Marokko 2022 / 2023
Mit dem Moped durch die Provinz Sidi Ifni ...
Viele Jahre schon genieße ich den herbstwinterlichen Aufenthalt in Sidi Ifni: Weg von Europa, Abstand zu nehmen von der gierigen und hektischen Gesellschaft, welche zunehmend auf dem Weg ist, sich wie Lemminge selbst in den Abgrund zu stürzen ...
Ein einfaches Leben im Dachterrassenzelt des kleinen Hotels Suerte Loca lässt ganz entspannt die Tage vorbei gleiten mit Schwimmen im Meer, Gesprächen mit vielen verschiedenen Gästen und marokkanischen Freunden, Lektüre philosophischer Bücher und Besuchen von einfachen Restaurants. Erst wenn die Langeweile aufkommt, fühle ich mich angekommen im Süden Marokkos ...
Aber jede Gewohnheit will mal durchbrochen werden, und so kam mir der Gedanke, warum nicht diesmal ein kleines Moped mieten, eines von denen, die zu Tausenden dort rumkurven, und damit die nähere Umgebung erkunden ..?
Verhandlungen
Bei meinem ersten Verhandlungsversuch in Sidi Ifni war der minimal auszuhandelnde Preis (wenn ich mindestens eine Woche ein Moped miete) 120 Dirham, also ca. 11 EUR pro Tag. Im Vergleich dazu haben einige Touristen einen Mietwagen in Marrakesch längerfristig schon für 15 EUR täglich mieten können. In Sidi Ifni aber ist der nicht unter 30 EUR zu bekommen. Außerdem: Wieder Autofahren - wie öde ..!
Meine marokkanischen Freunde rieten mir, in Mirleft wegen Mopedmieten anzufragen, die wären dort etwas billiger. Also besuchte ich mal wieder Mirleft, verhandelte lange und einigte mich auf 100 Dirham pro Tag bei insgesamt zehn Tagen Miete. Ich prüfte die kleine 50 ccm China-Maschine mit 4 Gang Halbautomatik, der Spiegel fehlte zwar, aber technisch machte sie einen halbwegs zuverlässigen Eindruck.
Dann hieß es volltanken (sie meinten, mit einer Tankfüllung von ca. 4 Litern käme ich ungefähr 80 km weit) und die erste Fahrt zurück nach Sidi Ifni zu machen ...
Rentabler Transportesel
Am nächsten Tag wollte ich nun mit meinem neuen Gefährt Wein holen in der ca. 60 km entfernten Stadt Gülmin hinter den Bergen: Alle warnten mich wegen dem alten Moped, der Polizei, dem Alkohol und so weiter ...
Mir war das scheißegal, ich setzte mich morgens gegen 10:30 Uhr auf das Moped und fuhr los, der Sonne, den Bergen und der Wüste entgegen. Das Moped schaffte immerhin 80 km/h, selbst bergauf brauchte man nicht zurückschalten, sondern es tuckerte auch mit 70 km/h steilere Berge hoch. Auf halber Strecke wurde ich tatsächlich von einer Polizeikontrolle kurz angehalten: Eigentlich herrscht auch Helmpflicht, aber ich war mehr auf dem "Easy Rider" Trip. Sie sagten etwas von "zu schnell gefahren", der Abschnitt wäre auf 60 km/h beschränkt. Ich lächelte nett und meinte, auf das kleine Moped deutend, das sei doch keine Rennmaschine. Nun, da mussten auch sie lachen, wollten keine Papiere sehen (die ich sogar dabei hatte!) und ließen mich weiterfahren .. .
Angekommen in Gülmin wurde erstmal getankt und überraschenderweise gingen gerade mal 2,5 Liter in den Tank, was einen ca. Verbrauch von 2 – 2,5 Litern auf 100 km macht. Danach hieß es gleich auf dem Markt den Alkshop anzusteuern, für meine große Kiste zwölf 1,5 Liter Flaschen Wein zu kaufen und zu versuchen, diese hinten auf das Moped zu laden. Fixiert mit zwei Gummibändern schnitten sich diese allerdings tief in den Karton ein, aber dennoch machte das Ganze einen stabilen Eindruck. Anschließend noch schnell in meine Tasche zwei große Flaschen Anis Schnaps gepackt und auf ging die Rückreise durch die Berge ..!
Ich stellte mir vor, wie mir an der Polizeikontrolle hinten der Karton aufplatzt und die ganzen Weinflaschen auf die Straße rollen - welch ein herrliches Spektakel hätte das ergeben! Aber allen Warnungen und Befürchtungen zum Trotz kam ich nach rund zweieinhalb Stunden wieder in Sidi Ifni an. Da die Differenz des Weinpreises im Vergleich zur Bar in Sidi Ifni pro Flasche ca. 4 EUR ausmachte, hatte ich bei dieser Fahrt schon die Hälfte der Mietgebühren für das Moped rausgeholt.
Nach ein paar Wochen mietete ich mir übrigens
nochmal für 10 Tage das Moped wegen eines mir wichtigen Ausflugs,
aber dazu später mehr.
Bergtouren
Die kleinen Dörfer in den Bergen sind halbverwaist: Auf und neben den Ruinen befinden sich Neubauten. Colleges wurden gebaut für die Zukunft der marokkanischen Jugend, die diese aber vermutlich eher in den Städten sucht. Ansonsten bleibt in den Bergen die weite Welt eher virtuell. Der Kakteen-Virus hat härter zugeschlagen als der Corona-Virus, fast alle Kaktusplantagen sind hin, grau, abgestorben ...
Zur "Bewegung" und der "Ruhe": Die Bewegung von Ort zu Ort, Platz zu Platz, Mensch zu Mensch gibt die Illusion, mitten im Leben zu stehen, durch dauernde Bewegung zu meinen, sein tägliches Werk vollbracht zu haben. Die Ruhe, das Verharren an einem Ort im Ablauf der täglichen Gewohnheiten, verschafft die Illusion von Beständigkeit. Beides sind Irrtümer in ihrer Verabsolutierung: Ein Pendeln von Ruhe und Bewegung ist das Leben. Die menschliche Zivilisation versucht das allerdings durch immer schnellere Bewegung auszupendeln ...
Man warnt mich schon davor, in der Sonne ohne Kopfbedeckung und ohne T-Shirt durch die Wüste zu fahren, aber mir ist das Latte: Vielleicht holt mich noch der Sahara-Wahnsinn, den man nur mit "Mughrabi" löschen kann (Anm. der Red.: Eine von "Maghreb" abgeleitete Bezeichnung insbesondere für Marokko im westlichen Teil Nordafrikas) ...
Nun also "Bewegung": Dabei an der Küste entlang bis Aglou fahren, zwei kleine schöne Fischerörtchen entdecken, und noch ein drittes, Laghzira, etwas touristisch, aber mit gutem Essen. Viele große, oft nicht vollendete Hotelanlagen, welche meist leer und ungenutzt unpassend in der Landschaft stehen, säumen den Küstenstreifen. Von dort über Tiznit zurück in die Berge über Tioughza, einen kleinen Ort mit einem Jugendclub, den ich besuche. Mit dem Leiter vereinbare ich, dass ich ein paarmal die Woche nachmittags ein wenig Schachunterricht gebe. Abends dann lange Gespräche mit durchaus gebildeten Marokkanern im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, viel Musik, ein wenig Kiff und geistige Getränke. Ich bekam den Schlüssel und die Möglichkeit, falls ich wollte, dort in einem Zimmer zu übernachten, was ich auch ein paar Mal genutzt habe.
Auf dem Weg zurück nach Sidi Ifni geht es vorbei an einer schönen kleinen Oase: Mit einer vor ca. 15 Jahren von einer Deutschen gebauten, großzügig angelegten Farmanlage, die allerdings nur gegen Pacht auf Staatsboden errichtet wurde. Wegen Hochwassergefahr folgte eine spätere Enteignung und nun zerfällt sie - welch eine Logik! Wahrscheinlich wurden aber nur an den richtigen Stellen nicht die entsprechenden "Zahlungen" geleistet ...
Plage Blanche
Noch 2014 endete die südliche Küstenstraße von Sidi Ifni hinter Sidi Ali Jama am Wadi Asaca. Seit zwei Jahren, so hörte ich, ist die Straße entlang der Küste weitergebaut bis Plage Blanche (die neue Straße ist übrigens bis heute noch nicht bei Google Maps eingezeichnet). Das war eine Herausforderung und eine herrliche Fahrt entlang an einsamen Stränden zwischen Berghängen und anschließend unendlicher Weite mit Blick auf ewigen Strand ...
Nach Volltanken in Sidi Ifni fiel mir dann an der Plage Blanche ein, dass ich schon über 70 km zurückgelegt hatte. Also besser gar nicht erst den Kraftstoffstand überprüfen, sondern vorsichtig energiesparend wieder zurückfahren - denn Tankstellen gibt’s auf der Strecke keine. Hatte aber genau gereicht, in Sidi Ifni war nur noch eine kleine Pfütze im Tank ...
Die Fahrt gefiel mir so gut, dass ich beschloss, Neujahr an der Plage Blanche zu verbringen. Ich hatte gehört, dass sich früher dort zu Neujahr viele Althippies mit ihren Campingfahrzeugen getroffen hätten. Jedoch schon vor dem 31.12. erfuhr ich, dass die marokkanische Regierung aus unerfindlichen Gründen Silvesterfeiern untersagt habe, wie bereits zu Corona-Zeiten oder eben als späte Corona-Maßnahme. Die Straße von Guelmin nach Plage Blanche sei von Polizei gesperrt, ebenso die Hauptstraße von Guelmin über Tan Tan nach Layoune, da viele Campingfahrzeuge in den Süden zu den Stränden zum Feiern wollten. Mir war das wurscht, der Plan würde erfüllt, ich schnappte mir zwei alte Decken, etwas zu trinken und zu rauchen und ab ging die Post, der völlig verwaisten neuen Straße entlang nach Plage Blanche. Kein Auto zu sehen und auch keine Polizei ...
