Wie ich moderner Expeditionsreisender wurde ...
oder: Es lebe der Individual-Tourismus (2)!
von
Rolf Müller *)
Prioritäten müssen sein ...
Der Tag, als mir Ursula eröffnete, dass ich nun künftig wohl allein um die Welt reisen müsse oder zumindest mit einer anderen als ihr, war für mich wie ein Schock: Was hatte ich dieser Frau getan? Wie konnte das geschehen?
Nun, in der letzten Zeit war ich viel beschäftigt gewesen mit dem Ausbau meines Expeditionsmobils - klar, dass ich da für Ursula nur wenig Zeit hatte und vielleicht war mir einfach nur entgangen, wie sie darauf reagierte, als ich wieder mal vor dem PC saß: Nahezu jeden Tag surfte ich mehrfach in Reise- und Wüstenforen, und immer war natürlich auch Leerkabine.de dabei. Ich war nahezu süchtig nach Infos, die das von mir vollständig selbst geplante Reisemobil betrafen.
Vielleicht war ihr einfach zuviel gewesen, dass ich nun schon seit Wochen nur noch nachdachte über den Ausbau meiner Kabine: Waren Sitze von Riemo nun geprüft und auch zugelassen? Sind Pilzkopfschrauben nur für den Original-Gummiboden oder Teppichboden geeignet? Sind für eine Montage auf einen isolierten Holzboden die Gewinde zu kurz und auch nicht zugelassen, da der Boden als elastisches Material angesehen wird und die Schrauben kraftschlüssig Metall auf Metall geschraubt werden müssen und eine Stahlbuchse zugelassen wäre, wenn das Gewinde nur lang genug ist ..?
Nun, eines Tages war Ursula einfach weg. Hatte die Schnauze voll, wie sie mir unverblümt und überhaupt nicht diplomatisch mittels eines Zettels übermittelte, den sie mir sinnigerweise auf den Original-Gummiboden meines Mobils getackert hatte. Wie können Weiber doch grausam sein - keinerlei Verständnis für das tief in echten Männern schlummernde Verlangen, eines Tages das beste und auch bestausgebaute aller Expeditionsmobile ihr Eigen nennen zu können!
Mittlerweile hatte ich es allerdings fast auch schon geschafft, das mit dem optimalen Reisefahrzeug. Ich hatte viel nachgedacht, ob ich nun einen stinknormalen Pickup mit Wohnkabine verwenden sollte oder doch eher ein "richtiges" Expeditionsmobil: Doch z.B. ein Bremach ist auch nur ein Italiener und ich wollte mir nicht vor jeder Talfahrt Gedanken um meine Bremsen machen. Auch der Rostbefall eines Landys bzw. der abenteuerlich schaukelnde Aufbau eines Unimogs reizten mich nicht im geringsten. So hatte ich mich schließlich für ein alternatives, völlig anderes Fahrzeugkonzept entschieden.
Alternatives Konzept
Nun, zugegeben, auf den ersten Blick sah das Ganze vielleicht etwas ungewöhnlich aus. Aber aufgrund der bei meinen letzten Reisen immer heißeren Rahmenbedingungen bei immer heftigerem und gnadenloserem Sonnenschein hatte ich zuletzt auf ein festes Dach verzichtet. Ein paar Bügel über dem Fahrzeug und eine verschiebliche Plane erlaubten endlich, auch bei der größten Affenhitze mit angenehmem Cabrioeffekt unterwegs zu sein - langsam aber sicher verstand ich all die anderen Cabriofahrer, die bereits ab 5°C mit offenem Dach und Sonnenbrille unterwegs waren ..!
Zur Vermeidung eines steifen Nackens war ich nun häufig mit meinem Motorradhelm unterwegs - ich staunte, welche Wirkung ich auf die Mädels in den Cabrios neben mir hatte, wenn ich lässig aus meinem Fahrzeug zu ihnen herüber winkte!
Allerdings muss man dabei auch berücksichtigen, dass mein Fahrzeug nach all den Bastelarbeiten durchaus nicht wirkte wie das normale Spießer-Womo oder so ein Pickup mit unförmigem Schneckenhaus: Ich bin zwar ein friedliebender Mensch, weshalb für mich auch so ein Fahrzeug wie der Explorer II des Explorer Teams niemals in Frage kommen würde. Was mich allerdings schon beeindruckt hatte, war die absolute Geländegängigkeit dieses Fahrzeugs, und auf die wollte ich auch bei meinem Reisemobil nicht verzichten.
