Marokko   Marokko 2020 / 2021

Reisen in Coronia, oder: Ein europäisches Kamel schaut in die marokkanische Wirklichkeit ...


Vorbemerkung der Redaktion

Tolle Erinnerungen kamen sofort hoch, als uns seine Mail erreichte: Erinnerungen an eine abenteuerliche Reise, die tatsächlich schon wieder sechs Jahre her ist und die insbesondere wegen unserer Fähren-Erlebnisse auf viel Interesse und auch Belustigung bei den Lesern führte: Unsere damalige Ostseereise, genauer gesagt die Tour Skandinavien / Baltikum 2014.

Ostsee 2014: Begegnung auf der Fähre STENA FLAVIADer uns da mailte, war unsere einstige Bekanntschaft von der Fähre STENA FLAVIA, einem "Kreuzfahrtschiff der besonderen Art", mit dem wir am Ende unserer Reise seinerzeit vom lettischen Ventspils nach Travemünde zurückkehrten. Den Journalisten Michael Gallmeister, Herausgeber des Magazins Lett-landweit, trafen wir damals an Bord und bei diesem Anlass erzählte er uns nicht nur von seinen weiteren Tourplänen, sondern schenkte uns auch noch ein Exemplar seines Magazins.

Wir waren also sehr erfreut, nun wieder von ihm zu hören. Als aktuelles "Mitbringsel" erhielten wir jetzt von ihm den Bericht über seinen derzeitigen Marokko-Aufenthalt und seinen Eindrücken bis Anfang 2021, wo er die angenehmen Seiten eines echten "Corona-Refugiums" genießt. 

Bereits seit einigen Jahren fährt er regelmäßig im Spätherbst nach Sidi Ifni, eine kleine Fischerstadt ca. 200 km südlich von Agadir, um dort vor Ort ein wenig zurückgezogen zu schreiben und zu philosophieren. Besonders das kleine alte spanische Hotel Suerte Loca hat es ihm da angetan, denn fast unverändert seit 1932 in Bau und Stil kann man dort einen der schönsten Übernachtungsplätze auf der oberen Terrasse im Zelt für kleines Geld bekommen ...

Klar, dass wir mächtig neidisch waren bei diesem Bericht, denn bei ihm sieht es doch irgendwie deutlich anders aus als in unserem derzeitigen Umfeld ...


Geschmack kann auch Erinnerungen hervorrufen ...

Warum Marokko, könnte man sich fragen, nun, alte Geschichten führen zu neuen Geschichten, so war ich zum ersten Mal mit meinen Eltern bereits 1977 in Marokko. Als kleiner 11-jähriger Junge erinnere ich mich nur an wenig, z.B. an das alte Fischerboot, auf welchem ich immer an der Küste spielte und natürlich auch an die starken Wellen dort ...

Mit 18 Jahren bin ich dann mal während eines der letzten Urlaube gemeinsam mit meinen Eltern in Spanien allein aufgebrochen mit dem Schiff nach Ceuta, um den Ort Tetuán zu besuchen: Eine kurze Fahrt, aber auch eine Geschichte, die hier vielleicht den Rahmen sprengen würde ...

Im Jahr 2014 habe ich mich dann mit meinem alten Setra Bus sowie acht Freunden und Bekannten aus Estland und Deutschland zu einer großen Marokkofahrt aufgemacht, bei der ich auch in Agadir vorbeikam. Dort aß ich einen Joghurt aus einem Glas und ein Stück gelblichen Kuchen aus Mana. Urplötzlich kam über den Geschmack die Erinnerung zurück: Der Joghurt mit dem leichten Vanillegeschmack und der gelbe Manakuchen, alles schon mal mit 11 Jahren reichlich gekostet!

Später an der Küste entdeckte ich dann Sidi Ifni, es war wie eine Liebe auf den ersten Blick - die alte spanische Architektur, der kleine, aber mit großer Auswahl bestückte Fischmarkt mit seinen Grillbuden, die breiten leeren Alleen, die steile Promenade an der Küste ...

In den letzten Jahren lernte ich ein paar dort ansässige Marokkaner etwas besser kennen, wir machten ab und zu kleine Ausflüge in die Wüste und nach Tarfaya. Sie sprachen relativ gut Englisch oder Deutsch, da die Küstenregion bei Sidi Ifni, besonders um Mirleft, früher von zahlreichen Späthippies aufgesucht wurde, mit denen sie zusammen waren. Einer von denen war Hassan, er erzählte mir von der großen Hippieszene der 70er- bis 90er-Jahre, als zahlreiche Wohnmobile am Strand campierten oder man einfach trampend bis in die Region vorgedrungen war. Hassan wohnte seinerzeit 10 Jahre in einer Höhle am Strand, die war so geräumig, dass er mitunter über 20 Menschen darin zum Feiern beherbergte ...

Glückliche 10 Jahre als Höhlenbewohner ... Hassan, der Althippie, heute im "Laden für alles" ... In der Hassan-Höhle ...
Handel mit Hasch ... Einstieg am Strand ... Hassan bei der Arbeit ... Ein Klumpen Dope reichte für den Tag ...

Er handelte früher vorrangig mit Hasch, Getränke gab es von Touristen, mitunter legte er einfach morgens einen großen Klumpen Dope auf den Tisch und den ganzen Tag wurde nur geraucht und getrunken, ohne sich überhaupt aus der Höhle hinaus zu bewegen. Versorgt wurde er von marokkanischen Helfern, die Essen brachten, mitunter auch in der Höhle mal etwas sauber machten, Geschirr spülten etc. Einmal war ein Spanier da, der sammelte bei der Abreise alle alten Batterien und Plastikmüll zusammen, packte den in sein Wohnmobil und schaffte ihn nach Spanien, um ihn dort zu entsorgen. Hassan fragte ihn, was das sollte mit dem Aufwand. Der Spanier meinte dann, wir in Europa bauen uns eine saubere Welt auf Kosten der anderen Zweit- und Dritt-Welt Länder, dann sollte auch der Müll wieder dahin zurück, wo er entstanden sei ...

Es gab auch einen Engländer, der hatte nachts aus allen möglichen Zelten und Wohnmobilen diverse Luxusgüter, Klappstühle und Tische, Radios, Kassettenrekorder etc. gestohlen und dann in Sidi Ifni in der ärmeren Randgegend an die Bewohner verteilt. Es gab ein ziemliches Theater am nächsten Morgen, bis jemand seinen eigenen Klappstuhl im Ort entdeckte und der Sache auf die Spur kam ...

Hassan arbeitet mittlerweile seit Jahren in einem kleinen Laden "für alles" auf Provision, hat eine Familie und ein paar Kinder, aber im Inneren ist er ein alter Hippie geblieben. Er ist überzeugt, dass die Zeit in der Höhle die schönste Zeit seines Lebens war und er steht, selbst wenn er im Laden ist, weit über den Dingen ...

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Nachdem nun 2020 zum "Internationalen Corona-Jahr" erklärt wurde, sah ich zum Herbst hin noch nicht so wirklich eine Reise nach Marokko für mich. Da aber in Lettland, das im Frühjahr 2020 noch moderat auf die Corona-Gefahr reagiert hatte, auf einmal Ende September die offizielle Panik erklärt wurde, mit allen Begleiterscheinungen wie Ausgangssperren etc., bin ich über Schweden mit meinem alten Bus nach Deutschland gefahren, um einige "Oldtimerautotechnische" Fragen zu klären und meine alten Eltern nochmal zu besuchen ... 

Sidi Ifni in Marokko, Liebe auf den ersten Blick ... Landung in Sidi Ifni, 60er Jahre ... Geschmack kann Erinnerungen wachrufen ...

Dann rief ich auch einmal in meinem kleinen Hotel in Sidi Ifni an und fragte, wie denn dort die Situation sei. Nun, meinte eine der Familienbetreiberinnen, ein wenig Masken, aber mehr symbolisch, Restaurants wären geöffnet, Bars zwar geschlossen, aber man könne dort auch Wein zum Mitnehmen kaufen. Also entschloss ich mich in Anbetracht der immer unangenehmeren Lage auch in Deutschland, einen Flug zu buchen, den Test zu machen und mich kurz vor Neujahr nach Sidi Ifni zu begeben ...

Der Aufenthalt ...


© 2021 Michael Gallmeister, Lett-landweit