Spinnereien ...
Wir nahmen die Fähre von Rotterdam nach Hull: Der Einstieg nach Britannien ist deshalb bereits in der Mitte der Insel. Wir umgehen dadurch den Großraum London und können gleich zuerst nach Norden fahren. Die Liste der Brennereien in Wikipedia ist eine gute Orientierung. Aber Vorsicht! Aufgrund der schieren Anzahl von Destillerien kann man dieselbe, nämlich die Orientierung, leicht verlieren. Als Liebhaber der rauchigen und torfigen Whiskys ist die Insel Islay in den Inneren Hybriden für mich Pflicht. Man glaubt es kaum, wie viele Geschmacksunterschiede es in ganz Schottland gibt. Selbst wenn nicht alle Gerste aus Schottland kommt, so schmecken die vielen Whiskysorten trotzdem vorzüglich. Die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen erstaunen selbst mich immer wieder: Ob Islay, Highland, Speyside, Lowland - alle Landstriche erkennt man am Geschmack!
Flugshows: Die nächste Liebhaberei ist die von großvolumigen Kolbenmotoren und ihrer Geräuschkulisse. Die Briten sind Liebhaber von altem Zeug, von Dampfmaschinen bis zu Fahr- und Flugzeugen. Wenn man weiß, dass nach dem Zweiten Weltkrieg das Jet-Zeitalter begann, ist man sich im Klaren darüber, dass die Propellerjagdflugzeuge dieses Krieges die Krönung des Baus von Propellerfliegern mit großvolumigen Kolbenmotoren waren. Wenn man sich die Bewaffnung dieser Flieger weg denkt, dann sind sie aus heutiger Sicht die ultimativen Sportmaschinen. Es gab nie leistungsfähigeres und kompromissloseres mit Propeller und Kolbenmotor. Aus dieser Sicht kann man sogar perverses Kriegsgerät toll finden: Egal ob es eine Spitfire oder eine Messerschmitt ist. Nicht umsonst werden in den USA Mustang P51 als Pylon-Rennmaschinen eingesetzt ...
Liebenswerte Spinnereien sind in Britannien überall erkennbar. Herrlich. Wir bewegen uns also ständig im Spannungsfeld zwischen der hochkarätigen Kunst mit William Shakespeare, den unverzichtbaren theoretischen Grundlagen eines Isaac Newton und der hemdsärmeligen praktischen Ausführung eines James Watt - alles von Weltrang. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass mein Land Rover OneTen hier nicht nur "nach Hause" gebracht wird, sondern auch alles ein wenig vereint: In seiner technischen Funktion und Unperfektheit kommt unmittelbar auch die Kunst und die Leidenschaft zum Ausdruck. Leidenschaft stimmt absolut, denn wer einen alten eckigen Land Rover fährt, muss leidensfähig sein ...
Als typisch britisch kann man auch "greenlaneing" empfinden: Das Fahren auf unbefestigten Wegen. Ist das die britische Alternative zu TET-Wegen? Der Hintergrund ist, dass es in Britannien seit dem Mittelalter viele Wege gibt, die zwar ihre verkehrstechnische Bedeutung im modernen Straßenbau verloren haben, nicht aber ihr Wegerecht. Das führte dazu, dass der Verkehr sich jetzt vielerorts woanders auf asphaltierten Straßen befindet, aber sogenannte "Byways" immer noch rechtlich für den öffentlichen Verkehr zugelassen sind. Asphaltiert wurden sie nie und so sind sie ein El Dorado für den 4x4 Freund. Die Green Lane Association (GLASS) kümmert sich darum und so ist eine Jahresmitgliedschaft, die ein Verzeichnis aller Wege und Navigationshilfen umfasst, sehr zu empfehlen. GLASS sorgt dafür, dass solches Kulturgut nicht verfällt und in Vergessenheit gerät. Man tut mit der Jahresmitgliedschaft also auch noch etwas Gutes, selbst wenn man die Infos zu diesen Wegen auch anderweitig bekommen kann. GLASS organisiert die Pflege der Wege in gemeinsamen Aktionen und Ausfahrten. Zwischen den Byways und den TET-Wegen gibt es verständlicherweise viele Überlappungen und so führt beides auf Wegen ohne Asphalt in eine wunderbare Landschaft ...
Los geht's: Ankunft mit der Fähre in Hull
Wenn man im Linksverkehr fährt, dann merkt man erst, was man im gewohnten Straßenverkehr alles intuitiv macht. Man rollt aus der Fähre hinaus und wird sozusagen sofort ins kalte Wasser geschmissen: Und nun schwimm! Intuitiv fahren gilt hier für die ersten paar Tage gar nicht mehr. Man ist abends fix und fertig, weil nichts mehr automatisch geht. Die Konzentration fordert ihren Tribut: Oft steht man vor einer Kreuzung, wo einfach in die Mitte ein weißer Kreis auf den Boden gemalt wurde ... und hier soll man sich nun verhalten wie in einem Kreisverkehr und den Kringel nicht überfahren? Hä ..?
Peak District
Unser erstes Ziel war der Peak District. Der Rufford Ford, eine jahrhundertealte Furt, liegt quasi auf dem Weg und so machten wir einen Abstecher. Es gibt viele YouTube Videos von ihm, aber er ist inzwischen geschlossen. Er wurde zum Hip-Ort für TikTok Filmer und Youtuber und es gab jede Menge Unfälle, so dass die Rettungsteams die Sperrung veranlassten. Schlichte Leute verursachten aus Selbstdarstellungsgelüsten zu viele Einsätze. Der Parkplatz kostet trotzdem 5 Pfund ...
Im Peak District findet man eine sanft geschwungene Hügellandschaft. Die Hügel zwischen 500 und 600 Meter Höhe sind für den Briten schon Peaks. Hier gibt es viele TET-Wege und Byways und man kann tagelang völlig legal Offroad fahren. Man kann den ganzen Tag wirklich wild kurbeln, fährt unter dem Strich 50 km weit und ist am Ende 10 km vom Ausgangsort entfernt.
Mit einer britischen Ikone wie dem Land Rover in Britannien zu sein ist ein Privileg: Der Land Rover ist wieder der absolute Türöffner zu den Menschen. Schon beim ersten Frühstück vor dem Landy an einem offensichtlich recht bekannten Ausflugsort in den Hügeln blieben viele Leute zu einem kurzen Schwätzchen stehen: "I have an old Ninety at home!"
Mein quer aufklappendes Hubdach ist ein richtiger Magnet. Ich kam fast nicht zum Frühstück. Die Zeit für so etwas ist wirklich nennenswert, aber solche Verzögerungen nimmt man gerne in Kauf, sind sie doch das Salz in der Suppe des Reisens. Die TET-Wege im Peak District sind teilweise recht herausfordernd. Zwar kann man viele Wege sogar mit einem 2WD fahren, aber an vorher auf der Karte nicht erkennbaren Passagen ist dann oft Schluss mit 2WD. Da muss es dann schon ein echter Offroader sein. Eines Morgens fährt am Frühstückstisch glatt eine Oldtimer Rally mit gut 40 Wagen vorbei. Sogar ein Morgan Threewheeler mit 1000er JAP Motor war dabei ...
Die Wanderer lachen einen auf den TET-Wegen an und öffnen sogar Gates für einen, damit man durchfahren kann. Man stelle sich das in Deutschland vor. Hier würde man eher empört das Kennzeichen fotografieren und die Polizei holen. Natürlich ist das in Anbetracht der Bevölkerungsdichte auch verständlich und man fährt allein deshalb schon nicht auf Wanderwegen. Umso mehr fällt es einem aber in anderen Ländern auf!
Liverpool & Lake District
Nun ging der Weg nach Liverpool, um dort bei einem Teiledealer noch ein paar Kleinigkeiten für den Landy abzuholen. Sagte ich schon, dass so ein Land Rover NIE fertig ist? Irgendwas kann man immer brauchen. Liverpool ist eine große Stadt wie viele andere auch, aber als Heimatstadt der Beatles ist das natürlich das bestimmende Element in Liverpool. Das Albert Dock muss besucht werden. Die Beatles leben! ... und man sollte sich hier nicht als Rolling Stones Fan outen!
Weiter ging es nach Norden in den Lake District zum Treffen mit einem Freund. Er war bereits die Wochen vorher hier unterwegs und wir vereinbarten ein Treffen. Er kam aus Schottland und wir waren auf dem Weg dorthin. Da er auch ein Whiskyfreund ist, ergab sich mit seinen mitgebrachten Preziosen ein Whisky-Tasting. Hicks ...
Am nächsten Tag hatten wir ganztägig typisch englischen Landregen und darum machten wir einen Tag Pause in Grizedale. Es war ein angenehmer Sommerregen bei T-Shirt Temperaturen mit gaaanz sanften und vielen hauchdünnen Bindfäden aus Wasser, die eine leichte Brise vor sich hin wehte. Bisher war mir englischer Landregen kein Begriff, aber jetzt wusste ich, was gemeint war. Man überschätzt es gerne, wie weit nördlich Schottland eigentlich liegt. Die Nordküste liegt in der Tat auf der geografischen Höhe von Stockholm. Man bewegt sich also tatsächlich auf der Höhe von Dänemark und Südschweden. Intuitiv hätte ich Schottland nördlicher angesetzt, aber es erklärt zusammen mit dem Golfstrom die moderaten Temperaturen.
Im Verlauf des Tages hat sich der Omnia Backofen wieder bestens bewährt. Ich hatte noch vom Festland türkischen Yufka Teig mitgebracht und bereitete ihn mit einer Gemüsefüllung zu. Ging super. Es war wohl eine Art türkische Calzone Pizza ... Auch im Lake District gibt es viele TET-Wege und Byways und entsprechend kamen wir nur langsam vorwärts, als wir wieder unterwegs waren - was bei dieser Landschaft aber nicht bedauerlich ist.
Es ergab sich ein Besuch im Lakeland Motor Museum in Backbarrow. Hier findet sich tatsächlich sogar ein Messerschmitt Kabinenroller, dessen Konstrukteur Fritz Fend ich vor vielen Jahren kennen lernen durfte. Er hatte gerade den F2000 gebaut, der ein würdiger Nachfolger der Kabinenroller war. Der damalige Prototyp, den er mir zeigte, befindet sich nun in Bad Wörishofen. Er hat eine BMW K75 Triebsatzschwinge und war mit seiner Technologie und knapp über zwei Liter Verbrauch der Zeit weit voraus. Den Urahnen des F2000 sah ich noch vor wenigen Tagen per Zufall bei der Oldtimerrally - den Morgan Threewheeler.
Heute bin ich doch auf die falsche Straßenseite geraten ... also, ich bin "kontinental" gefahren. Wieder passierte es beim Umdrehen. Eine aufmerksame Beifahrerin ist schon toll. Nichts ist passiert, weil vier Augen einfach mehr sehen als zwei ..!
Richtung Edinburgh
Die heutige Fahrt ging aus dem Regen in die Sonne nach Norden aus dem Lake District bis ca. Dumfries. "Da hinten wird’s schon heller." Diese alte Motorradfahrerweisheit bei Regen, war man geneigt zu sagen. Wenn es in diesen Tagen gerade mal nicht regnete, schien aber trotzdem die Luft nass zu sein. Von Regen ist in der Tat ganz schön oft die Rede, aber er wurde durch die gemütlichen Temperaturen nicht als unangenehm empfunden. Wohl auch deshalb, weil die Schotten sich durch so etwas nicht irritieren lassen und trotzdem ihren Freizeitspäßen nachgehen.
Bei einem solch positiven Vorbild mag man natürlich nicht nachstehen. Auf unserem nächsten Nachtplatz auf einer Lichtung im Wald fanden wir Kontakt zu zwei Schweizer Radlern mit Zelt: Sie interessierten sich für meine vielen Islandaufkleber am Auto. Schon waren wir im Gespräch über Island und ich habe ihnen meinen Island Bildervortrag vorgeführt, weil sie nach ihrer Schottlandreise Island besuchen wollen. Es hat allen gefallen und sie fühlten sich vorab gut informiert. Ihre Aussage war, sie hätten jetzt noch mehr Lust nach Island zu fahren, obwohl ich versuchte, ihnen das Fortbewegungsmittel "Fahrrad" für Island auszureden: Schließlich sollte man auch dort - ebenso wie in Schottland - imstande sein, schnell vor dem Wetter zu flüchten und in die Sonne zu fahren ...
Auf vielen Nachtplätzen lernt man sofort Leute kennen: Auf dem Platz einer weiteren Nacht am Megget Reservoir haben wir eine supernette schottische Familie kennengelernt. Man schenkte uns sogar Brennholz, damit wir Feuer machen können. Im britischen "Wild camping" Forum kann man POIs downloaden, die ich als äußerst hilfreich empfand. Dort sind viele dieser potentiellen Nachtplätze und auch Toiletten sowie Trinkwasserstellen angegeben. Es ist enorm hilfreich, diese ganzen Camps und Infos zu haben.
Irgendwie waren wir inzwischen ganz automatisch zur NC500 unterwegs. Das dürfte für erstmalige Schottlandtouristen eines der lohnendsten Ziele sein. Diese Ringstraße ganz oben rund um Schottlands Norden hat mit 500 Meilen Länge sehr viel zu bieten und ist ein guter Ausgangsort für alle Aktivitäten. Man kann aus allen Richtungen Abstecher ins Landesinnere, in die Highlands, machen und es erklärt sich von selbst, dass es an dieser Hauptverkehrsroute viele Sehenswürdigkeiten gibt.
Auf dem Weg nach Norden kommt man automatisch durch Edinburgh. Aber Edinburgh spontan zu besuchen geht fast nicht: Es scheitert schon am Parkplatz, denn in der Innenstadt gibt es quasi keinen. Draußen parken und mit dem Bus hinein? Ja, aber auch das erfordert einen gewissen Aufwand und viel Zeit, wenn man das Bussystem gar nicht kennt. Besser erschien es uns darum, auf dem Rückweg nochmal mit besserer Vorbereitung vorbei zu kommen. Bei der kurzen Fahrt durch die Stadt bemerkte man aber sofort die vielen Surveilance Cameras (Überwachungskameras) überall. Was habe ich angestellt? Man bekommt augenblicklich ein schlechtes Gewissen, auch wenn man sich keiner Schuld bewusst ist. Die vielen Kameras entsprechen einem Generalverdacht, den man wohl gegen die ganze Menschheit allgemein hat ...
© 2023 Sigi Heider