Und so rüstete ich mir schließlich ein günstig erworbenes historisches Sonder-Kfz um: Dies hatte hinten einen Kettenantrieb, war oben offen und erfüllte nach Ausrüstung mit einem Hybridantrieb insgesamt genau die Anforderungen, die ich gestellt hatte. Nun konnte ich mich also an die Innenausstattung machen, und auch die sollte es in sich haben: Nein, ich meine selbstverständlich nicht solche üblichen ollen Kamellen wie Thetford-Porta Potti, Truma-Gasheizung oder Kompressor-Kühlboxen, Wasservorräte, Gelbatterien oder all den anderen gewöhnlichen Plunder, den alle in ihren Womo-Boxen haben.
Moderne Elektronik im Mittelpunkt ...
Nein, selbstverständlich hatte auch ich das alles, aber ich hatte mehr: Die moderne Elektronik, die das Fahrzeug eines modernen Expeditionsreisenden auszeichnet, sollte bei mir im Mittelpunkt stehen. Und Ursula sei Dank: Nun konnte ich mich umso mehr damit befassen!
So wollte ich selbstverständlich auch eines haben: Eine mobile Internet Lösung über eine bidirektionale Satellitenanbindung. Hiermit wollte ich mit DSL Breitbandgeschwindigkeit im Internet surfen oder TV sehen, während ich unterwegs war.
Der Versand und Empfang der Daten läuft bei der bidirektionalen Satellitenkommunikation über das Satellitenmodem und über eine spezielle Satellitenantenne, die in der Lage ist, Signale auch zu senden. Deshalb werden keine Telefonleitungen für den Rückkanal mehr benötigt. Über einen geostationären Satelliten in 36.000 km Höhe werden die Signale zur jeweiligen Bodenstation geleitet und dort in den Internet-Backbone eingespeist. Das Funktionsprinzip ist daher durch bidirektionale Auslegung vollkommen unabhängig vom Ort der Anlage oder von Telefonleitungen - so und nicht anders wollte ich es haben!
Während der Anschluss der Satellitenterminals an meinen Haupt-Bord PC über einen USB Port erfolgt, wird der Anschluss der Controllerbox des Rotors noch über eine serielle Schnittstelle abgewickelt. Weitere PCs lassen sich dank eines Upgrade-Kits anschließen, das im Umkreis meines Fahrzeugs Internet über W-LAN verfügbar macht. Mein Haupt-Bord PC ist in einer zusätzlichen Box untergebracht, die über einen gefilterten Lüfter mit gereinigter Frischluft versorgt wird.
Dem Cockpit meines Fahrzeugs habe ich einen 10" TFT-Bildschirm mit Touchscreen für meinen Haupt-Bord PC spendiert: Der Blickwinkel ist ausreichend groß, um sowohl Fahrer als auch Beifahrer (oder vielleicht bald wieder Beifahrerin?) einen guten Blick auf das Angezeigte zu gewähren.
Die Bedienung über Touchscreen fällt dank einiger Windows-XP-Hilfsmittel (z.B. Bildschirmtastatur) und dem großen, gut ablesbaren Display nicht allzu schwer. Das Beste ist: Nach Bedarf einfach hochklappen und man kann das Display auch noch als Sonnenblende verwenden.
Noch besser ist das User-Interface für die Basisfunktionen Radio, DVD, Navi, Bilder etc. mit einem der erhältlichen Programme. Mein Programm bietet die Besonderheit, dass über ein modulares analoges Interface weitere Sensordaten aus dem Fahrzeug ausgelesen, dargestellt und aufgezeichnet werden können. Dank des neuen Offline Caches von Google Earth ist der 3D-Atlas jetzt schon DIE Show im Auto. Echt cool, mit dem Finger auf dem Display unterwegs in vorher runter geladene Karten rein zu zoomen ...
Jetzt gilt es, nach und nach die weiteren Zusatzfunktionen (WLAN-AP, Bluetooth, DVB-T, Radio, IP-CAM, etc. etc.) zum laufen zu bekommen - aber das schaffe ich auch noch!
Eines meiner Funkgeräte an Bord benutzt ebenfalls meine ausfahrbare Großantenne und hat die Reichweite von wahnsinnigen 2.000 km (bei guten Bedingungen, ansonsten wohl um die 1.200 km). Ich verfüge über rattenscharfe 120 W Sendeleistung im Single- oder Double-Sideband - mir wurde versichert, dass die Reichweite so groß ist, weil die Radiowellen weiter "oben" in der oberen Atmosphäre reflektieren. Über HF kann ich auch Daten übertragen, was will man mehr ..?
