Mi 03.09.03: Flucht nach Akureyri ...

Ein Blick auf den Suunto zeigt heute morgen, dass der Luftdruck wieder um 5 mbar gestiegen ist - und der Blick aus dem Fenster bestätigt: Das Wetter scheint sich wieder normalisiert zu haben. Nach einem Spaziergang in der wunderbaren Umgebung des Camps zu den nahen beiden Hotspots beschließen wir, einen Ruhetag hier zu verbringen - allerdings diesmal wieder auf dem Campingplatz vor den Hütten. 

Die immer noch über die Gipfel jagenden Wolken und der noch starke Wind bringen uns allerdings dazu, die Betreiberin der Station nach dem Wetterbericht für die nächsten Tage zu fragen, und die ist ganz aufgeregt: Ihr Mann, der unterwegs sei, habe schon mehrfach angerufen und auch die stündlichen Wetterwarnungen, die sie für ihre Station empfängt, seien eindeutig: Man erwarte ein Wetter und eine Sturmfront, gegen die die von gestern harmlos gewesen sei - sie rät uns, sofort weiter zu fahren und auf keinen Fall hier zu bleiben ...

Wir sind uns einig: Eine noch heftigere Sturmfront als die von gestern brauchen wir hier oben in 700 m Höhe wirklich nicht und so gibt es nur eines: den sofortigen Aufbruch. 

Der Kjölur hat uns wieder. Auf dem Weg nach Norden schauen wir uns häufig um: Was mag da aus Richtung Süd oder Südwest heranziehen, aus der hier das berühmte Islandtief in der Regel kommt? Vielversprechend ist das in der Tat nicht, was sich da bald hinter uns am Himmel aufbaut - wir bereuen unsere Entscheidung nicht!

Isländische Scherzbolde: Offroad-Fahren verboten! Hier sollte man nicht allein lang fahren ...

Wir fahren vorbei an einem Abzweig, der nördlich vom Hofsjökull vorbei führt und als gefährlich gekennzeichnet ist - auf keinen Fall sollte man ihn allein befahren, sagt die Warntafel. Dass diese Tafel nur wenige Tage zuvor deutsche Touristen nicht daran gehindert hatte, ihren Landy auf dieser Strecke zu versenken, gehört zu den üblichen Vorfällen in Island - mehr dazu in unserem Schwerpunkt "Driving on Icelandic Roads" ... 

Wir bleiben auf der F35, dem Kjölur. Diese Piste zeigt in ihrem Verlauf in der Tat unterschiedliche Gesichter: Während sie in ihrem südlichen Teil streckenweise noch eine ätzende Rüttelpiste sein kann, ist sie im nördlichen Teil fast schon eine komfortable unbefestigte Straße. 

Der Wind bläst uns aus Richtung Süden teils so stark in den Rücken, dass wir regelmäßig von rasenden eigenen Staubfahnen überholt werden und sich unsere Antenne wieder mal gegen die Fahrtrichtung nach vorn biegt ...

An diesem Wetter ändert sich auch nichts, als wir schließlich den Kjölur verlassen haben und wieder auf der Ringstraße 1 angekommen sind. Auf dem Weg nach Osten kommen wir auch in Varmahlið vorbei: Durch das lang gestreckte Tal entlang des Heradsvötn, das fast in nord-südlicher Richtung verläuft, braust ungebrochen der Sturm - kein Grund, hier zu bleiben!

Island 2003 ...Es ist bereits später Nachmittag geworden, als kurz hinter Varmahlið die Ringstraße 1 ebenfalls Richung Süden verläuft: Der Himmel ist bedrohlich schwarz und selbst das Flusswasser wird jetzt vom Sturm bereits hochgewirbelt - ein mehr als bedrohlicher Anblick, während die Böen am Explorer zerren und uns selbst während der Fahrt ins Schaukeln bringen: Nicht auszudenken, wie es wäre, wenn man jetzt hier mit geöffnetem Dach campen würde ...

Die Entscheidung fällt: Wir wollen nun bis Akureyri durchfahren, die Karte zeigt deutlich, dass die Ringstraße 1 in Kürze wieder Richtung Osten und dann nach Nordost verlaufen würde - in einem Taleinschnitt. Und auch Akureyri selbst liegt im Schutz einer südlich vorgelagerten Hügelkette, dort sollte es ruhiger sein (Karte/14).

Es ist schon früher Abend, als wir in Akureyri ankommen: Zwar regnet es auch hier, aber von Sturm kann keine Rede sein - unsere Strategie ist aufgegangen! Wir erreichen den Campingplatz und finden auch die Ecke wieder, wo wir bereits bei Island 95 mit unserem Scamper standen (N65.677° W018.0996°): Angekommen an "historischem" Ort ..!

Do 04.09.03: Endlich Ruhetag ...

Nach insgesamt 3 Tagen Regen kann man sich eigentlich nicht beklagen - und dass "Schattenparker" zu "Windschattenparkern" wurden, ist sicherlich mehr als verständlich. Allerdings zeigt der Blick auf den Suunto heute morgen, dass vermutlich noch nicht Schluss ist mit der Misere: Über Nacht ist der Luftdruck wieder um 7 mbar gefallen, bisheriger Rekord! 

Als sich später der Druckabfall auf -8 mbar erhöht, gleichzeitig aber draußen bestes Wetter herrscht, versteht der Bord-Meteorolüge die Welt nicht mehr: So etwas kann es eigentlich nicht geben! Gibt es aber doch, und obwohl man im Südosten die rot-gelbliche Wand eines Sandsturms sieht, die aus der Odáðahraun, der Wüste der Missetäter, einen selbst auf dem Campingtisch deutlich erkennbaren Sandbelag mit sich bringt - das Wetter in Akureyri hält!

Einladend: Die Hauptstadt des Nordens ... Diesmal kein Besuch im Bautinn ..

Wir beschließen einen Rundgang durch den Ort zu machen und geraten gehörig ins Schwitzen, als die Temperatur später fast bis auf 18°C hochschnellt - die "Hauptstadt des Nordens" zeigt ihr berühmtes südliches Flair!

Die City hat sich kaum verändert seit unserem letzten Besuch, nach wie vor ein Blickfang das "Bautinn", das wohl berühmteste Restaurant der Stadt. Inzwischen gibt es im selben Gebäude auch einen Italiener, auf dessen 28,- EUR-Fischessen wir aber verzichten - muss nicht wirklich sein! Dafür aber wieder mal ein Besuch im "Viking", Akureyris sympathisches Geschäft für Wollwaren jeder Art. 

Neuer "Isländer" gefällig? Dann hin zum "The Viking" ...Kein Wunder, dass hier ein neuer "Isländer" fällig ist, hat sich doch auch der alte bisher hervorragend bewährt. Der freundliche Besitzer erweist sich als äußerst hilfsbereit, er wird den ausgesuchten Pullover, der natürlich als einziger nicht in der gewünschten Größe vorrätig ist, uns später zuverlässig und versandkostenfrei nach Hause liefern ...

Wieder auf dem Campingplatz angekommen, lernen wir unsere neuen Nachbarn kennen: Ein älteres Schweizer Ehepaar ist dort mit seinem Mietcamper angekommen, der uns bestens bekannt ist: Ein Scamper, wie wir ihn bei unserem Besuch an genau dieser Stelle 1995 ebenfalls gemietet hatten ...

Angelockt durch unsere 30m-Schlange, die mittlerweile wieder über uns im blauen Himmel steht, stellen sie sich genau neben uns auf - Camper mögen es eben gerne neben Gleichgesinnten! Auch die Isländer zeigen sich sehr interessiert an unserem auffälligen Drachen, der weit sichtbar über Akureyri steht: Immer wieder kommen Passanten vorbei, die versuchen festzustellen, von wo aus die Schlange wohl gestartet wurde - wenn sie dann die Leine entdeckt haben, die am Explorer befestigt ist, sind sie zufrieden oder wollen weitere Informationen.

Die Scamper-Touristen, mit denen wir schnell ins Gespräch kommen, müssen bald wieder vorübergehend ihren Stellplatz verlassen: Ihre auf der Ladefläche untergebrachte (!) Versorgungsbatterie der Kabine ist korrodiert und sie wollen den in Akureyri ansässigen Kundendienst des Vermieters aufsuchen. Wir schauen uns die Kabine natürlich näher an: Dieses Produkt, "Made with Pride in the USA", wäre heutzutage wirklich nicht mehr unser Ding ...

Erinnerungen an 1995 werden wach: Ein Miet-Scamper neben uns ... Viel Klebefolie hält alles zusammen ... ... Ein stolzes Produkt der USA ...

Wir staunen nicht schlecht, als bis zum Abend der Luftdruck weiter sinkt - seit gestern Abend ist er nun insgesamt um 10 mbar abgesackt, und das Wetter hält sich unverändert positiv - bei uns wäre so etwas undenkbar. Noch lange sitzen wir an diesem Abend draußen, vor uns auf dem Tisch unser mobiles Lagerfeuer. Die Hauptstadt des Nordens hat uns nicht enttäuscht ..!

Fr 05.09.03: Zeit für Euro-"Extratouren" und ähnliches ...

Eine "magische Linie" führt nach Husavik ...Immer noch ist es schön am nächsten Tag, als wir weiter wollen: Auf dem Weg nach Asbyrgi sind gleich noch zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Da ist zum einen ein Besuch am Flughafen von Husavik (Karte/15), wo erstaunlicherweise ganz genau unsere "magische Linie" endet, die 3 Punkte von Euro-"Extratouren" verbindet, die wir bei dieser Reise unternommen haben. Also zunächst einmal auf zur Euro-"Extratour" Island!  

Nahtlos an die "Extratour" sollte sich dann eine weitere Exkursion anschließen, die im Rahmen des Degree Confluence-Projektes (DCP) einen isländischen "Confluence" als Ziel hatte, nämlich den Schnittpunkt N66° W017°. Doch auch dazu mehr in einem gesonderten Beitrag: Island-Confluences - Auf der Jagd nach dem Erstbesuch ... 

Auch diese Expedition beenden wir erfolgreich - noch wissen wir nicht, dass wir wieder mal erst als Zweite am Confluence angekommen sind: Wir werden es erst kurz vor unserer Rückkehr erfahren ...

Wir kommen recht zufrieden in Asbyrgi an (Karte/16) - auch dies ein "magischer Ort", was jeder spürt, der sich auf dem wunderbaren Campingplatz zwischen den Steilwänden einfindet (N66.02582° W016.49580°) - wie sehr magisch dieser Ort tatsächlich ist, sollten wir erst in den nächsten beiden Tagen erfahren ...

Sa 06.09.03 - So 07.09.03

Es ist Wochenende, bereits am Vorabend sind die unvermeidlichen Isländer mit ihren Klappwohnwagen eingefallen, die ihre Wochenenden inzwischen besonders gern auf Campingplätzen verbringen - ein noch recht neues Phänomen, wie uns ein Einheimischer im Laufe des Wochenendes verrät. Isländer reisten bisher eigentlich kaum durch ihr Land, allerdings nimmt dies nun in der letzten Zeit zu, erzählt uns der Camper. Dennoch: Dass Isländer noch immer relativ wenig wissen über ihr Land, sei unverändert typisch.

Blick zur Spitze des Hufeisens ... Asbyrgi: Ein magischer Ort ...

Der Luftdruck ist mittlerweile wieder deutlich gestiegen, das Wetter unverändert wunderbar: Hier wollen wir bleiben und mindestens einen weiteren Ruhetag zubringen. Der Wetterbericht verspricht auch mindestens bis Sonntagmorgen bestes Wetter - wir hoffen, dass er Recht behält.

Für Wanderungen jeder Art ist die Umgebung ideal: Wie magnetisch ziehen uns die Steilwände an, oben gehen wir nach einem Eintrag ins "Gipfelbuch" vor bis zur Spitze des Hufeisens, das der Sage nach als Hufabdruck vom Himmelspferd des Gottes Odin entstanden ist. 

Kontaktaufnahme: Isländische Kinder lieben unsere Drachen ...In der Tat stellt diese Anlage eine einzigartige geologische Formation dar, die es in gleicher Form kein zweites Mal auf der Erde geben soll: Ein rund 3,5 km langer und 1 km breiter Taleinschnitt, gesäumt von rund 100 m hohen Felswänden, die nach Norden hin flacher werden. Die liebliche Atmosphäre dieses Ortes, der sich als grüne Oase mit Birkenwäldchen präsentiert, führt dazu, dass es sich hier auch um ein recht beliebtes Ausflugsziel von Isländern handelt.

Und die lernen wir ausgiebig kennen: Als wir unsere Drachen während des sonnigen Tages starten, sind recht schnell viele interessierte Kinder zur Stelle, die ihren Eltern am Campingplatz scheinbar viel über uns erzählen. Auf jeden Fall haben wir ausreichend Assistenten, die sich darum drängen, auch einmal Drachenleinen halten zu dürfen ...  

Am Abend kommen auch in unsere "Parzelle" Weekend-Isländer. Natürlich sind Väter und Kinder begeisterte Fußballer und so ergeben sich Gelegenheiten für eine Kontaktaufnahme immer dann, wenn mal wieder einer unter unser Auto kriechen muss, um dort seinen Fußball zu suchen ...

