Hafenrundfahrt, Museums-Segler, "Kugelbahn" ...
Wieder ein knallheißer Morgen, bereits beim Frühstück im "Stella Maris" fließt der Schweiß. Also heißt es auch heute: So kurze Wege wie möglich unter glühender Sonne - also rein ins nächste Boot zur Hafenrundfahrt!
Das Angebot an den Landungsbrücken ist vielfältig: Einstündige Rundfahrten, zweistündige Rundfahrten, Sonderfahrten - immer dabei die Boote der Rainer Abicht Elbreederei - das Geschäft mit den Touristen scheint fest in einer Hand zu liegen. Natürlich buchen wir heute die zweistündige Rundfahrt - je länger, desto besser!
Wir erfahren, dass unser Boot die Jette Abicht ist, ein 18 Meter langer Kahn, Entschuldigung, ein "Fahrgastschiff" für 85 Personen. Schon bei der ganzen Abicht-Flotte war uns während der Wartezeit unangenehm aufgefallen, dass bei sämtlichen Booten die Schiebedächer geöffnet sind - was denn sonst bei so einem "tollen" Wetter, war der Kommentar einer Verantwortlichen. Da offenbar auch die meisten Passagiere keinerlei Probleme mit stundenlangem Sonnen-Braten auch bei viel mehr als 30°C im Schatten haben, führt dies nicht zu Protesten, sondern eher zu Ansammlungen von Touris auf den Sitzbänken in praller Sonne: Schattenparker, du hast es schwer auch hierzulande ..!
Der knorrige alte Ex-Seemann, der die Jette als Steuermann und Kapitän lenkt, während er über Lautsprecher Dönkes und Seemannsgarn zu Hamburg, dem Hafen und seinen Schiffen erzählt, zieht natürlich auch die Plane über unserem Kahn weitgehend zur Seite. So kann auch bei uns jeder ungestört rösten während der zweistündigen Fahrt durch den Hafen und über die Elbe. Zum Glück findet sich ganz nah am Bug hinter dem Steuerhaus noch ein Plätzchen, wo zumindest ein wenig Schatten je nach Schiffsrichtung über den Sitzen zu finden ist ...
Während wir die zu Beginn für einen stolzen Preis an Bord gekaufte Flasche Mineralwasser leeren, geht es los und wir starten zu großer zweistündiger Rundfahrt: Zunächst geht es durch die Speicherstadt, das historische Herzstück des Hamburger Welthafens, danach passieren wir eine geplante Museums-Hafenstrecke mit entsprechend alten Kränen. Weiter geht es elbabwärts vorbei an der AIDAluna und durch verschiedene Hafenbecken mit den gewaltigen Containerterminals zu den dort liegenden Fracht- und Containerriesen. Zu Schiffen wie der Grande Africa der Grimaldi Lines, der Hanjin Gold von Hanjin, der gegenüber liegenden Dublin Express der Hapag Lloyd, der Donata und der Rafaela der MSC oder der Ever Summit von Evergreen gibt es Infos und Geschichten zu hören. Z.B. die, dass die fast 370 m lange Hanjin Gold zu den größten Containerschiffen der Welt gehört oder dass das RoRo-Schiff Grande Africa uralte deutsche Fahrzeuge nach Afrika bringt. Das Containerschiff Donata gehört der MSC, der zweitgrößten Containerreederei nach der Maersk Line. MSC gehört wiederum einem Italiener mit reicher Ehefrau und der soll dieses Imperium in kurzer Zeit aufgebaut haben, das ausgeschrieben "Mafia Shipping Company" bedeutet. Oder sollten wir uns da etwa verhört haben und der Käpt´n sagte in Wirklichkeit "Mediterranean", was man ja wirklich leicht verwechseln kann ..!?
