Feuerland, 29.11. - 07.12.2008
Während ich diesen Bericht schreibe, stehen wir südlich von Punta Arenas am Meer. Sonne und Wolken wechseln sich ab und ich habe den Blick frei auf die "Bahia Inutil", übersetzt die "unnütze Bucht". Dieser Name resultiert aus dem vergeblichen Versuch von Entdeckern, an dieser Stelle einen Ausgang aus dem Inselgewirr in Richtung Pazifik zu finden.
Feuerland, allein der Name der Insel, seine Historie und Geschichten haben uns stets fasziniert und gefesselt.
Weite Grassteppen und seicht geschwungenes Hügelland prägen den Norden, während der Süden bergiger und bewaldet ist. Viele Wälder sind allerdings durch Stürme, Rodung, eingeschleppte Bieber und Befall durch Parasiten stark in Mitleidenschaft gezogen und teilweise stehen nur noch die ausgetrockneten, inzwischen weiße Stämme wie Mahnmale in der Natur ...
1.500 km haben wir auf dieser Insel zurückgelegt. Der Sturm griff das Auto manchmal heftig an, die Sonne verwöhnte uns an einigen herrlichen Stellplätzen und der Regen erschwerte den zweiten Reifenwechsel auf einer matschigen Naturpiste ...
Nach der ersten Fährfahrt führt uns die Piste zu dem kleinen Flecken Porvenir, gegenüber von Punta Arenas gelegen. Der Ort versprüht an vielen Stellen noch den baulichen Charme der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts, die Insignien der Neuzeit sind eine Tankstelle, Geldautomat und einige Neubauten. Wir nutzen den Ort zum Einkaufen unter erschwerten Bedingungen, da wir uns wegen des Grenzübertritts nach Chile neu mit frischen Lebensmitteln eindecken wollen. Obst Gemüse, Fleisch etc. lassen jedoch sehr an Qualität zu wünschen übrig und so können wir uns nur mit dem nötigsten für die kommenden Tage eindecken.
Wir umrunden die Bahia Inutil und treffen unterwegs auf schön gelegene Estancias mit ihren unermesslich großen Besitztümern. Selbstversorgung ist hier angesagt, angefangen bei Wasser und Strom, die nächsten Einkaufsmöglichkeiten liegen zum Teil Hunderte von Kilometern entfernt oder es liegt eine Landesgrenze mit ihren Einfuhrrestriktionen dazwischen.
Der kleine Ort Cameron (eine Estancia sowie einige Häuser ohne weitere Infrastruktur) liegt windgeschützt zwischen zwei Hügelkämmen an einer Flussmündung. Ein Rundgang durch den Ortes lässt uns spüren, wie zurückgezogen und einfach die Menschen hier leben. Die medizinische Basisversorgung sichert ein Arzt mit seiner rollenden Praxis in einem Wohnwagen; falls es mal brennen sollte, rückt ein ausrangierter deutscher Feuerwehrwagen an ...
Wir finden hier einen ruhigen Nachtplatz und der Eigentümer bietet uns freundlicherweise noch seine Unterstützung nach unserer zweiten Reifenpanne an, als er uns beim erneuten Reifenwechsel sieht.
Wir vertrauen auf unseren zweiten Reservereifen und starten am Folgetag zum Lago Blanco.
Dieser gut 25 km lange See liegt malerisch von Bergen eingeschlossen und bietet im Süden einen herrlichen Ausblick auf die schneebedeckte Darwinkordilliere, ein Gebirgsmassiv, knapp 2.500 m hoch, welches diese Gegend von antarktischen Stürmen etwas abschirmt. Zwei Tage verbringen wir hier in völliger Einsamkeit, nur ein einzelner Chilene (Eremit?) zeltet hier noch. Er ist ohne Fortbewegungsmittel da. Wir wissen nicht, ob er für immer hier lebt ...
Wildpferde, Guanakos, ein Fuchs und ein Kondor streifen in den zwei Tagen um unseren Lagerplatz. Wir beschließen spontan, diesen Flecken zu erwerben - wenn ihr die Bilder seht, dann werdet Ihr uns verstehen können ...
Auf unserem weiteren Weg nach Ushuaia müssen wir wieder die Grenze nach Argentinien passieren: Eine einsame Piste führt uns direkt vom See zu einem noch einsameren Grenzposten auf chilenischer Seite. Fünf gleiche Hütten auf Stelzen stellen die Administration dar. Aus drei verschiedenen Hütten kommen ein Polizist, der Zollbeamte sowie der Lebensmittelkontrolleur und wir gehen mit ihnen zur vierten Hütte. Intensiv suchen die Drei unter der Eingangstreppe vergeblich nach dem Schlüssel und öffnen schließlich mit einem Dietrich das Büroschloss. Das Büro ist hoch offiziell, wir erhalten unsere Stempel und sind rasch aus Chile entlassen. Auf die Frage, wie viele Fahrzeuge am Tag abgefertigt werden, ist die Antwort höchstens eins, eher weniger.
Bald danach kommt die argentinische Station in Sicht: Sie sieht aus wie eine kleine Farm, uns trennt jetzt nur noch der Grenzfluss, ca. 30 m breit und gut einen halben Meter tief. Tropfnass steht bald danach unser Wagen am nächsten Schlagbaum und wir machen uns auf den Weg zur Grenzabwicklung. Die drei Beamten sind sehr freundlich, die Pässe sind schnell gestempelt, nur mit unserem Wagen wissen sie nicht so recht, wie dieser zolltechnisch zu behandeln ist.
Wir zeigen ihnen daraufhin eine Kopie der Zolldeklaration, die wir uns sicherheitshalber (als Ausfüllhilfe für unwissende Beamte) von unserer ersten Einreise nach Argentinien gemacht haben. Hell erfreut nimmt der Zöllner unsere Kopie und drückt einen Stempel mit Entrada drauf. Den Tagesstempel muss er erst noch auf diesen Tag anpassen, indem er mit einer Pinzette aus einem Setzkasten die Tagesziffern nach einigem Probieren richtig einsetzt. Dann erfolgt noch eine ehrgebietene schwungvoll gemalte Unterschrift, der Schlagbaum wird umständlich losgeknotet, und schon sind wir wieder in Argentinien. Nach Lebensmitteln hat hier übrigens keiner gefragt ...
In Rio Grande tauchen wir wieder in die Zivilisation ein, füllen unsere Vorräte auf und lassen den Reifen für umgerechnet 4 Euro flicken.
Der Weg nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt, führt durch weite Wälder und beeindruckende Berglandschaften. Wir übernachten noch einmal an einem schönen See, Lago Fagnano, bevor wir die Stadt erreichen: Hier herrscht buntes Treiben, viele Touristen bevölkern die Einkaufsstraßen auf der Suche nach Souvenirs.
Im Hafen liegende Fracht- und Kreuzfahrtschiffe sorgen für den nötigen Handel. Wir verbringen hier zwei Nächte, seit langer Zeit mal wieder auf einem Campingplatz und genießen die warmen Duschen und die vorhandene Infrastruktur ...
Unser nächstes Ziel ist die Estancia Haberton, die die älteste auf Feuerland ist. Sie liegt malerisch am Beaglekanal und wir verbringen einige Zeit dort, um mehr über die Siedlungsgeschichte und den Werdegang der Estancia zu erfahren. Einige Schautafeln in einem kleinen Cafe erläutern die Historie und Entwicklung bis zur Gegenwart. Eine englischsprachige Biografie des Gründers Thomas Bridges werden wir uns später in Deutschland kaufen. Auf dem Gelände dürfen wir übernachten und erreichen hier den südlichsten Punkt unserer Reise.
Retour nach Norden, 07.12. - 16.12.2008 (grüne Markierung auf Karte unten)
Eine stürmische Fährüberfahrt mit einer Fähre, die eher einem kleineren Frachter ähnelt, bringt uns über die Magellanstraße nach Punta Arenas. Die Überfahrt dauert 2,5 Stunden, danach ist unser Auto durch die Gischt des Meeres komplett mit einer Salzkruste überzogen.
Punta Arenas ist die südlichste Stadt Chiles und in den letzten 100 Jahren entstanden. Sowohl der Schiffsverkehr als auch die Schafzucht haben diese Stadt auf heute über 100.000 Einwohner wachsen lassen. Im regionalen Museum erfahren wir einiges über die rücksichtslose und menschenverachtende Kolonisation, auf deren Basis "Schafbarone" in kurzer Zeit sehr vermögend wurden. Einige Prunkbauten um die zentrale Plaza legen davon heute noch Zeugnis ab.
