Die Irrfahrt der "BATAVO"
Ein Neuzugang der "anderen Art" ...
Fertigmodell oder Selbstbau?
Sind Fertigmodelle tatsächlich etwas für begeisterte Modellbauer? Oder können sie vielleicht ein letztes Mittel in der Not sein, sozusagen ein Neuzugang der "anderen Art"?
Derartige Fragen können sich tatsächlich jemandem stellen, der mehr notgedrungen als auf freien Wunsch hin gegenwärtig keine Zeit mehr findet, einem seiner liebsten Hobbies ungestört nachzugehen. Im vorliegenden Fall trifft es jemanden, der nach seiner letzten Serie von Kartonmodellen, nämlich sämtliche bedeutende WKI-Panzer zu bauen, aus verschiedenen Gründen bisher keine Gelegenheit mehr gefunden hat, weitere Modelle selbst anzufertigen, auch wenn er dies sehr gerne gemacht hätte ...
Doch
schon seit Jahrzehnten bestand irgendwie der nur schwer zu
erklärende Wunsch, ein richtig schönes großes Holzmodell
eines alten Segelschiffs zu besitzen, und das bei einem, der weder
je irgendwas mit der Seefahrt zu tun hatte, noch durch andere
Umstände z.B. mit dem Hobby "Segeln" in Berührung gekommen
wäre. Aber da ein solcher Segler im Bau ungeheuer aufwändig ist (man
denke nur an die vollständige Takelage, die jemand erstellen müsste,
der normalerweise nicht mal einen Knopf selbst annäht!
)
und dieser Segler dann auch viel Platz im Modellkeller einnehmen
würde, kam
es niemals zu einem derartigen Baubeginn ...
Doch dann schlug in dieser Situation das Schicksal zu: Eines Tages fand sich bei ebay die Anzeige von Sven Carstensen, einem Bastler, der nach Hobbyaufgabe zwei seiner zuletzt begonnenen Segler-Modelle anbot. Und das Bild eines dieser Schiffe spülte alte Erinnerungen hoch: Genau so etwas sollte es damals doch sein, ein Modell etwa der angebotenen Größe, mit richtigem Deck, auf dem man irgendwie noch die Aktivitäten einer entsprechenden Besatzung erkennen und sich in alte Zeiten hinein versetzen konnte!
Was noch für dieses angefangene Modell sprach, war seine Unfertigkeit: Es hatte nicht einmal vollständige Masten geschweige denn eine aufwändige Takelage mit üppiger Besegelung - genau so etwas sollte es sein, das die früheren Wünsche erfüllte!
Schnell wurden wir uns einig mit Sven, der beim Blick in unseren Modellkeller sogleich feststellte, dass wir viele Gemeinsamkeiten hätten: Besonders erwähnenswert die Begeisterung für das Drachen-Hobby, er selbst hatte früher sogar Großdrachen selbst gebaut ...
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Selbstverständlich schickte Sven uns auch etliche Bilder von
vielen früher selbstgebauten Segler-Modellen, eines davon zeigte in aller
Pracht das, was in Sachen Besegelung im heimischen Modellkeller auch kaum
zu finden gewesen wäre. Ein weiteres unfertiges Modell ähnelte
dagegen eher dem, das wir nun von Sven gekauft hatten: Es hatte
nicht einmal vollständige Masten, der
Bugspriet war
nur in Teilen vorhanden und es wirkte eher wie eine Schiffsbaustelle,
ganz so wie eigentlich gewünscht. Offensichtlich hatte Sven auch
kein bestimmtes historisches Schiff als Modell nachgebaut, wie wir
schon bald feststellten. Als beeindruckendes Holzmodell
macht es aber dennoch sehr viel her, wie man z.B. beim Vergleich
mit selbst guten Plastikmodellen oder einer Vielzahl inzwischen
vorhandener sehr gelungener Kartonmodelle
feststellen kann ...
Irgendwie kommt nun sofort eine der Geschichten in Erinnerung, die "unser" Kapitän Jürgen Sattler einst schrieb: Sein Besuchsbericht von vor fast einem Jahrzehnt bei einer niederländischen Werft in Lelystad, der Bataviawerf. Dort befindet sich der Nachbau des gleichnamigen Seglers, über den Jürgen eingangs schrieb:
"Das berühmte Segelschiff wurde im Jahr 1628 gebaut, im so genannten "Goldenen Zeitalter" der maritimen Geschichte der Niederlande. Seine erste Reise im Jahr 1629 war allerdings zugleich auch seine letzte: Aufgrund eines Navigationsfehlers lief die Batavia auf ein Riff vor Australien ... An Bord des etwa 50 m langen und 54 m hohen Schiffs befanden sich bei seiner ersten und letzten Reise rund 330 Menschen. Die eigentliche Besatzung bestand aus etwa 180 Mann, aus denen drei Wachen gebildet wurden. Jeweils 60 Besatzungsmitglieder waren somit für den Betrieb des Schiffes 8 Stunden lang zuständig, wozu auch die Bedienung der Segel gehörte."
War so etwas wie die BATAVIA nicht genau das, was dem langjährigen Wunsch nach einem solchen Modell entsprach? So wurde unser frisch eingetroffenes Modell, das mit seiner stattlichen Länge von nun rund 90 cm zunächst einmal auf einem Schrank geparkt war, schnell getauft: Die "BATAVO" war nun da und wartete auf ihre Überholung, denn wie man schnell feststellen konnte, war ein Werftbesuch wohl im Laufe ihres "jahrelangen Einsatzes" inzwischen mehr als überfällig!
Doch zuvor sollten doch noch eine paar kleine An- und Umbauten vorgenommen werden, bevor wir sie in der Werft "vorstellen" konnten. Auf die Frage, welchen Maßstab er denn beim Schiffsbau verwendet hätte, kamen als Antwort freundlicherweise jede Menge Schiffsbaupläne zu uns: So verfügen wir nun z.B. über die Pläne der SANTA MARIA (1:100), MAYFLOWER (1:65) und SAN JUAN (1:100), auf den Plänen anderer ähnlich dimensionierter beeindruckender Segler wie der H.M.S. ENDEAVOUR, SAN FRANCISCO S. XVI oder LE HUSSARD 1848 waren dagegen keine Maßstäbe zu finden oder wurden vielleicht bei schneller Durchsicht übersehen. Sven selbst nannte keinen Maßstab unseres stolzen Neuerwerbs, womit klar zu sein schien, dass wohl kein einheitlicher Maßstab vorlag. Dafür sprachen auch einige Eindrücke vom Modell, wie z.B. manche ziemlich kleine Kanonen an Bord z.B. im Vergleich zu den Treppen an Deck o.ä.
Also hieß es nun einen "gewünschten" Maßstab festzulegen und die "Wartungsarbeiten" darauf auszurichten. Interessant dabei, dass man auch bei den Zulieferern von einschlägigem Bau-Zubehör eine gewisse "Flexibilität" bei Maßstäben pflegt: Wir bestellten bei Steingraeber-Modellen neben einigen kleinen "Holzfässern" sowie vermutlich passenden "Admiralitätssankern" auch einige wohl typische Figuren für die Besatzung, die mit Maßstab 1:56 bis 1:44 angegeben wurden. Da die Sendungsverfolgung keine Lieferung ergab, erhielten wir nach einiger Zeit freundlicherweise vom Versender noch eine Ersatzlieferung.
Umrechnen war also angesagt: Die 3 bis 3,4 cm hohen Figuren ergaben in Hinblick auf vermutliche Größen etwa im 17. Jahrhundert ungefähr einen Maßstab von ca. 1:53 und die Länge unseres Schiffes in der "Realität" rund 50 m - also ziemlich genau die Größe der einstigen BATAVIA! Somit war nun klar: Das "Original" unseres Modells sollte jetzt also ein rund 50 m langer Dreimaster aus dem 17. Jahrhundert sein mit allen Eigenschaften, die daraus folgerten. Die BATAVO würde fortan als ständige Erinnerung an den von Jürgen Sattler besuchten Nachbau in Lelystad dienen. Das Deck wurde inzwischen ebenfalls auf diesen Maßstab "umgebaut", zu kleine Kanonen verschwanden so oben, nur die größeren im Unterdeck blieben an Bord: Und ihre Klappen geöffnet lediglich auf der rechten Seite (Steuerbord).
Erklärt werden konnte nun z.B. auch, warum an Bord unseres Seglers kein Steuerrad zu sehen
ist, wie man es
etwa aus Piratenfilmen kennt: So hat z.B. die BLACK PEARL,
bekannt aus "Fluch der Karibik" (Lt. Fan-Seite: Geschätzte Länge 165 - 187 ft.,
ergibt also auch ca. 50-57 m), im Film und vielen Modellen
selbstverständlich ein Steuerrad, an dem man auch oft Jack Sparrow "persönlich" sehen
kann ...
Doch ab wann gab es eigentlich solche Steuerräder? Im 17. Jahrhundert zur Zeit unserer BATAVO aber auf keinen Fall! Nachforschungen in dieser Angelegenheit führten sehr schnell zu einem echten Fachforum, in dem Experten aus dem Schiffsmodellbau über dieses Thema diskutierten oder auch zu einem Geschichtsforum, wo die Frage behandelt wird. Zusammenfassend kann man daraus entnehmen, dass es solche Steuerräder generell erst ab dem 18. Jahrhundert gab, also deutlich nach unserer BATAVO. Zu deren Zeit kam dafür nur eine Lenkung in Betracht, die im Schiffsinneren über einen sogenannten "Kolderstock" erfolgte, wie das z.B. auch beim berühmten Segler VASA der Fall war.
