1. Tag - Do, 05.06.03
Es ist sieben Uhr morgens. Ich hole zwei Weißbierflaschen aus dem Kasten und stelle sie in den Kühlschrank. Eines muss es ja schließlich geben, worauf ich mich bei meiner Rückkehr freuen kann und ich bin sicher, ich werde sie dann hoch erfreut öffnen und mit größtem Genuss trinken ...
Vor mir liegen mehrere Wochen Skandinavien. Auf jeden Fall Schweden, vielleicht auch Finnland und Norwegen. Ich hatte keine Lust, für mich eine bestimmte Route zu planen und die dann streng abzufahren. Statt dessen habe ich mir ein paar gute Straßenkarten und Reiseführer besorgt, mich mit Leuten unterhalten, die dort schon waren, und selbstverständlich noch einmal alle Berichte im Explorer Magazin zu diesem Thema gelesen. Ich bin also gespannt, wohin mich diese Tour führen wird.
Die Ausrüstung ist so perfekt wie noch nie: Ein nagelneues Zelt, ebenso ein neuer Schlafsack. Schon letzte Woche habe ich damit während der Messe in Bad Kissingen gecampt. Das Auto war gestern noch bei der Inspektion und hat nur wenige Kilometer auf dem Tacho. Natürlich ist mein Boot, das Stearns, mit dabei.
Alles in allem, gute Voraussetzungen, dass diese Reise erfolgreich verläuft. Nur eines habe ich diesmal nicht dabei: Eine Reisebegleitung ...
Schon gestern habe ich das Auto beladen, so voll wie noch nie zuvor. Auch der Fußraum auf der Beifahrerseite wird benutzt: Zwei Paletten Dosenbier, als eiserne Reserve für Skandinavien. Natürlich streng rationiert.
Heute erwarten mich erstmal knapp 800 Kilometer deutsche Autobahn. Ich will über Dänemark nach Schweden einreisen und möchte heute bis kurz vor die dänische Grenze kommen, dort übernachten und dann Dänemark an einem Tag durchfahren.
Es ist zum Glück nicht ganz so heiß wie in den letzten Tagen, trotzdem aber ohne Klimaanlage kaum auszuhalten. Ich habe ein neues Hobby entdeckt: Spritsparen. Immer schön früh hoch schalten, 0,2 Bar mehr Druck auf die Reifen und niemals den Motor über 3000 Touren drehen. Voila, der 80 PS Punto braucht dann nur noch zwischen 4 und 4,5 Liter auf 100 Kilometer.
Das bedeutet in der Praxis eine Geschwindigkeit zwischen 80 und maximal 110 Stundenkilometern und dementsprechend lange bin ich auch unterwegs. Zwei Staus halten mich zusätzlich auf, aber nach 9 Stunden und knapp 40 Liter Sprit später bin ich an meinem heutigen Ziel, dem Campingplatz in Ludwigsburg angekommen (N54° 30.113' E009° 57.244'), wenige Kilometer vor Flensburg.
Nach kurzen Verhandlungen mit dem Platzwart bekomme ich einen Stellplatz direkt an der Ostsee, allerdings auch zu einem stolzen Preis von 15,- EUR. Auch hier hat der Teuro gnadenlos zugeschlagen.
Nachdem das Zelt steht, paddele ich noch ein wenig in der Ostsee: Es macht riesigen Spaß, mit dem Kajak gegen die Wellen zu kämpfen oder sich von ihnen treiben zu lassen. Aber ich werde in den nächsten Wochen bestimmt noch viel mehr Zeit im Boot verbringen.
Auch die Mückenschwärme, die mich trotz Wind heute Abend umkreisen, lassen mich schon dunkel erahnen, was mich während der nächsten Wochen erwarten könnte. Autan hält sie aber noch recht zuverlässig ab, so dass der Abend trotzdem gemütlich ausklingen kann.
2. Tag - Fr, 06.06.03
Alles ist noch etwas ungewohnt, doch so langsam gewöhne ich mich wieder ans Campen. Wie immer, wenn ich unterwegs bin, wird der Tag mit einem gemütlichen Frühstück begonnen. Mein Rucksack-Toaster leistet ebenfalls wie immer gute Dienste, und dank meiner neuen Espresso-Kanne gibt es dazu auch einen anständigen Kaffee.
An die Aussicht könnte ich mich jedenfalls gewöhnen, so direkt auf die Ostsee. Aber eingequetscht zwischen zwei Wohnwagen kommt trotzdem keine rechte Freude auf. Also nichts wie weg nach Skandinavien!
Auch heute ist es wieder ziemlich warm. Die Fahrt durch Dänemark verläuft problemlos. Ich passiere die beiden großen Brücken über den Großen Belt und den Öresund.
Vom schwedischen Malmö geht es dann weiter nach Trelleborg, Ystad bis Borrby. Vergangenen Samstag ist vor Bornholm ein Öltanker leck geschlagen, so dass hier derzeit eine Ölpest herrscht.
Alle Wege zum Strand sind blockiert. Offensichtlich will man die Schaulustigen vom Strand fernhalten. Ich wollte zwar eigentlich ein paar Fotos schießen und mir mein eigenes Bild machen, aber so sensationsgeil bin ich dann auch wieder nicht.
Im Hafen Simrishamn sehe ich zwei ölverschmierte Schiffe, die wohl zu Ölbekämpfung eingesetzt werden.
