9. Tag - Fr, 13.06.03
Oje, Freitag der Dreizehnte. Eigentlich bin ich nicht abergläubisch, aber ich hatte schon einmal auf einer Reise "Freitag, den Dreizehnten", und damals ist alles schief gelaufen ...
Aber diesmal läuft alles wie gewohnt: Ich frühstücke, baue mein Zelt ab, das Übliche also. Dann geht es weiter: Rechtzeitig bevor mein Tank endgültig leer ist, finde ich doch noch eine Tankstelle, an deren Tür das American Express Logo prangt. Ich verlasse die Tankstelle mit vollem Tank, einem Hotdog und hatte auch mit der Bezahlung keinerlei Probleme.
Wie schon in den letzten Tagen, fahre ich auch heute über Nebenstrecken entlang der norwegischen Grenze. Soviel Schotterpiste wie heute bin ich noch nie an einem einzigen Tag gefahren. Die Stoßdämpfer haben so viel zu tun wie noch nie.
Ich habe mir zwischenzeitlich den schwedischen Pistenfahrstil angewöhnt: "Lässig" mit 70 km/h drüber hinweg brettern. Das ist tatsächlich besser, als langsam zu fahren. Denn so fliegt man über die kleinen Schlaglöcher einfach hinweg, anstatt jedes einzelne voll auszufahren.
Anders als in Deutschland sollte man schwedische Verkehrsschilder unbedingt ernst nehmen. Wenn eine enge Kurve angekündigt wird, so ist sie auch wirklich eng, und angekündigte Unebenheiten sind auch wirklich Unebenheiten, an denen man sich das Auto ruiniert, wenn man nicht aufpasst. Am eindrucksvollsten wurde mir das heute anhand von ungefähr 30 cm hohen Erdhügeln mitten auf der Piste demonstriert: Wer hier mit 70 Sachen drüber donnert, braucht anschließend ein neues Auto ...
Ich verbringe fast den ganzen Tag im Fahrzeug. Das macht aber nichts, denn Schweden ist so schön anzusehen, dass man auch gerne mit dem Auto hier durchfährt. Gegen Abend erreiche ich Gäddede. Der örtliche Campingplatz ist noch geschlossen, die Saison beginnt hier erst in ein paar Wochen.
Ich suche mir wieder einen Platz in der Wildnis und werde nach einer Weile auch fündig (N 64° 56.739' E014° 13.096'). Es ist ein Platz direkt an einem See und wie so oft in wunderschöner Landschaft gelegen, mit Blick auf die zum Teil noch mit Schnee bedeckten Berge.
Ein eisiger Wind bläst mir seit dem Nachmittag entgegen - ich schätze die Temperatur auf höchstens 12°C. Zusammen mit dem Wind kommt da im Freien keine Gemütlichkeit auf: Ich verbringe den Abend daher im Auto und im Zelt ...
Anm. der Red.: Neben den täglichen Berichten stehen wir über Emails mit unserem "online-Reisenden" in dauernder Verbindung. Und so hatten wir auf diesem Wege angefragt, neben der Klärung aller möglichen anderen organisatorischen Dinge, wen Karsten so alles trifft unterwegs. Hierzu noch ein Auszug aus seiner Antwort-Mail:
Über Menschen kann ich derzeit nicht viel schreiben. Ich campe jetzt schon die dritte Nacht in der Wildnis. Meine einzigen Gespräche in den letzten Tagen drehten sich um die Nummern von Zapfsäulen an Tankstellen, ob Kreditkarten akzeptiert werden und was ich alles auf meinem Hotdog haben will. Menschen treffe ich zwar viele, die sitzen aber wie ich im Auto und winken mir höchstens mal zu.
... Mir steht aber gar nicht der Sinn nach langen Gesprächen. Seit langem fühle ich mich mal wieder so richtig wohl in meiner Haut. Lappland ist einfach toll!
So, dann machet mal juut!
Gruß vom Vom-Winde-verweht-Karsten
10. Tag - Sa, 14.06.03
Die Nacht war eisig kalt. Ich habe zwar nicht wirklich gefroren, aber so richtig warm war mir auch nicht. Heute morgen fällt es mir ausgesprochen schwer, aus dem Schlafsack zu kriechen. Gefrühstückt wird im Zelt, denn draußen ist es immer noch ungemütlich kalt.
Zwar ist an diesem Platz ein Plumpsklo, aber als mich beim Öffnen der Tür ein Schwarm Fliegen empfängt, nutze ich heute lieber zum ersten Mal den mitgebrachten Klappspaten. Beste Grüße an Kurt an dieser Stelle! (Anm. der Red.: Kurt war einst bei Slowenien 99 in dieser Richtung bestens ausgerüstet ..! ).