Während ich die Radio-Funktion mit einem USB-Tuner realisiert habe, liegt der Schwerpunkt meiner Bastelarbeiten natürlich auf der Internet-Kommunkation für unterwegs: Den Haupt-Bord PC habe ich über Ethernet an einen WLAN-Access Point angeschlossen - dieser wireless Router kann sich neben seiner Funktion als AP auch als "Client" automatisiert mit anderen WLANs (wo vorhanden) verbinden und so kann der Server die geänderten Daten (z.B. Fotos, Trackpoints, HTMLs, BLOGs) ins Internet synchronisieren.
Wenn kein WLAN vorhanden ist, werden alternative drahtlose Kommunikationsmöglichkeiten bei Bedarf genutzt (GPRS, Single Side Band, Sat). Eine am Fahrzeug angebrachte Webcam (über Router verbunden) kann bei Bedarf Bilder und Videos auch nach Hause liefern.
Weiterhin läuft hier mein mobiler Webserver als Entwicklungssystem - dieser Server kann auch in der Wildnis über ein eigenes WLAN mittels eines Laptops (oder Tablet PCs) angesprochen werden.
Ebenfalls an Bord habe ich das hierzulande kaum bekannte Satelliten-Notrufsystem EBIRP - man weiß ja nie, wer oder was kommt! Auch wenn mein Fahrzeug auf den ersten Blick nicht gerade wie ein normales Womo wirkt und "böse Buben" vielleicht eher abschreckt: Mit meiner Alarmanlage kann ich über Sensoren eine zweistufige Sicherheitszone "errichten" und mit einem "active response system" mögliche Eindringlinge vertreiben - als Optionen kann ich Strom einsetzen oder kleine, superlaute Piezo-Lautsprecher, aber auch eine Rauchbombe, die dem potentiellen Eindringling das Leben schwer macht ...
Eine weitere Möglichkeit beinhaltet die aktive Ortung meines Fahrzeugs und das automatische ferngesteuerte Abschalten des Motors bei einer Fahrgeschwindigkeit unter 8 km/h (z.B. bei Diebstahl). Diverse Sensoren dienen im Rahmen eines präventiven Pannenmanagements der automatischen Erfassung und Auswertung diverser Öl-, Lager- und Wasser-Temperaturen.
Aber auch andere Sensoren wie z.B. der "Regensensor" sind hilfreich: So werde ich bei nächtlichen überraschenden Regenfällen automatisch geweckt, die Plane über meinem Fahrzeug schließt sich und eine kleine LED-Laufschrift außen am Fahrzeug springt an: "FUCKING WEATHER - SCHEISSWETTER ..." wird mehrsprachig ausgegeben. Man weiß ja schließlich, dass die Mädels vor allem auf Humor abfahren und wer kann schon ahnen, auf welche ich da auf dem einen oder anderen Campingplatz so treffe ...
Kommunikation unterwegs
Dass Ursula nun nicht mehr mitreist, ist zwar bedauerlich, aber auch irgendwie zu verschmerzen. Denn auf dem nun leeren Beifahrersitz tun sich mit meiner zusätzlich möglichen technischen Ausstattung ganz neue Welten auf im Vergleich zu früheren Reisen.
Eine stark wachsende Zahl von Autoren (Blogger) halten mittlerweile in so genannten Weblogs ihre Erlebnisse fest, indem sie wie in einem elektronischen Tagebuch Einträge schreiben. Die Mitglieder der stetig wachsenden "Blogosphäre" machen sich die einfach zu bedienende Technik zu Nutze, und unterwegs gehöre ich natürlich auch dazu.
Der von mir genutzte Service erlaubt es mir wie allen anderen Mitgliedern meiner Community, sehr einfach meine Reise-Erinnerungen und Tagebücher selber zu publizieren - auch ohne oder mit nur geringen Webdesign-Kenntnissen!
Hier verschmilzt, was schon längst zusammen gehört: Silizium-basierte Lebensformen - draußen in der Pampa zwischen dem Wüstensand und drinnen im Expeditionsmobil. Modernste Informationstechnologien helfen modernen Offroad-Nomaden wie mir nicht nur, sich jederzeit komfortabel zurecht zu finden, sondern sorgen damit auch für Kommunikation und Unterhaltung (Media-Center für MP3 und DVD) unterwegs - wenn es mal lockerer zugehen soll. Und damit kann ich insgesamt schon ganz gut auf Ursula verzichten ...