Bald zieht es uns jedoch weiter und wir verlassen Punta Arenas in südlicher Richtung: Eine Straße führt uns noch ca. 70 km weiter entlang der Magellanstraße zum Fuerte Bulnes. Es thront strategisch positioniert über dem Meer und bietet uns bei Sonnenschein einen herrlichen Blick auf die schneebedeckten Berge weiter im Süden. Das Fort wurde von den Chilenen im Jahr 1843 mit dem Ziel errichtet, ihre Gebietsansprüche hier zu behaupten.
In der Nähe finden wir direkt am Meer zwischen Felsen einen für Sonny´s Geburtstag angemessenen Nachtplatz und lassen den Abend mit einer Flasche Sekt bei Lagerfeuerromantik ausklingen ...
10 km weiter südlich ist auch diese Straße zu Ende: Ein Fußweg führt direkt am Meer entlang und wir entschließen uns, nach dem Sitzen der letzten Tage unsere Knochen mal wieder etwas in Schwung zu bringen. Das Resultat ist eine mehrstündige Wanderung direkt entlang des Meeres, das Wetter verwöhnt uns dabei weiterhin mit Sonne und entsprechenden Temperaturen. Leider ist auch dieser Weg nach gut 8 km zu Ende, bis zum südlichsten Festlandspunkt sind es von hier noch 30 km.
Torres del Paine, dieses Gebirgsmassiv in Süden Chiles, zieht jeden Bergliebhaber auf einer Südamerikareise an. Ihr könnt euch sicherlich noch an unsere Fahrt zum Gletscher Perito Moreno erinnern: Das bis zu 3.000 m hohe Massiv Torres del Paine ist nur 60 Kilometer vom Gletscher entfernt, mit dem Auto bedeutet es jedoch eine Fahrstrecke von knapp 400 km. Der Grund ist, dass der eine zu Chile gehört, der andere zu Argentinien. Somit hat keiner Interesse an einer direkten Verbindung mit Grenzübergang, obwohl es Pisten gibt, die genutzt werden könnten.
Am Lago Pehoe finden wir für 3 Tage einen Stellplatz mit freier Sicht auf das Bergpanorama. Nachdem wir ja bereits seit 12.000 km unsere Zelt- und Trekkingausrüstung auf dem Dach spazieren fahren, möchten wir diese natürlich auch gerne mal einsetzen: Geplant ist eine dreitägige Tour zum Gray-Gletscher, dabei müssen wir alles im Rucksack (in Summe ca. 35 kg) transportieren. Das Wetter spricht uns Mut zu, allerdings sind wir nicht trainiert, haben Vorbehalte wegen unserer Rücken und Kondition und entschließen uns schweren Herzens, die Tour in eine Tagestour zu verkürzen. Um 9:30 Uhr bringt uns eine Fähre über den See Pehoe zum Ausgangspunkt der Tour, um 18:30 Uhr fährt das Boot retour. Wir marschieren zügig, um so dicht wie möglich an den Gletscher heran zu kommen. Leider sind die Zeitprognosen im Führer des Nationalparks für uns zu knapp bemessen und wir müssen leider einige km vor dem Gletscher umdrehen, um noch rechtzeitig abends das Boot zu erreichen ...
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Das nächste Mal schlagen wir unser Zelt direkt am Ausgangspunkt der Tour auf und haben dann keine Zeitrestriktionen der Fähre. Leider kam uns diese Idee zu spät.. Hoffentlich ist dann auch das Wetter so gut, wie es diesmal war.
Nach diesen 3 Tagen verlassen wir endgültig die südlichen Nationalparks: Vor uns liegen jetzt gut 900 km, davon 600 km Piste, bis wir an der Pazifikküste die Carretera Austral erreichen. Diese Piste erstreckt sich von Puerto Montt aus 1.200 km entlang der Küste nach Süden. Soweit möglich wollen wir diese befahren, unklar sind jedoch noch Fährverbindungen sowie ein Vulkanausbruch dieses Jahr bei Chaiten. Der Ort wurde evakuiert und wir werden unterwegs klären müssen, welche Streckenabschnitte aktuell nicht zu befahren sind.
Diesmal fordern die 600 km Piste auf der Ruta 40 ihren Tribut von uns: Unseren dritten Platten bemerken wir leider zu spät. Es ist ein fast neuer Reifen, der erst vor 1.500 km montiert wurde. Er wurde als Plattfuss zu heiß, teilweise hat sich die Karkasse innen aufgelöst; den Totalschaden erklärt uns ein Gomista am Folgetag. Ab sofort haben wir nur noch einen Ersatzreifen, wir begrenzen aus Sicherheitsgründen unsere Geschwindigkeit auf Pisten auf 50 km/h und die Außenspiegel haben die Hinterreifen jetzt permanent im Blick. Wir wissen jetzt auch, welche Reifenmarke nicht weiter zu empfehlen ist, der Preisvorteil dieser Reifen hat sich nicht ausgezahlt. Inzwischen ziert auch ein Steinschlagschaden unsere Frontscheibe, wir hoffen, dass der Riss sich nicht weiter ausbreitet.
