Was ist noch da, in La Oliva ..?

Die kurze und nicht sonderlich ereignisreiche Geschichte der kanarischen Vulkaninsel Fuerteventura seit ihrer Annektion durch das Königreich Spanien kann neben der Hauptstadt Puerto del Rosario immerhin gleich drei Ex-Hauptstädte im Inselinnern vorweisen. Nach der Eroberung war zunächst Betancuria die Hauptstadt ... 1835 wurde die erst kurz zuvor gegründete Nachbarstadt Antigua Hauptstadt, musste den Titel aber schon ein Jahr später an La Oliva weiter im Norden abgeben, weil sich die uneingeschränkten Herrscher und Ausbeuter der Insel ... inzwischen entschlossen hatten, in La Oliva einen festungsartigen Palast als Familiensitz zu errichten: la Casa de los Coroneles. ...

An die einstige Hauptstadt-Herrlichkeit erinnerte in La Oliva abgesehen vom Landsitz der einstigen Herrscher nur noch der völlig überdimensionierte, von kostbaren, handgeschmiedeten Laternen gesäumte menschenleere Marktplatz vor der Casa de los Coroneles. Ein gigantischer Parkplatz, den niemand nutzte. Außer Max Maifeld. Er parkte den R4 am Rande des verlassenen Platzes und ging die Straße zurück bis zum Tor der Kaserne (S. 194-195).

Auch wir parken heute wieder auf diesem menschenleeren alten Marktplatz vor der Casa de los Coroneles (Bild unten). Auch wenn unser Nissan weithin sichtbar auf dem weiten Platz steht, müssen wir es doch einfach riskieren, um unsere Spurensuche möglichst exakt durchzuführen ...     

Auch wir parken vor der Casa de los Coroneles ...

Allerdings ist unser Vorteil umgekehrt natürlich der, dass auch wir jeden von weitem erkennen können, der sich unserem Fahrzeug nähert - aber niemand ist zu sehen. Entweder haben "die" unsere Spur verloren, da wir heute morgen mehrfach im Zickzack bis La Oliva gefahren sind, oder aber sie halten sich hier irgendwo versteckt - vielleicht doch in der Casa de los Coroneles, die inzwischen mit EU-Mitteln weitgehend restauriert wurde - bestehen hier etwa Verbindungen, von denen wir derzeit noch nichts ahnen ..?   

Also, es gibt in Spanien neben einer landesweiten Kriminalpolizei ... traditionell getrennt eine Schutzpolizei in den Städten und eine Polizei auf dem Land: die Policia Municipal, manchmal heißt sie auch Policia Local, und auf dem Land die Guarda Civil. Die Polizei in den Städten ist eine ganz normale Polizei ... aber die Guarda Civil ist vielmehr als eine Polizei. Sie ist wie ein Staat im Staat. Stell dir vor, sie haben sogar Panzer. Die Guardia ist ein streng hierarchisch organisierter paramilitärischer Verband, mächtig und unkontrollierbar, und ihr oberster Chef in Madrid ist kein Polizist oder Jurist oder Politiker, sondern ein Luftwaffengeneral (S. 183).

Als auch wir langsam in den Ort gehen, um die in der "Kette" erwähnte Kaserne der Guarda Civil zu suchen, ist uns erneut etwas mulmig zumute. Ist es richtig, sich ausgerechnet hier in dieser Hauptstadt des Nordens in die Höhle des Löwen zu begeben? Unsere Erinnerungen an die mehr als unangenehmen Erlebnisse, die Max Maifeld hier im Guarda-Knast hatte, bevor er die Insel verlassen musste, sind noch mehr als deutlich.

"Katasteramt" mit Antennenwald auf dem Dach ..?Und überhaupt - die Guarda Civil! Wir wissen, dass gerade in diesen Tagen ein fragwürdiges Jubiläum stattfinden wird: Vor 25 Jahren scheiterte in Spanien ein Militärputsch - und die Täter von einst versuchen nun, bei den Konservativen des Landes Punkte zu machen.

