Teil 1: Westtürkische Küste und bis Ankara
Abfahrt am Freitag, 25. April, gegen Mittag - weil ich am Vormittag noch an einer letztlich sinnlosen Computereinweisung teilnehmen will. Denn nach dem Urlaub habe ich das alles wieder vergessen. Über den ehemaligen Autoput geht es durch den Balkan auf meist guten Autobahnen vorbei an Ljubliana, Zagreb, Belgrad und Sofia bis zur türkischen Grenze bei Edirne, wo wir am Montag vormittag ankommen.
In dieser netten Stadt kann man endlich einen Gang runterschalten, sein Auto und einige wenige Türkische Lira vertrauensvoll der Parkplatz-Mafia überlassen und sich seinem natürlichen Bewegungsdrang hingeben. Die ersten wohltuenden Schritte führen uns in die berühmte Selimiya-Moschee, der Hauptattraktion dieser Gegend. Es war das Meisterwerk des größten Baumeisters der damaligen Zeit und geriet, wenn auch nicht größer so doch edler als die Moscheen in Istanbul. Und es ist eines der 13 Weltkulturerbestätten der Türkei ...
Gleich unterhalb der Moschee beginnt das quirlige Leben der Innenstadt und bietet uns einen ersten Eindruck von der Türkei: Dort könnte man etwas länger bleiben, weitere Bauwerke und vielleicht auch ein Museum anschauen und mit einem Chai in der Hand das Treiben im Basar beobachten und unseren flüchtigen Eindruck vertiefen.
Wir wollen jedoch voran kommen und fahren an dem Tag noch etwa 200 Km nach Süden bis Eceabat an der Fähre über die Dardanellen. Zum ersten Mal staunen wir über die hervorragenden Landstraßen in der Türkei und werden bis zum Schluss aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Vierspurig mit Graben oder Grünstreifen in der Mitte. Und wenn diese Mittelbarriere einmal fehlt, kommen einem prompt die Überholer der Überholer auf der linken Fahrspur entgegen.
Es geht erst einmal sanft bergauf und bergab über Hügel mit schöner Aussicht in kleine Täler mit grünem Pflanzengürtel. Das letzte Stück bis zur Überfahrt nach Asien hat für die Türken eine historische Bedeutung, hat doch im ersten Weltkrieg dort ein später berühmt gewordener türkischer General seine ersten großen Kriegstaten vollbracht und verlustreich den Engländern den Zutritt ins Marmarameer und nach Istanbul verwehrt: Atatürk und die Schlacht um die Galipoli-Halbinsel. Einen Tag vor unserer Fahrt hierher hatte der jährliche Gedenktag stattgefunden und wir sind dem Trubel gerade noch entkommen.
Kleinasien und viele alte Steine
Nach einer halbstündigen Überfahrt immerhin von Europa nach Asien haben wir einen schönen Blick zurück zu unserem Heimatkontinent und schon nach wenigen Fahrkilometern begrüßt uns ein berühmtes Holzpferd (Anm. der Red.: Die Umgebung hat sich in einem Jahr doch verändert seit Hauys Besuch ...)
Troja will ich auf keinen Fall auslassen trotz vieler enttäuschter Reiseberichtschreiber im Netz: Sie beklagen oft die wenigen Mauern, die man da noch sehen kann und loben Ephesus als herrlichen Gegensatz. Aber das ist kleinkariert und missachtet die enorme archäologische Bedeutung der von Schliemann durchaus fehlerhaft begonnenen Ausgrabungen. Es war ein Beginn, ein Lernen an Fehlern und eine kontinuierliche Entwicklung hin zu der heute sehr wissenschaftlich und sorgfältig arbeitenden Disziplin. Und wie an keinem anderen Grabungsort der Welt kann man hier (mit entsprechender Information durch Fachleute) die Siedlungsgeschichte von den Ursprüngen bis zum Ende der Besiedlung verfolgen. Mehr als 45 Schichten lassen sich unterscheiden innerhalb von neun großen Besiedlungsepochen. Und nach allem was man daraus schließen kann, gab es um 1200 vor Christus eine Katastrophe mit Brandspuren und anschließend ziemlich langer Siedlungspause. Das würde zum Trojanischen Krieg gut passen ...
Die sogenannte Troja-Debatte stellt vieles in Frage und provoziert mit der Behauptung, der historische Ort hier sei nur eine kleine Ritterburg gewesen und Homers Epen Literatur ohne gesicherte Hintergründe. Aber die Ausgrabungen beweisen, dass die alte Stadt sehr groß und mächtig und mit riesigen Mauern umgeben war und an der Stelle stand, die Homer in seiner Ilias beschreibt. Also gemeint hat Homer diesen Ort ganz sicher. Und eine große Schlacht mit vorübergehender Vernichtung der Stadt um 1200 steht ebenfalls fest. Dass die Kämpfer Achilles und Hektor hießen, sollten wir Homer einfach abnehmen, ist doch egal ...
Also lassen wir das: Ich stehe literarisch gesehen ohne Zweifel genau an der Stelle, wo der alte König Priamos auf das Schlachtfeld zwischen Stadt und Meer herunter schaute und seine Helden zu Höchstleistungen auf ihren Streitwagen anfeuerte. Nur war das Meer vor 3.200 Jahren noch wesentlich näher an der Stadt. Dieser Mythos macht Troja aus, nicht die Steine!
Der Hafen von Assos liegt etwas südlich von Troja und gehörte zu dessen Herrschaftsgebiet. Dort warteten die historischen Schiffe auf den Westwind, der sie durch die Dardanellen trieb und die "Campingplatzgebühren", die sie an Troja zahlen mussten, führten zu dessen Reichtum. Heute ist der Hafen von Assos eine Touristenfalle, fast wörtlich. Denn wenn man mit einem größeren Fahrzeug bis nach unten fährt, tut man sich sehr schwer, wieder weg zu kommen, so eng ist es dort. Aber die Ruinen der alten Stadt oberhalb des Hafens mit Amphitheater, Marktplatz und anderen interessanten Details lohnen einen Besuch, ein schöner Spaziergang mit herrlichen Blicken auf die Insel Lesbos gegenüber und wenig Touristenrummel inklusive ...
Wir finden bei Sarnic, wenige km westlich von Assos, einen anderen kleinen Hafen, der offener und sehr einladend wirkt. Ein Fischer kommt gleich auf uns zu und bietet uns in passablem Deutsch seine Hilfe an, zeigt uns das nahe Toilettenhäuschen und wünscht noch eine schöne Übernachtung.
Die Weiterfahrt auf der Küstenstraße die Bucht von Edremit ausfahrend und runter bis Ayvalik zeigt uns zum ersten Mal das Ausmaß der touristischen Besiedelung: Man findet praktisch keinen ungenutzten Platz am Meer. Zu dieser Jahreszeit ist noch wenig Trubel und man sieht fast ausschließlich türkische Urlauber.
Ja, die Zeiten sind längst vorbei, als sich die Türken noch keinen Urlaub leisten konnten. Wir lassen uns wieder vom WoMo-Führer Türkei West (siehe rechts) beraten und finden einen sehr ruhigen Platz mit wunderschöner Blumenbepflanzung. Und unser Hund muss sich dem Rudelführer des Platzes (Schwanz nach oben) unterordnen ...
Am nächsten Tag haben wir dann die erste griechisch-römische Großstadt auf dem Programm: 200.000 Einwohner soll Pergamon in der Blütezeit gehabt haben und durch die frühe Partnerschaft mit der aufstebenden Großmacht Rom zum beherrschenden Zentrum in Kleinasien geworden sein. Ab etwa 90 v.Chr. übernahm dann Ephesus diese Spitzenposition ...
Die großen Tempel und Fürstenpaläste standen oben auf dem Burgberg und unten in der Ebene wuselte es in der eng gebauten und dicht bewohnten Stadt. Wie damals ist es auch noch heute: So eng und dicht, dass wir beim besten Willen keinen Parkplatz finden und auf einen Basarbesuch verzichten müssen. Auf der anderen Seite der Stadt Bergama stehen die Reste vom „ältesten Krankenhaus der Welt“, Asklepion genannt. Eine 1 km lange Marmorstraße führte damals von der Stadt zum Asklepion, beidseits von überdachten Arkaden flankiert, in denen Händler ihren Kitsch anpriesen. Am Eingang zu dieser Straße hatten Ärzte ihre Behandlungsräume und mussten die Patienten vor Klinikaufnahme untersuchen sowie geeignete Anwendungen verordnen. Schwerkranken und Schwangeren war der Zutritt verboten, fürchtete man doch die Komplikationen ...
Nicht weit südlich von Bergama, in den einsamen Bergen des Yunt Dag, sind die freigelegten Ruinen der alten Stadt Aigai, einer kaum bekannten antiken Stätte, die seinerzeit zum Königreich Pergamon gehörte und an der die Archäologen im Sommer noch intensiv arbeiten. Mit der sauber gefugten alten Zugangsstraße sind sie schon längst fertig, aber oben neben der Agora, dem 80 Meter langen Marktplatz, liegt noch viel Zeug rum und man kann die Ausgräber um ihre schöne Aussicht am Arbeitsplatz beneiden.
Eigentlich wollen wir ja auf dem Parkplatz vor dem Aufstieg zur Stadt Aigai übernachten: schöner Ausblick, Toilette, störungsfrei. Aber der Parkplatzwächter ist ein humorloser kleiner Angestellter und besteht auf unserem Verschwinden. So fahren wir also runter ins Tal und auf eine Nebenstraße in die Felder und stellen uns etwa 300 Meter vor dem Ende der Sackgasse an den Straßenrand und wähnen uns in der Einsamkeit ...
