Teil 1: Westgrenze bis Khovd
Auftakt ...
Es ist 7 Uhr morgens und wir sitzen am Fluss vor unserem Auto und trinken Kaffee. Wir haben heute in einer wunderschönen grünen Ebene, umringt von Gletschern, übernachtet. Gers (mongolische Zelte) reihen sich entlang des Flusses auf und glänzen weiß im Sonnenlicht. Überall Herden und ihre Hirten zu Pferd.
Heute wollen wir Russland verlassen und in die Mongolei einreisen: Auch wenn wir nunmehr schon mehrere Monate auf Reisen sind, bleiben Grenzübertritte doch etwas Besonderes. Man weiß ja nie!? Die offiziellen Regeln für Reisende in Russland sind nicht immer leicht durchschaubar. Wir haben uns nie irgendwo offiziell gemeldet, das in Kombination mit einem schlecht gelaunten Grenzer, könnte Ärger an der Grenze bedeuten ...
Während wir gemütlich unseren Kaffee trinken, kommt ein Mann auf uns zu gerannt: Er fragt uns auf Russisch, ob wir ihm helfen können. Wir verstehen es nicht ganz, doch als er auf den Fluss deutet, wird es uns klar: Der reißende Fluss, an dem wir übernachten, scheint Autofahrer magisch anzuziehen und festzuhalten. Es ist schon das zweite Fahrzeug in zwei Tagen, das im Fluss parkt ...
Die Fahrer versuchen anscheinend mit einem gesunden Optimismus, die andere Seite zu erreichen. Wir packen zusammen und fahren die 300 m flussaufwärts, zum Ort des Geschehens. Der Mann ist unglaublich aufgeregt. Seine Familie steht am anderen Ufer und beobachtet, wie das Auto langsam stromabwärts versetzt wird und tiefer in den Fluten versinkt.
Kurz darauf sind wir an der Durchfahrt angekommen: Bis zur Windschutzscheibe steht der Minibus unter Wasser. Sein Anhänger ist fast ganz verschwunden. Wir stoppen vor der Durchfahrt und verwundert werden wir angeschaut: "Warum stoppen die und fahren nicht durch den Fluss?" steht in den Augen des Fahrers und seiner Familie ...
Zur Bergung müssen wir auf die andere Seite des Flusses. Der Fluss ist tief und ziemlich reißend, Kieselsteine am Grund wandern langsam flussabwärts. Es ist Zeit für eine Ortsbegehung: Zu Fuß laufen wir durch das eiskalte Wasser. Wir haben trotz festen Schuhwerks große Probleme, nicht umzufallen. Das ist keine gute Stelle, den Fluss zu überqueren. Tiefe Furchen durchziehen das Bett. Teilweise verschwinden wir bis zur Hüfte im eiskalten Wasser des Flusses und rutschen weg. Einige Meter entfernt entdecken wir eine bessere Durchfahrt.
Die Familie beobachtet uns. Ihre Ungeduld scheint verflogen. Wir bemerken warum: In ihrem Hänger liegt ein Schaf. Es hat die Flussdurchfahrt nicht überlebt.
Wir starten wieder den Motor. Loki hat knapp einen Meter Wattiefe. Das sollte also klappen. Los geht es zur anderen Seite. Wir spüren, wie die sieben Tonnen unseres Fahrzeuges leicht durch die Strömung versetzt werden. Die Kieselsteine rollen unter den Rädern. Wir sind froh, als wir die andere Seite erreichen. Der Minibus ist schnell herausgezogen. An Land, öffnet der Fahrer die Türen - literweise Wasser ergießt sich aus dem Innenraum. Dann startet er einfach den Motor und fährt winkend davon. Diese russischen Autos!
Angezogen von dem Spektakel stehen viele Einheimische am Ufer und beobachten die Rettungsaktion. Als wir wieder zurück sind, applaudieren sie und halten den Daumen nach oben. In einem gebrochenen Englisch fragen sie: "Where are you going?" "Mongolia" antworten wir. "All Mongolia same!" Es ist also nur ein kleiner Vorgeschmack, was uns die nächsten Wochen erwartet ...
Der Grenzübertritt – Mord und Totschlag!?
Kyachta ist ein kleiner idyllischer Grenzort im wunderschönen Altai Gebirge. Das war er jedenfalls noch vor drei Tagen, als wir das erste Mal hier waren. Heute am Tag unseres Grenzübertritts ist von der Idylle nicht mehr viel zu spüren: Überall stehen Fahrzeuge und wollen auch weiter in die Mongolei.
