Portugal 2024Der Strand der Muscheln - und Feen ... |
Das letzte Abenteuer "Caldas Ceramica" mit der besonderen portugiesischen Keramik, einst entstanden durch König D. Luis I., ist noch immer in meiner Erinnerung. Inzwischen ist der Juni gekommen, doch die Gedanken daran lassen mich sehr oft gerne darüber lachen ...
Auf meinen Reisen finde ich immer wieder nette Menschen, ganz gleich in welchem Land ich mich gerade befinde. An einem Ort in Portugal halte ich mich allerdings besonders gerne auf, wie ich schon mehrfach im Explorer Magazin berichtet habe. Für neue Leser aber noch einmal eine kurze Zusammenfassung: Dieser Ort liegt etwa in der Mitte Portugals und direkt am Atlantik. Hier lebt auch ein ganz besonderes Paar: Die Frau kommt aus Deutschland und zwar aus Ostfriesland. In der Zeit, als ich noch mit dem Tierschutzschiff "pacifico" in den Medien und auf der Nordsee für Mensch, Tier und Umwelt unterwegs war, wurde sie eine begeisterte Leserin der Abenteuer der "pacifico". In diesem Magazin findet sich eine umfangreiche Sammlung von Geschichten rund um die "pacifico", und auch im übrigen Internet sind noch viele Spuren zu finden.
Nachdem ich das Tierschutzschiff aufgeben musste, bin ich auf mein Wohnmobil LERRY umgestiegen. So ergab sich für mich die Möglichkeit, diese Frau mit etwas ganz besonderem zu erfreuen: dem echten Ostfriesentee. Seitdem ist mein Fahrzeug auch zum Transporter für den guten alten Ostfriesentee geworden. Mit diesem Paar lernte ich mehr und mehr nette Menschen in dieser Gegend kennen. Es wird also höchste Zeit, diese Gegend noch einmal genauer vorzustellen.
Alles begann in den Jahren 1772 bis 1802. Hier in der Gegend mündet der kleine Fluss Lis in den Atlantik. So richtig konnte sich der Rio Lis allerdings nicht für eine feste Mündung entscheiden, er änderte gerne einmal seinen Mündungsbereich. Der Strand hier wurde dadurch immer wieder verändert und abgetragen. Ende des 18. Jahrhunderts entschlossen sich die Portugiesen deshalb, dem Rio Lis eine feste Mündung zu geben. Bis zu diesem Zeitpunkt war diese Gegend unbewohnt.
Bevor ich mich weiter mit der Küste hier beschäftige, ist erst einmal ein Ort ganz in der Nähe zu erwähnen: Vieira de Leiria. Wie schon mehrfach berichtet, setzte sich der portugiesische König D. Dinis sehr für sein Land Portugal ein. Er sorgte nicht nur für ausgedehnte Wälder, sondern hatte auch ein gut geplantes Siedlungsprogramm verwirklicht. Im Rahmen seiner im Jahre 1512 neu gegründeten Gemeinde Monte Real entstand auch der Ort Vieira. Es dauerte trotzdem noch bis zum Jahr 1740, dass Vieira eine eigenständige Gemeinde mit dem Zusatz "de Leiria" wurde.
Im Jahr 1810 verlor der Ort gut die Hälfte seiner Einwohner durch die Invasion Napoleons und nachfolgende Epidemien. Napoleon hätte eben doch besser zuhause bleiben und sich um SEIN Land kümmern sollen! Im Folgenden einige Bilder aus den heutigen Vieira de Leiria. Zu sehen sind Straßen in einem Wohngebiet oben auf einer Anhöhe, an einigen Stellen kann man bis zum Atlantik sehen. Doch da ist noch eine andere Gefahr für die kleine Stadt ganz in der Nähe des Atlantiks - das Feuer. Der abgebildete schlanke Turm ist ein Feuerturm. Von dort kann die Umgebung nach Rauchsäulen abgesucht werden. Heutzutage gibt es dafür auch eine Unterstützung aus der Luft.