Wir kehren zurück zur Landungsbrücke 1, von wo aus wir gestartet sind, nicht ohne noch wie so oft zuvor einen Blick auf die Elbphilharmonie zu werfen, zu der unser Käpt´n kein Wort verliert. Aber was soll´s, man weiß es auch so, auch weil es erst vor wenigen Tagen noch einmal in der SZ zu lesen war: Dieses Gebäude sollte ursprünglich im Jahr 2010 eröffnet werden bei Kosten von rund 77 Millionen Euro. Inzwischen wird eine Eröffnung im Jahr 2017 erwartet, sieben Jahre später als geplant. Und die Gesamtkosten für die Stadt Hamburg liegen laut Senat inzwischen bei knapp 790 Millionen Euro - also mehr als zehnmal (!) so hoch wie ursprünglich angegeben. Wie sagte noch kürzlich einer unserer Autoren bei der Frage, wohin man heute eigentlich noch reisen könne: "Allerdings wird die Welt, wie man inzwischen weiß, überall vom Kapital und vom organisierten Verbrechen regiert." Wie wahr ..!
Die Rickmer Rickmers wartet ...
Wenn man schon mal an den Landungsbrücken ist, kann man nach dem Aussteigen aus den Abicht-Fahrgastschiffen gleich noch ein paar Meter weiter nebenan auf den großen grünen Museums-Segler klettern: den im Jahr 1896 als "Vollschiff " aus Stahl gebauten Frachtensegler Rickmer Rickmers. Benannt nach dem jüngsten Enkel des Gründers der Rickmers Reederei, der übrigens als Galionsfigur am Bug des Seglers angebracht ist, wurde das 97 m lange und 12,20 m breite Schiff aus einzelnen Stahlplatten zusammengenietet.
Der eindrucksvolle Großmast hat eine Höhe von 47 m über Kiel, der Segler ist ein Beispiel für einen seinerzeit gängigen Schiffstyp, der mit einer kleinen Besatzung vergleichsweise große Ladungen transportieren konnte. Fast 3.100 Tonnen Fracht konnte das Schiff verkraften, das 27 Jahre lang unterwegs war. Natürlich hatte unser Abicht-Käpt´n während der Vorbeifahrt auch dazu echte Schauergeschichten zu erzählen: Von eingelegtem Fleisch voller Maden, von Brackwasser und anderen Scheußlichkeiten, mit denen sich die gut 20 Besatzungsmitglieder an Bord herumschlagen mussten, für die es seinerzeit weder Urlaub noch sonstige Annehmlichkeiten gab während ihrer Fahrt.
Das Schaudern darüber ist beim Rundgang durch das Schiff deutlich geringer: Wenn man aus den Mannschaftsquartieren herüber zur Offiziersmesse, der Kapitänskajüte, Navigations- und Funkraum kommt, könnte man sich durchaus vorstellen, dass es eine spannende Seereise werden könnte ...
Die wechselvolle Geschichte des Seglers, der auch zwischenzeitlich im Besitz der portugiesischen Marine war, nahm eine positive Wendung, als 1983 der Verein "Windjammer für Hamburg e.V." mitteilte, dass er den Segler als Museumsschiff für den Hamburger Hafen zu restaurieren gedenke. Vier Jahre später, im Herbst 1987, wurde die Rickmer Rickmers in eine neu gegründete Stiftung eingebracht, bei der man Fördermitglied werden kann, und ist seitdem am Fiete-Schmidt-Anlieger als Museumsschiff zu besichtigen. Ein Bordrestaurant ermöglicht dem hungrigen und durstigen Touristen wohl heutzutage mehr Annehmlichkeiten, als die Besatzung des Schiffes sich seinerzeit überhaupt hätte vorstellen können ...
Ach ja, bevor wir das Schiff verlassen, nehmen wir natürlich auch mal wieder etwas für unseren Modellkeller mit: Der Schreiber Modelbaubogen 719 (6,5) im Maßstab 1:200 zum Großsegler Rickmer Rickmers ist selbstverständlich Pflicht. Es sind zwar nur gut 6 Bögen, die dieses Kartonmodell hat, aber mit einer angegebenen Länge von 49 cm (??) sollte es eigentlich ein ganz ordentliches Teil werden. Nun ja, zumindest der Bau sollte dann später ein "Erlebnis" werden ...
Der lange Weg zum Achterbahn-Restaurant
Die Nachmittagspause im "Stella Maris" ist nur kurz heute, denn schließlich planen wir am Abend eine andere Form von Gastronomie zu erleben, als sie an Bord des Frachtenseglers möglich gewesen wäre. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wollen wir die einzig nennenswert weite Entfernung von unserem Landungsbrücken-Idyll zurücklegen, um zu unserem nächsten Ziel zu gelangen: dem "Achterbahn-Restaurant" schwerelos in der Harburger Schlossstraße 22 im Binnenhafen auf dem "Channel-Gelände".
Dieses "Achterbahn-Restaurant" hatte unsere Aufmerksamkeit nicht nur dadurch erregt, dass hier ein Konzept umgesetzt worden ist, das als "gimmick" eine technische Spielerei für eine Event-Gastronomie beinhaltet. Das "schwerelos" hatte uns natürlich auch an unsere Kugelbahn im Modellkeller erinnert, so dass ein Besuch hier ebenfalls ein "Muss" für unseren Kurztrip darstellt.
Die Anreise erweist sich als äußerst unbequem und mühselig: Es ist Samstag und man kann öffentlich mit der S3 von den Landungsbrücken aus nur bis Harburg Rathaus fahren. Von dort aus sind es laut online-Fahrplanauskunft angeblich 12 Minuten zu Fuß bis zum Ziel. Der S-Bahn Wagen wird am heutigen HSV-Spieltag von einigen halbnackten und stark angetrunkenen Fußballfans bevölkert, was auch diesen Teil der Fahrt nicht gerade angenehmer macht. Die angeblichen 12 Minuten erweisen sich dann jedoch als eigentliches Ärgernis: Selbst mit Fußgänger-Navi ist dieser Anmarsch deutlich länger, führt durch "Fußgänger-Verbotszonen" und über eine Eisenbahnlinie, die mit x Stufen einer mit "Verbot" gekennzeichneten Brücke überwunden werden muss.
Von unterwegs aus müssen wir deshalb auch in diesem Restaurant anrufen, dass wir unsere Ankunft zur reservierten Zeit leider nicht einhalten können - mit einer "Bombenstimmung" treffen wir jedoch schon bald darauf im Lokal ein. Erst nach Rückkehr von unserem Kurztrip werden wir durch erneute Prüfung des hvv-Fahrplans feststellen, dass unter der Woche ein Bus ab Harburg Rathaus fährt, der den restlichen Fußweg auf 3 Minuten verkürzen soll. Also sollte wohl kein potentieller Restaurantbesucher auf die Idee kommen, ausgerechnet am Wochenende mit öffentlichen Verkehrsmitteln von den Landungsbrücken bis zum "schwerelos" zu reisen - in der Weltstadt Hamburg ist so etwas offenbar nicht vorgesehen ...
Ein Prospekt am Eingang des Restaurants zeigt bereits dessen Motto: "Töpfe fahren Achterbahn in Hamburg!" heißt es vielversprechend dort und weiter: "Schwerelos - Das Achterbbahn-Restaurant in Hamburg sorgt für abgehobenen Spaß für alle Altersklassen. Taucht ein in die 3. Dimension und genießt das spaßige Erlebnis mit kleinen Töpfen auf Schienen. Euer perfektes Ausflugsziel garantiert ein unvergessliches Erlebnis für jeden Anlass! Seht Speisen und Getränke auf Achterbahnschienen wild durch den Raum fahren. Euer Freizeitvergnügen für Groß und Klein"!
An der Kasse wird man gefragt, ob man schon einmal dagewesen ist. Als wir verneinen, wird uns mitgeteilt, dass jemand an unseren Tisch kommen wird, der uns einweist. Und tatsächlich, eine weibliche "Systemspezialistin" führt uns ein in die Technik des "schwerelos": Wir bekommen den Monitor und die Speisekarte erklärt, man zeigt uns, wie wir Speisen und Getränke in den Warenkorb legen können und wie der Ablauf mit ankommenden Speisen und dem anschließenden Abräumen erfolgt - alles in allem für studierte Informatiker und erfahrene Amazon-Besteller durchaus beherrschbar!