Doch dann kommt ein grobschlächtiger türkischer Bauer auf seinem Esel herangeritten, grüßt freundlich und bleibt stehen. Nach dem woher und wohin kommen wir auf das Handynetz in der Türkei zu sprechen, wohlgemerkt ohne ein einziges Wort in der Sprache das anderen zu verstehen aber absolut problemlos und wie selbstverständlich. Ich hatte noch in Deutschland eine SIM-Karte von Turkcell gekauft, die bisher nirgends ein Netz fand. Er schaut mit Kennerblick auf mein Handy und meint sinngemäß: „Turkcell scheiße, Vodafon gut“, dreht sich um und reitet, intensiv auf seinem Smartphone tippend, davon. So etwas versteht man unter Kulturschock, aber andersrum als üblich ...
Der Abend bleibt spannend: Es kommen immer wieder Leute vorbei, eine schüchterne Bäuerin mit Kälbern, ein kleiner LKW und mehrere PKW, obwohl die Straße ja eine Sackgasse ist. Alle männlichen Passanten bleiben stehen, winken, rufen einige freundliche Worte, lachen und freuen sich ganz offenbar über unseren Besuch. Der Gipfel ist ein Taxibus mit 3 oder 4 Fahrgästen, die 200 Meter an uns vorbeifahren, wenden ohne dass jemand aussteigt und langsam wieder zurückfahren, neugierig, aber sehr freundlich aus dem Wagen schauend. Wir sind die Attraktion des etwa 1 km entferneten Ortes Yuntag Köseler und sogar mit dem Taxi kommen sie, um uns zu sehen. Doch nachts lassen sie uns in Ruhe.
Unser nächstes Ziel ist Ephesus, das Neuschwanstein der kleinasiatischen Küste. Der Weg dorthin führt uns durch die 3-Millionenstadt Izmir und da wir es leider versäumt hatten, nach dem Grenzübertritt kurz vor Edirne eine Autobahnvignette zu kaufen, müssen wir auch mitten durch die Stadt fahren. Wirklich schwierig ist das in Zeiten von GPS-Navigation nicht mehr, aber wir Landpomeranzen sind beeindruckt von der dichten und hohen Bebauung, oft mit grandiosem Meerblick. Ganz nah bei Ephesus ist unser heutiges Ziel, ein schöner Campingplatz mit Palmenstrand und gutem Restaurant. Hier bekommt Renate die Rache von Izmir Übül zu spüren, dem türkischen Verwandten von Montezuma und wir müssen einen Ruhetag einlegen, sind aber heilfroh, dass „Er“ auf einem so ruhigen und komfortablen Platz und nicht an der belebten Sackgasse von gestern zuschlägt ...
Die antike Stadt Ephesus soll um 9:00 Uhr öffnen und wir sind kurz vorher am unteren Eingang. Aber da muss ich mich verlesen haben: Die haben schon um 8:00 Uhr die Pforten geöffnet und wir sind beileibe nicht die ersten Besucher. Die Prachtstraße, die vom damaligen Hafen leicht ansteigend an Amphitheater, Tempeln, Repräsentationsbauten und den sogenannten Hanghäusern vorbei hochführte, gilt auch heute noch als die Perle von Kleinasien.
Tausende von Besuchern werden mit Bussen ans obere Ende dieser Straße gefahren, dort hingestellt und mit einem leichten Schubs angestoßen, damit sie langsam tippelnd bis ans untere Ende kommen, wo sie dann wieder aufgesammelt und zum nächsten Event verbracht werden. Jedenfalls kommt es mir so vor, wenn Gruppe um Gruppe an uns vorbei diffundiert, während wir nach oben wandern. Alle haben natürlich ihre Digicam dabei und knipsen wie die Weltmeister, auch unser Hund ist nun in vielen chinesischen, polnischen, französichen und natürlich türkischen Alben zu finden. Zwei Millionen Besucher kommen jährlich hierher und damit hat Ephesos das höchste Touristenaufkommen außerhalb Istanbuls.
Vor über 2.000 Jahren war Ephesus eine reiche Hafenstadt und etwa gleich groß wie Pergamon und Smyrna, dem heutigen Izmir. Und nach einer Vertrauenskrise zwischen Pergamon und Rom etwa um 90 v.Chr. wurde Ephesus zur römischen Hauptstadt in Asia. Entsprechend prunkvoll wurde gebaut und gelebt und zum Glück ist nicht alles zerstört. Aber bei der unglaublichen Fülle der antiken Schätze hier verliert man den Blick für das Detail und auch die Erinnerung daran. Zu Hause wird mir Wikipedia beim Sortieren helfen müssen ...
Da geht es mir mit dem nächsten Steinhaufen, den wir besuchen, ganz anders: Didyma war ein Apolloheiligtum, also nach heutigen Vorstellungen eine Kathedrale und wie bei uns die Kathedralen ist auch das Haus des Gottes Apollo viel größer und prächtiger als normale Fürstenpaläste. Jedenfalls habe ich noch nie mächtigere Säulen gesehen als hier, ein imposanter Tempel fürwahr. Allerdings kenne ich die Akropolis in Athen als Vergleich nicht. Auf Bildern sieht diese noch gigantischer aus ...
© 2014 Sepp Reithmeier