Kapitel 1: Wladiwostok, Kamtschatka, zauberhafte Namen, wie mag es dort sein?
Wie bei meiner letzten Reise nach St. Petersburg im März 2024 nutze ich wieder den Direktbus Riga – Petersburg des Unternehmens Vissa, diesmal hat der Bus allerdings russische Kennzeichen. Er verkehrt täglich außer Sonntags ...
Im Bus komme ich mit Robert ins Gespräch, einem Weißrussen, er lebt in Polen und besucht seine Mutter in Pskow, um danach von Russland nach Weißrussland zu reisen, wo die Verwandten seiner Frau leben. Er selber kommt aus Weißrussland, hat aber in Russland studiert.
Da er auch er an den Antiregierungsdemos in Weißrussland teilgenommen hatte, möchte er nicht direkt von Polen nach Weißrussland reisen, weil ihn dort die Zöllner genau überprüfen würden. Die Grenze von Russland nach Weißrussland wird nur von den Russen kontrolliert.
Die Fragen an der estnischen Grenze bezüglich meiner Euro-Devisenausfuhr gestalten sich anfangs etwas schwierig, als ich ihnen aber die Flugtickets von Moskau nach Kamtschatka vorlege, die mir der Russlanddeutsche vorher schon gebucht hatte, verstanden sie, dass für eine so lange Reise für private Belange schon mal 2.000 Euro mitgeführt werden müssen, da ja keinerlei europäische Kreditkarten in Russland funktionieren.
Auf einem Plakat steht, die Grenze könnte zukünftig geschlossen werden wegen illegaler Migration, deshalb erfolgt der Hinweis, dass eine Ausreise über diese Grenze eventuell nicht mehr möglich sei.
Auf der russischen Seite geht bei mir alles ganz schnell, komischerweise brauche ich auch gar keinen Fragebogen auszufüllen wie beim letzten Mal, wie ich zu dem Ukraineproblem stehe. Seltsamerweise müssen das aber alle Anderen, die auch keine russische Staatsbürgerschaft haben ...
St. Petersburg
Unweit vom Busbahnhof gibt es ein kleines Hotel, das ich gleich für ein paar Tage genutzt habe mit 30 EUR pro Nacht, klimatisiert, sauber und geräumig.
Heute saß ich in der Nähe vom Hotel am Obvodny Kanal in einer Bar draußen an der Straße, trank ein Bier und dann kam eine junge Frau, sie fragte mich nach einer Zigarette. Ich sagte, ich habe nur die schönen Bellamorkanal (Klassische russische Papyrosi ohne Filter, der Grund für das lange Pappstück sei, wie mir ein Russe erklärte, damit auch in Sibirien mit dicken Handschuhen geraucht werden kann). Sie erwiderte, kein Problem, ihr Vater hätte die auch immer geraucht ...
Dann versuchten wir ein wenig Konversation zu treiben, ihr Englisch war sehr schlecht, mein Russisch genauso. Aber sie wollte mit mir über Philosophie reden und lud mich ein, noch einen Club in der Nähe zu besuchen. Sie meinte, ich würde wie Hemingway aussehen, dasselbe ist mir schon mal in Jalta passiert. Ganz erstaunlich war, dass sie auch den Film über Bukowski von Marco Ferreri kannte, ebenso Fassbinder Filme, besonders hatte ihr dessen Film Händler der vier Jahreszeiten gefallen. Ein sehr interessantes Treffen, ich habe gesehen, dort in Petersburg gibt es durchaus tiefe kulturelle Verbindungen zum europäischen Denken im Anklang zu Dostojewski ...
Zufälle? Oder der Lauf der Dinge? Dass in dem Moment in der kleinen Seitenstraße eine Frau vorbeikommt, die sich mit mir unterhalten und mich zu einem Klub führen will, wo viele Leute sich mit genau den Themen beschäftigen, die auch mir wichtig sind ..?
Das Treffen in der russischen Begegnungsstätte und der privaten Sprachschule in Petersburg war etwas merkwürdig: Die Leiterin erzählte mir, dass bis 2019 sehr viele Deutsche ihre Begegnungsstätte besucht hätten und sie dabei kaum Russisch sprach, weil so viele deutsche Besucher da waren. Jetzt ist es umgekehrt, sie hat überhaupt kaum noch Gelegenheit, Deutsch zu sprechen, da sie in Russland überwacht wird, damit ihre Begegnungsstätte nicht mit westlichen Ideen und Propaganda infiltriert wird ...