Das gilt auch für die Navigation unterwegs: Wer dabei heute noch digitale Karten benutzt, muss sich mittlerweile schon als ein wenig rückständig ansehen lassen. Mit Hilfe meiner Kumpels, die zuhause geblieben sind und meine Tour mittels "GPS-Tracking" verfolgen, bin ich ständig "online-on-the-road" und sie machen für mich falls erforderlich auch den "Echtzeit-Guide": Dank meiner Online-Übertragung kann ich Fragen wie solche übermitteln: "Ich befinde mich auf der Position "XYZ" - siehe Videostream meiner Frontkamera - kann mir jemand sagen, ob ich da vorne lieber rechts durch das Tal fahren soll oder ist es besser, links den Dünenzug direkt anzugehen?"
Da fehlt doch noch was ..?
Und wenn ich nun vor meinem kleinen Sony Multiplayer mit Display sitze, das mich neben Radio und allen Arten von CDs auch mit Unterhaltung über DVDs versorgt, also reinem Multimedia-Entertainment auch an verregneten Tagen, dann habe ich schon meine Freude daran: Der Clou an dem System ist nämlich, dass man das Display aus der Halterung nehmen und dann drahtlos im "Vorgarten" abends TV und DVDs genießen kann - Spielefreaks werden bemerken, dass man an ein solches System mühelos eine XBOX anschließen kann ...
Dennoch aber überkommt mich dann manchmal die Wehmut: Nun, irgendwas scheint doch zu fehlen inzwischen. Ab und zu schrecke ich nachts hoch oder wälze mich herum in meinem Fahrzeug und habe wüste Träume: Sehr oft und eigentlich immer wieder sehe dann spärlich bekleidete Anhalterinnen vor mir, die an der Straße stehen und mitgenommen werden wollen - sind das etwa Wunschträume oder sollte das etwa verdrängtes Verlangen sein? Nun ja, wenn ich wach bin, ist das wieder verflogen, aber irgendwie hält sich oft stundenlang die Erinnerung daran, insbesondere dann, wenn ich wieder über einsame Küstenstraßen donnere oder auch wenn ich nur durch die Vororte rolle, immer mit dem Blick nach rechts und links ...
Na ja, ich will ganz ehrlich sein: Auch für den modernsten Expeditionsreisenden sind mindestens drei Dinge von höchster Wichtigkeit: Navigation, Ernährung und - Sex!
Nachdem die Navigation mit meinen technischen Hilfsmitteln nun wirklich kein Problem mehr ist, bleibt immer noch die Ernährung: Früher war es Ursula, die stets die tollsten Gerichte mit verschiedensten Gängen unterwegs kochte und immer das Gefühl hinterließ, weniger auf Expeditionsreise zu sein als vielmehr auf einer Schlemmertour.
Doch das ist nun endgültig vorbei und nur zweierlei ist geblieben: Ausgewogene Ernährung auf der Basis von Travellunch für den Alltag und der notwendige "Fetzen Fleisch" von Auernhammer für die Sonn- und Feiertage, die es zum Glück auch auf Expedition gibt!
Und für die langen, oft einsamen Abende? Nun, ich habe mittlerweile ein Ersatzteil dabei, ein - äh - sagen wir Hilfsmittel, das ich zum guten Schluss auch nicht verschweigen möchte: Es hat immer Platz im Heck meines Mobils und hilft mir sehr über manchen Frust hinweg.
Es ist aufblasbar und aus Vinyl - ich habe es "Ursula II" genannt ...
*) Name geändert, der Autor ist der Redaktion persönlich bekannt!
© 2005 Explorer Magazin. Zitate aus Foren Discovery2010, Sahara-Forum,
Leerkabinen-Forum.
Schaltbilder Bord-PC von eCarPC.de,
Funk von icom. Sonstige Bilder:
Archiv Explorer Magazin
Nachtrag, November ´06: Und so sieht es aus ..!
Wie wir schon beim Erscheinen dieses Beitrags bekannten, hat uns das Fahrzeug von unserem "modernen Expeditionsreisenden" derart überzeugt, dass wir es selbstverständlich auch in unserem Modellkeller haben wollten.
Und nun ist es endlich so weit - wir haben es: