Tag 4: Lagerleben ...
Nachdem es bis bis fast zum Morgengrauen am Zelt rüttelte, schwante mir nichts Gutes für den folgenden Tag. Aber diese Region ist für das schnell wechselnde Wetter bekannt und als ich um 8:00 Uhr aus dem Schlafsack kroch, schien schon die Sonne aufs Zelt und machte durch die spürbare Erwärmung das Aufstehen wesentlich leichter. Und tatsächlich: Bis auf ein paar verwehende und sich auflösende Wolkenreste sah es nach bestem Wetter aus!
Schnell war Tee gekocht, vor dem Zelt ein paar Scheiben Brot getoastet und ich konnte das Frühstück mit schönster Aussicht in der Sonne genießen. Heute wollte ich nicht weiter paddeln, sondern einen Tag das Lagerleben hier draußen genießen.
In aller Ruhe machte ich mir genügend warmes Wasser, um die dringend anstehende Ganzkörperreinigung einschließlich Haarewaschen anzugehen. Den weiteren Tag verbrachte ich mit dem Erkunden der näheren Umgebung und - ganz wichtig - dem Wiederauffüllen meines Holzvorrats. Da draußen alles etwas umständlicher vonstatten geht, verging die Zeit rasch und es war schon Nachmittag, als ich endlich zur "Ruhe" kam. Ich setzte mich mit meinem PDA in die Sonne, um mein Tagebuch weiterzuführen ...
Ein kleiner Rückfall in die Zivilisation: Der Versuch, meine Emails herunterzuladen, scheiterte kläglich am fehlenden Netz. Weder mein Mobiltelefon mit einer schwedischen Prepaid-Karte, noch mein deutsches Handy bekamen ausreichenden Kontakt.
Also würden die auch nicht in einem eventuellen Notfall weiter helfen - eine Tatsache, die man sich gut merken sollte. Ich hatte bei Bo das ungefähre Gebiet, in dem ich mich aufhalten würde, sowie einen Zeitraum angegeben, nachdem ich voraussichtlich zurückkehren würde. Tauchte ich nach dieser Zeit nicht wieder auf, würde Bo eine Suchaktion starten. Grund genug, sich gewisse Aktionen gut zu überlegen, bevor man sie angeht, besonders wenn man alleine unterwegs ist. Selbstverständlich meldet man sich auch zurück, sonst könnte es teuer werden, wenn eine Suchaktion gestartet wird, weil man einfach abgereist ist, ohne sich zurück zu melden ...
Der Tag verging und das Wetter blieb bis zum schönen Sonnenuntergang tadellos. Kurz vor Anbruch der Dämmerung bekam ich noch Besuch von einem Rudel Rentiere, die aber einen großen Bogen um mein Lager machten, als sie mich sahen. Am Geruch konnte es nicht liegen, ich war schließlich frisch geputzt - oder gerade deshalb?
Auch während der Umtragungen bekam ich immer wieder Rene zu Gesicht: Es sind dies aber keine wirklich wilden Tiere mehr, die sind schon lange ausgerottet. Es handelt sich vielmehr um domestizierte Rentiere, die aber völlig frei leben und nur einmal im Jahr zusammen getrieben und in einer großen Aktion nach Besitzern aussortiert werden. Diese Tiere tragen alle farbige Halsbänder mit entsprechenden Kennungen. Trotzdem ist es immer ein Erlebnis, wenn man in der freien Natur ein Rudel der mit großen Geweihen ausgestatteten schönen Tiere sieht, die elegant durch den Wald oder über das Fjell traben.
Mit Einbruch der Dunkelheit so gegen 20:30 Uhr bezog ich wieder meine Wohnpyramide und der nun plötzlich wieder stark auflebende Wind machte es erneut spannend: Wie wird das Wetter morgen sein? Ach ja, was ich noch vergessen hatte, zu erwähnen: Bei Windstille ist es hier so unglaublich ruhig, man hört wirklich überhaupt gar nichts! Vögel sind um diese Jahreszeit absolut ruhig und diese völlige Stille ist schon ein Erlebnis, das in unseren heimischen Breiten undenkbar ist ...
Tag 5: Es geht weiter ...
So war es jedenfalls gedacht, aber das Wetter machte mir einen dicken Strich durch die Planung: Als ich gegen 07:30 Uhr wach wurde, schwante mir schon Verdruss. Das Zelt wurde immer noch ordentlich durchgeschüttelt und es war empfindlich kalt geworden. Noch kälter jedenfalls, als es vorgestern am Morgen war. Schnell war der schon am Abend vorbereitete Ofen angezündet und nach ein paar Minuten schälte ich mich zur Gänze aus dem Schlafsack.
Der Blick aus dem Zelt brachte die traurige Erkenntnis, dass es heute wohl mit Weiterpaddeln nichts werden würde: Dunkle Wolken trieben tief über die Seen, die umliegenden Gipfel waren gar nicht mehr sichtbar und das aufgewühlte Wasser war nichts für meinen Solo-Canadier.
Klar, man konnte trotzdem paddeln, aber das würde viel Kraft kosten, unnötig viel Wasser ins Boot bringen und wäre nicht ohne Risiko. Ich benutzte ja einen offenen Canadier ohne Persenning und zumindest die beiden Rucksäcke waren nur durch eine Plane geschützt ...
Diesen Tag galt es also "abzuwettern": Kurz darauf begann es dann auch zu regnen, was die Sache nicht wirklich gemütlicher machte. Was mich etwas beunruhigte, war dass ich keinerlei Empfang mit meinem kleinen Radio hatte und so auch keinen Wetterbericht hören konnte.
Die letzte Prognose stammte von Donnerstag und die ging nur bis Sonntag. Leider hatte die auch schon nicht so ganz gestimmt. Der nächste See Uthussjön war deutlich größer und in den langgestreckten Seeteilen kann einen der Wind schnell in arge Bedrängnis bringen. Nicht zu vergessen die steinigen und teilweise wirklich fies verblockten Ufer, die auch bei ruhigem Wasser genug Probleme beim Anlanden mit sich bringen, insbesondere wenn man allein im Boot ist! Bei starkem Wellengang gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als nur nasse Füße. Kurzum, ich erwog erstmals meine Pläne etwas zu ändern und am nächsten Tag den Rückweg anzutreten, falls es das Wetter zuließ.
Zeit hatte ich eigentlich genug, aber so ein Zeitpolster schrumpft bei ein paar verlorenen Tagen sehr schnell, und eben das Risiko alleine unterwegs zu sein, spielte ebenfalls eine Rolle. Ich wollte ja bei hoffentlich besserem Wetter noch wiederkommen können ...
Ein kleiner Trost: Als ich noch etwas betrübt im Zelt saß und überlegte, wagten sich ein paar Rene tatsächlich näher und drückten sich rund zwei Meter vor meinem offenen Zelteingang vorbei. Den weiteren Tag verbrachte ich dann wie gehabt mit Essen, Lesen, Schreiben und Holz herbeischaffen.
Tag 6: Abbruch ...
Ich war bereits um 7:00 Uhr aufgestanden, es war wieder wärmer geworden und es regnete nicht.
Die Wolken hingen aber fast in den Seen: So schnell es ging, brach ich mein Lager ab und fast hätte ich es auch noch im Trockenen geschafft. Als ich jedoch begann das Zelt abzubauen, fing es natürlich an zu nieseln - ich hätte platzen können. Nun die Gewissensfrage, nach rechts in den Uthussjön oder nach links zurück in den Krattelsjön einsetzen?
Ich entschied mich spontan dann doch für die vorsichtige Fortsetzung der Tour, ich war doch nicht 2,000 km gefahren, um so schnell aufzugeben! (Höhe 770 m, N62° 20.978’, E012° 24.752’).
Nun, kaum war ich etwa 2 km in dem wie eine Fischgräte verwinkelten Uthussjön voran gekommen, setzte rasch wieder ein immer heftiger werdender Wind ein. Ich hatte es wirklich bedrohlich klingend anrauschen hören und es dauerte auch nicht lange, dann war er da! Und es kam wie ich es befürchtet hatte, in den schmalen Seeteilen bauten sich schnell Wellen auf, die mir im offenen Canadier wirklich zu schaffen machten. Jetzt war aber endgültig Schluss!
Ich wendete und verkrümelte mich in einen dünnen, schlauchartigen Teil des Sees, der durch einen kleinen Höhenrücken leichten Windschutz hatte. Etwas unschlüssig, was ich nun machen sollte, dümpelte ich am Ende des Sees herum und besah mir noch einmal genau die Karte.
Von meinem jetzigen Standort aus zum Rogen, dem großen See, der eigentlich mein Ziel war, sollten es laut Karte nur knapp zwei km sein. Aber das war ziemlich unwegsames Gelände. Kurz vor dem Rogen kreuzte ein Wanderpfad, der am Ufer entlang führt. Wenn ich es schon nicht mit dem Boot schaffen sollte, dann wenigstens zu Fuß! Also legte ich kurzentschlossen an und zog das Boot etwas landeinwärts. Ich markierte die Stelle im GPS, schließlich wollte ich meine Ausrüstung ja wiederfinden, und machte mich mit kleinem Gepäck auf den Weg.
Es war eine ordentliche Kraxelei und ein paar Sumpflöcher ergossen sich natürlich wieder in meine Schuhe, aber bald hatte ich es geschafft und endlich stand ich dann doch noch am Rogen. Es war nun das zweite Mal und wieder faszinierte mich dieser riesige, ganz isoliert liegende See. Das Wasser ist so unglaublich klar, bei Windstille könnte man glauben, es läge eine Glasplatte auf dem See. Ich machte ein paar Fotos und eine kleine Pause, ein heftiger Regenschauer trieb mich dann wieder zurück zum Boot ...
Dank GPS auch punktgenau angekommen, machte ich mich nun sofort auf den Rückweg. Der Wind, der vorher stetig wie ein Fön geblasen hatte, ließ nun nach. Der Nieselregen aber wechselte zu kräftigem Regen, der immer wieder in böigen Schauern niederprasselte. Ich muss gestehen, langsam hatte ich nicht nur die Schuhe, sondern auch die Nase voll!
