Das Fest der Suppen
Nachdem ich das Erlebnis mit dem "halbfertigen Elternhaus" hinter mich gebracht hatte, brauchte ich erst einmal leichtere Kost. Da kam mir eine Einladung zum "Fest der Suppen" nach Marinha Grande hier in Portugal gerade recht: Eine wunderbare Gelegenheit, die Speisen des Landes einmal näher kennenzulernen!
Doch erst einmal wieder eine kleine Pause: Zum Beispiel bei einer Leserin hier im kleinen Ort Praia de Vieira. Da es dort mit dem Entsorgen des Abwassers aus dem LERRYmobil nicht so einfach ist, fahre ich wieder mal an die Costa de Lavos. Eine schöne Tagesfahrt ans Meer etwa 13 km südlich der großen Stadt Figueira da Foz - eine Gegend, wo ich mich vor zwei Jahren leider schon mal mit dem Fund von Plastikugeln im Meer beschäftigen musste ...
Zum Ablassen des Schmutzwassers hätte sich noch die Stadt Leiria in der Nähe angeboten, aber auf den Besuch einer Stadt habe ich gerade keine Lust - alles zu seiner Zeit!
Am Samstag, den 9. März 2024, will ich mich schließlich auf den Weg zum Suppenfest in Marinha Grande machen, doch werde ich am frühen Morgen von einem Eisregen überrascht. Eigentlich ist hier schon Frühlingsanfang! Bevor ich abfahren kann, muss ich die Solaranlage auf dem Dach des LERRY überprüfen: Der Eisregen kam so schnell, dass ich keine Schutzmaßnahmen mehr treffen konnte.
Die Gemeinde Marinha Grande liegt etwa in Mitte Portugals an der Atlantikküste und dort befindet sich natürlich auch der gleichnamige Ort. Die Gemeinde hat etwa 39.000 Einwohner, etwas mehr als 32.000 Menschen leben in der Stadt selbst, die heute Abend mein Ziel ist. Das Wetter ist inzwischen gut, der Eisregen hat sich nicht wiederholt.
Über den Ort Vieira de Leiria erreiche ich gegen Abend mein Ziel. Um 19 Uhr startet das "Fest der Suppen" ...
Doch was ist eigentlich eine Suppe? Kann man ganz einfach sehen: Wird etwas mit viel Flüssigkeit erwärmt, nennt man das Suppe. Nimmt man jedoch das Erwärmte aus der Flüssigkeit heraus, bleibt nur eine Brühe. Also praktisch das warme Badewasser der erwärmten Dinge. Somit ist auch der Zaubertrank von Miraculix im Dorf des Asterix eine Suppe und keine Brühe, weil die Zutaten drin bleiben ...
Suppen sollen niemals kochen: Wichtige Inhaltsstoffe gehen beim Kochen verloren. Suppen sind oft Vorspeisen. Werden Menge und Inhaltsstoffe immer mehr, ist der Übergang zum Eintopf als vollwertigem Essen schnell erreicht. Es gibt auch kalte Suppen, aber Müsli fällt nicht darunter. Müsli ist normalerweise ein Mus oder Brei ...
Das Fest startet pünktlich: Meine Neugier hat mich gleich zum Start hierher getrieben. Einen Kampf um einen Sitzplatz brauche ich hier und heute nicht zu befürchten. Dann stehen sie schließlich alle vor mir auf dem Tisch: Die Hauptdarsteller des Festes - die Suppen. Ich beginne zu zweifeln, ob ich da überall mal testen kann, denn es sind doch recht viele Suppen, die auf die Besucher warten.
Die eigentliche Suppe sollen die Westgermanen erfunden haben, etwa in der Zeit um 600 n.Chr. Es soll damals in einer Soße gebrochenes Brot gewesen sein. Sie benutzten erstmals das Wort "Supp".
Meine erste Suppe: Eine Kartoffel- und Kürbissuppe, in der auch Garnelen vorkommen, die Sopa de Batata e abóbora c/camarao. Durch die Beigaben von Kartoffeln und Kürbis ist die Suppe leicht cremig. Darauf kommt Petersilie.
Das deutsche Wort "Suppe" bedeutete einmal in etwa: Alles, was man mit dem Löffel essen kann. Das Wort "supen" in Deutschland bezeichnet nicht eine Suppe, sondern ist von dem Wort "saufen" abgeleitet. Na gut, das ist auch ein sehr hoher Anteil an Flüssigkeit.
