5. Tag - Mo, 09.06.03
Seit gestern Abend regnet es praktisch pausenlos. Die ganze Nacht über prasselte der Regen auf mein Zelt. Schon um sieben Uhr morgens stehe ich auf, frühstücke gemütlich und beginne anschließend mit dem Zeltabbau.
Als wäre der Dauerregen nicht schon genug, fängt nun auch noch ein starker Wind an zu blasen. Ich lasse mich trotzdem nicht davon abhalten, knöpfe zuerst das Innenzelt raus und verpacke es separat. Danach ist das Hauptzelt dran. Vor ungefähr zwei Wochen habe ich es erste Mal zusammen mit Jürgen aufgebaut. Da hat er mir die Story von den Island Campern erzählt. Wie sie bei ihrem ersten Island Urlaub, bei 70 Stundenkilometern Wind und waagerechtem Regen, das ERSTE MAL ihr Zelt aufbauten und sogar noch versuchten, die Bedienungsanleitung zu lesen ...
So gesehen ist das heute morgen nur ein schönes Einsteiger-Training, und so versuche ich es auch so zu sehen. Als ich schließlich alles abgebaut und eingepackt habe, bin ich selbst ziemlich nass. Die gute Laune ist trotzdem nicht verflogen.
Immer noch bei Dauerregen fahre ich am Campingplatz ab. Statt wie in den vergangenen vier Tagen den ganzen Tag zu fahren, will ich heute den Tresticklan Nationalpark (N59° 02.776' E011° 47.853'), nur wenige Kilometer von meinem letzten Camp entfernt, durchwandern. Dies ist der 25. Nationalpark Schwedens, bietet vor allem unberührte Wälder und existiert seit 1996.
Es regnet zwar immer noch, und auf der kurzen Strecke bin ich auch kein bisschen getrocknet, aber das ist mir egal: Ich will heute endlich mal Natur genießen und nicht wieder den ganzen Tag hinterm Lenkrad klemmen, nasse Klamotten und Sauwetter hin oder her!
Der Regen hat aber nicht nur Nachteile, ich finde ihn im Gegenteil plötzlich hoch willkommen: Denn als ich auf dem Parkplatz vor dem Nationalpark ankomme, stehen da schon 3 Wohnmobile, die dort offensichtlich übernachtet haben. Sicherlich ist dieser Park an schönen Tagen ziemlich überlaufen, ich treffe dagegen nicht eine Menschenseele bei meiner fünfstündigen Wanderung. Als ich zurück komme, ist der Parkplatz leer.
Ich kann schon verstehen, warum: Denn der Besucher wird hier bestenfalls über Trampelpfade geschickt, muss aber auch oft über rutschige Felsen und Wurzeln steigen. Durch den starken Regen haben sich die Pfade in Bachbetten verwandelt und man muss schon gut und sicher zu Fuß sein, um hier heil durch zu kommen.
An schönen Tagen ist das sicher alles leichter, aber gutes Schuhwerk würde ich durchaus empfehlen! Jedenfalls ist es herrlich hier. Natur wohin man sieht, ich kann es nicht in Worte fassen, sondern empfehle statt dessen ganz einfach einen Besuch.
Nach der Wanderung bin ich aber ziemlich fertig, und kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Die Stiefel sind völlig durchnässt, ich bin wohl so zwischen 10 und 15 km durchs Gelände geklettert, durch unzählige Pfützen gelaufen, habe mich bei einem Bach in der Tiefe verschätzt und so die nassen Füße bekommen. Außerdem sind vier Scheiben Toast keine ausreichende Ernährungsgrundlage für derlei Ausflüge! Am Parkplatz werden deshalb erst einmal ein paar von Auernhammers Bratwürschteln und Sauerkraut heiß gemacht.
Und während ich so meine Würstchen in mich rein stopfe, kommt auch schon der erste Besucher und stapft in den Nationalpark, wenige später kommen noch zwei. Ich habe wohl den perfekten Zeitpunkt abgepasst!