Ich hatte nasse, kalte Füße und es reichte mir nun wirklich: Offensichtlich hatte ich in diesem Herbst mit diesem Wetter die denkbar schlechtesten Karten gezogen. Allerdings genoss ich trotz alledem noch einmal das schöne Panorama um mich herum, und es war schon ein tolles Gefühl, so völlig alleine in diesem Gebiet über die traumhaft schönen Seen zu gleiten ...
Und ja, GPS ... ich hatte mir extra für diese Tour ein kleines GPS-Gerät, ein Garmin Gecko 101 zugelegt. Das war hauptsächlich dazu gedacht, um während der Tour zu markierten Punkten zurückzufinden, und nicht als Navigationsgerät zum Ansteuern vorgegebener Koordinaten. Ich hatte mir eine Halterung dafür konstruiert und gebaut, die ich am linken Arm trug. Die Gerätehalterung lässt sich auf der Armhalterung stufenlos verdrehen.
Mit einem Handgriff ist so der optimale Betrachtungs- und Bedienwinkel eingestellt. So habe ich als Rechtspaddler mit jedem Paddelschlag das Gerät vor der Nase und kann bequem meinen Kurs kontrollieren.
Das hat auch ausgezeichnet funktioniert und es war auf dem Rückweg kein Problem, die entsprechenden Umtragestellen zu finden. Das Ganze ist sehr leicht, genau 166 Gramm, die man gar nicht spürt. Auf der Hinfahrt gehört die Sucherei für mich ja mit zum Abenteuer.
Ohne größere Pausen zog ich nun hintereinander alle Portagen durch und selbst der Sumpf am Anfang konnte mich nicht mehr schrecken: Das Wasser stand mir ja schon buchstäblich bis zu den Knöcheln.
Bei meinem vorletzten Gang der 800 Meter langen Portage rutschte ich schließlich auf einer glitschigen, querlaufenden Wurzel aus, knallte mit dem Fuß gegen einen Stein und verdrehte mir bei dem Versuch, das Gleichgewicht zu wahren, das linke Knie. Erst merkte ich nicht viel, aber als ich dann zurück ging, um das Boot zu holen, begann es im Knie immer mehr zu stechen und schon bald konnte ich nur noch mit krampfhaft gerade ausgestrecktem Bein humpeln - schöner Mist!
Nur gut, dass ich schon fast am Ende der Tour war. Der letzte Gang war sicher sehenswert, als "humping Joe" da mit seinem Canadier auf den Schultern aus dem Wald wankte ...
Es tat jedenfalls höllisch weh und ich war heilfroh, als ich endlich mit dem Boot auf den Schultern meinen Gepäckhaufen erreichte. "Einpacken und los" war die Devise und zum Glück tat das Knie in Ruhestellung nur mäßig weh. Und wie schon damals bei meinen früheren Touren in dieser Gegend, zockelte ich trotz nun schmerzendem Knie noch etwas auf dem Käringsjön herum, um das Ende ein wenig herauszuschieben.
Aber als ich dann in den kleinen Kanal einlief, ging es alles doch viel zu schnell: Trotz Humpeln hatte ich bald die Ausrüstung im Auto verstaut, das Boot aufs Dach gepackt und schon war das Tourende da. Ich hatte mein mir gestecktes Ziel leider nicht wirklich geschafft, aber dies war ja auch kein Wettbewerb mit Siegern und Verlierern, und schön war es ja doch gewesen.
Der Regen war leider meiner Kamera nicht gut bekommen, alle Bilder der Rücktour - auch die teils sehr eindrucksvollen meines Sturmrittes auf dem Uthussjön - waren durch die verklemmte Blende unbrauchbar und bis zur Unkenntlichkeit verschwommen oder nur als schmale Streifen sichtbar.
Aber als ich am Abend dann wieder in meiner erneut gemieteten kleinen Stuga saß, der Ofen schön warm und ich endlich richtig trocken war, begannen sich bereits langsam auch die nassen Tatsachen zu tollen Erlebnissen zu verklären: Wieder konnte ich nur sagen, ich komme wieder! Und ein kleiner Trost am Rande: Am nächsten Morgen war die Temperatur auf 2°C gefallen und der Regen peitschte nur so nieder. Mich versöhnte nur der Kommentar von Bo, dass ich gut daran getan hätte, zurück zu kommen und er mich gerne im nächsten Sommer hier wieder begrüßen würde. Na denn ..!
Kleiner Nachtrag: Mein Knie zeigte leider die Qualität einer Zeitbombe - nur ein paar Tage aus Schweden zurück lag ich nach einer leider nötigen Operation im Krankenhaus, hatte aber nun wenigstens Zeit genug, diesen Bericht zu vervollständigen ...
© 2004 Bernd van Ooy (Lodjur)
Anm. der Red.: Wir haben noch eine ganze Reihe weiterer Beiträge unseres Autors im Explorer Magazin!
Bootstouren:
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