Ein kasachischer Feiertag am Freitag hat dazu geführt, dass die Grenze drei Tage geschlossen war. Jetzt wollen alle rüber. Andere Overlander, mongolische und kasachische Busfahrer, LKW’s, Privatfahrzeuge - alle warten darauf, dass die Grenze wieder öffnet.
In dem Gedränge ist es schwer, sich zurecht zu finden: Nach kurzer Suche stehen wir vor dem Gebäude für die Passabfertigung, ca. 200 m vor der eigentlichen Grenze. Hier geht es vergleichsweise schnell. Wir erhalten den Ausreisestempel, ohne die gefürchtete Frage nach unserer Meldung in Russland, und dürfen weiter. Doch wohin nur? Vor uns stehen die Autos dreispurig. Wir drängeln uns rein. Zum Glück helfen sich Reisende gegenseitig.
Andere Overlander sagen uns, dass wir weiter vorne das Auto und die Mitreisenden registrieren müssen, sonst wird das Tor nicht für uns geöffnet. Vorne ist ein kleines unscheinbares Gebäude am Eingang zur Grenze. Ich stelle mich an. Noch ist die Schlange nicht lang. Doch der Beamte ist alleine und muss gleichzeitig noch das Tor öffnen. Er braucht fast eine halbe Stunde pro Fahrzeug. Langsam erreichen auch die Busfahrer das Gebäude. Es wird voller. Geordnete Abwicklung - Fehlanzeige. Die Busfahrer drängen nach vorne ohne Rücksicht auf Verluste und schieben sich gegenseitig die Pässe der Passagiere zu ...
Kasachen, Mongolen, Overlander - jeder versucht seine Position an der Tür zu behaupten oder zu verbessern. Die Stimmung wird explosiv. Als die Mittagspause näher rückt, geht es körperlich zur Sache. Die Grenzbeamten scheint dies nicht wirklich zu interessieren. Es wird geschoben, gezogen und Ellbogen werden ausgefahren. Als die ersten Fäuste fliegen, hechte ich die kleine Amtsstube des Beamten. Entschuldigend blicke ich ihn an und gebe ihm zu verstehen, dass mir das als Frau da draußen zu wild wird! Er grinst, trägt aber unser Fahrzeug in die "Einfahrtsliste" ein.
Die Abwicklung an der Grenze selbst geht schnell: Loki wird ausgetragen, unsere werden Pässe geprüft, ein kurzer Blick in den Innenraum folgt und wir finden uns im Niemandsland auf 2.200 m Höhe wieder.
Wir genießen die letzten Meter Teerstraße in Russland: Wahrscheinlich das letzte Mal für Wochen ...
Nach ca. 15 km verrät ein kleiner Posten, dass wir uns der mongolischen Seite nähern. Eigentlich wäre er überflüssig. Wir merken es sofort. Die Teerstraße hört auf. Die Piste beginnt ...
Als wir die mongolische Grenze erreichen, erwartet uns erst mal eine Reifendesinfektion für 10.000 Tugrik oder 100 Rubel. Dann geht es zum Grenztor. Wir werden mit einem Lächeln empfangen: Eine Beamtin hilft uns bei der gesamten Grenzabfertigung. Sie spricht fließend deutsch und englisch, daher fühlen wir uns im siebten Himmel.
Wir erhalten einen Passierschein für Loki, den wir mehrfach abstempeln müssen. Am Ende bekommen wir noch das übliche Importformular für unseren Steyr 680, das wir bis zur Ausreise mitführen müssen. Wie gewohnt machen wir ein Handyfoto von dem Dokument. Dieses Foto werden wir später noch dringend brauchen. Wir selbst, als Deutsche, erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für 30 Tage ohne Visa. An der Grenze gibt es sogar eine Bank: Wir nehmen die Gelegenheit wahr und tauschen gleich unsere ersten Tukrig ein. Nun möchte eine Beamtin noch kurz ins Auto sehen, aber nur, um ihre Neugierde zu befriedigen. Ein Blick, ein Kopfschütteln und wir sind durch. Als die Tore sich hinter uns schließen, kommen die ersten Mongolen herbeigeeilt: Sie wollen uns eine Haftpflichtversicherung verkaufen. Für einen Monat wollen sie nur umgerechnet 25 Euro. Wir schlagen zu.
Wir sind in der Mongolei, unser Abenteuer kann beginnen. Wir wissen nicht, was uns erwartet - 1.200 km sind es bis Ulan-Bator ...
Altanbulag – Khovd: Die Suche beginnt!
