Als die Kernenergie einen Höhenflug hatte ...
... im wahrsten Sinne des Wortes ... allerdings nur kurz
Vorbemerkung der Red.: Im vierten Beitrag von Bill Lee zur Navy "History" widmeten wir uns dem radioaktiven Nachlass der US Marine. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschahen jedoch in der aufkommenden Euphorie um atomare Antriebe auch in anderen Bereichen ganz erstaunliche Dinge, die heutzutage oft unbekannt sind.
Wie schon bei einem früheren Beitrag von Bill zu unserer "History"-Reihe erwähnt, besteht eine enge Verbindung von ihm zu seiner früheren "Heimatwerft" Newport News Shipbuilding (NNS), wo er tätig war und auch mit der Kernenergie in Berührung kam - bei der Arbeit in und an Reaktorkammern von atomgetriebenen Schiffen der Navy.
In diesem Beitrag handelt es sich um die Fortsetzung von unserer Nuklear-History (1), in der es um atomar betriebene Lokomotiven ging.
Auch bei dem folgenden Beitrag handelt es sich wieder um eine aus heutiger Sicht haarsträubende Geschichte, und diesmal geht es dabei um die Luftfahrt, wo man ebenfalls entsprechende Experimente machte. Was soll man dazu sagen, wir können wohl froh darüber sein, wie auch diese Geschichte ausging ..!
Historischer Überblick
Zwischen 1946 und 1961 investierten die US Air Force und die US Atomenergie-Kommission (AEC) eine geschätzte Milliarde Dollar in Bemühungen, nuklear angetriebene Flugzeuge zu entwickeln.
Obwohl niemals ein einziges Flugzeug mit Nuklearantrieb flog, gab es doch einst einen umgebauten B-36 Bomber (siehe Bild rechts), der einen funktionsfähigen, luftgekühlten 3 Megawatt-Reaktor an Bord hatte, mit dem man Probleme eines solchen Konzeptes erkennen und lösen wollte.
Das Flugzeug absolvierte 47 Flüge über Texas und New Mexico zwischen Juli 1955 und März 1957. Die Maschine mit dem Kennzeichen NB-36H transportierte den Reaktor in ihrem hinteren Bombenschacht. Im Bereich des Bugs befanden sich Schutzschilde, um die Besatzung vor Radioaktivität zu schützen.
Parallel dazu wurden an mehreren Standorten in den USA Entwicklungsarbeiten an einem einsatzfähigen nuklearen Antriebssystem für Luftfahrzeuge vorangetrieben. Bis zum Jahr 1961 waren die Arbeiten daran gut vorangekommen, einschließlich Design, Herstellung und Test von zwei nukleargetriebenen Flugzeugtriebwerken und den Versorgungseinrichtungen für einen derartigen Bomber. In der Spitzenzeit waren mehr als 7.000 Personen mit diesem Programm befasst.
Ebenfalls bis 1961 wurden allerdings bemannte Bomber bereits weitgehend ersetzt durch die schnelleren und vergleichseise weniger angreifbaren Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballistic Missiles, ICBM´s). Dieser Sachverhalt sowie das zunehmende Wissen über die möglichen dramatischen Folgen, die sich bei Abschuss oder Absturz eines solchen Flugzeugs ergeben würden, führten schließlich zur Einstellung der Entwicklungsarbeiten an einem nukleargetriebenen Luftfahrzeug.
Wie der folgende Beitrag zeigt, handelte es sich hierbei um ein einzigartiges Programm, vom ambitionierten Start bis hin zum Abbruch am Schluss ...
Der Traum ... und die Träumer
Es war gerade mal ein Jahr vergangen seit Ende des Zweiten Weltkriegs und parallel zur Entwicklung der Nuklearantriebe für die Marine, dass auch Vertreter der Luftwaffe darüber nachzudenken begannen, ob nukleargetriebe Flugzeuge ebenfalls praktikabel wären.
Sie waren fasziniert von der Möglichkeit, dass ein nuklear angetriebener Bomber wochenlang ununterbrochen in der Luft bleiben könnte bei Missionen überall auf der Welt und ohne die Notwendigkeit einer Luftbetankung.
Voruntersuchungen machten allerdings schnell deutlich, dass kein existierendes Luftfahrzeug groß genug war um einen Reaktor zu transportieren, der genügend Energie liefern konnte für den Flug und den Transport der Abschirmung von Crew und Bodenpersonal sowie die Fracht. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei den Überlegungen war die Notwendigkeit, die Freisetzung von Radioaktivität bei einem Flugzeugunfall zu minimieren oder zu verhindern.
