fand zunächst im Sommer 2016 statt und die andere in der Polarnacht 2018.

Eine für das Svalbard Archipel ganz wichtige weitere Jahreszeit fehlte also bisher vollkommen: Der magische "Lichtwinter", den man etwa ab Anfang März bis noch hinein in den Mai dort oben erleben kann - ein Winter mit allem, was dazu gehört und doch ausreichend Licht, um die traumhafte Landschaft auch rein optisch voll genießen zu können. Letzteres gelang uns leider in der Polarnacht natürlich nur sehr eingeschränkt - ganz anders als vorher im wundervollen 24 Stundentag, in dem die Sonne niemals untergeht ...

Der Lichtwinter beginnt ... Wintertour: Spitzbergen 2019

Unser Autor Dennis Hartke schließt nun in seinem aktuellen Bericht die Lücke, die hinsichtlich des "Lichtwinters" bisher bestand. Als Naturfreak, der den hohen Norden genauso liebt, wovon sein Grönland-Bericht oder der von Kamtschatka zeugt, war nun ebenfalls vor Ort. In seiner Eigenschaft als Tourguide natürlich mit anderem Blickwinkel als der "normale" Reisegast, auch wenn der bei dieser ganz speziellen Tour sicherlich ebenfalls recht hart gesotten sein musste: Im Winter Schlitten ziehend durch die Landschaft Spitzbergens zu wandern, ist sicherlich nicht jedermanns Sache! Aber mehr dazu im packenden Bericht von Dennis!


Kalte Tage, kalte Nächte ...

Sonne und Wärme sind Dinge, nach denen wir uns sehnen: Unser Wohlbefinden, unsere Stimmung und somit auch unsere Gesundheit sind von den wärmenden Strahlen abhängig. Wir verlangen danach. Zumindest die meisten von uns. Nur wenige empfinden angenehme Gefühle in enormer Kälte. Nur wenige wollen bewusst die Kälte aufsuchen und sich einer Herausforderung stellen, die nachhaltig auf das Bewusstsein und das Leben wirkt. Einige dieser Menschen, sind wir ...  

Schlittenvorbereitung ...Unsere Rucksäcke sind gepackt mit ein paar neuen Unterhosen, Socken und einer zweiten Jacke. Sturmhaube, Buff, Wollpullover, Handschuhe und Mütze sind unsere Grundausstattung für 24 Stunden am Tag. Wir tragen Winterstiefel, lange Unterhosen und Skihosen. Alles wird unternommen, damit unsere Wärme nicht verloren geht. Zudem kleben wir uns Wärmepads unter die Socken. Einfach nur zur Sicherheit ... 

Die Schlitten werden verladen und ein zweites Team fährt uns uns hinaus in Richtung des Tals Adventdalen. Alle denken immer, dass es mit Advent in Verbindung steht. Allerdings ist es eher mit "Adventure" zu verbinden: Das Tal steht also für das reine Abenteuer.

Angekommen am Abzweig zur Kohlemine "Grube 7" werden unsere Schlitten abgeladen und wir spannen uns wie Pferde ein. Dann gibt Guide Mirko das Kommando und wir marschieren los: Meter für Meter ziehen wir unsere Schlitten durch die weiße Ewigkeit: Eingerahmt von schroffen Hängen schreiten wir in ein Tal aus Weiß. Langsam erlischt jede Form der Zivilisation, langsam verschwindet der Geräuschpegel und nur noch das Surren des Windes erklingt in unseren Ohren. Knackend und knirschend stapfen wir unseren Weg entlang in den Schnee. Die Landschaft vor uns wird immer größer, immer schroffer ragen die spitzen Berge empor. Die Kälte zieht allmählich in unsere Kleidung. Alle ziehen ihre Kapuzen über, setzten die Sturmhaube ein und Skibrillen auf. Kleine Schneekristalle werden aufgewirbelt und setzen sich in jede verfügbare Ritze unserer Kleidung. Langsam gefrieren wir ...

Der Himmel ist trüb, leicht bläulich das Licht. Immer weiter scheinen wir in ein Bildnis endloser Weite einzutauchen. Der Horizont schwindet dahin. Nach gut zwei Stunden pausieren wir: Sofort stürzen sich viele auf ihr Essen und trinken Tee oder Kaffee. Auch ich verspüre bestialischen Hunger. Wir laufen bei rund -25°C. Je länger wir draußen sind, umso mehr wird von unserem Körper nach Energie verlangt.

Nach einer kurzen Pause geht es weiter: Wieder spannen wir uns ein und wandern mit unseren Schlitten weiter in Richtung des Foxtoppen. Nach einer weiteren Stunde kommen wir an einer Schräge an: Von nun an verlangsamen wir das Tempo und stapfen unseren Weg den Hang hinauf. Die Last des Schlittens drückt uns hinunter und wir haben alle Mühe unsere Ausrüstung in Richtung des Plateaus zu transportieren. Mir wird nach einer Weile so warm, dass ich meine Jacke ausziehe und nur noch im Pullover laufe. Immer weiter zieht sich der Weg hinauf und immer schwerer wird die Last. Doch als man beginnt nachzudenken, wie schlimm die Tour wohl noch werden könnte, erreichen wir unser Ziel ...

Man spannt sich ein ... Abtauchen ins dunkle Weiß ...

Das Gruppenzelt steht bereits aufgebaut vor uns: Die Guides bauten es ein paar Tage vor unserer Ankunft auf. Als erstes treten wir den Schnee für eine Fläche unserer Zelte platt. Danach bauen wir sie auf. Gerade war uns noch warm. Doch sobald man auf einer Stelle verharrt, wird es kalt. Ich ziehe meine Handschuhe aus, weil die Zeltleinen so dünn sind. Doch schon nach kurzer Zeit werden die Hände steif und kalt: Ich muss die Handschuhe wieder anziehen. Alleine ein Zelt aufzubauen, erfordert viel Zeit in kalter Luft und bringt sofortiges Frieren mit sich.

Die Ebene unseres Camps ist flach. Steht man vor dem Gruppenzelt, sieht man links zum Foxtoppen hinauf und nach rechts zu weiteren Anhöhen. Hinter uns fällt der Blick ins Tal zurück, aus dem wir gekommen sind und geradeaus nur in Richtung weiße Endlosigkeit. Alles ist weglos. Das gesamte Areal ist eine unberührte Fläche. Niemand scheint je vor uns hier gewesen zu sein ...

Nachdem wir die Zelte aufgebaut haben, fehlen einige der Reisenden: Sie sind bereits im Gruppenzelt und wärmen sich am Ofen. Sie klagen über kalte Füße, Hände und generelles Frösteln. Es kann unter Umständen sein, dass der Körper sich nicht sofort an die Umgebung gewöhnt. Demnach ist die Distanz der Zeit des Kälteempfindens unerträglich. Irgendwann beginnt man zu frieren. Es helfen nur Essen, Trinken und Bewegung. Doch ist man einmal in einem solchen Zustand, ist es mit Essen oder Bewegen schwer: Kälte stimmt uns negativ und kann im schlimmsten Fall zu Lethargie führen.

Später sitzen wir zusammen im relativ warmen Gruppenzelt und essen Rentiereintopf mit Kartoffelbrei. Inzwischen ist unser Equipment bis auf Schlafsack und Isomatte gefroren. Telefone funktionieren nicht mehr. Akkus von Kameras geben den Geist auf. Nach nur 4 Stunden draußen gefriert unsere Kleidung, die Rucksäcke, das Essen, auch Getränke, Uhren, einfach alles. Zieht man seine Jacke nicht ordentlich zu, gefriert der Reißverschluss ebenfalls und kann danach nicht mehr geschlossen werden. Die Kapuze an der Jacke gefriert ebenfalls. Ein Glück, dass wir das Gruppenzelt haben!

Die "Siedlung" steht ... Gruppenzelt: Wärmendes Zentrum ...

Langsam geht die Sonne unter und taucht die Landschaft in tiefes Blau: Nur die Bergspitzen leuchten noch auf von der verzweifelt vor ihrem Untergang kämpfenden Sonne. Danach wird Spitzbergen wieder wie so lange in den Monaten davor von Dunkelheit beherrscht ...

Langsam werden Sterne sichtbar mit dem Polarstern direkt über unserem Zelt. Es fühlt sich nun an wie in der Polarnacht. Während wir im Gruppenzelt sitzen, erklären Mirko und der zweite Guide Nanna die Bärenwache für die Nacht. Es wurde bereits eine Leine um unser Gruppenzelt gespannt. An jeder Stange sitzen Sprengsätze. Wenn ein Bär hineinläuft, geht dieser hoch und weckt uns auf. Nanna und Mirko sind bewaffnet mit Gewehren. Immer werden nun zwei Leute Wache halten und das Camp im Kreis umrunden. Zur Bärenwache haben die Gäste eine Signalpistole, Trillerpfeife und ein Signalhorn dabei. Eine "echte" Waffe dürfen sie ohne entsprechende Lizenzen nicht bekommen. Falls tatsächlich ein Bär gesichtet werden sollte, erfahren auch diese beiden davon und müssen sich ins nächste Zelt begeben. So können Nanna und Mirko anschließend den Bären verjagen oder - schlimmer -, im Notfall auch auf ihn mit ihren Gewehren schießen. Doch wir hoffen natürlich, dass es dazu niemals kommen wird ...

Gegen 23 Uhr verziehen sich die meisten ins "Bett". Wir haben noch einen Tee getrunken und die erste Eisbärenwache marschiert los. Auch ich lege mich hin und versuche mich verzweifelt an meinem Schlafsack. Nur 3,5 Stunden Schlaf habe ich, bevor auch ich die Bärenwache übernehmen werde. Irgend etwas stimmt aber nicht mit meinem Schlafsack: Ich kann ihn kaum zuziehen. Nur mit Mühe finde ich etwas Ruhe. Kaum eingeschlafen, werde ich aufgeweckt und ziehe mich an. Meine Hand ist steif und mein Bart gefroren: Ich muss mich unbedingt besser einpacken!

Ich springe raus und bewege mich, damit ich warm werde. Danach beginnt die Bärenwache von 02:30 Uhr bis 04:00 Uhr. Im Kreis um das Camp laufe ich in tiefer Dunkelheit: Nur die Sterne leuchten mir ein wenig den Weg. Meine Stirnlampe erhellt die Finsternis, die von kleinen Fetzen treibendem Schnee verzerrt wird. Wirklich weit kann ich nicht in die Ferne blicken. Immer wieder laufe ich um das Camp, leuchte umher, mal hier, mal dort und hoffe, dass ich nach der Wache mehr Schlaf bekommen werde.

Immer weiter laufe ich meine Wachrunde in der Dunkelheit und erblicke - nichts. Die Angst vor einem Bären schwindet dahin, eher plagt mich die Geräuschlosigkeit der Nacht. Keiner redet, keiner ist zu hören. Ich bemerke nur das Knacken des immer wieder gefrierenden Schnees unter meinen Füßen. Irgendwann blicke ich auf meine Uhr und zum Glück geht sie wieder. Ich habe noch 5 Minuten Wache. Dann wecke ich den nächsten Wachposten auf und lege mich hin. Wieder ziehe ich an meinem Schlafsack und dieses Mal schließt er überhaupt nicht mehr.

Ich setze mich hin und fummele an dem Reißverschluss herum: Doch je länger ich brauche, desto kälter wird es. Dieses unangenehme Empfinden wird immer stärker. Plötzlich knurrt auch noch mein Magen und auch meine Finge fühlen die beißende Kälte. Ich gehe hinüber zu Mirkos Zelt und wecke ihn auf: Er hält mir einen Leatherman hin und gibt mir Ratschläge für die Reparatur. Ich laufe zurück zu meinem Zelt und lege mich mit meiner Stirnlampe in meinen Zelteingang. Immer wieder muss ich Handschuhe anziehen, da der Leatherman zu kalt und meine Hände lahm werden. Die Aktion kostet Zeit und Kraft - sogar ungeahnt viel Kraft. Es ist nur ein Reißverschluss, aber die Temperatur fällt inzwischen auf unter -30°C. Irgendwann gelingt es mir, den Schlafsack zu reparieren und ich schlüpfe hinein. Mir ist kalt. Zum ersten Mal fühle ich wirklich richtige Kälte. Schnell esse ich ein paar Reiswaffeln, die nicht gefroren sind: Die Energie tut mir gut und hilft mir beim Einschlafen. An Waschen oder Zähneputzen ist nicht zu denken. Es ist jetzt 5 Uhr. Falls man sich mit Wasser wäscht, würde dies gefrieren und die Haut aufplatzen - die Zahnbürste ist eh gefroren. Also was soll´s: Ich muss schlafen. Dringend!

Nur zwei Stunden Schlaf bekomme ich in dieser Nacht: Bereits um 7 Uhr werde ich wach und zittere am ganzen Leib. Der Schlafsack ist wieder aufgegangen und alles fühlt sich kalt an. Meine Wärmflasche hat nicht viel gebracht und jegliche andere Wärmequellen versagten ebenfalls die Nacht hindurch. Nochmal drehe ich mich um, nochmal schlafe ich ein. Dieses Mal ist mein rechter Arm wie gelähmt vor Kälte und mein Gesicht ist eiskalt. Ich muss mich dringend bewegen, darum stehe ich auf und gehe ins Gruppenzelt. Alle Teilnehmer sind schon da, denn keiner konnte so richtig Schlaf finden. Vielleicht bringt der heutige Tag mehr Ruhe ...

Das Frühstück wird mit ordentlich dickem Haferbrei eröffnet: Brot, fetter Käse und Wurst kommen dazu. Mit Kaffee und heißem Wasser spült man den dicken Klumpen Kaumasse hinunter. Schnell packen wir anschließend unseren Rucksack und ziehen unsere Schneeschuhe über, dann geht es auch schon los.

Und wieder geht es los ... Festfrieren angesagt ...

Wir ziehen wieder hinaus in die weiße Einsamkeit und hinein in das tiefe Tal: Die Sonne steht bereits hoch am Himmel und brennt regelrecht auf uns herab. Ohne Gletscherbrille ist es mit der Sicht nach kurzer Zeit vorbei. Langsam bahnt sich die Gruppe ihren Weg in Richtung des Foxtoppen. Immer steiler geht es hinauf und wieder zieht die Kälte in unsere Leiber ein. Es ist wie ein Segen und Fluch zugleich. Wir wandern in der wohl schönsten Landschaft der Welt und sind ebenso genervt von ihr. Aber wer hat gesagt, dass dies eine einfach Reise wird?

Als wir auf der nächsten Anhöhe gut angekommen sind, eröffnet sich ein unvergleichlicher Blick in das Tal unter uns: Weit in der Ferne stehen ein paar Rentiere umher. Ansonsten ist das hier das Reich der weißen Schönheit. Ein Bildnis wie aus einem Dokumentarfilm verschlingt unsere Aufmerksamkeit. Wir ziehen unseren Buff und die Handschuhe aus und machen so viele Fotos wie wir nur können, ohne darauf zu achten, dass die Kälte wieder unsere Haut gefrieren wird. Es ist einfach zu schön.

Wandern in der schönsten Landschaft der Welt?Doch wir stehen zu lange auf einer Stelle und langsam wird wieder mehreren Teilnehmern kalt. Wir wandern noch ein Stück weiter. Wir sind nun fast einen Halbkreis bis auf die Anhöhe gelaufen und können unterhalb unser Camp in der Ferne erblicken. Von hier aus zieht sich der Weg nur noch in Richtung des Gipfels vom Foxtoppen. Als Mirko fragt, ob wir weiter hinauf wollen, streiken fast alle Teilnehmer bis auf einen. Ich sage ebenfalls nicht nein: Schnell wird entschieden, dass alle Reisegäste, die nicht mit in Richtung des Gipfels wollen, mit Nanna wieder ins Camp wandern und sich aufwärmen sollen. Mirko, der "nicht streikende" Reisegast und ich ziehen weiter ...

Langsam verschwindet meine Reisegruppe mit Nanna von der Anhöhe, während wir weitersteigen: Der Weg zieht sich im Zickzack über die gefrorene Schneefläche weiter bergauf. Immer wieder pausieren wir und versuchen so viel von der Landschaft zu genießen, wie es eben möglich ist. Nach rund 30 Minuten meldet sich dann schließlich auch der letzte Teilnehmer: Er kann nicht mehr weiter. Der kurze Traum vom Gipfel ist somit nach kurzer Zeit dahingeschmolzen. Da auf meinen Reisen immer die Gäste im Vordergrund stehen und wir eine Gemeinschaft sind, helfen wir einander und passen auf einander auf. Wir steigen also ab.

Tiefer und immer tiefer geht es zurück in das Tal, wo unser Camp liegt: Teilweise rutschen wir die Hänge auf unserem Hintern hinab, um schnell das wärmende Zelt zu erreichen. Wir lachen, machen Witze, freuen uns, hier in der Sonne das Eis um uns herum zu haben. Ich strotze nur so vor Energie. Von mir aus kann es weiter gehen. "Was ist schon der Nordpol! Den lauf ich dir doch locker ab!"

In weniger als einer Stunde sind wir wieder zurück im Camp und trinken Tee. Der Tag findet einen entspannten Ausklang und als die Dämmerung einsetzt, laufen wir noch hinüber zum Rande des Plateaus für ein paar Fotos. Ja, wir sind weit weg von allem. Hier gibt es nichts. Minimalistisch verbringen wir unseren Tag. Wir sorgen uns nur um Wärme, Essen und Trinken. Ein Dach über dem Kopf genügt völlig. Ein wärmender Ofen. Hier draußen denken wir nur an die kleinste Art des Überlebens. Kein Luxusgut kann unsere Zeit rauben. Wir hätten allerdings auch gar keine Zeit dafür. Es ist schön zu wissen, dass wir diese Lehre hier draußen in der Arktis bekommen ...

Tierische Begleitung ...Langsam verzieht sich die Sonne und die Dunkelheit bricht wieder herein: Wir gehen zurück ins Gruppenzelt. An diesem Abend gibt es Lachs und Reis, als Nachtisch dann Apfelstücke und Vanillesoße. Wir essen, bis wir fast platzen. Zu späterer Stunde gehen die Ersten in ihre Zelte und somit beginnt erneut die Nachtwache. Wieder haben wir einen Plan aufgestellt, wieder steht der Zaun mit den Sprengsätzen, wieder ist einigen Teilnehmern so kalt, dass sie im Gruppenzelt am Ofen übernachten müssen.

Nun sind wir bereits zwei Tage und ein weitere Nacht in der Kälte. Für Menschen aus Industrienationen im Jahr 2019 ist es mittlerweile völlig unnormal, derart lange bei durchschnittlich -25°C draußen zu sein. Jeder von uns geht nach kurzer Zeit in irgendein beheiztes Gebäude oder prahlt damit, dass er 4 Stunden "bei diesem Wetter" draußen war.

Viele Menschen sind für solche Situationen gar nicht mehr in der Lage und Verfassung. Was wir hier machen, klingt nach wenig. Aber hier draußen wird jede Minute manchmal zur gefühlten Stunde. Vor allem, wenn die Temperatur in der Nacht wieder auf tiefer als -32°C sinkt. Und auch diese Nacht wird noch sehr lang werden ...

Die Bärenwache beginnt um 22 Uhr: Das erste Team läuft bis 23:30 Uhr ums Camp. Ich werde als Nächster übernehmen. Da es für mich unnütz ist, für so kurze Zeit in den Schlafsack zu krabbeln, bleibe ich einfach im Gruppenzelt sitzen, während die anderen zu Bett gehen. Gewaschen wird sich eh nicht, die Zahnbürste ist weiterhin gefroren, also warum zu viele Gedanken hegen? Ich gieße mir einen heißen Kaffee ein und entspanne so gut ich kann im Gruppenzelt.

Ich übernehme um 23:30 Uhr die Wache: Bis 01:00 Uhr werde ich nun meine Runden drehen. Wieder leuchte ich Runde für Runde in die tiefe Finsternis hinein und versuche mich mit Bewegung warm zu halten. Um 01:00 Uhr ist es soweit, ich werde abgelöst und verziehe mich in mein Zelt. Schnell schlüpfe ich in meinen Schlafsack und ziehe an dem Verschluss und - er reißt ab! Dieses Mal ist der Reißverschluss ganz kaputt und der Schlafsack lässt sich überhaupt nicht mehr schließen. Was nun folgt, ist ein anhaltender Kampf gegen die in meinen Körper ziehende Kälte ...

Einsamkeit wird spürbar ...Ich ziehe die Handschuhe aus und versuche, den Reißverschluss zu reparieren, doch immer wieder muss ich die Handschuhe erneut anziehen, weil meine Finger zu kalt werden und ich sie nicht mehr bewegen kann. Draußen knackt der Schnee und ich höre die Bärenwache umherlaufen. Ich setze mich hin, ziehe den Schlafsack aus und versuche so gut ich kann, eine Art Decke zu basteln mit einem Notfallschlafsack (eine dünne Hülle für Notfälle draußen) und dem offenen Schlafsack ohne Verschluss. Langsam beginnen meine Beine zu zittern, dann meine Arme, dann klappern meine Zähne.

Ohne Bewegung ist es zu kalt. Immer wieder lege ich die Sachen beiseite und mache Liegestütze im Zelt, damit mein Blut zirkuliert. Immer wieder versuche ich mich zuzudecken, spüre jedoch keine Wärme und muss immer wieder Liegestütze machen, damit mein Kreislauf "oben" bleibt. Ich muss zwischendurch dennoch leise lachen, weil ich diese Situation so absurd finde und gleichzeitig denke, dass ich das hier so die ganze Nacht machen müsste. Jedoch würden irgendwann meine Kräfte schwinden. Es ist mittlerweile 02:30 Uhr geworden und ich finde weder Wärme noch Schlaf. Ich klettere schließlich aus meinem Zelt und laufe hinüber zu Mirko.

"Mirko?"
"Was?"
"Hast du nicht noch einen Schlafsack oder Biwaksack? Ich bekomme meinen nicht mehr repariert."
Er kramt ein wenig in seinen Klamotten umher und hält mir dann seinen Biwakschlafsack hin.
"Danke, Mirko!"

Ich renne zurück zu meinem Zelt und bastele mir aus dem Biwacksack sowie meinem Schlafsack eine Decke und wickele mich darin ein. Es ist nun bereits 02:45 Uhr, meine Uhr ist gefroren, mein Handy auch, meine Kleidung habe ich nun einfach angelassen und mein Bart ist ebenfalls weiß vom Eis. Langsam fallen mir die Augen zu ...

Am nächsten Morgen werde ich ruckartig geweckt: "Dennis steht auf! Wir müssen packen! Ein Sturm kommt." So schnell ich kann, klettere ich aus meinem Schlafdeckenberg und fange hastig an, meinen Rucksack zu packen. Alles ist weiß um mich herum und keinen Meter weit reicht die Sicht. Der Wind wird stärker. Wir müssen uns beeilen. So schnell es geht bauen wir das Camp ab, ohne einen Gedanken an Frühstück oder heißen Kaffee zu verschwenden. Wir beladen die Schlitten, beißen kurz in eine Scheibe Brot und ziehen dann die Ladung zurück in Richtung Zivilisation.

Dick eingepackt zerren wir die Bestandteile vom Camp zurück in Richtung Straße: Der Wind peitscht uns entgegen, drückt uns zurück und schnell beißt sich die Kälte in unsere Glieder. Mein Gesicht, meine Augen, alles brennt vor Kälte (klingt schräg, ist aber wahr!). Ich versuche so gut es geht, mein Gesicht zu bedecken und denke mir: Zwei Tage und zwei Nächte. Kaum Schlaf. Die ständige Gefahr möglicher Eisbären – verdammt nochmal, bring das Ding jetzt sicher nach Hause!"

Es stürmt, also müssen wir gehen! Keine Pause! Nur ein kurzer Halt für Tee und Schokolade. Ansonsten laufen, ziehen, laufen und ziehen. Schnee, Wind, kalte Luft. Wir ziehen mit voller Kraft so stark wir können. In Gedanken sitzen wir schon bei Heizung und Bier im Restaurant. Andere denken bestimmt an eine Dusche. Ich denke ans Zähneputzen und daran, dass dies nur ein kleiner Ausflug war. Eine kleine Tour in Nacht und Eis. Eine Tour zum Limit des Durchhaltevermögens, was Kälte angeht ...

Die Kälte war unsere Herausforderung: Nicht die Last auf dem Schlitten, nicht der Anspruch der Sportlichkeit auf den Wanderungen. Es war einfach die menschenfeindliche Umgebung, die für kurze Zeit unser Zuhause wurde. Paradoxerweise fühlten wir uns in dieser Extreme aber wohl, auch wenn sie uns vieles abverlangte. Hinzu kommt der mentale Faktor.

Ich bin stolz auf unser Team. Viele Menschen verlassen sich auf ihre Muskeln, ihre Ausdauer und ihren Waschbrettbauch. Hier draußen sind diese Faktoren vielleicht 10% wert. Der Rest spielt sich im Kopf ab und wem die Kälte nicht bewusst ist, der sollte sein Sixpack eher am Sandstrand spazieren führen. Die psychische Verfassung ist in der Arktis von größerer Bedeutung als jeder Bizeps. Was wir unternommen haben, ist aus touristischer Sicht noch nicht von vielen in diesem Format unternommen worden. Natürlich gibt es Touren, die länger, härter und noch extremer sind. Aber allein die Tatsache, dass wir diesen Schritt gewagt haben und dass wir draußen waren, lässt uns in unseren Fähigkeiten und unseren Erfahrungen wachsen.

Und darum geht´s doch, oder nicht?


© 2019 Dennis Hartke


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Dennis finden sich in unserer Autorenübersicht!