Wir glauben nicht recht an die in der Karte versprochene "große Straße", dafür haben wir mit zu vielen Autoreisenden gesprochen. Was wir aber dann zu unserer Verblüffung hinter der nächsten Kurve vorfinden, ist eine Teerstraße! Sie befindet sich zwar noch im Bau, aber nachdem alle Mongolen darauf fahren, tun wir dies auch. Los geht’s mit ca. 50 km/h in die Mongolei, damit hatten wir wirklich nicht gerechnet. Nach ca. zehn Minuten steigern wir unsere Geschwindigkeit auf 70 km/h. Aber wir bereuen unsere Entscheidung einige hundert Meter später sofort wieder: Es fehlt einfach ein großes Stück Teer und wir sind zu schnell, um richtig abbremsen zu können. Mit 50 km/h rauschen wir in das riesige Loch. Das ist uns eine Lehre, wir sollten langsamer fahren. Aber schon einige hundert Meter später, als die Straße in einem Gewirr von Pisten endet, die steil bergauf führen, hat sich dieses Thema sowieso erledigt ...
Wir haben die Qual der Wahl aus mehr als zehn Pisten, die sich unglaublich steil den Hügel heraufschlängeln: Die Geschwindigkeit fällt auf 10 km/h ab. Das ist aber nicht schlimm, da sich in der unglaublich schönen Berglandschaft Dutzende von Murmeltieren in der Sonne tummeln. Über ihnen kreisen Greifvögel. Dem Fahrer bleibt wenig Zeit, sich die schöne Landschaft und die atemberaubende Tierwelt anzusehen: Der Blick muss stets auf die Piste gerichtet sein, um sämtliche Hindernisse frühzeitig zu erkennen und ihnen, soweit irgendwie möglich, auszuweichen. Ein Loch, ein Fels, genügend Autoteile, um ein neues Auto zusammenzubauen oder auch ein Yak, irgendwas steht und liegt immer rum.
Das Wegegeflecht zieht sich hinauf über kühle Hochebenen, durchzogen von Flüssen.
Westlich von Öllgi, irgendwo im Nirgendwo, halten wir einfach neben der Piste und verbringen unsere erste Nacht in der Mongolei. Als es dunkel wird, fällt die Temperatur auf frostige 5°C ...
Am nächsten Tag geht es weiter bergauf und bergab: Wir bewegen uns in einer Höhe zwischen 2.000 und 3.000 Metern. Um uns herum ragen majestätisch die Gipfel der Gletscher in den Himmel. Die Pisten werden immer kleiner, teilen sich, laufen wieder zusammen und teilen sich erneut. Wir lernen schnell, uns nicht von der Vielzahl der vorhandenen Wege aus der Ruhe bringen zu lassen.
Wir folgen treu unserem Navi. Auf dem Display spiegelt sich eine grüne Route durch das Nichts. Wir versuchen, den Pfeil so gut wie möglich auf dem grünen Faden zu halten.
Wir passieren Öllgi oder auch Eglli (alles hat mindestens zwei Namen je nach Karte und jede "Stadt" gibt es zweimal in der Mongolei, es heißt also aufpassen!) und fahren weiter hinauf in die Berge Richtung Khovd. Spätestens vor Öllgi müssen wir uns entscheiden: Nord- oder Südroute? Da im Moment (Juni/Juli) in der Mongolei Regenzeit ist, wurde uns von entgegenkommenden Motorradfahrern abgeraten, die Nordroute zu fahren - zu viel Wasser, zu tiefe Flüsse und zu viel Schlamm. Sie hatten selbst gerade umgedreht.
Wir haben später nach einigen Gesprächen mit anderen Fahrern herausgefunden, dass es im Hinblick auf die Nordroute auf jeden Tag Regen ankommt. Ist es zwei Tage trocken, ist die Route wieder befahrbar. Regnet es während man die Route fährt, ist es ratsam, auch mal ein, zwei Tage stehen zu bleiben ...
Die Fahrspuren trennen sich wieder wild, als wir einen Pass auf 2.700 Metern erreicht haben. Vor uns liegen zwei Seen, die Navi-Empfehlung: In der Mitte durch. Ein mongolisches Fahrzeug - wie wir später erfahren, vom Fernsehen - fragt nach einer Karte. Wir sind etwas verwirrt und zeigen unsere Navi-Empfehlung.
Zögerlich fahren wir über Steine und durch Bäche ins Tal hinunter. Weitere Autos sehen wir nicht. Wir vertrauen unserem Navi, das nur eine einzige Route anzeigt, blind ...
© 2014-2015 Astrid Eisheuer & Sven Gruse, www.rightbeyondthehorizon.com