Natürlich lasse ich mir von dem jeweiligen Anbieter etwas über seine angebotene Suppe erzählen. Die nächste, die ich mir mutig auf den Teller geben lasse, ist eine Cremesuppe: Die Creme Aveludado c/ervas aromáticas. Eine Cremesuppe mit aromatischen Kräutern und ebenfalls Petersilie. Man kann diese Suppe auch mit einem Esslöffel Sahne und einem Stückchen geräucherten Lachs versehen. Das ist aber keine Bedingung für diese Suppe. Von der Farbe her sieht sie meiner ersten Suppe sehr ähnlich, doch hier wird die Creme durch Bohnen erzeugt.
Eine weitere Suppe, die ich mir nicht entgehen lassen soll, ist die Caldo Verde. Der Name bedeutet etwa "Grüne Suppe". Grundlage für diese cremige Suppe ist eine Kartoffelsuppe. Eigentlich stammt sie aus dem Norden Portugals, mit der Zeit wurde sie allerdings Teil des Nationalgerichts. Es kommt vor, dass ein Stück Chouriço mitgekocht wird, um der Suppe einen deftigeren Geschmack zu geben. Bei einer "grünen" Suppe kommt es aber hauptsächlich auf Kräuter und Kohl an, den Couve Galega. Das ist eine Art Blattkohl mit einem hohen Nährwert, der Vitamin C, Kalium, Kalzium und Magnesium liefert. Eine wirklich gute Suppe!
Was kann man eigentlich mit einem Stein alles machen, vielleicht Schmuck? Man kann etwas damit bauen oder einfach nur eine Scheibe einwerfen. Es soll sogar Menschen geben, die an Steinen herumlutschen in der Hoffnung, darin enthaltene Mineralien heraus zu bekommen. Man kann mit einem Stein aber auch eine Suppe kochen ...
Für diese nächste Suppe, die sogenannte Steinsuppe, muss ich meine Gedanken in die Stadt Almeirim in Portugal schicken, die vom Atlantik aus etwa 95 km landeinwärts in östlicher Richtung liegt, im Bezirk Santarem der Region Ribatejo. Die Besiedlung dieses Gebietes geht bis in die Altsteinzeit zurück. Almeirim hat etwas mehr als 12.000 Einwohner und das Besondere an der Stadt ist diese Suppe, deren Bekanntheit hier entstand. Der Legende nach soll ein fremder armer Mönch in dieser Gegend aufgetaucht sein. Bei sich trug er einen Topf. Da er aber arm, hungrig und sein Topf leer war, hatte er eine Idee: Er nahm einen sauberen Stein, tat Wasser und den Stein in seinen Topf und verkündete einem neugierigen Mann, sich daraus eine Suppe machen zu wollen. Der Mann blieb aus Neugier. Nach einer Weile kostete der Mönch das heiße Wasser mit dem Stein darin. Die Suppe wäre schon ganz gut, meinte er zu dem Mann, aber mit ein paar Bohnen könne man die Suppe noch verbessern.
Der neugierige Mann brachte Bohnen und im Anschluss noch weitere Zutaten, die er auftreiben konnte. So entstand die Sopa de Pedra, die Steinsuppe. Der Stein blieb natürlich während des Kochens in der Suppe.
Wenn man sich über die Suppe informiert, taucht immer wieder dieser Mönch auf. Das machte mich misstrauisch: Es erweckt den Eindruck, dass hier eine Version für Touristen erzählt wird. Also mache ich mich auf den Weg zu einer anderen Informationsquelle. Zu den Portugiesen selbst.
Da erzählt man die Geschichte etwas anders: Ein armer und hungriger Mann ging mit einem Stein von Tür zu Tür und bat um eine Zutat für seine Suppe. Den Stein zeigte er als ersten Bestandteil. Die Leute gaben ihm die verschiedensten Dinge. Mit diesen Zutaten war er dann in der Lage, eine Suppe zu kochen. Der Stein, den er allerdings draußen ließ, war aber dennoch Namensgeber dieser Suppe. Gut, dass der Mann nicht ein Stück Gummi dabei hatte ...
Die Steinsuppe ist also eine Suppe, die man aus dem macht, was gerade zur Verfügung steht. Deshalb kann ihr Inhalt sehr abwechslungsreich sein. Natürlich hat sie dadurch auch nicht immer das gleiche Aussehen. Mir hat sie geschmeckt, obwohl ich einige Zutaten dann doch nicht mitgegessen habe.