Im Oktober 2017 erreichte ein verheerendes Feuer den Ort und zerstörte den gesamten Waldbestand bis zur Küste. Vieira de Leiria und seine Bewohner befanden sich mitten in diesem Feuer, bis zum Strand von Vieira an der Atlantikküste brannte alles nieder. Am dortigen Strand gibt es einen kleinen Ort, er heißt dann auch "Strand von Vieira" - Praia da Vieira.
Ein letzter Blick von der Anhöhe in Vieira de Leiria zur Atlantikküste: Die Gebäude an der Küste sind bereits in Praia da Vieira. Vor dem großen Feuer war dieser Blick nicht möglich, es gab Waldbestand bis zur Küste.
Entlang des Rio Lis mache ich mich auf den Weg nach Praia da Vieira, der Fluss entspringt in der Serra d`Aire bei Cortes. Dieses Gebirge ist das Kalkmassiv, das ich für meinen Bericht über die "Kneipe im Berg" besucht hatte. Bei dem Massiv handelt es sich um ein ehemaliges Korallenriff. Die sandigen Hügel sind der Grund, auf dem einst die Bäume standen. Alles war bis zu dem großen Feuer dicht bewaldet. Mit dem starken Wind hatte das Feuer damals keine Mühe, über den Fluss zu springen und weiter nach Norden zu gehen. Im Internet werden die abgebrannten Wälder auch fast sieben Jahre nach dem Feuer noch immer als Sehenswürdigkeit angeführt ...
Mit dem Wechsel ins 19. Jahrhundert entstanden die ersten 15 Holzhäuser: Waren- und Wohnhäuser sowie Gebäude für die beginnende Fischerei. Zur Seeseite hin wurden die Gebäude auf Stelzen gesetzt. Die Bauten wurden zum ersten Mal im Jahr 1807 auf einer Landkarte als Fischerhütten vermerkt und befanden sich allesamt nördlich der Mündung des Rio Lis. In der zweiten Oktoberhälfte 1885 hat auch hier ein Feuer alles zerstört. Außerdem kam der Rio Lis noch immer ab und zu aus seinem angestammten Flussbett und half bei der Zerstörung der Häuser nördlich des Flusses. So zogen die Fischer schließlich zum Strand südlich der Flussmündung, wo dann das heutige Praia da Vieira entstand.
Praia da Vieira: Das Wort Praia ist das portugiesische Wort für Strand, Vieira wiederum ist der portugiesische Name einer ganz bestimmten Muschelart. Zur Erinnerung an diese Art Muschel haben dann auch einige Straßennamen im alten Ortskern die Muschel als Hintergrund. Eine sehr schöne Idee! Das ausgestellte Boot erinnert dabei an die traditionelle Fischerei des kleinen Ortes. Manche Straßen sind wie lange Bänder, die den Besucher direkt zum Strand führen. Vorbei an portugiesischen Restaurants, die jeden Besuch wert sind. Hier in Praia da Vieira habe ich dann auch zum ersten Mal eine portugiesische Fee getroffen, es war im Februar 2022 ...
Der Ortskern: Alles begann einmal dort, wo die Häuser der Fischer standen. Das ist am südlichen Ende des Ortes. Auf den Bildern ist die Blickrichtung nach Osten, die Gebäude der Fischer stehen etwa 300 Meter entfernt. Der Ort wurde inzwischen für den Tourismus sehr verändert, allerdings nicht immer zu seinem Vorteil ...
Der Strand: Auf den folgenden beiden Bildern schaut man in südliche Richtung. Den Ort schützt heute eine Steinmauer, denn auch hier kommt das Meer immer näher, was den Einwohnern sehr bewusst ist. Immer wieder nimmt es dabei Sand des Strandes mit sich, wovon die Touristen nichts mitbekommen. Hier gibt es einen geringen Tidenhub: Ist gerade Ebbe, steht allen ein großer und wunderbarer Strand zur Verfügung, bei Flut wird er schnell schmaler. Treibt starker Wind das Wasser des Atlantiks vor sich her, kommt es bis an die Steinmauer. Dabei wird dann schon mal das eine oder andere Bauwerk vom Atlantik beschädigt oder auch ganz zerlegt.
Ein Bild des Strandes, gesehen vom Nordende von Praia da Vieira: Die Appartementbauten für Touristen sind nicht zu übersehen. Im Winter stehen die meisten der Häuser leer. Die Sonnenuntergänge, die hier täglich zu erleben sind, sollte man einmal gesehen haben. Im Winter hat man das alles für sich, keine Menschenmengen stören diese Naturschauspiele. Noch haben die Touristen das nicht für sich entdeckt ...
Wenn im Winter ein Sturm aufzieht, landet der Sand vom Strand schnell oben auf der Uferpromenade und im ganzen Ort. Und anschließend muss er dann natürlich wieder zurück an den Strand ...
Praia da Vieira entstand wie erwähnt einst durch die Fischerei, die zur damaligen Zeit sehr mühsam war. Die Boote mussten durch Muskelkraft ins Meer gebracht werden, zurück an den Strand haben dann Ochsen diese Arbeit übernommen. Die einstige Fischerei war zur Ernährung unbedingt notwendig, was bedeutete, dass die Boote fast bei jedem Wetter zwingend auf See mussten.
Waren die Boote schließlich auf See, mussten sie für die Rückfahrt zum Ufer wenden. Kurzzeitig kamen sie dabei quer zur anrollenden See, der gefährlichste Moment. Es gab keinen Motor, nur die Ruder und die Muskelkraft: Kamen die Boote quer zur See, wurden sie sofort zum Spielball der Wellen. Dieser Moment musste schnell durchgestanden werden, nicht immer ging das gut. An ein besonders schlimmes Unglück erinnert ein Bild an einer Hauswand hier in Praia da Vieira: Alle im Boot kamen damals um, als es in schwerem Seegang kenterte ...
Inzwischen hat sich das ehemalige Fischerdorf zum Treffpunkt von Touristen verwandelt. Doch die traditionelle Fischerei ist noch nicht ganz verschwunden. Es ist allerdings nicht mehr notwendig, gefährliche Fahrten aufs Meer zur Ernährung der Bewohner zu riskieren. Einige Menschen halten die traditionelle Fischerei noch am Leben, als Nebenerwerb und bei ruhiger See. Von Mai bis September kann das hier noch ausgeübt werden, die Boote sind nun kleiner, aber die Art des Fischens ist geblieben.
Natürlich werden die Boote heutzutage nicht mehr mit Muskelkraft ins Meer geschoben. Auch gibt es keine Ochsen mehr, die das Boot bei seiner Rückkehr zurück an Land ziehen müssen. Das erledigt man inzwischen mit einem starken Traktor wie folgt: Das Fischerboot befindet sich auf einem speziell dafür konstruierten Anhänger und steht dabei auf Rollen aus Edelstahl. Soll das Boot ins Wasser, wird es bemannt und der Anhänger wird vorn am Traktor befestigt. Nun schiebt der Traktor den Anhänger mit voller Leistung ins Meer. Dort angekommen, folgt eine Vollbremsung. Im Boot wurde bereits die Verbindung zum Anhänger gelöst und der Schwung der Vollbremsung lässt es über die Metallrollen ins Wasser gleiten, wonach der Bootsmotor übernimmt.
Kommt das Boot zurück, wird es mit Schwung auf den im Wasser wartenden Anhänger gefahren. Dafür hat das Boot am Bug eine Verstärkung aus Metall. Nach dem Boot holt der Traktor auch das ausgebrachte Fischernetz wieder ein ...
