Zum Ende aller Straßen ...
"Wie, ihr wart da an Bord ..?" Unser Guide für die heutige Tour mustert uns mit anerkennendem Blick: "Da habt ihr aber was erlebt, oder ..?" Wir sind auch heute wieder von einem Guide der "Svalbard Adventure Group" abgeholt worden, mit denen wir auch gestern nach Pyramiden unterwegs waren.
Es hat sich wohl wie ein Lauffeuer im Camp herumgesprochen, dass sich die gestrige Bootstour zu einem ziemlich "außergewöhnlichen" Abenteuer entwickelte, das so niemand gewollt oder kommen sehen hat ...
Unser heutiger Guide macht ebenfalls solche Bootstouren für das Unternehmen, auch wenn nun etwas ganz anderes auf dem Programm steht: Wir werden eine "ATV safari" bis zum Ende des existierenden Straßen- und Wegenetzes machen und dabei mit unseren Quads Richtung Südosten durch das Tal Adventdalen und in die Berge fahren (Übersicht (4) und Karte oben rechts).
Die Tour wird rund 4 Stunden dauern, beginnt aber erst gegen Mittag, so dass für alles Mögliche auch an diesem Tag genug Zeit bleibt. Als wir wieder das uns bestens bekannte Gebäude des Veranstalters betreten, ist uns bis hin zu den Schutzanzügen, die auch heute fällig sind, fast schon alles vertraut. Die Anzüge sind diesmal zwar andere, aber wieder gibt es Stiefel, Handschuhe sowie Schutzbrillen und dazu natürlich nun auch einen Helm ...
In fast schon gewohnter Ritterausrüstung stapfen wir schließlich hinaus und begutachten unsere Fahrzeuge, die Can-Am Outlander Quads: Nicht jedem in unserer kleinen Gruppe ist das Quadfahren vertraut, aber auch den Anfängern ist schnell erklärt, wie man die wichtigsten Hebel und Knöpfe bedient, um dieses Gefährt zu bewegen. Da jeder Fahrer über einen normalen Führerschein verfügen muss, erweist sich das Ganze somit nicht als Problem. Auf dem Beifahrersitz, dem "Bed" (), kann noch jemand transportiert werden, der Fotos während der Fahrt macht. Nur der Guide hat bei seinem Fahrzeug eine Ladefläche für den Transport mitgenommener Gegenstände, aber sein Quad ist auch ein Dreiachser, und vor so einem 6x6 hat doch jeder Offroader natürlich schon von Haus aus immer höchsten Respekt, oder?!
Wir starten und schon ist festzustellen, dass unser Quad über eine äußerst gewöhnungsbedürftige "Lenkung mit Spiel" verfügt; das Abgleiten in den Straßengraben kann aber auf dem ersten Kilometer zum Glück noch vermieden werden. Erst am Ende der Tour wird eher beiläufig auf wiederholte Rückfrage eingeräumt, dass das Lenkverhalten wohl nicht bei allen Quads hier und heute optimal sei und nächste Woche ohnehin neue Fahrzeuge erwartet würden ...
Der erste Streckenabschnitt ins Tal Adventdalen ist recht kurz: Bereits nach wenigen Kilometern stoppen wir am alten Flughafen, der als solcher allerdings heute kaum erkennbar wäre, vielleicht beim Anflug aus der Luft. In der Nähe dieses Platzes findet man die Wrackreste eines alten deutschen Flugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg: Gern verwechselt mit einem südlicher ebenfalls auf Spitzbergen abgestürzten Flieger bei Kap Borth handelt es sich hier zwar auch um das Wrack einer Ju 88, aber um eine Maschine der ehemaligen Wettererkundungsstaffel 5. Diese wurde im Juli 1942 durch eine englische Flakstellung in Moskushamn (heutiges Hiorthhamn gegenüber von Longyearbyen) abgeschossen. Da alle Spuren menschlicher Zivilisation aus der Zeit vor 1946 (auch militärische) auf Spitzbergen gesetzlich geschützt sind, gelten auch diese Wrackreste als "Denkmal" und bleiben deshalb hier unverändert liegen ...
Weiter geht die Tour nach Südosten: Durch beeindruckende Landschaft wie immer fahren wir zur ehemaligen Grube 6, in der von Ende der sechziger bis Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Kohle abgebaut wurde. Wie immer handelt es sich auch hier um die Reste einer imposanten Anlage, bei der ein Stopp durchaus lohnt.
Der Bergbau lässt uns nicht los: Die Grube 7 naht kurz darauf, neben der russischen in Barentsburg die einzige noch aktive Kohlegrube auf Spitzbergen. Vorher sehen wir jedoch bereits die beiden Radioteleskop-Antennen vom nahegelegenen EISCAT Svalbard Radar, wo Forschungen zu den Auswirkungen der Sonne auf die Ionospäre erfolgen, also die äußerste Schicht der Erdatmosphäre.
Stichworte wie "Sonnenwind" und "Polarlicht" gehören da natürlich ebenfalls dazu, weshalb ganz oben auf dem von uns befahrenen Berg auch ein ganz spezielles Gebäude am Ende aller Staßen liegt: Das Kjell Henriksen Observatorium, das über verschiedenste Einrichtungen zur Erforschung der Atmosphäre sowie insbesondere des Polarlichtes verfügt. Zur Vermeidung von "Lichtverschmutzung" ist die zum Institut führende Straße im Winter für Fahrzeuge gesperrt.
Belohnt wird man oben mit einem grandiosen Ausblick weit ins Tal Adventdalen, für den sich die Fahrt hierher eigentlich bereits allein gelohnt hätte. Minutenlang stehen wir hier mit dieser Aussicht und genießen die faszinierende Landschaft um uns herum, an der man sich kaum sattsehen kann.
Wir haben den Gipfelpunkt unserer Tour nun erreicht und jetzt geht es wieder abwärts: Am Fuße von Grube 7 stoßen wir auf das uns seit "Gruve 3" bereits gut bekannte "Basecamp Explorer": Die betreiben hier in Bolterdalen eine "Trapperstation" mit Huskyfarm, wo wir eine Kaffee- und Kekspause einlegen. Beim Anblick der Hunde, die sich auch sehr für Gäste hinter dem Zaun interessieren, kommen natürlich sofort wieder Erinnerungen hoch an ehemalige Touren auf Stefan Falters Farm - heute ist natürlich mit unseren Quads alles sehr viel einfacher als damals ...
Ausgestellt wird hier in umgebender uriger Atmosphäre auch eine ehemalige Bärenfalle, wo eine große altertümliche Flinte in einem Holzkasten auf bedauernswerte Eisbären wartet, die so unvorsichtig waren, auf den vorhandenen Köder hereinzufallen und dabei den Auslöser betätigten. Gut zu wissen, dass derartiges heute erfreulicherweise nur noch Geschichte ist ...
Wir schwingen uns wieder in die Sättel und "brettern" mehr oder minder zurück Richtung Longyearbyen - vorbei an Hundeschlittenfahrern (auf Rädern) und vereinzeltem vorsichtigen Gegenverkehr, der in Anbetracht der kleinen Quad-Horde lieber an Kurven wartet, bis wir vorbei sind ...
Zurück in Longyearbyen: Es heißt Abschied nehmen von der Gruppe und unserem Guide, die Fahrzeuge rollen auf ihre Parkposition auf dem Firmenhof. Wir schlüpfen wieder in unsere Spitzbergen-Normalkleidung und wissen genau, dass wir nun schon bald dem Ende unserer "Arktisexpedition" ins Auge sehen müssen, aber noch sind wir ja zum Glück nicht weg ..!
© 2017 J. de Haas