Sie sind völlig unabhängig von staatlichen Fördermitteln, bekommen sowohl keine aus Russland und auch keine aus Deutschland. Im Jahr 2022 haben sie die letzte IFA Mitarbeiterin zur Grenze nach Estland gebracht, damit sie zu Fuß Russland verlassen kann. Da Deutschland zu den sogenannten unfreundlichen Staaten in Bezug auf Russland gezählt wird, empfiehlt es sich nicht für die Frau, weitere Kontakte nach Deutschland zu unterhalten.
Für sie ist es sehr schwer, noch einmal nach Deutschland zu kommen, oft erhält sie ein Visum erst dann, wenn schon die Flüge gebucht sind und der Abflugszeitpunkt bereits vergangen ist. Ebenso muss sie für das Visum schon vorher alle Hotelbuchungen vorlegen, die aber faktisch ohne Kreditkarte in Deutschland kaum möglich sind.
Eine etwas traurige Situation, wie sie selber zugab, da sie selbst unzählige Kontakte nach Deutschland und auch zum Baltikum gepflegt hatte. Trotzdem hat sie es geschafft, das Deutsche Begegnungszentrum in St. Petersburg aufrecht zu erhalten, unabhängig und mit eigenen Mitteln ein rein ökonomisch organisierter Betrieb, wo sich alle aus Russland treffen, die Interesse an deutscher Sprache und deutscher Kultur haben.
Schlüsselburg
Bei meiner letzten Fahrt nach St. Petersburg im März konnte man leider nicht mit dem Boot zur alten Festung Schlüsselburg am Ausfluss des Ladogasees fahren, das habe ich diesmal nachgeholt ...
Sowohl die Russen als auch die Schweden behaupten in ihrer Geschichtsschreibung, diese Festung im 14. Jahrhundert zuerst angelegt zu haben. Im Jahr 1323 wurden in der Festung Verhandlungen um den russisch-schwedischen Grenzverlauf in Karelien geführt, auch genannt Vertrag von Nöteborg. Dieser Vertrag kam durch Vermittlung deutscher Kaufleute aus Nowgorod zustande. Schon wenige Jahre nach dem Vertragsabschluss wurde dieser jedoch von Schweden verletzt. Die Festung Schlüsselburg auf der Insel Orechowy ("Nussinsel") wurde später von der deutschen Wehrmacht durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt, allerdings nie eingenommen ...
Und wenn wir uns die Erdkugel auf dem Bild oben anschauen, sehen wir, dass auch russische Künstler den Kriegswahnsinn über die ganze Erdkugel ausgedehnt sehen ...
Einen fernen Blick werfe ich noch auf die Weite des Ladogasees. Dann habe ich, was ebenfalls im vergangenen März nicht möglich war, eine Bootsfahrt auf der Newa und den kleinen Kanälen unternommen. Das ist auch die angenehmste Weise, Petersburg architektonisch kennenzulernen, ohne sich die Füße wund zu laufen ...
Die mehr als einstündige Bootsfahrt durch den Kanal ist interessant und entspannend. Ein Mann in meinem Alter erklärt die ganze Zeit auf Russisch über Mikrofon die Geschichte des Kanals und der anliegenden Bauten mit leicht singender, melancholischer Stimme, die sehr gut zur aktuellen Gesamtsituation passt. Nur sieben Leute befinden sich im großen Boot, die Konkurrenz unter diesen Booten ist gewaltig. Die Preise für eine Tour liegen zwischen 800 und 1.500 Rubel (100 Rubel entsprechen etwa einem Euro).
Stehend sollte man besser nicht unter den niedrigen Brücken fahren. Apfel-Cider gibt es nicht wie bei uns in Lettland oder Deutschland versetzt mit chemischem Aroma, sondern wird hier aus richtigem Apfelsaft gemacht, eine Dose kostet ca. 80 Cent. Allerdings sind die Füllmengen in den Dosen eigentlich nie 0,5 l, sondern meist 0,45 l oder 0,4 l, ebenso wie beim Bier und manchen anderen Produkten.
In einer aserbaidschanischen Schaschlik-Bar habe ich eine nette Frau getroffen, sie würde gerne nach Deutschland zum Arbeiten fahren, aber Visa sind sehr teuer. Noch schwieriger ist es für sie, nach England zu kommen, wo sie Verwandte hat: Ein Visum für dort ist geradezu unmöglich zu bekommen ...
© 2025 Michael Gallmeister, Lett-landweit