Aber während der Kriegsjahre hatte man erlebt, wie immer größere Flugzeuge entwickelt und erfolgreich in die Schlacht geschickt worden waren. Und in der Tat war im Sommer 1946 ein neuer Langstreckenbomber (die Convair B-36), größer als alle im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Maschinen, bereits fertiggestellt und bei Testflügen erprobt worden. Die Möglichkeit, sogar ein noch größeres Flugzeug zu entwickeln, das in der Lage zu einem ununterbrochenen Flug mit Kernenergie wäre, wurde zu dieser Zeit nicht in Frage gestellt. Und falls doch, wurden solche Bedenken jedoch in der militärischen Führung weggewischt oder ignoriert.
Die Einstiegsanforderungen an einen solchen Nuklear-Bomber wurden spezifiziert: Er sollte in der Lage sein, wenigstens 20.000 Kilometer mit über 700 km/Std zu fliegen und dabei die tonnenschweren Atomwaffen der 1940er Jahre transportieren können. Im Jahr 1949, nur zwei Jahre nachdem die US Air Force (USAF) als eigene Teilstreitkraft der Vereinigten Staaten gegründet worden war, überzeugte die Air Force die AEC davon, einen Entwicklungsfond für einen Luftfahrt-Reaktor zu unterstützen. Das Oak Ridge Laboratorium der Behörde wurde schließlich dazu bestimmt, die Führung bei diesem ehrgeizigen, waghalsigen und schließlich erfolglosen Vorhaben zu übernehmen, das als "Aircraft Nuclear Propulsion (ANP)" Programm in die Geschichte einging.
Erste Experimente
Die Anlage S-50 in Oak Ridge (der dunklere Gebäudekomplex im historischen Foto unten rechts) wurde in aller Eile während des Zweiten Weltkriegs gebaut für einen Teil des Uran-Anreicherungsprozesses. Mögliche Verfeinerungen dieses Prozesses führten hier zu einer zusätzlichen Bedeutung des S-50 Komplexes nach dem Krieg.
Verschiedene Unternehmen, die bereits bei der Entwicklung der Atombombe beteiligt waren, betätigten sich nun bei der Entwicklung eines Reaktors, der einerseits klein genug sein sollte, um in einen Langstreckenbomber zu passen, aber andererseits dennoch genug Energie erzeugen sollte, um solch eine Maschine während des Fluges in der Luft zu halten.
Ein großer Teil der Anstrengungen im Oak Ridge Lab widmete sich der Entwicklung leichter Abschirmungen. Konventionelle Reaktor-Abschirmungen, teilweise meterdick und tonnenschwer, standen von vornherein außer Frage. Experimente zeigten, dass eine einzelne Abschirmung um den Reaktor herum nicht praktikabel war. Verschiedene Varianten wurden geprüft, einschließlich einer "Schlepp-Lösung", bei der sich die Besatzung in einer Art hinterher gezogenem Segelflugzeug befinden sollte. Die Air Force allerdings hielt nicht allzu viel von einer derartigen Lösung ...
Das ANP Entwicklungsteam entschied sich schließlich für den Einsatz eines doppelten Abschirmungskonzeptes: Ein Schutzschild wurde dabei direkt am Reaktor vorgesehen, das der Besatzung einigen Schutz bieten sollte, die sich weiter vorn im Flugzeug befindet. Ein weiteres Schutzschild um das Cockpit herum sollte der Crew einen zusätzlichen Schutz bieten und aus relativ leichten Verbundwerkstoffen bestehen.
Als nächstes bauten sie eine experimentelle nukleare Einheit, die Einsatzmöglichkeiten in einem Flugzeug demonstrieren sollte. Ein sehr kleiner Reaktor wurde dafür entwickelt, der bei extrem hohen Temperaturen und mit schmelzflüssigem Elektrolyt als Treibstoff arbeitete. Der Reaktorkern hatte dabei nur einen Durchmesser von rund 45 cm. Im Jahr 1953 wurde das unspektakuläre Gebäude (Bild links) errichtet, um diesen Experimental-Reaktor darin unterzubringen.
Der erste Testlauf des Experimentes mit dem Luftfahrt-Reaktor erfolgte im Oktober 1954. Der Reaktor lief rund 100 Stunden mit einer Leistung von einem Megawatt. Die Entwicklung und Konstruktion eines derart exotischen Geräts in weniger als 5 Jahren wurde als bemerkenswerter Erfolg eingestuft.