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Ein solcher Kolderstock, auch "Ruderschwengel" genannt, war ein nach unten laufender Stab, der mit der Pinne verbunden war und somit auf diese Weise von mehreren Mitgliedern der Mannschaft gleichzeitig bedient werden konnte, wie unsere Abbildungen zeigen. Auch in Jürgens Bericht vom Besuch der BATAVIA wird kurz die "Pinne" erwähnt, die zu diesem Kolderstock-Mechanismus gehört (siehe unten).
Doch wie verlief nun die weitere Fahrt unseres Seglers? Da die BATAVO zur dringenden Überholung leider nicht mehr in eine Werft gebracht werden konnte, konnte sie nun nach seitlicher Abstützung an einem nahen Uferabschnitt nur notdürftig repariert werden (siehe Bilder unten). Das Schiff hat keine Takelage mehr, da die defekten Masten wieder neu aufgebaut werden müssen. Der hintere Heckmast wird gerade mittels wieder Flaschenzug aufgerichtet. Ein Besatzungsmitglied überprüft am Heck den Fortschritt der provisorischen Arbeiten.
Zu einer Vorabinspektion sind derzeit 6 Personen an Bord, darunter zwei Offiziere. Erste Arbeiten betrafen den Wiederaufbau der Masten und des Bugspriets, die Vorratsräume unter Deck sind bis auf Ausnahmen mittlerweile geleert. Die Bug-Anker konnten bereits erneuert werden, an Bord befinden sich noch Reste der ehemaligen Ladung. Die Kanonen unter Deck sind ebenfalls noch an Bord, auf der Steuerbordseite sind sie bei geöffneten Klappen erkennbar ...
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Aber machen wir erst einmal einen kurzen Rundgang an Bord unserer BATAVO, vielleicht einen ähnlichen wie seinerzeit der von Jürgen auf der BATAVIA. Wir wollen ihn (ähnlich!) wie damals nun auch auf der BATAVO zu Wort kommen lassen:
Auf dem sogenannten Hauptdeck angekommen, geht der Blick auf der einen Seite zum Achterschiff (Heck) oder auf der anderen zum Vorschiff (Bug). In den Bildern unten sieht man das Achterschiff: Allein dort gibt es an Deck sehr viel zu entdecken zur Funktion des Schiffes. Der Blick nach vorn ist allerdings genauso interessant: Auf den Bildern sieht man das Ankerspill, in dem noch die langen Bedienstangen stecken. Da mussten einige Leute zugreifen, um den Anker wieder an Bord zu bekommen. In der Verlängerung nach unten gibt es diese Stangentechnik ein weiteres Mal zur Unterstützung der oberen "Kollegen". Ein weiteres Bild oben zeigt das Ende des Bugspriets. Dieser ist so gebaut, dass dort noch zwei weitere kleinere Segel gesetzt werden konnten.
Da die Reparatur dieses Bugspriets mitsamt seiner Gallionsfigur
bei unserer BATAVO erst begonnen hat, ist dort derzeit leider noch nicht viel zu
erkennen. Und warum sich ein ähnliches Spill bei unserer BATAVO im
Gegensatz zur BATAVIA eher im Heckbereich befindet, war zunächst
nicht klar. Nachforschungen auf unseren zahlreichen Bauplänen von
Sven brachten in dieser Sache keine Aufklärung, lediglich der
Bauplan zur H.M.S ENDEAVOUR vom Designer John Gardner zeigte ein
solches Spill auf der hinteren Hälfte des Rumpfes. Ein weiteres
Kuriosum, nämlich eine Ruderpinne und ein Steuerrad
sind auf diesem Modell ebenfalls zu finden, Anlass sich dieses
Schiff
des Seefahrers und Entdeckers James Cook genauer
anzuschauen. Dieser reiste damit gegen Ende des 18.Jahrhunderts, das
Steuerrad war damit bereits tatsächlich erfunden und passte somit.