Im Februar 1981 stürmte eine Einheit der Guardia Civil in Madrid die Volksvertretung, Einschusslöcher von den Kugeln aus der Maschinenpistole des damaligen Oberstleutnants Antonio Tejero sind noch heute in der Decke des Parlaments erhalten.

Wieder so ein Antonio, denken wir erschrocken, als wir durch die leeren Straßen La Olivas gehen - nun schon der dritte, hier muss es Zusammenhänge geben!

Der Wachhabende vor der offenen Toreinfahrt musterte ihn gelangweilt durch die pechschwarzen Gläser der Sonnenbrille, bevor er schließlich Max Maifelds Frage beantwortete: "Geradeaus über den Hof, dann durch die gegenüberliegende Tür, links den Gang runter, die dritte Tür rechts". (S. 195).

Als wir schließlich direkt in der Nähe unseres Parkplatzes ein Gebäude erreichen, das unverkennbar einer Kaserne der Zivilgardisten ähnelt, wird uns schlagartig klar, mit was für einer mächtigen Organisation wir es hier offensichtlich zu tun haben: Die Guarda Civil ist spurlos verschwunden, das Gebäude mittlerweile als Katasteramt (!) getarnt. Aber sie haben eines wohl vergessen in der Eile: Auf dem Dach stehen immer noch die großen Antennen - hat man so etwas je bei einem "Katasteramt" gesehen ..?

Auch der merkwürdige Straßenbau-Mitarbeiter am Rande der Fahrbahn, den wir nach dem Verbleib der Guarda Civil befragen, gehört offenbar dazu: Ohne lange nachzudenken, erklärt er in nahezu unverständlichem Spanisch (wie lange mag er das trainiert haben?) irgend etwas von einer Polizei in Corralejo (!). Wir erwecken den Anschein, als hätten wir ihn verstanden und ziehen uns schnell zurück - falls "die" glauben, sie könnten uns auf diese Art und Weise nach Corralejo zurück locken, haben sie sich getäuscht!

Das Zentrum der Ex-Hauptstadt La Oliva war wie ausgestorben. An der Küste ging selbst im Hochsommer stets ein frischer Wind. Hier aber, im Landesinneren, in den Gassen zwischen den geweißten Häusern, stand schon im März die sengende Nachmittagshitze, so unverrückbar wie die toten schwarzbraunen Vulkankegel rund um die Stadt. Unterwegs begegneten ihm ein ausgemergelter streunender Hund, der verängstigt die Straßenseite wechselte, und ein alter Mann, der im Schatten seines Hauses auf einem Klappstuhl aus Plastik saß und ihm nachstarrte (S. 195).

Die Verwaltung von La Oliva: Was wird hier gespielt ..? Alte Männer im Schatten der Gebäude ..?

Wir gehen wieder einmal nach all den letzten Jahren am Verwaltungsgebäude von La Oliva vorbei (Bild oben links) - spätestens seit den damaligen Ereignissen in Corralejo rund um die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit den absurden Bauvorhaben wissen wir es genauer: Hier sitzt die neue Verwaltung und wer weiß, warum nun schon wieder die Riesenklötze im Norden für unabsehbare Touristenmassen hochgezogen werden - wie viele EU-Mittel laufen über die Schreibtische in diesem außen so hellen und freundlichen Gebäude?

Wieder einmal wenden wir uns schaudernd ab und denken über weitere Szenen der "Kette" nach, die sich erneut als sehr realistisch erweist: Selbst einen alten Mann, der im Schatten eines Hauses auf einem Plastikstuhl sitzt und jemandem nachstarrt, kann man sich heute hier im Ort jederzeit vorstellen (Bild oben rechts) ...    


© Text/Bilder 2006 J. de Haas