Dieser Erfolg führte zu weiteren Untersuchungen und schließlich der Entwicklung eines größeren, kugelförmigen 60-Megawatt Prototyps, der den Spitznamen "Feuerball Reaktor" bekam, weil einige Komponenten während des Betriebs regelrecht rotglühend wurden. Parallel zu dieser Reaktorentwicklung enthielt das ANP Projekt auch noch eine Komponente, die als "X-6 Programm" bezeichnet wurde.
Das Ziel dieses Programms war die Erstellung einer flugfähigen Testumgebung, die mit Kernenergie betrieben wurde. Einer der größten Langstreckenbomber der Air Force zu dieser Zeit, eine B-36, wurde zu diesem Zweck umgebaut. Das Flugzeug mit dem Kennzeichen NB-36H wurde umfassebd modifiziert, um einen kleinen luftgekühlten Reaktor im hinteren Bombenschacht transportieren zu können. Das Bild rechts, ungefähr aus dem Jahr 1955, zeigt die Reaktor-Baugruppe, die in den Bombenschacht der Maschine gehievt wurde.
Der Bug der Maschine wurde mit einet spezifischen Cockpitverkleidung ausgestattet (Bild links), die die Crew umhüllte und abschirmte, wenn der Reaktor während des Fluges hochgefahren wurde. Diese Erweiterung bestand aus 12 Tonnen Abschirmmaterial und 25-30 cm dicken bleiverglasten Luken. Das Bild zeigt die Baugruppe unmittelbar vor dem Einbau in die Testmaschine.
Zwischen Juli 1955 und März 1957 absolvierte die NB-36H insgesamt 47 Testflüge. Bei einigen dieser Flüge wurde der Reaktor bis zu einer Leistung von 3 Megawatt hochgefahren. Trotz andauernder gegenteiliger Gerüchte wurde die Testmaschine nicht von dem Reaktor angetrieben, den sie beförderte. Der einzige Zweck dieser Flüge war es, Daten zu sammeln für die künftige Nutzung von Abschirmungen bei einem tatsächlich nukleargetriebenen Flugzeug.
Das Bild rechts zeigt die NB-36H im Flug, begleitet von einem B-29 Bomber mit einer umfangreichen Ausrüstung an Instrumenten zur Erkennung und Messung radioaktiver Strahlung. Da der Reaktor an den Seiten, auf der Rückseite sowie oben und unten nicht abgeschirmt war, musste die B-29 während des Fluges einen Sicherheitsabstand einhalten. Auch wenn der Reaktor am Boden hochgefahren wurde, musste der gesamte Heckbereich der Maschine extern abgeschirmt werden.
Nichtsdestotrotz ließ die Air Force als Ergebnis einer ganzen Serie von Testflügen verlauten, "dass das Flugzeug normalerweise keine Gefahr darstellt, sogar bei Tiefflügen". Die Air Force kam zum optimistischen Schluss, dass die Risiken durch Radioaktivität nicht größer wären als die physikalischen Risiken, die mit der Entwicklung von Dampf- und Elektroenergie, des Flugzeugs, Automobils oder der Raketentechnik verbunden seien. Aus heutiger Sicht erscheint dies bestenfalls unwahrscheinlich.
Allerdings war in den 1950er Jahren noch relativ wenig bekannt über die langfristigen Strahlungswirkungen. Der Zwang den Kalten Krieg zu überleben führte zu derart weit hergeholten Planungen.
Weitere Entwicklungen im Rahmen des ANP Projektes zielten in die Richtung, einen Weg dafür zu finden, Kernenergie für den Antrieb von mehreren Flugzeug-Strahltriebwerken nutzbar zu machen.
Aber ein Reaktor, der groß genug für diesen Zweck gewesen wäre, wurde auf ein Gewicht von 82,5 Tonnen berechnet - mehr als das Gewicht eines kompletten B-36 Langstreckenbombers!
Offensichtlich würde ein wesentlich größeres Fluggerät benötigt und so wurden einige exotische Konzepte vorausgesetzt.
Obwohl die Arbeiten an einem tatsächlichen Fluggerät niemals sehr weit kamen, wurde doch sehr viel Arbeit in die Triebwerke investiert. General Electric (GE) modifizierte das Design eines seiner bewährten Jet-Triebwerke, um ein solches mit einem Nuklear Reaktor koppeln zu können. Dieses Triebwerk wurde geplant unter der Bezeichnung "X-39" ...
© 2012-2018 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin