Die Wüstentour
Zurück in Sidi Ifni bietet mir Aziz an, mich mitzunehmen zu seiner Dattelfarm und seiner Heimatregion Rissani, wo er noch Einiges zu erledigen hat. Übernachtungsausgaben teilen wir uns sowie Essen und Trinken. Schon 2014 wollte ich mit meinem Bus einmal den Anti-Atlas abfahren, aber wegen starkem Regen hatten wir damals aufgegeben.
Man fischt nie den gleichen Fisch aus demselben Fluss: Die Geschichte mit Aziz und den gleichen Fischen, von denen wir zwei gekauft hatten auf dem Markt zum Grillen. Wir aßen, ich sagte, dein Fisch sieht anders aus, lass mich mal probieren. Wie, meinte er, das ist der gleiche, nein nein, sag ich, sieh mal, mein Fleisch ist durchsichtiger, … Der Grillmeister wurde noch hinzugezogen, er bestätigte natürlich alles.
Heute essen wir zwei kleine und einen größeren Fisch, alles wird sauber aufgeteilt. Aziz fragt mich nach einer Weile, kann ich mal von deinem Fisch probieren, er sieht irgendwie anders aus. Klar, meine ich, er lacht …
Der Dieseljeep von Aziz ist kühle Nächte nicht gewohnt, also müssen wir ihn morgens in Sidi Ifni anschieben, da die Nacht kalt war. Nun begeben wir uns auf den Weg nach Rissani, ca. 900 km durch die Wüste. Der Straßenbau in Marokko ist weit fortgeschritten, hat EU Länder wie z.B. Lettland in Quantität und Qualität der neuen Straßen schon lange überholt.
Der Verkehr ist sehr gering, neben einigen wenigen Oasen wie z.B. Tata, grüßt beständig die Steinwüste in allen Variationen. Es gibt selbst in der trockenen Wüste zahlreiche Melonenplantagen, was laut meinem Begleiter völliger Schwachsinn ist, da diese immense Wassermengen benötigen.
Der marokkanische Staat fördert den Anbau in der Wüste bei Palmen, Gemüse etc. durch Zuschüsse bzw. Bereitstellung von Bewässerungsanlagen. In Zagora kommen wir am frühen Abend an und suchen eine Übernachtung. Da nur wenige Hotels offiziell an Touristen vermieten dürfen, nehmen wir im teuren Edelclubhotel ein Doppelzimmer für umgerechnet 30,- EUR. Wir sind die einzigen Gäste in einem ca. 200 Betten-Palast. Das Zimmer liegt direkt vor dem Swimmingpool, mein marokkanischer Freund meint, lass uns noch was trinken in der Bar.
Hmh, denke ich, ist doch alles mit Band abgesperrt! Ja, aber vom Innenhof aus gibt es einen offenen Seiteneingang: Im Halbdunkel befinden sich einige Gestalten trinkenderweise am Tresen, die von zwei unverschleierten jungen Frauen bedient werden. In der späteren Abendstunde füllt sich die Bar, schließlich sitzen und stehen hier etwa 30 bis 40 Leute, darunter auch ein paar wenige Frauen. Essen wird ebenfalls serviert und es geht lustig zu. Gegen 23:00 Uhr gehen wir aufs Zimmer, aber Aziz meint, die machen meist noch weiter bis um 3:00 Uhr Party ...
Am kalten Morgen heißt es wieder einmal einen Mechaniker aufzusuchen, um den müden Jeep aufzumuntern. Ich meine zu Aziz, ein Esel wäre nicht so störrisch, ein Tritt in den Hintern und auf geht´s ... Ich muss dabei an den armen Esel in Guelmim denken, beladen mit ca. 500 kg auf 1 ES (Eselstärke). Bei diesem war aber wahrscheinlich auch der Corona-Sicherheitsabstand gewährleistet, man urteile selber, ob es der EU Norm entspricht …
Schließlich sind wir in Rissani, die Sonne sticht herunter, aber auf dem überdeckten Markt herrscht Eiseskälte. Es gibt Datteln in allen Varianten und viel handwerkliches Schaffen: Schmiede, Tischler, Kupferschmiede ... Und der große Eselparkplatz nicht zu vergessen, der Esel ist und bleibt immer noch das billigste Transportmittel für kleine Wege ...
Gastronomie in Marokko
Hier in Rissani gibt es den ganz besonderen Döner: Brotteig gefüllt mit einer Ziegenfleischmasse und Zwiebeln sowie Gewürzen eingebacken - macht immens satt. Ziege und Kamel, seltener mal Schaf sind die üblichen Fleischspeisen, Rind ist sehr selten im Angebot, da zu teuer. Oft sieht man die üblichen Tajines mit einem Fleisch-/Knochenbrocken in der Mitte, überdeckt von gegartem Gemüse und Kartoffeln. Des Morgens liebt man in Marokko neben dem kargen Oliven - Honig - Brotmahl auch Eierspeisen, Omeletts bzw. Rührei in allen möglichen interessanten Varianten mit Tomatensauce und/oder Zwiebeln, Petersilie …
Tee wird in rauen Mengen genossen, gen Süden umso mehr und stärker sowie oft ohne Minze (Nana). Im Norden ist häufig nur Nanatee üblich, immer gewaltig überzuckert, man könnte mit den Zuckerbacksteinen Häuser bauen, Zähne und Diabetes im Alter danken es den Meisten ...
Die Trinksitten der Marokkaner sind auch etwas ungewöhnlich, und man denke nicht, weil die meisten Muslime sind, dass sie deshalb nicht "trinken" würden, Allah schaut halt auch mal weg und dann wird alles ausgetrunken, was da ist und erst danach ausgiebig gegessen und sich schlafen gelegt. Die Alkoholpreise sind hoch, vor allem für Bier zwischen 2,- bis 3,- EUR pro Dose oder Flasche. Bei Wein kann man schon billigen marokkanischen für ca. 6,- EUR die große Flasche bekommen, Spirituosen wie z.B. marokkanischen Raki für etwa 6,- EUR der halbe Liter ...
Die marokkanischen Wohnungen sind für europäische Verhältnisse ziemlich karg, in einfachen Haushalten haben oft Stühle und Tische noch keine große Bedeutung erlangt. Auch Schränke gehören eher wie jeder andere mobiliare Zierrat eher nicht zur Ausstattung. Im Haus spielt sich das Leben auf dem Boden ab, man liegt halb auf Kissen, in der Mitte eine große Schale mit Essbarem und der Tee. Auch Klopapier ist in den einfachen Haushalten unüblich, man wäscht sich den Hintern mit den Fingern und Wasser ab. Ebenso gehört das Besteck nicht wirklich zur marokkanischen Küche, das Brot - zwischen die Finger geklemmt - ist das Esswerkzeug für alles ...
Preise für Gemüse sind deutlich geringer als in Westeuropa, bei Fleisch ähnlich um die 5,- bis 7,- EUR das Kilo, Fisch etwas billiger um die 3,- bis 5,- EUR. Dann aber auch wie in Sidi Ifni direkt aus dem Meer fangfrisch. Der Lebensstandard schwankt erheblich, aber weniger regional zwischen arm und reich. Der Süden wird wegen der Westsahara-Problematik stärker unterstützt, um den Frieden zu gewährleisten. Überhaupt merkt man das im Gegensatz zu anderen Regionen der Welt, wie z.B. zum Donezgebiet und der Krim in der Ukraine, welche vom ukrainischen Staat in jeder Hinsicht sträflich vernachlässigt wurden. Die marokkanische Regierung konnte durch genau das Gegenteil die Westsahara-Region halbwegs befrieden.
Die Polizei wird wie überall mittlerweile gut gefüttert (Monatslohn liegt um 500,- EUR und aufwärts), um dem Backschischeintreiben ein Ende zu machen, aber wie man sieht, ist die Gier unersättlich wie bei den Politikern. Alles hält hier in Marokko der König zusammen, für viele Bewohner gilt er als Garant des Friedens und eines mäßigen Wohlstandes, vor allem der Vater des jetzigen Königs war eine fast überall in der Bevölkerung Marokkos angesehene Respektperson.
Auch trotz der Corona-Krise gilt in Marokko noch die Devise "Touristen/Ausländer sind willkommen" und sollen bei ihrem Aufenthalt nicht durch Behörden schikaniert werden, da der Tourismus ein wichtiges wirtschaftliches Standbein für die Bevölkerung darstellt. Und das ist zur Zeit fast völlig weggebrochen, obwohl die Bestimmungen für einen Aufenthalt in Marokko ohne Quarantäne durchaus moderat sind, aber wenn nur noch die Angst das Leben regiert, bleibt halt das Erleben auf der Strecke. In Merzouga jedenfalls warten die Kamele vergebens auf den sonst immensen Tourismusstrom, ebenso wie die unzähligen Trikeanbieter, Herbergen, Fossiliengeschäfte und Souvenirshops ...
Einige wie auch Aziz versuchen sich ein zweites Standbein aufzubauen, indem sie Palmen für Datteln anpflanzen: Auf seiner kleinen, ca. 6 ha großen Fläche hat er etwa 100 Palmen angepflanzt, nach ein paar Jahren kann eine Palme mit guter Dattelsorte einen Jahresertrag von bis zu 300,- EUR bringen. Das alles ist nur möglich, weil er einen Brunnen hat, wo - man muss wirklich staunen - bereits in einer Tiefe von sieben Metern Süßwasser vorhanden ist. Das erklärt sich dadurch, dass sein Grundstück nahe an einem Flusslauf (Wadi) liegt.
Abends sitzen wir im schönen gemütlichen Familienhotel Amazir, allerdings nicht mehr draußen vor den Dünen, sondern drinnen vor dem Kamin mit kräftigem selbstgebrannten Dattelschnaps, um gegen die Wüstenkälte anzugehen, die nachts bis zu -5°C reichen kann.
Boa, ein alter Kameltreiber, tut mir etwas leid, da es ihm im Gegensatz zu seinen und meinen Bekannten schwerfällt, die Tatsache des Nichttourismus zu akzeptieren.
Spaßeshalber frage ich ihn, was eine Reise nach Sidi Ifni auf Kamelen kosten und wie lange es dauern würde. Antwort: 50,- EUR pro Tag und Dauer ca. 30 Tage. Seine Bekannten meinen, ich solle doch besser den Fliegenden Teppich von ihm nehmen. Er versucht zu handeln und meint, 20,- EUR gingen auch pro Tag. Vielleicht aber auch nur ein kleiner Ausflug?
Irgendwann versteht er, dass ich weder der letzte noch der erste Tourist bin, sondern irgendetwas mittendrin und dazwischen. Ja, die Stimmung ist manchmal wie bei Mary Shelleys Roman um 1890, Der letzte Mensch ...
Die etwas bergige Strecke über Taroudant zurück nach Sidi Ifni ist wesentlich fruchtbarer und grüner als der Hinweg über Tata. Die Palmen weichen den Oliven und Obstbäumen, vorrangig Apfelsinen. In manchen Flüssen kann man sogar noch Wasserpfützen sehen, im Bergland auch noch Schneereste. Im Hotel Sahara machen wir einen Stopp bevor es dunkel wird, da man sonst ab 20 Uhr auch nichts mehr zu essen bekommt. Es ist eine Notlösung, da es bis Taroudant noch zu weit wäre.
Nach Besichtigung des Zimmers frage ich Aziz, wie viel Sterne können wir denn der Bude geben? Schau in den Himmel meint er, es war bewölkt. Fairerweise muss man aber sagen, dass zumindest die Internetversorgung gut und die Decke in dem ansonsten superspartanischen Zimmer hübsch bunt dekoriert ist - das alles zum Preis von 10,- EUR für zwei Personen ...
Am nächsten Tag nehmen wir dann vorbei an Agadir die Küstenstraße über Massa nach Mirleft. Schöne einsame Strände grüßen, wo auch selbst in der Tourismussaison, wenn man denn auch abgeschiedene Sandwege nicht scheut, stille Orte gefunden werden können.
In Mirleft machen wir Halt in der Café- und Restaurantzone, in den 60er- oder 70er-Jahren gebaut, wo wir mal wieder eine Ziegen-Tajine zu uns nehmen. Über die einstige Hippiehochburg senkt sich nun Schweigen, ein paar Cafés warten auf Gäste, eine alte Französin raucht gelangweilt mit zwei Marokkanern eine Zigarette. Ich werfe einen Knochen auf die Straße, oben von der Terrasse herab zu den Hunden, die sich unten tummeln ...
Aziz meint, so macht man das nicht, ich solle die Knochen gefälligst in die Hand nehmen und ihnen unten dann geben. Beim Herausgehen befolge ich seinen Rat, jedoch die Hunde liegen schläfrig in der Ecke ohne Reaktion, also werfe ich ihnen schließlich den Knochen doch zu und frage mich, welche Distanz denn nun angemessen gewesen wäre ...
Eine junge dürre schwarzgekleidete Ausländerin sitzt am einsamen Café-Tisch, die Ohren zugestöpselt, und schaut dem Ganzen uninteressiert zu: Zurück zu sein in Sidi Ifni ist fast wie eine Heimkehr aus der Wüste. Nach all den Erlebnissen, Bekanntschaften und dem lockeren Umgang frage ich mich, wenn denn all die Lockdown-Maßnahmen so wichtig und effektiv wären wie dargestellt, dann müssten doch z.B. hier in Marokko bei der eher symbolischen Befolgung von Masken- und Abstandsregeln sowie geöffneter Gastronomie, vollen Bussen, Läden, Friseuren und Hotels die Menschen eigentlich wie die Fliegen sterben - warum bemerkt man aber davon hier irgendwie nichts ..?
© 2021 Michael Gallmeister, Lett-landweit
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