Auf jeden Fall bekommen wir auch die Gelegenheit, ausgiebige Studien über isländische Klappwohnwagen und die verschiedenen Stadien ihres Aufbaus anzustellen, wobei natürlich die Frage aufkommt, warum diese Art von Wohnwagen gerade hier so beliebt ist ...

Zwei Rendsburger auf dem Campingplatz zeigen uns den Motorraum ihres Iglhaut-Sprinters: Winzige Mäuse spritzen heraus und verschwinden im Gebüsch - kleine Knabbereien sind unübersehbar. Sofortiger Blick unter die eigene Motorhaube: Auch dort das gleiche Bild - offenbar das einheimische Gegenstück zu unseren Mardern!

Isländischer Klappwohnwagen im Anlieferungszustand ... Nach und nach wird er entfaltet ...

... und schließlich vollständig aufgebaut ...

Dennoch lassen wir uns nicht von einem abendlichen Spaziergang entlang der im magischen Abendlicht liegenden Felswände abhalten: Und dann passiert das "magische" Schauspiel, erster Teil: Wir schauen auf die gegenüber liegende Wand, die sich für etliche Sekunden lang zu bewegen beginnt: Fließende und stetige Bewegungen, wie erst vor kurzem am Svartifoss beobachtet, schlagen uns in ihren Bann - kaum zu glauben, aber die Wand scheint nach oben hin zu "strömen". Kaum eine halbe Minute später ist der "Spuk" vorbei: Die Wand liegt wieder so ruhig und unbewegt wie zuvor. Es ist kaum zu fassen, als wir feststellen, dass wir unabhängig voneinander das Phänomen zur gleichen Zeit beobachtet haben: Welche Elfen oder Trolle sind hier am Werk? Asbyrgi, ein wahrhaft "magischer" Ort ..!?

Wenig später folgt ein pittoresker Sonnenuntergang: Über der Kante der Felswände vollzieht sich ein wahres Feuerwerk, das die letzten Sonnenstrahlen erzeugen. Dazu ein tiefer Schatten der einen Wand auf der gegenüber liegenden - ein ergreifender Anblick! Auch der abendliche Empfang der Kurzwelle ist ungewöhnlich: Starke Störungen erlauben nahezu keinen Empfang.

Asbyrgi - ein magischer Ort ...Die folgende Nacht bringt dann noch die bisher ungekannte Steigerung: Es ist die Nacht von Samstag auf Sonntag, ca. 1:00 Uhr morgens. Draußen ist es still, längst sind auch die ausdauernden Isländer in ihren Wohnwagen verschwunden, als der Blick aus dem Fenster unserer Kabine fällt: Was dort draußen zu sehen ist, lässt den Betrachter schlagartig aus dem Schlafsack springen. Hastig werden ein paar Socken angezogen und dann steht man draußen in kalter Nacht: Über uns wölbt sich etwas, das wir bisher trotz vieler Nordlandfahrten in dieser Form noch niemals gesehen haben. 

Die über uns stehenden schwarz-weißen Polarlichter bedecken den gesamten sichtbaren Himmel und erstrecken sich von der einen tiefschwarzen Wand des Asbyrgi-Hufeisens bis zur anderen - ein unwirkliches und irgendwie furchterregendes Spektakel zugleich. Zwar gibt es die typischen Veränderungen wie bei Nordlichtern üblich, aber noch niemals war das Schauspiel derart umfassend am Himmel zu sehen - kein Mensch außer uns ist zu sehen. Unwirklich winzig die in fahles Licht getauchten Wohnwagen der Isländer auf einem wie durchgebogenen Boden unseres Teils des Campingplatzes: Eine surreale Atmosphäre wie in einem Science Fiction Film nach der Art von "Kontakt" oder "2001" - so unglaublich, dass die Erinnerung noch lange anhalten wird.

Es dauert lange, bis wir uns völlig durchgefroren entschließen, wieder in den Explorer zu steigen, die flackernden Himmelserscheinungen in puristischem schwarz-weiß haben an Intensität nachgelassen. Noch lange schweift der Blick immer wieder durch die Fenster: Asbyrgi - ein wahrhaft "magischer" Ort! Nach diesem Tag und dieser Nacht wird er wohl als solcher für alle Zeit in Erinnerung bleiben ...


© 2004 Text/Bilder J. de Haas