Für mich wird es Zeit, einen Campingplatz zu suchen und im wenigen Kilometer weiter gelegenen Kivik werde ich auch fündig (N55° 41.572' E014° 13.034'). Die freundliche Schwedin an der Rezeption gibt mir einen Platz mit "Seaview".
Ich markiere hier heute den typisch deutschen Deutschen auf dem Platz: Es gibt Bratwürschtel mit Sauerkraut und dazu ein Bier.
Mein niederländischer Nachbar hat seinen Hammer vergessen und schlägt die Heringe mit den Wanderschuhen in den Boden. Obwohl es wirklich unterhaltsam ist, ihm dabei zu zuzuschauen, leihe ich ihm meinen Hammer. Er hat bei seiner Ausrüstung offensichtlich Wert auf das Wesentliche und Wichtige gelegt: Er hat zwar keinen Hammer und auch keinen Stuhl dabei, dafür aber eine Kühlbox, damit das Bier immer schön kühl ist. Da sind wir uns einig: Man muss einfach Prioritäten setzen ...
3. Tag - Sa, 07.06.03
Südschweden ist schön und Dänemark sehr ähnlich. Doch ich suche die Ruhe, will nicht dauernd auf Menschen treffen, will die totale Einsamkeit. Da ist Südschweden der falsche Ort. Ich will und muss in den Norden.
Während ich gemütlich weiter gen Norden fahren, fühle ich mich stellenweise wie in einer großen Sommerhauskolonie: Überall stehen die Briefkästen am Straßenrand, die Sommerhäuser sind häufig nicht zu sehen, aber die Gegend muss zumindest in den Sommermonaten ziemlich dicht besiedelt sein.
Hinter Kristianstad fahre ich fast nur noch durch Wälder. Ich sehe das erste Elch-Warnschild, fahre die erste Sandpiste und stelle die ersten Mängel meiner ADAC-Schwedenkarte fest: Eine ganze Reihe von Wegen, die ich fahre, sind gar nicht in der Karte verzeichnet.
Viele Wegweiser treiben mich in die Verzweiflung, denn die Orte, zu denen sie weisen, gibt es auf der Karte gar nicht. In solchen Fällen rate ich dann einfach, fahre oft falsch und verbringe so viel Zeit in der Gegend zwischen Kristianstad und Ljungby.
Aber die Landschaft ist einfach super. Ich fahre stundenlang über schmale Teerstrecken, durch Wälder wie im Bilderbuch. Fehlt nur der Elch, der vorm Auto die Straße quert, oder besser doch nicht!?
Einen Platz für die Nacht finde ich schließlich bei "Sjön Bolmen Camping" direkt am Bolmen See (N56° 54.310' E013° 46.874'). Der Bolmen See ist der größte Binnensee Südschwedens und es würde sicherlich riesigen Spaß machen, dort mit dem Boot zu paddeln. Das Wetter macht mir aber einen Strich durch die Rechnung: Kaum habe ich mein Zelt aufgebaut, setzt ein kräftiger Wind und kurze Zeit später auch starker Regen ein.
Ich verkrieche mich ins Zelt, warte den Schauer ab und beschränke meine restlichen Aktivitäten an diesem Tag auf einen Spaziergang am See.
Der Campingplatz scheint übrigens eine deutsche Kolonie zu sein. Außer mir sind mindestens noch vier andere Deutsche auf dem Platz, es gibt eine deutschsprachige Broschüre und einen deutsch sprechenden Platzwart.
4. Tag - So, 08.06.03
Wie gesagt, Südschweden ist nicht wirklich das Ziel meiner Reise: Es zieht mich in den Norden. Heute ist Kilometer fressen angesagt. Statt Nebenstrecken fahre ich nur die auf der Karte mit Rot und Gelb eingezeichneten Straßen.
Aber selbst die sind in Schweden ein Vergnügen. Die meisten Schweden ignorieren die Geschwindigkeitsbegrenzungen ebenso wie die Deutschen die ihren. Wenn sich hier aber jemand daran hält, so wird nicht gedrängelt, sondern Abstand gehalten, minutenlang gewartet und irgend wann mal überholt.
Als langsames Fahrzeug kann man sich aber beliebt machen, wenn man mal schnell auf den teilweise sehr breiten Seitenstreifen ausweicht und das schnelle Fahrzeug vorbei lässt. Man wird aber nie per Lichthupe oder durch dichtes Auffahren dazu genötigt. Das wünschte ich mir in Deutschland auch!
Über die Route gibt es nichts besonderes zu berichten - sie verläuft natürlich auch durch wunderschöne Landschaften: Ich fahre über Värnamo, Ulricehamm, Trollhättan bis Dals-Ed in der Provinz Dalsland.
Von hier sind es nur noch wenige Kilometer bis Norwegen, aber dort sollte ich mich angesichts meiner Bier- und Weinvorräte wohl noch nicht so schnell sehen lassen. Die Freibier- bzw. Freiwein-Grenzen sind in Schweden nämlich wesentlich großzügiger ausgelegt als in Norwegen.
Ich checke am örtlichen Campingplatz ein (N58° 54.204' E011° 56.122').
Erstmals setze ich mit mein Boot in einem skandinavischen Gewässer ein. Außer mir ist weit und breit niemand auf dem See: Nur ein paar Angler und Spaziergänger am Ufer sind zu sehen ...
© 2003 Karsten Franke