Die Info-Kraft verlässt uns wieder und als hundsgemeiner Mensch bestellt man nun erst einmal ein gezapftes Pils: Da dies offensichtlich von der schwerelos-Technik nicht beherrscht wird, kommt eine Bedienung ganz konventionell mit den Gläsern daher - das hätten die Erfinder des "Miniatur Wunderlandes" sicher nicht so akzeptiert - wer weiß, was man dort alles für gezapftes Bier gebastelt hätte ..!
Nun aber wollen wir die Technik genießen: Die weiteren Bestellungen im Warenkorb können per Achterbahn zugestellt werden - blöd nur, dass man von unserem Tisch aus sehen kann, wie die Töpfe aus der Küche vom Zwischenverteiler nur wenige Meter von uns entfernt in den Aufzug gestellt werden und dann aufwändig zuerst in die Höhe und dann über die Achterbahn wieder zu uns herunter kommen. Wir haben Glück und der Transport funktioniert problemlos. Einen Tisch weiter hat man weniger Glück: Die Töpfe stauen sich in einer Kurve und eine Dame vom Personal kommt mit einer langen Stange und stößt die Töpfe manuell an, bis sie sich wieder in Bewegung setzen. Offensichtlich ist die Dame sehr routiniert und nicht das erste Mal geschieht so etwas: Im Laufe des Abends beobachten wir derartige Vorgänge noch häufiger ...
Besteck, Teller, Salz. Pfeffer usw. muss man sich aus einem Drehschränkchen herausholen (dem "Karussell"), das man zu seinem Platz am kreisförmigen Tisch herandrehen kann. Auch leere Teller und alles, was zurückgeht, stellt man in einen Bereich dieses Drehschränkchens. In regelmäßigen Abständen kommt wieder eine Servicekraft, die diesen Schrank ganz konventionell leert und alles abträgt - wieder fragt man sich, was hierfür wohl den "Miniatur Wunderland"-Machern eingefallen wäre - irgend etwas mit mehr Technik, Schienen und Automatik vermutlich!
Wir bleiben länger als die für einen Besuch maximal vorgegebenen zwei Stunden, was aber kein Problem ist, da wir mit zu den letzten Besuchern gehören. Am Ausgang wird der "Warenkorb" bezahlt und diesmal lassen wir uns ein Taxi kommen - noch einmal am Wochenende "öffentlich" von hier aus muss nicht sein ...
Ein insgesamt interessanter Besuch, das Essen war ebenfalls ordentlich, das da per Achterbahn an den Platz gefahren kam und auch die Event-Gastronomie hatte damit weitgehend funktioniert. Beim nächsten Hamburg-Besuch gehen wir aber wieder ganz normal essen - insbesondere am Wochenende!
Aber für einen filmischen Eindruck vom "Achterbahn-Restaurant" haben wir wie üblich natürlich noch ein kleines YouTube-Video erstellt ...
Nachtrag, Dezember ´13: Die "Küchenchefs" waren schon vor uns da ...
Am 10.12.13 wurde auf VOX eine Folge der "Küchenchefs" ausgestrahlt, wo ein Besuch in den Lokalen "schwerelos" und "zeitlos" gezeigt wurde. Gerufen vom Geschäftsführer sollten die Experten Ralf Zacherl, Martin Baudrexel und Mario Kotaska sowie andere des Teams für Verbesserungen in dem Event-Lokal sorgen.
Dieser Besuch, der offensichtlich bereits vor dem unsrigen erfolgte, war aus der Sicht des Teams ein Misserfolg: Bei dem drei Wochen später fälligen Wiederbesuch stellte sich heraus, dass die geplanten Veränderungen nicht umgesetzt worden waren. Weder bei Service noch beim Testessen waren sie zufrieden, sondern vielmehr äußerst enttäuscht, was in der Sendung nur selten der Fall ist.
Einige der Veränderungen hatten wir aber doch festgestellt: So waren die teils absurden Namen der Gerichte in der Speisekarte geändert worden und auch als Besucher wurde man "geschult" vor der Bestellung. Lediglich in Bezug auf die Hauptgerichte konnten auch wir bestätigen, was die Küchenchefs festgestellt hatten: "Convenience Food" wurde nach wie vor eingesetzt und offenbar kommen auch die Gäste unverändert nur einmal - da gehören wir wohl dazu ...
© 2013 J. de Haas