Der frisch gefangene Fisch kommt direkt in die kleine Auktionshalle von Praia da Vieira auf der Uferpromenade zum Verkauf. Das Angebot ist natürlich vom jeweiligen Fang abhängig, keiner ist gleich. Die traditionelle Fischerei hat zwei ganz große Probleme: Es fehlt an Nachwuchs, junge Menschen haben andere Interessen. So ist diese Art der Fischerei vom Aussterben bedroht. Ein weiteres großes Problem sind die großen Fischkutter, die auf See der gewerblichen Fischerei nachgehen. Die Fangtechniken dieser Schiffe sind so perfektioniert, dass ein Entkommen des Fisches bei diesen Schiffen praktisch nicht möglich ist. Für die traditionelle Fischerei bleibt da nicht mehr viel im Uferbereich übrig ...
Gegen Ende September ist es dann jedes Jahr wieder soweit: Die große Masse der Touristen verlässt Praia da Vieira. Im Ort wird es nun sehr viel ruhiger, weite und jetzt einsame Strände laden zu langen Spaziergängen am Meer ein. Die herrlichen Sonnenuntergänge finden natürlich auch jetzt statt. Der LERRY wartet auf seinem Parkplatz, um hier Herbst, Weihnachten und den Jahreswechsel zu erleben. Zwischendurch geht es dabei immer mal wieder auf eine Tour. Ich habe hier jemanden kennengelernt, der sich in Portugal sehr gut auskennt: Für die Erzählung meiner Erlebnisse ist das ideal, besser geht´s nicht!
Die Zeit geht dahin: Ab und zu starte ich mit dem LERRYmobil zu einem kleinen Abenteuer. Die Weihnachtszeit kommt näher. Die Weihnachtsdekoration fällt hier in Praia da Vieira erheblich "sanfter" aus, als ich das aus Deutschland gewöhnt bin. Es herrscht hier nicht der dort übliche Druck wegen des Weihnachtsfestes: Weder bei den Menschen zu Hause, noch in den Geschäften, und das tut gut! Alles wirkt auf mich ruhiger und gelassener, ohne dabei das Fest in den Hintergrund treten zu lassen. Mir gefällt das!
Ähnlichkeiten zu Deutschland gibt es im mittleren Portugal durchaus: Die Tage können mit einem herrlichen Morgennebel am Rio Lis beginnen und mit einem ebenso herrlichen Sonnenuntergang am Ufer des Atlantiks enden. Das hat schon etwas! Natürlich herrschen in dieser Jahreszeit auch keine sommerlichen Temperaturen mehr. Die Heizung im LERRYmobil muss arbeiten, und auch die kurze Kleidung ist erst einmal im Schrank verschwunden. In den Nächten liegen die Temperaturen etwas über dem Gefrierpunkt, nur Frost und Schnee fehlen ...
Der Jahreswechsel wird an einer Stelle der Uferpromenade gefeiert: Natürlich innerhalb Praia da Vieiras und gleich bei den Restaurants und dem wirklich großen Partyzelt. Alles ist dicht beieinander. Hand in Hand zum Fest der Liebe an den Strand! Es wird nicht in jeder Straße geballert, wie das in Deutschland leider noch üblich ist. Das verhindert jede Menge überall verteilten Müll und Lärm. Der Lärm des Jahreswechsels ist an einer einzigen Stelle, was die Tiere des Ortes und die Natur natürlich erheblich besser finden!
Nach dieser wunderbaren Feier ist man gut gerüstet für das neue Jahr. Ich hoffe, ich habe euch meinen kleinen Lieblingsort direkt an der Atlantikküste ein wenig vorstellen können - den Ort der Muscheln und Feen. Die Reisen mit dem LERRYmobil haben mir immer wieder seltsame und beeindruckende Erlebnisse gebracht. So auch dieses Mal: Eine Fee von Praia da Vieira ist mir dann tatsächlich noch ein weiteres Mal begegnet. Ich werde diese Begegnung niemals vergessen ...
© 2024 Jürgen Sattler
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Jürgen Sattler finden sich in unserer Autorenübersicht!