Ich fahre weiter Richtung Norden und finde nur wenige Kilometer weiter einen Campingplatz, direkt am Foxen See (N59°16.320' E011°54.411'). Hier ist niemand an der Rezeption und auch nirgendwo auf dem Platz. An der Tür steht, man soll das Geld doch einfach in den Briefkasten werfen, wenn niemand da ist. Einzig ein paar unbewohnte Wohnwagen stehen hier rum.
Ich baue mein Zelt auf, will noch schnell ein Foto vom Camp machen, als plötzlich meine Digitalkamera einen blauen Bildschirm zeigt und einen Fehler 0041 meldet. Damit kann ich ohne Manual natürlich viel anfangen (Anm. der Red.: FEHLER 0041??? OHNE MANUAL??? WO IST DAS DING, etwa zuhause??? Falls ja, raten wir, sofort in Schweden Asyl zu beantragen!! ).
Fotos kann ich damit jedenfalls im Moment keine mehr machen. Ich werde morgen hoffentlich eine Lösung dafür finden. Immerhin kann ich die Fotos von heute noch zum Notebook übertragen.
Obwohl ich heute schon wahnsinnig aktiv war, fahre ich noch kurz mit meinem Kajak auf den See. Der Regen hat zwischenzeitlich aufgehört, und auch dies schreibe ich nun schon wieder im Freien ...
6. Tag - Di, 10.6.03
Obwohl dieser Campingplatz, abgesehen von mir, völlig unbewohnt ist, habe ich eine ziemlich laute Nacht hinter mir. Die örtliche Vogelwelt ist nämlich gerade mit der diesjährigen Partnersuche beschäftigt: Da wird lautstark über den ganzen See gebalzt, mit einer riesigen Ausdauer bis spät in die Nacht hinein. Aber das ist mir allemal lieber als ein paar laute Camper in der Nachbarschaft!
Wie durch ein Wunder geht meine Digitalkamera auch wieder. Ich habe keine Ahnung wieso, hoffe aber, dass sie die Reise durchhält und ich kein Asyl in Schweden beantragen muss.
Zum Frühstück gibt es heute nur Espresso, das Toastbrot ist nämlich ausgegangen (Anm. der Red.: Das auch noch! Ging aber verdammt schnell! Wohl kein Auernhammern-Toast dabei, was? ).
Danach geht es weiter Richtung Norden, immer entlang der norwegischen Grenze. Ich fahre, wann immer es geht, Nebenstrecken, und nicht wenige davon sind Schotterpisten. Aber auch die sind gut zu fahren, man sollte nur nicht zu schnell sein. Denn der Schotter ist ziemlich rutschig, und ein bis zwei mal pro Stunde kommen auch Schweden mit 4x4 Pickups in irrer Geschwindigkeit mit rutschenden Reifen um die Kurven geschossen.
Wenn man da zu schnell ist, landet man beim Ausweichmanöver auch mal schnell im Straßengraben. Und die sind meistens ziemlich tief, seit heute weiß ich auch warum. Ich habe gesehen, wie eine Straße frisch geteert wird. In Deutschland wird dazu erst einmal eine dicke Schicht Teer abgekratzt, die Schweden sparen sich diesen Schritt. So ist die Straße dann eben 5 cm höher als vorher ...
Auch heute will ich nicht besonders viel Auto fahren, sondern viel lieber paddeln. Seen gibt es hier genug und als ich schließlich den Wegweiser zu einem Campingplatz sehe (N 59° 56.023' E012°39.103'), der direkt am See "Stor-Treen" liegt, fahre ich hin - mittlerweile bin ich in der Provinz Värmland angelangt. Auf den ersten Blick scheinen alle guten Plätze belegt zu sein.
Als ich schon dabei bin, zu gehen, spricht mich der Besitzer aus einem Pickup heraus an: Ich erkläre ihm, warum ich nicht hier bleiben will, und er zeigt Richtung Westen - ganz dort hinten könne ich machen, was ich will und wäre dort völlig ungestört. Und tatsächlich: Diese Plätze habe ich gar nicht bemerkt, sie sind auch wirklich gut versteckt!
Der See ist nur 20 Meter von meinem Platz entfernt, die Camper im Wohnwagen viele hundert Meter weit weg. Keine Frage, hier werde ich bleiben, diesmal sogar zwei Nächte!
Den restlichen Nachmittag verbringe ich mit gemütlicher Paddelei auf dem Stor-Treen. Einen Nachteil hat der Platz allerdings: Hier gibt es keinen Mobilfunkempfang. Deswegen kommen diese zwei Tage auch mit Verspätung ins Magazin.
Nachdem es den ganzen Tag schön war, fängt es am Abend dann doch wieder an zu regnen: Ich verziehe mich ins Zelt, trinke Tee und mache es mir im Schein der Gaslampe und einem guten Buch gemütlich ...
7. Tag - Mi, 11.6.03
Auch heute morgen höre ich noch die Regentropfen auch mein Zelt prasseln. Da fällt es leicht, liegen zu bleiben und erst um zehn Uhr quäle ich mich aus dem Schlafsack. Zwar hängt der ganze Himmel voller Wolken, aber es bleibt trocken und ich kann draußen frühstücken.
Ich packe die nötigsten Dinge in mein Boot und paddle los. Der Stor-Treen ist für skandinavische Verhältnisse nicht besonders groß. Ein Paddler mit guter Kondition würde ihn vermutlich innerhalb einer Stunde der Länge nach durchfahren können.
Der Besitzer vom Campingplatz hat mir gestern eine Karte mitgegeben und mir die Biberkolonien eingezeichnet, die es am See gibt. Dort paddle ich zuerst hin - Biber sehe ich zwar da nicht, dafür aber jede Menge durchgenagte Birkenstämme ...
Das Wetter hält erstaunlich gut: Obwohl überall dicke Regenwolken am Himmel hängen, regnet es die ganze Zeit über kein einziges Mal. Den See habe ich heute ganz für mich allein. Ich höre nur die Vögel und das Plätschern der Paddel beim Eintauchen. Eigentlich ist heute ideales Paddelwetter: Keine Sonne, also auch kein Sonnenbrand, angenehme Temperaturen und absolute Windstille. Ich verbringe fast den ganzen Tag auf dem See ...
Als ich am späten Nachmittag zurück komme, habe ich zu meinem Bedauern nun doch noch zwei Nachbarn in der näheren Umgebung bekommen. Dabei hat mir dieser einsame Platz doch so gut gefallen, als er noch einsam war. Morgen werde ich mir etwas Neues suchen.
Eine weitere Mission erwartet mich heute noch: Die Übertragung meiner Berichte. Ich werde ein paar Kilometer fahren müssen, bis ich wieder Mobilfunkempfang habe und dann meine Berichte abschicken ...
Anm. der Red.: Danke, Karsten!
8. Tag - Do, 12.6.03
Als ich aufwache, tönt Vogelgezwitscher in mein Zelt: Es ist schon hell draußen und ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es genau vier Uhr in der Früh ist. Ich habe die ganze Nacht nicht gut geschlafen, quäle mich aus dem Schlafsack und trete vors Zelt.
Eigentlich hatte ich nur schnell etwas hinter dem nächsten Busch zu erledigen, als ich dann aber so auf den See schaue, kann ich nicht widerstehen. Wenige Minuten später sitze ich im Boot und paddle los. Über dem Wasser hängen dünne Nebelschwaden, die dem See etwas Märchenhaftes geben. Ein ganz leichter Wind treibt den Nebel langsam über den See. Diese Szene könnte man problemlos in einem kitschigen Theaterstück unterbringen. Hier wirkt es aber nicht kitschig, sondern einfach nur bezaubernd.
Da ich gestern kein Glück hatte, paddle ich noch mal zu den Biberbauten. Und diesmal ist alles anders: Plötzlich sehe ich einen der Biber im See schwimmen. Auch er hat mich gesehen, und versinkt mit einem lauten Platsch im See. Wenige Sekunden später taucht er am Ufer wieder auf. Soweit dies mit einem orangefarbenen Boot möglich ist, nehme ich unauffällig die Verfolgung auf: Im Abstand von ungefähr 30 Metern paddle ich vorsichtig hinter ihm her.