Auch das Trinkwasser wird langsam knapp: Ich fülle zwei Wasserflaschen im nahen Bach und werfe, obwohl vermutlich kaum nötig, noch je eine Micropur-Tablette zur Desinfektion hinein.
Dann kann es endlich los gehen. Es ist schon fast Mittag als ich starte: Nach wenigen Kilometern blockiert eine Rentierherde die Straße. Ich fahre langsam auf sie zu und widerwillig machen sie mir Platz ...
Die Straße führt immer weiter in die Berge. Auf 700 Metern Höhe steige ich aus und mache einen Spaziergang durch die karge Landschaft. Hier oben liegen noch letzte Schneereste, zum Teil meterhoch. Gräser, Flechten und ein paar winzige Weiden und Latschen bestimmen das Landschaftsbild an dieser Stelle. Doch wenn man genauer hinschaut, erwacht auch hier bereits die Landschaft: Ich entdecke, mitten zwischen den Felsen, blühende Veilchen und Sumpfdotterblumen. Lange dauert der Spaziergang aber nicht. Hier oben bläst ein eisiger Wind, und trotz Winterjacke und Handschuhen ist es nicht wirklich angenehm.
Wenige Kilometer weiter bin ich bereits in Lappland. Von nun an bin ich dort, wo ich eigentlich hin wollte. Hier beginnt endlich die ersehnte Einsamkeit so richtig: Auf den Straßen kommt mir nur noch selten jemand entgegen, selbst wenn es eine gut ausgebaute Teerstraße ist. Hier ist all das vorhanden, was in Mitteleuropa fehlt: Ruhe, Einsamkeit und Freiheit. Anders als in den völlig überbevölkerten südlicheren Bereichen Europas steht hier die Bevölkerungsdichte in einem vernünftigen Verhältnis zur Natur ...
Wie schon in den letzten Tagen campe ich auch heute in der Wildnis. Ohne lange zu suchen, finde ich einen Platz an einem See (N 65° 45.673' E017° 58.683'). Nur eines stört mich schon auf den ersten Blick: Hier liegt überall Müll rum. Ein alter Autoreifen und ein Blechfass. Im Fass ist auch Müll, deutscher Müll! Deutsche Bierdosen, eine leere Jägermeister Flasche, Packungen von deutschem Orangensaft und so weiter.
Ich schäme mich für diese Leute! Wenn schwedische Bürger ihre Umwelt mit Müll verschandeln, ist das zwar nicht besonders schön, aber gewissermaßen ihre Sache. Aber wer Gast in einem Land ist, sollte sich auch wie ein Gast benehmen. Ich wünschte, solche Leute würden nicht in den Norden fahren. Es ist schon schlimm genug, dass wir in Deutschland mit ihnen leben müssen ...
Am Platz bläst erneut ein starker und eisiger Wind. Mein Tunnelzelt ist trotzdem schnell aufgebaut. Aufgrund des Windes und der Außentemperatur verbringe ich den Abend wieder im Auto und Zelt ...
(Anm. der Red.: Langsam fragen wir uns, warum ausgerechnet wir da oben immer Hitzewellen haben müssen - so auch wieder während unseres Oster-Trips nach Lappland! )
11. Tag - So, 15.06.03
Selbst Zähneputzen ist hier ein Vergnügen: Statt in meine eigene, verschlafene Visage schaue ich hier in eine wunderschöne Landschaft. Zum frischen Atem gesellt sich der wie üblich frische Wind.
Weiter geht es durch das schöne Lappland: Ich steure nun in Richtung Kiruna, natürlich wann immer es geht über Nebenstrecken. Die meiste Zeit fahre ich über Schotterpisten und mache einige Umwege, nur um die E95 und die E45 zu umgehen.
E-Straßen kommen für mich nicht in Frage: Auf E-Straßen trifft man zu viele E-Touristen (das "E" spricht man "Iiihhh" aus). E-Touristen sind vielleicht manchmal bedauernswerte Kleingeister, sie fahren ab und zu ein protziges Wohnmobil und verlassen möglicherweise nur in Ausnahmefällen die E-Straßen ...
Sie können vielleicht hunderte, wenn nicht gar tausende Kilometer ihren einzig heiligen E-Straßen folgen: Und nach einem langen Tag auf der Straße fahren sie zu einem Fünf-Sterne-Campingplatz, oder, und das ist noch viel schlimmer, sie campen vielleicht auf einem Parkplatz, wo sich schon andere E-Touris niedergelassen haben. E-Touris sind Rudeltiere. Nur äußerst selten trifft man sie alleine an. Ich meide sie jedenfalls, wo immer es möglich ist ...