Auch die von James Cook bei seinen Reisen angewandten genialen
Navigationsmethoden haben wir bereits im Selbstversuch auf Fuerteventura vor Jahren schon für den
Modellkeller erfolgreich nachvollzogen, doch sein Schiff war bisher
noch nie Gegenstand der Betrachtung. Seine "Bark" war mit rund 30 m
Länge deutlich kürzer als unsere "Original-BATAVO", aber deshalb ein
Spill auf der Heckseite? Im Jahr 1994 wurde eine Replik des Schiffes
in Dienst gestellt, und auf diesem befindet sich in diesem Bereich
ein Gangspill,
womit wir hier zu einer anderen Funktion auch an Bord unserer BATAVO
kommen: Mit diesem Spill kann auch ein
Rahsegel von
mehreren Matrosen gedreht werden, und so ist es ab sofort auch an
Bord unserer BATAVO!
Doch weiter mit der einstigen Besichtigung der BATAVIA:
Wir gehen nach vorn: Das Deck des "Forecastles" lassen wir aus. Dies ist das kurze Deck im Hauptdeckbereich über dem Vorschiff. Dort befindet sich (bei der Batavia) die obere Ankerspillmechanik. Das Forecastle wird gern als Lager für alle möglichen Dinge genutzt, die an Deck irgendwann einmal gebraucht werden. So hängen hier z.B. etwas Reservetauwerk, ein paar Blöcke und ein Falteimer. Natürlich sind das nur einige wenige Utensilien. ... Der Weg nach vorn über den Bugspriet führt direkt über eine ziemlich kleine Öffnung: Etwa 1,20 m hoch ist sie und man muss man sich ordentlich krümmen, um da durch zu kommen. Draußen befindet man sich dann vor (!) dem Schiffsbug - auf einer Gräting (begehbarem Gitterrost) mit direktem Blick nach unten ins Meer. Bei heftigem Seegang kann es schon vorkommen, dass Wasser von unten durchschlägt. Es gibt auf jeder Seite jeweils eine quadratische Öffnung in der Gräting mit einer Art Sitz darüber - die Toiletten für alle, also Männlein und Weiblein, außer den Offizieren.
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In das Vorschiff ein Deck tiefer können wir leider heute nicht gehen, aber ein Blick auf das untere Deck durch das geöffnete Gräting, welches zur Belüftung dient, zeigt, dass es auch dort noch viel zu entdecken gibt. Und auch das weiß Jürgen:
Wir bleiben in diesem Deck und gehen langsam nach achtern (hinten): Hier und auf dem Hauptdeck oberhalb spielte sich der Großteil des täglichen Lebens ab. Auf dem Weg nach achtern kommt man an mehreren Kanonen auf beiden Seiten des Decks vorbei. Wohlgemerkt, auch die BATAVO ist eigentlich ein Handelsschiff. Doch leider gibt viel zu viele Lumpen auf den weltweiten Wegen der Schiffe des 17. Jahrhunderts. Dazu sind auch Piraten unterwegs - diese schon immer Schwerverbrecher, in allen Zeiten. Sie haben nichts zu verlieren und Menschen werden nur nach Bedarf und Nutzen am Leben erhalten. So ein Handelsschiff wie die BATAVO ist dann natürlich eine gern gesehene Beute. Um einem solchen Schiff wenigstens etwas Sicherheit zu geben, fahren die Kanonen mit.
Es geht weiter unter Deck:
Kommt man ganz hinten im Heck des Schiffes an und begibt sich ein Deck tiefer, findet man die Ruderanlage. Hier ist die hölzerne Pinne zu sehen (siehe Bild), die mehrere Meter lang ist. Da sich an dieser Stelle im Normalfall keine Menschen aufhalten, ist alles sehr eng. Es ist gerade so viel Platz, wie Arbeiter zur Instandhaltung benötigen.
Das Ruderblatt am Ende des Schiffes ist eher winzig im Verhältnis zum dicken großen Schiffsrumpf. Mit der Bauweise kann das Ruder nicht einmal gut vom vorbeifließenden Wasser angeströmt werden, um optimal zu wirken. So muss die Hauptsteuerung des Schiffes mit den Segeln erfolgen. Das zu beherrschen ist schon ein Kunststück: Dazu braucht man eine schnelle Besatzung in den Masten und an Deck.
Für weitere Details unseres Segler, die nun leider nicht
besichtigt werden können, empfehlen wir den Besuchsbericht von
Jürgen nochmals genauer zu lesen: Er enthält noch jede Menge
Details, die unsere BATAVO natürlich ebenfalls ganz im Innern hat,
die wir aber bei unserem Kurzbesuch hier leider nicht wirklich alle
zeigen können!
Dennoch nochmal Danke, Jürgen, für deine wichtigen Erklärungen!
Abschließend wünschen wir unserem "neuen" Segler auch künftig viel Erfolg,
(kein!
)
Wasser unter dem Kiel und immer einen
ausreichenden Ankerplatz in unserem aktuellen sowie vielleicht
künftigen Modellkeller ..!
© 2025 J. de Haas
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von J. de Haas finden sich in unserer Autorenübersicht!