Offensichtlich scheint er meine Verfolgung nicht zu bemerken, oder er toleriert sie einfach. Der Biber schwimmt erstaunlich weit. Ich folge ihm durch den halben See. Plötzlich klettert er ans Ufer, schaut sich um, putzt sich kurz und springt dann wieder ins Wasser. Mir hat er damit eine riesige Freude gemacht, denn wenn ein Biber im Wasser schwimmt, sieht man nur den Kopf. So aber konnte ich den ganzen Kerl betrachten: Ein Biber ist ungefähr so groß, und sieht gebückt auch so aus wie ein großer Kater. Wenn er sich aufrichtet, sieht er aus wie ein riesiger Hamster. Spätestens jetzt bereue ich es, meine Kamera nicht dabei zu haben.
Ich folge ihm noch eine Weile und lasse ihn dann in Ruhe seines Weges ziehen. Als ich mich mit schnellen Paddelschlägen entferne, höre ich wieder einen lauten Platsch: Offensichtlich hat mir mich die ganze Zeit doch nicht bemerkt und ist jetzt wieder vor mir geflüchtet.
Nach dem Paddelausflug beginnt für mich der Campingalltag: Frühstücken, Zelt abbauen, Geschirr abwaschen und abreisen. Nachdem ich nun schon fast vier ganze Tage in fast der gleichen Gegend verbracht habe, möchte ich heute mal wieder richtig weiter kommen.
Ich fahre weiterhin immer entlang der norwegischen Grenze über Nebenstrecken: Viele davon sind Schotterpisten. Am Straßenrand sehe mehrmals Fahrzeugwracks, die dort schon Jahrzehnte liegen müssen. Jahrzehnte deswegen, weil sie erstens völlig verrostet sind, und zweitens weil es uralte Fahrzeugmodelle sind. Warum man sie hier einfach so vergammeln lässt, weiß ich nicht. Vielleicht will man damit die Raser warnen?
Meine heutige Route führt mich durch Dalarna, die Perle in der Mitte Schwedens, über Malung, Särna, Tännäs bis kurz hinter Ljungdalen. Das erste Mal auf meiner Reise sehe ich einen Elch friedlich am Wegesrand grasen. Auch die Landschaft ist heute abwechslungsreicher als bisher: Statt ewigem Wald fahre ich heute auch durchs Fjäll. Auf der Strecke zwischen Tännäs und Ljungdalen liegt stellenweise sogar noch etwas Schnee.
Mein Tank ist zwischenzeitlich () ziemlich leer, also fahre ich zu einer Tankstelle. Hierzulande sind Tankstellen mit Automaten sehr verbreitet. Man kann bequem mit der Kreditkarte zahlen, theoretisch zumindest. Ich starte meinen ersten Versuch: American Express wird nicht akzeptiert. Na gut, ist man als Express-Nutzer ja gewohnt. Mastercard geht, aber nur mit PIN. Ja, ich hab eine, aber zuhause. Denn in Deutschland braucht man bei der Mastercard kaum eine PIN, außer man will Geld damit abheben. Mach ich aber nicht, und deswegen habe ich sie auch nie auswendig gelernt.
Ah, die gute alte EC-Karte wird auch akzeptiert. Aber leider keine aus dem Ausland. Ich bin am Ende meines Plastikgeldes und versuche es mit einem Hundert Kronen Schein.
Dies führt dazu, das der Schein zwar eingezogen wird, ich aber keinen Sprit dafür erhalte und der Schein auch im Automaten bleibt. Darauf hin kippe ich den Reservekanister in den Tank und beschließe, morgen eine Tankstelle mit Personal aufzusuchen ...
Für heute brauche ich nur noch einen Platz für die Nacht. Private Campingplätze gibt es hier nicht. Aber die öffentlichen, kostenlosen, am Straßenrand. Auf so einem schlage ich mein Quartier für die Nacht auf (N 62°51.869' E013°18.136') ...
© 2003 Karsten Franke