Als ich dann doch mal ein kleines Stück E45 zum nächsten Abzweig fahren muss, kommen sie mir zahlreich entgegen: Mehr E-Touris als Einheimische. Wenn man ihnen entkommen will, muss man auf die Schotterpisten ausweichen. Dorthin trauen sich die E-Touris zum Glück nicht. Das schöne schneeweiße Wohnmobil würde dabei ja auch dreckig werden ...
Auch das schwedische Militär macht sich heute bei mir sehr unbeliebt: Von Moskosel kommend, möchte ich über Pisten nach Nausta fahren. Doch plötzlich taucht ein Verbotsschild auf. Militärisches Sperrgebiet. Notgedrungen fahre ich auf die, na: Ja, die E45.
Nach wenigen Kilometern entdecke ich wieder einen Wegweiser nach Nausta. Ich folge ihm, und stehe zehn Kilometer weiter erneut vor einem Verbotsschild. Ich frage mich, was dieser Wegweiser soll, wenn man den Weg dann doch nicht fahren darf. Wieder muss ich zurück auf die E45. Ich biege bei der nächsten Möglichkeit ab und fahre fortan östlich der E45 weiter.
Am späten Nachmittag passiere ich bei N66° 33.000' E020° 30.667' den Polarkreis. Es ist eine wirklich langweilige Stelle, ohne jeden Reiz. Ich mache trotzdem ein Foto vom Auto und fahre dann weiter. Nach ein paar hundert Metern kommt dann auch das offizielle Schild: Aber es steht an der falschen Stelle!
Hier oben gibt es kaum noch Campingplätze, und die wenigen die es gibt, sind vermutlich geschlossen. Ich suche deshalb auch für die kommende Nacht einen "wilden" Standplatz. Doch das wird heute gar nicht so einfach. Standplätze gibt es hier viele, doch ich habe ja auch gewisse Ansprüche: Ich will ihn für mich allein, er sollte nicht von der Straße aus einzusehen sein, und es sollte einen See oder Bach zum Waschen geben.
Um acht Uhr abends halte ich dann auf einem der öffentlichen Campingplätze Schwedens (N67° 31.941' E021° 55.120').
Außer mir ist niemand da. Neben ein paar Hütten gibt es hier auch eine alte Wassermühle. Ich hatte zwar schon bessere Plätze, aber eine Nacht werde ich es an dieser Stelle wohl aushalten. Hauptsache, es kommt kein E-Touri vorbei!
Anm. der Red., aus unserer heutigen Email an Karsten:
Karsten, du hast bisher ein Kunststück vollbracht, das dir nicht jeder Schwedenreisende nachmachen kann: Du bist bereits dicht vor Kiruna, hast aber bisher weder von einem Aufenthalt in einem Ort berichtet, noch von einem Einkauf in einem Geschäft oder gar einem Treffen mit menschlichen Wesen während der letzten Hunderte von Kilometern. Wir möchten an dieser Stelle den Lesern noch einmal versichern, dass man in Schweden nach wie vor auch all dieses treffen kann, wenn man nicht gerade nur tagelang Nebenstraßen durch die Wildnis fährt.
So gibt es dann auch in der Umgebung von Karstens derzeitiger Position durchaus besuchenswerte Orte wie Jokkmokk, Arvidsjaur oder Malmberget, die allerdings alle eines gemeinsam haben: Sie liegen an oder nahe der so hoch geschätzten E45. Manch ein Tourist, der allerdings wohl Wert darauf legt, nicht zur "Iiihhh-Klasse" gezählt zu werden, nimmt diese Straße auch aus Zeitgründen, denn wirklich nicht jeder Schwedenreisende hat auch die Zeit, sich ausschließlich über Nebenstraßen Richtung Norden voran zu kämpfen und außerdem: Nach all der Wildnis wenigstens ab und zu mal in einem Supermarkt was einzukaufen, bringt ja auch Abwechslung, oder ..? Wer auch einen Blick auf die genannten Orte werfen möchte, dem seien die Reiseberichte Skandinavien 99 und Skandinavien 00 empfohlen, in denen das Explorer Team wohl oder übel viel E45 fahren musste, echte "E-Touris" eben ...
In diesem Sinne wünschen wir dir einen angenehmen Aufenthalt in Kiruna und da darfst du dann auch ausnahmsweise mal was berichten über Stadt, Menschen, Geschäfte und sogar ein Bergwerk!
© 2003 Karsten Franke