Somit kann diese Suppe immer wieder anders sein, was schon die Legende erzählt. Auf jeden Fall wird die Steinsuppe in Almeirim sehr gern serviert. In Erinnerung an die Legende mit dem Mönch wird auch gern mal ein kleiner Kieselstein mit der Suppe erwärmt ...
Weiter zur Suppe Juliana: Hierbei handelt es sich um eine Gemüsesuppe. Sie wird aus Karotten, Zwiebeln, Lauch, Weißkohl, Petersilie und Pastinaken hergestellt. Eine Pastinake sieht in ihrer Erscheinungsform aus wie eine weiße Karotte. Sie ist allerdings eine Kreuzung aus Karotte und Petersilienwurzel. Die Pastinake ist auch bekannt unter den Namen Hammelmöhre oder Moorwurzel. Weiter sind gekochte und fein pürierte Kartoffeln enthalten, um den cremigen Charakter zu bekommen.
Diese Suppe ist in Portugal schon sehr lange bekannt. Bereits während der portugiesischen Unabhängigkeitskriege hat der deutsche Friedrich Hermann von Schönberg, besser bekannt als Schomberg, eine solche Suppe serviert bekommen. Das war um 1640.
Inzwischen gewinne ich bei meinem Essen hier den Eindruck, dass die Portugiesen so ziemlich alles in eine schmackhafte Suppe verwandeln können. Die Liste der portugiesischen Suppen ist lang und ich werde schon so langsam satt. Ich denke, es gibt in allen Familien und Regionen Portugals Arten von Suppen, mit denen erfolgreich die Leute an den Tisch gelockt werden können. Eine Suppe will ich noch wagen ...
Was ich hier nun vor mir habe, ist die sogenannte Glasmachersuppe, die Sopa do Vidreiro. Diese Suppe hat besonders mit der Stadt zu tun, in der ich gerade verkoste, nämlich Marinha Grande. Die Entstehung der Suppe geht zurück bis ins 18. Jahrhundert.
Marinha Grande war einmal das Zentrum der portugiesischen Glasindustrie. Ein Herr Guilherme Stephens erwarb im Jahre 1769 eine alte Fabrik hier im Ort, gemeinsam mit etwas Land. Das ermöglichte ihm den Bau einer neuen Fabrik für die Glasindustrie. Mit dabei war sein Bruder João Diogo. Der Wohnsitz des Eigentümers der Fabrik war sehr groß. Dazu gehörten spezielle Werkstätten zur Glasbearbeitung, Freizeiteinrichtungen und Gärten.
Die Arbeit in den Fabriken war hart und diese Suppe wurde das übliche Mittagessen der Arbeiter. Es wurde zubereitet von deren Familien und in der Mittagspause gebracht. Für diejenigen, die diese Möglichkeit nicht hatten, wurde auch hier in der Fabrik die Glasmachersuppe zubereitet. Ein wenig Kabeljau war auch dabei.
Genau genommen bestand die Suppe aus gekochten Kartoffeln, Knoblauch, Olivenöl, einem verlorenen Ei und natürlich in kleine Stücke gebrochenem Brot. Alles zusammen wurde mit dem Kochwasser des Kabeljaus übergossen. Und zwar soviel Wasser, dass noch welches als Suppe im Teller nach dem Einweichen des Brotes übrig blieb ...
Nach dem Tod der Brüder ging die Fabrik in Staatsbesitz über. Seit 1998 beinhaltet sie unter anderem ein Glasmuseum, eine öffentliche Bibliothek und auch eine professionelle Schule für Kunst.
Natürlich befinden sich hier für mich beim Verkosten noch viele andere Suppen als die genannten. Doch so langsam werde auch ich satt. Und Sattwerden durch Essen bedeutet fast immer der Beginn des "Suppenkomas" oder, wie man in Deutschland sagt, der "Fressnarkose". Nach vielem Essen muss der Magen seine Verdauungsarbeit aufnehmen und dazu braucht er viel Blut. Der Blutdruck sinkt, Müdigkeit und Trägheit machen sich bemerkbar. So ergeht es mir auch. Wo ist das nächste Bett ..!?
Ich lasse mich wieder zurück zum LERRYmobil bringen, nach Praia da Vieira. Ich habe sehr gut gegessen ...
© 2024 Jürgen Sattler
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