Spurensuche in Corralejo ...
Max fand eine Parklücke auf der Avenida General Franco, vor dem Centro Atlantico mit der Karaoke-Bar und dem Nachtclub. Seltsames Land. seltsames Volk. Die Avenida General Franco war nicht nur die Hauptstraße Corralejos, sondern zugleich die Amüsiermeile der Stadt. Die Amüsiermeile war also benannt nach einem Diktator, dessen katholizistische Frömmelei so weit gegangen war, dass während seiner Herrschaft kleine spanische Kinder am Strand Ganzkörper-Badeanzüge tragen mussten. ... Seltsam fand Max nicht die wiedererlangte gesellschaftliche Freiheit der Spanier, die von ihrer gesamten Mentalität her alles andere als prüde waren. Seltsam fand er vielmehr die Tatsache, dass Jahrzehnte nach Francos Tod spanische Straßen überall im Land immer noch den Namen dieses Tyrannen trugen (S. 181).
Wir kommen genau über diese auch im Buch erwähnte ehemalige Avenida General Franco hinein nach Corralejo, und das, obwohl wir uns schon unendlich oft geschworen hatten, diesen Ort niemals mehr aufzusuchen: Diesen Ort, der immer mehr zu einem Morro Jable des Nordens zu werden droht und in dem nicht einmal mehr das alte Restaurant von Oscar in der Altstadt am Hafen unter seinem ursprünglichen Namen zu finden ist - das Restaurant, welches vor Jahrzehnten noch das einzige in Corralejo war ...
Auch die Avenida mit dem Namen des Diktators, wo wir schon seit 1999 immer wieder Claudio in seinem Drachenladen besucht hatten nach seinem Umzug aus der Altstadt, war uns mehr als vertraut und so wollten wir uns natürlich dort sofort auf die Spurensuche machen.
Um so erstaunter sind wir nun, als wir diese Avenida jetzt nicht mehr wieder finden: Sie ist ganz plötzlich unbenannt worden in AVENIDA NTRA. SRA. DEL CARMEN (siehe Bilder oben und Stadtplan oben rechts) - ein mehr als merkwürdiger Umstand nach den Berichten über die ominöse "Kette"! An eine Senora del Carmen, die es in Spanien an allen Ecken und Enden gibt, wollen wir an diesem Tag nicht wirklich glauben - es ist offensichtlich, dass die Behörden in La Oliva, die für diesen Bereich der Insel zuständig sind, irgend welche Spuren verwischen wollen - aber welche nun genau? Es bleibt uns nicht verborgen, dass ein betont unauffällig wirkender Mann während unserer Fotos an der Ecke der Avenida herumlungert (siehe Bild oben links) - offenbar beobachtet man uns bereits.
Wir beschließen, der Sache weiter auf den Grund zu gehen und machen uns auf in Richtung Hafen: Wo, wenn nicht hier, kann man weitere Hinweise erwarten?
Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, sind wir nur wenig erstaunt, als wir im Hafenbereich feststellen, dass Cometas Nico´s Tochter mittlerweile überwiegend nur noch Schmuck in ihrem Laden anbietet - die Zeit der Drachen, der "Cometas" wie noch bei ihrem Vater, ist hier in diesem Ort nun wohl auch endgültig vorüber ...
Zum Greifen nah erhob sich aus dem türkis schimmernden Meer die kleine Insel Lobos, dahinter die große Schwester Lanzarote. Ein dickes weißes Fährschiff verließ den Hafen von Corralejo und stampfte hinaus aufs Meer. Lineas Fred. Olsen stand in blauen Lettern auf dem weißen Rumpf. Seltsamer Name für eine spanische Fähre (S. 18).
Wir stehen am Hafenbecken und in der Tat ist es wieder einmal (zufällig?) genau wie in der "Kette": Die besagte Fähre der Lineas Fred. Olsen liegt abfahrbereit am Kai (Bild rechts). Wir nähern uns der Fähre und erneut geschieht merkwürdiges: Eine offenbar als Mitarbeiter der Fährgesellschaft nur schlecht getarnte, uns unbekannte Person ruft uns etwas zu und kommt hinter uns her gestürmt, als wir vorsichtshalber nicht reagieren. Der Mann verweist auf eine Schranke und will wohl den Eindruck erwecken, wir würden uns ohne Ticket im Abfahrtsbereich des Schiffes befinden - glaubt der wirklich, wir fallen auf so etwas herein?
Wir sind nun ganz sicher, dass man bereits Informationen über unseren Besuch hier im Ort vorliegen hat und man uns ganz bewusst an weiteren Nachforschungen hindern will. Dennoch aber verlassen wir den Abfertigungsbereich der Fähre, um keinen weiteren Verdacht zu erwecken - soll man ruhig glauben, dass wir nun aufgeben!
Allerdings werden wir bei unseren weiteren Untersuchungen nun noch vorsichtiger sein - wir werden uns nun bewusst bemühen, den noch unbekannten Gegner zu täuschen. Dies wird nun um so wichtiger, da wir den Liegeplatz der geheimnisvollen Guarda Civil Schnellboote im Hafen auskundschaften wollen.
Vier Jeeps der Guardia Civil stoppten vor der Hafenmole. ... Etwa ein Dutzend Zivilgardisten verließen die Jeeps und marschierten über die Mole auf ihn zu. ... Sie trugen jeweils zu zweit eine Metallkiste zu den grün-weiß lackierten Patrouillenbooten, die vertäut an der Mole lagen. Morian fielen die drei Schnellboote erst jetzt auf, obwohl das Wappen der Guardia mit dem Fascis-Bündel und dem Schwert kaum zu übersehen war. Die uniformierten Männer klappten Stege aus und trugen die Kisten an Bord, jeweils zwei Kisten pro Boot. Dann rollten sie einen langen Schlauch aus und betankten die Boote der Reihe nach. ... Plötzlich wusste Morian, was in den Kisten war, unmittelbar bevor der Gardist die Schutzabdeckung von dem schwenkbaren, an Deck verankerten Stativ nahm und begann, die gut geölten, in weichen Tüchern verpackten Einzelteile Stück für Stück aus der Kiste zu nehmen und zu einem Maschinengewehr zusammenzusetzen. Und er begriff auf der Stelle, was die Zivilgardisten vorhatten (S. 426-427).
Wir sind mehr als erschrocken: Genau die erwähnten drei Schnellboote liegen auch heute wieder im Hafen (siehe Bilder oben), das Dröhnen der ständig laufenden Motoren und die geschäftigen Aktivitäten der Zivilgardisten an Bord lassen das Schlimmste befürchten: Sollen auch heute wieder Flüchtlinge vom nahen afrikanischen Festland, die die kanarischen Inseln in einfachen Booten erreichen wollen, direkt vor der Küste abgefangen werden?
Schaudernd wenden wir uns ab von den Schnellbooten und wir sind froh, nicht wie Max Maifeld in einem einfachen Flüchtlingskahn versuchen zu müssen, Fuerte unter dem Beschuss dieser Küstenwache zu erreichen! Auch wenn wir keine Maschinengewehre an Bord des auffällig von der Mole abgewandten "Flaggschiffs" der Guarda erkennen können, das wir nur Dank des hervorragenden Teleobjektivs unserer Canon aufs Bild bannen können - wir sind sicher, sie haben ihre Waffen an Bord nur gut versteckt ...
Wir wollen schnell weiter, bevor unser Fotografieren der Schnellboote Verdacht erregt und unsere Tarnung im Haufen normaler Touristen auffliegt - vermutlich werden wir aber ohnehin immer noch beobachtet. Also weiter zu unserem nächsten Ziel!
Die Adresse war nicht schwer zu finden. Das Vereinslokal lag gleich an der Mole. "Cofradia de Pescadores" stand über der Eingangstür. Die Fischereibruderschaft betrieb also ihr eigenes genossenschaftliches Restaurant (S. 25).
Auf unserem Weg an der Mole entlang kommen wir vorbei an einem Gebäude, das exakt aussieht wie die "Cofradia de Pescadores" (Bild oben rechts) - allerdings ist man uns bereits zuvor gekommen und hat kurzfristig den Namen des Lokals entfernt. Diejenigen, die hier im Ort kurzfristig Straßen umbenennen können, schrecken selbstverständlich auch nicht vor dem Umbenennen von Lokalen zurück!
Ebenfalls aufgefallen ist uns sofort eines, als wir am Strand vorbei gehen, an dem normalerweise seit Jahren Sandkünstler ihre gewaltigen Burgen bauen: Diesmal ist es nur eine ganz kleine Anlage, die fast schon unauffällig am Strand errichtet ist - jedoch ist ihre Ähnlichkeit mit der Villa Winter, die wir ebenfalls in den nächsten Tagen noch aufsuchen wollen, wohl unverkennbar (Bild oben links). Was geht hier wirklich vor in Corralejo ..?
La Factoria. Calle Colón. Draußen. 11 Uhr. ... La Factoria war ein neumodisches Szene-Café am anderen Ende des an den Hafen angrenzenden winzigen, überfüllten Stadtstrandes von Corralejo. Iris Cronenberg nahm acht Minuten vor elf in einem der Korbstühle auf dem Plateau vor dem Café Platz. ... Sie nippte an ihrem Bitter Lemon und beobachtete das Treiben am Strand. Einheimische Omas mit ihren Enkeln. Die Omas saßen aufrecht im Sand, in schwarzen Kleidern, deren Saum sie über die dicken weißen Knie geschoben hatten. Die Enkel plantschten im seichten Wasser und versuchten, die Omas nass zu spritzen ... (S. 32-35).
Wieder einmal sind wir verblüfft: Auch wenn wir "La Factoria" schon seit langem kennen, so war uns doch nicht alles aufgefallen, was im Buch genau geschildert ist. Wieder einmal ist die Detailgenauigkeit der "Kette" wirklich auffallend: Alles ist bis ins Letzte so, wie im Buch beschrieben ...
Als wir "La Factoria" mehrfach umrunden und vorsichtshalber unsere Fotos aus der Entfernung machen, sehen wir sie ganz plötzlich: Diesmal sind es zwei betont unauffällig als Touristen getarnte, jedoch sichtbar gut durchtrainierte Figuren, die mit fletschenden Hunden vor dem Lokal sitzen (Bilder oben) - so sehen Touristen hier einfach nicht aus!
Die beiden schauen recht finster auf die Mole, wir sind fast schon sicher, dass sie uns entdeckt haben. Unsere Ausschnittsvergrößerungen werden später unsere Vermutungen bestätigen: Einer der beiden hat einen "Knopf im Ohr" (Bild oben rechts), man hat offenbar Sprechfunkverbindung zu einer ominösen Zentrale - machen wir, dass wir hier wegkommen - wir haben nicht die Absicht, die nächsten Tage auf Fuerte in einem finsteren Verhörkeller zuzubringen ..!
© Text/Bilder 2006 J. de Haas