Radfahrer begegnen uns auf dieser Strecke mehrfach, die unterwegs nur ein paar Estancias oder Pistenkreuzungen mit angeschlossener Tankstelle und Imbiss zu bieten hat. Dafür ein Wind aus Westen, der stellenweise so stark ist, dass Kieselsteine aufgewirbelt werden und wir die Frontscheibe mit einer Decke schützen müssen. Ein deutsches Paar begegnet uns mit Liegerädern, ein Engländer hat sein Gepäck auf einem Anhänger, der als drittes Rad hinterher läuft. Selbst Motorradfahrer erklären uns, dass sie sich auf ihren Maschinen nur schwer halten konnten und lange Strecken in permanenter Schräglage gefahren sind. Wie ist das mit einem Fahrrad auf 600 km Piste? Wir haben höchsten Respekt vor diesen physischen und mentalen Höchstleistungen ...
Nach zwei Tagen haben wir das meiste der Piste hinter uns und übernachten in dem kleinen Ort Lago Posadas. Er hat 240 Einwohner, aber dafür eine 4-spurige Hauptstraße, um die sich rechtwinklige Seitenstraßen wie ein Schachbrett anordnen. Die Städteplaner haben oder hatten noch viel mit diesem Ort vor, der zwar landschaftlich interessant an Rande der südlichen Anden an der Grenze zur patagonischen Steppe liegt, die nächsten richtigen Städte liegen mindestens 500 km Piste / Straße entfernt. Wir kennen einen Buchautor, der hier 3 Monate lang den patagonischen Winter erlebt und dies in seinem Südamerikabuch beschrieben hat sowie den Namen der Frau, bei der er diese Zeit verbrachte. Jeder kennt hier jeden und rasch finden wir Susana Fortuny, die einen kleinen Lebensmittelladen, ein Restaurant sowie einige Fremdenzimmer besitzt. Mit dem Buch in der Hand stehen wir im Laden und richten herzliche Grüße vom Autor aus. Groß ist die Freude und wir unterhalten uns angeregt, da sie als gebürtige Italienerin gleich mehrere Sprachen beherrscht.
Die Weiterfahrt am Folgetag führt uns auf einsamen Pisten (1 Pickup kommt uns entgegen!) durch eine abwechslungsreiche Berglandschaft. Sanddünen, grüne Taloasen, Steppe und bizarre Felsformationen begleiten uns zum Passo Roballos, dem Grenzübergang nach Chile.
Es ist einmal mehr einer dieser Übergänge, wo sich wohl tagelang kaum ein Auto hin verirrt, aber dennoch beide Staaten ihre Flagge zeigen müssen. Wieder treffen wir unsere Vorsorge bezüglich der Lebensmittel. Die Ausreise geht flott, die Einreise nach Chile ist für den Grenzer nicht ganz so einfach, da er alleine neben den polizeilichen Einreiseaufgaben auch noch den Zoll und die Lebensmittelkontrolle abwickeln muss. Normalerweise ruht die Last dieser Aufgaben auf 3 Schultern, in diesem Fall waren seine Kollegen "out of office" und er war auf sich alleine gestellt. Die Stempel in die Pässe gingen noch flott, die Zollabwicklung bereitete ihm jedoch sichtbare Probleme.
In solchen Fällen hilft immer unsere Kopie des Formulars, welches es auszufüllen gilt. Seine Vordrucke sind jedoch älterer Art und sehen anders aus. Somit dauert es doch geraume Zeit, bis Name, Kennzeichen, Fahrgestellnummer etc. eingetragen werden. Am Schluss des Aktes erhalten wir alle (!) Durchschläge des Formulars, jedes ordentlich gestempelt. Bei soviel Arbeit blieb die Lebensmittelkontrolle auf der Strecke und wir reisen entspannt nach Chile ein. Wir sind auf die nächste Ausreise gespannt, haben wir doch jetzt drei Zettel zum abgeben, bisher war es immer nur einer ...
© 2009 Hans-Jörg Wiebe