Der Strand völlig einsam und verlassen, ein Auto und ein Camper standen dort nachmittags und verschwanden nach zwei Stunden. Als letztes kam ein Gendarmerie Jeep vom Strand zur Straße gefahren, aber ein Mann und ein Moped war völlig uninteressant für die. Gegen Abend wurde es windig, kein Windschutz weit und breit, so musste ich im Stehen Picknick machen, da sonst alles vom Sand verweht worden wäre. Die Nacht war kühl, die Sterne waren hell und der Schlaf kam schnell.
Am nächsten Morgen, diesmal hatte ich mir eine Reserveflasche mit Benzin eingepackt, entdeckte ich eine seltsam neu aussehende Straße und auf der ging es weiter Richtung Süden. Komischerweise wurde sie immer unterbrochen mit großen aufgeschütteten Erdhügeln, was mein Moped aber nicht störte. Dann bekam ich weite Sicht und verstand: Ein riesiges Palastareal, wo extra mehrere asphaltierte Zugänge zu großen Festungstüren führten. Wie ich später erfuhr, das Anwesen eines Saudi Milliardärs ...
Ein Fazit der Tour: Die Berggegend südlich von Sidi Ifni ist wesentlich dünner besiedelt als nördlich Richung Tiznit ...
Misszellen
Ich fühle mich wie in die Zeit meiner späten Jugend zurückversetzt: Moped, diesmal nur ohne Bücher durch die Gegend fahren, dafür Alk transportieren, so viele verschiedene Päckchen haben, wie man tragen kann. Die Kreise drehen sich zurück, die Erinnerung nimmt überhand. Jetzt könnte man als ganz schlaues Argument einwenden, damals ist das alte DDR Moped immer stehen geblieben, man musste basteln, jetzt schnurrt und rappelt die alte China Docker Karre relativ zuverlässig an der Küste entlang und in die Berge.
Die marokkanische Jugend sieht die jungen und älteren Europäer nach Maroc kommen, viele, die trinken und rauchen und denen es dennoch gut geht, ohne Religion, aber mit etwas Geld und somit streben sie "vorbildgesteuert" meist dasselbe an. Auch hier wird das Leben auf dem Lande verschwinden, alles treibt in Städte, denn die kleine Landwirtschaft in den kargen Bergen bringt unter vielen Mühen nur ein geringes Auskommen.
Die Fußballweltmeisterschaft hat Marokko in einen Rausch versetzt: Ich, der nun überhaupt nichts von diesem Mammonspiel halte, ging eines späten Nachmittags die Straße vom Markt zu meinem Hotel entlang, die Cafés waren alle überfüllt. Wie Trauben hingen sie vor den Flachbildschirmen, als Marokko wieder ein Spiel hatte. Der Iman rief zwar zum Gebet, aber stand einsam vor der Moschee. Wir waren die einzigen auf der Straße, ich grüßte freundlich, er zurück und ich dachte mir so, tja "1:0 gegen Allah" ...
Ein Gast aus Irland, wie ich einer der letzten der alten Generation: Wir lachen nur noch über die hedonistischen Körpersklaven, welche sich asketisch vegan, Alkohol- und Rauschfrei in Sicherheit wiegend wie Hamster im Sportrad auf ihren langweiligen Abgang vorbereiten. Er meinte zu mir, die ganzen Surfer haben einen Jesuskomplex, die wollen alle übers Wasser laufen. Überhaupt, diese neuen Hipstersurfer, sowas von umweltbewusst, klimaneutral, aber dreimal am Tag Duschen. Das ist wirklich umweltbewusst, in der Sahara, wo absoluter Wassermangel herrscht und es im Sommer rationiert wird, bzw. täglich nur für einige Stunden zur Verfügung steht. Das ist eine verlorene und verblödete Generation, aber mit sehr hohen Ansprüchen ...
Diese moderne Generation, so selbstdiszipliniert durch gesellschaftliche Vorgaben aus dem Jetzt, die aus den kleinen rechteckigen virtuellen Bilderbüchern und Schwatzkästen kommen, sitzen wie die Affen in einem leeren Bananenbaum. Aus dieser Hülse erhoffen sie sich Erlebnisse, welche in derselben Dose zerquetscht werden ...
Nachtrag d. Red.: Michael machte während seiner Mopedtouren etliche Videos bei den Fahrten. Wir haben einige Ausschnitte davon zu einer kurzen Übersicht zusammengestellt. Wer sich während dieser Fahrten stark an Landschaften von Fuerteventura erinnert fühlt, sollte sich erinnern, dass diese kanarische Insel gegenüber vom südlichen Marokko liegt, vom Hafenstädtchen Tarifa aus nur etwa 110 km entfernt.
Steigen wir also bei Michael mit aufs Moped und brausen abenteuerlich an der Küste entlang. Vielen Dank an "Easy Rider" Michael für diese spannende Mitfahrt von gut dreieinhalb Minuten! Und an alle Mitfahrer die Warnung: Unbedingt vor dem Losfahren anschnallen!
© 2023 Michael Gallmeister, Lett-landweit
Anm. der Red.: Beiträge im Explorer Magazin von Michael finden sich in unserer Autorenübersicht!