Was war los?
Endlich ist es soweit, in diesem Jahr werde ich aus dem Berufsleben ausscheiden. Aber was dann? Nur in der Ecke hocken, auf gutes Wetter warten, Fernsehen, Kaffee trinken, "in der Nase bohren" , oder ähnliches?
NEIN: Ich habe vor, Deutschland zu verlassen und in die Türkei überzusiedeln. Hört sich in der heutigen Zeit verrückt an, ist es eigentlich aber gar nicht. Im Moment ist es so, dass man die Türkei an eine bestimmte Person koppelt. Die deutschen Nachrichten senden immer wieder negative Schlagzeilen, man regt sich z.B. über eine nicht vorhandene Pressefreiheit in der Türkei auf. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, 100%tige Pressefreiheit ist in D ebenfalls nicht vorhanden, auch dort nimmt die Politik Einfluss auf die Presse und diktiert/zensiert Nachrichten. Aber ich will an dieser Stelle nicht über Politik (übrigens ein dreckiges Geschäft) schreiben ...
Das Für und Wider meiner Entscheidung habe ich mir immer wieder durch den Kopf gehen lassen: Aber dann habe ich schließlich "Nägel mit Köpfen" gemacht. Ich habe eine Wahl getroffen - ich ziehe mit meiner englischen Zicke um, sie soll eine türkische Bergziege werden!
Ganz ehrlich: Aus verschiedenen Gründen haben wir von Deutschland "die Schnauze voll". Die Geschichte, die dahinter steckt, ist allerdings schon etwas speziell und auch nicht allzu schnell erzählt. Seit dem Jahr 2011 fahre ich regelmäßig in die Türkei und habe dort schon viele nette, freundliche Menschen kennengelernt. Das Leben ist wesentlich unkomplizierter, einfacher, es gibt überwiegend schönes Wetter und gastfreundliche Menschen trifft man dort. Das Leben ist billiger, es gibt noch viel zu entdecken, usw.
Oberhalb von Alanya bin ich Besitzer eines alten Sommerhauses, wahrscheinlich das Letzte seiner Art in der Gegend. Dieses habe ich in den letzten fünf Jahren renoviert und wieder bewohnbar gemacht. Da ich mich dort wohl fühle, habe ich meinen Anhänger und das Auto gepackt und mich auf den Weg nach Alanya gemacht ...
Ankunft mit Hindernissen ...
In Deutschland habe ich meine Wohnung aufgegeben, mich bei der Familie und Freunden abgemeldet und fahre nach Ancona/Italien. Dort nehme ich die Fähre nach Igoumenitsa/Griechenland. Dann quer durch GR bis an die türkische Grenze und weiter nach Alanya. So mein Plan.
Seit zwei Wochen packe ich, entsorge, richte das Auto und meinen Anhänger her, habe alle Behördengänge hinter mir, die Adresse ist geändert und den jeweiligen Institutionen mitgeteilt. Alles was gemacht werden muss, habe ich auf einer Liste zusammengestellt und abgearbeitet.
Noch zwei Tage, dann mache ich mich das erste Mal in diesem Jahr auf den Weg in die Türkei. Ende Juli bis Mitte August bin ich dann wieder zurück in D und werde den Rest meiner Habe packen und mich endgültig verabschieden. Anschließend geht's für unbestimmte Zeit erneut in die Türkei - ich sage immer, ich mache einen längeren Urlaub ...
ABER: Voraussetzung ist, dass diese "englische Zicke" mitmacht. Und da habe ich kurz nach der Abfahrt Anfang Mai 2016 schon ein großes Problem zu bewältigen: Das Getriebe hat sich verabschiedet. Ohne Vorwarnung haben die Gänge keinen Vortrieb mehr, nur der vierte scheint ok. Also bleibt mir nichts übrig, als die Zicke abschleppen zu lassen, mir ein Tauschgetriebe zu besorgen und die Fähre umzubuchen.
Am nächsten Tag fahre ich meine Bekannten ab, zum Glück habe ich mein Motorrad noch nicht abgemeldet und bin mobil. Ein günstiges Tauschgetriebe finde ich nach nur einer Stunde: Im 20 km entfernten Wesel gibt es einen Discovery 1 mit Motorschaden, sein Getriebe hat "nur 160.000 km" hinter sich und soll noch in Ordnung sein. Also gehe ich das Risiko ein und kaufe es. In der Werkstatt meines Bekannten tausche ich das Getriebe mit einem Schrauber in zwei Tagen. Alles geht gut, als ich aber eine Probefahrt machen will, merke ich, dass die Kupplung nicht trennt: Jetzt könnte ich ko....! Aber nach dem Entlüften der Kupplung funktioniert alles einwandfrei - Glück gehabt!
Nachdem das Auto dann erneut beladen vor der Tür steht, kann ich mit vierzehntägiger Verspätung endlich losfahren: Der Motor läuft, das Getriebe schaltet, dass Wetter ist beschissen. Aber was soll's, da muss ich durch. Bis Frankfurt, Stuttgart, Ulm, die A7 bis zur österreichischen Grenze, Innsbruck, den Brenner hoch und dann nach Italien rein ...
Ab Frankfurt Regen, als ich am 23. Mai den Brenner hochfahre, sind es um die 0°C: Schneeregen, weiße Berggipfel rund herum, der Winterdienst mit Schneeschild, Salzstreuer und gelber Rundumleuchte vor mir auf dem Parkplatz - was für ein Sch... wetter!
Die Zicke müht sich, denn fast 4 t wollen von 113 PS erst mal ins Rollen und dann auch noch die Berge hoch bewegt werden. Kein Zuckerschlecken für die Zicke. Kurz nach dem Brenner fahre ich mehrere Rastplätze an: Alle sind voll. Dann finde ich ein kleines Plätzchen zwischen den LKW. Ich parke ein, richte meinen Schlafplatz im Auto her und verkrieche mich in meine Schlaftüte ...
Am nächsten Morgen werde ich wach und stehe allein und von allen LKW verlassen auf dem Parkplatz. Nach einem kleinen Frühstück geht's dann weiter Richtung Ancona.
Nachmittags komme ich schließlich in Ancona im Hafen an: Meine Fähre geht aber erst am nächsten Tag. Also muss ich hier noch einen Übernachtungsplatz finden. Im Hafen ist es unübersichtlich, schlecht ausgeschildert, schlechte Straßen. Aber im Check-In stehen noch weitere Reisende, die mit der selben Fähre nach Griechenland wollen wie ich. Also setzt man sich zusammen, tauscht sich aus, trinkt ein Weinchen dazu. Gegen Mitternacht verkrieche ich mich in meine Koje und schlafe selig ein. Morgens dann Einchecken und warten bis die Fähre beladen wird. Bis hierhin ist alles gut gegangen: Mal abwarten, was auf der zweiten Hälfte dieser Fahrt noch passiert ...
Am nächsten Tag frühmorgens Ankunft in Griechenland: Zuvor gibt es Gerüchte, dass in Griechenland gestreikt wird. Das würde mir noch fehlen, nicht von der Fähre runter zu kommen. Aber nichts passiert. Ich fahre morgens von der Fähre, tanke noch kurz und dann geht's Richtung türkische Grenze, ca. 700 km weit.
Die Zicke muss in den griechischen Bergen wieder ganz schön ackern, macht sie aber ohne zu meckern. Abends gegen 17:00 Uhr bin ich an der türkischen Grenze, jetzt wird es spannend: Ich bin das dritte Auto. Der Grenzer spricht mich sofort mit meinem Vornamen an, obwohl er meinen Pass noch nicht in den Händen hat. Ich grinse ihn an, weil ich weiß, dass mein Kennzeichen gescannt wurde und meine Daten deshalb schon bekannt sind. Dann fragt er mich, was ich denn mit dem Anhänger in der Türkei will. Ich sage ihm in meinem holprigen Türkisch, dass ich dort wohnen werde. Er schaut ungläubig, aber dann sagt er freundlich, ich solle zu seinem Kollegen am Zoll fahren.
Der Kollege am Zoll ist neugierig, was ich mit dem Anhänger in der Türkei will. Wieder die Ansage, "Benim evim Alanya" (mein Haus in Alanya). Er sagt, dass er die Ladung gerne sehen möchte. Ich ziehe die Plane ab. Er fragt, was in den Kartons ist. Drei davon muss ich öffnen, dann folgen noch einige Fragen zu den anderen Sachen und es ist geschafft: Die ganze Aktion hat gerade mal 45 Minuten gedauert. Ich bin in der Türkei!
Von der Grenze sind es noch an die 200 km bis zu dem Camp Troia: Dort habe ich schon öfter übernachtet, das kann ich noch schaffen. Die Grenzkontrollen sind normalerweise strenger: Vor einem Jahr musste ich meinen kleinen Anhänger komplett ausräumen. Dieses Mal bin ich gut davon gekommen ...
Gegen 20:00 Uhr bin ich am Ziel. Der Betreiber kennt mich, begrüßt mich freundlich und fragt, ob ich ein Bier haben möchte. Ich sage nicht nein. Erst duschen, dann zwei Bier. Nach knapp 900 km ein Genuss!
Am nächsten Tag fahre ich nur 240 km weiter bis Izmir: Dort wartet meine Freundin. Eine Nacht in Izmir und dann weiter nach Alanya. Auch diesmal muss die englische Zicke wieder ackern, hinter Denizli geht's in die Berge auf ca. 1.400 m. Bis in den zweiten Gang muss ich runter. Aber auch das meistert die Zicke wieder ohne zu meckern. Sie macht ihrem neuen Namen "Bergziege" alle Ehre.
Gegen 14:00 Uhr fahren wir schließlich in Alanya ein: Jetzt heißt es, noch eine Unterkunft für den Anhänger suchen. Meine Freundin telefoniert während der Fahrt und wird fündig. Der Schrauber, der mein Auto immer wieder herrichtet, bietet uns an, den Anhänger an seinem Haus abzustellen. Dort würde er sicher stehen. Dann weiter zu unserem Sommerhaus: Ich bin schon neugierig wie es dort aussieht. Seit 7 Monaten waren wir nicht mehr dort. Aber ich bin überrascht, es sieht nicht so schlimm aus: Der Weg zum Haus ist von Blättern und Zweigen etwas versperrt, aber in 30 Minuten ist alles geräumt.
Jetzt können wir das Auto ausräumen und die Hütte etwas herrichten. Nach vier Stunden ist sie bezugsfertig - wir haben uns ein Bierchen verdient. Also hoch ins Restaurant nach Hasan ...
© 2016 Ludwig Hauhoff (Hauy)