US Navy "History"
Trench 94
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Vorbemerkung der Red.: In unserem vierten Beitrag von Bill Lee zur Navy "History" widmen wir uns dem radioaktiven Nachlass. Manch einer, der die heutigen Debatten um die Energiewende und insbesondere den möglichen Abbau der Atomkraftwerke und die dabei bestehenden Entsorgungsprobleme verfolgt, mag sich fragen: Was geschah und geschieht eigentlich mit all den ausgedienten Atomreaktoren der vielen nuklear angetriebenen Schiffe der unterschiedlichsten Militärmächte der Welt? Für die US Navy beantwortet in unserem folgenden Beitrag Bill Lee etliche dieser Fragen.
Wie schon bei einem früheren Beitrag von Bill zu unserer "History"-Reihe erwähnt, besteht eine enge Verbindung von ihm zu seiner früheren "Heimatwerft" Newport News Shipbuilding (NNS), wo er tätig war und auch mit dem in diesem Beitrag angesprochenen Thema hautnah in Berührung kam - bei der Arbeit in und an Reaktorkammern von atomgetriebenen Schiffen der Navy ...
310 Meilen entfernt von der See wurden leicht radioaktive Überreste Dutzender nuklear angetriebener Kriegsschiffe in einen tiefer gelegenen "Friedhof" im trockenen und sandigen Boden inmitten des US-Bundesstaats Washington verfrachtet. Mehr als 120 Reaktorkammern nuklear angetriebener U-Boote und Marineschiffe sind bereits dort. Weitere werden in den kommenden Jahren folgen.
Der Bereich "Trench 94" befindet sich auf dem Gelände des Energieministeriums in Hanford. Es handelt sich dabei um eine vergleichsweise flache und derzeit noch offene, ost-westlich ausgerichtete Baugrube, die über 300 Meter lang ist.
Ganz in der Nähe befinden sich auch die abgeschotteten Überreste der Plutonium Produktions-Kernreaktoren aus dem Zweiten Weltkrieg sowie der zugehörigen Aufbereitungsanlagen. Außerdem viele weitere Gruben, in denen ein großer Teil des radioaktiven Abfalls vergraben ist, der durch das nationale Nuklearwaffenprogramm erzeugt wurde.
In der Mitte des 20ten Jahrhunderts, als nukleargetriebene Kriegsschiffe in großer Geschwindigkeit gebaut und in Betrieb genommen wurden, gab es noch keinen wie heute ausgeklügelten Plan, wie man ausgediente Atomreaktoren der Navy unterbringen konnte.
Obwohl eigentlich immer beabsichtigt war, eine Wiederaufbereitung zu ermöglichen, wurde zunächst nur vorgesehen, die strahlenden und kontaminierten Reaktorbehälter dieser Schiffe einfach im Ozean zu versenken.
Das erste Atom U-Boot der US Navy war die USS NAUTILUS (SSN-571). Da der Navy-Admiral Hyman George Rickover, heute bezeichnet als der "Vater der Nuklearmarine", noch unsicher war, ob eher Druckwasserreaktoren (Pressurized Water Reactor, PWR) oder aber gasgekühlte Reaktoren (Sodium-cooled Fast Reactor, SFR) die bessere Lösung für die Boote sein würden, entwickelte er zunächst beide Typen. Während die USS NAUTILUS mit einem PWR-Reaktor ausgestattet wurde, bekam das zweite Atom U-Boot der Navy, die USS SEAWOLF (SSN-575), einen Versuchsreaktor vom Typ SFR.
Der PWR-Typ erwies sich allerdings als überlegen, weshalb schließlich der SFR-Reaktorkern der SEAWOLF entfernt und das gesamte Reaktorsystem des Bootes ebenfalls durch eines vom Typ PWR ersetzt wurde. Dies geschah im Jahr 1959 und auch dieses Schiff hatte damit den Reaktortyp, der heute noch in der Navy eingesetzt wird.
Der ausgebaute SFR-Reaktor der SEAWOLF wurde daraufhin rund 125 Seemeilen vor der Küste in mehr als 2.600 Meter Tiefe im Atlantik versenkt. Vom Jahr 1972 an wurden solche Praktiken durch internationale Vereinbarungen zunächst stark eingeschränkt und später die Verklappung von jedem radioaktiven Abfall im Ozean schließlich ganz verboten.
Dies führte zur Schaffung eines Programms der US Navy zur Entsorgung von Reaktoren an Land. Der Standort Hanford wurde zum Teil deshalb ausgewählt, weil er bereits als Lagerort für radioaktiven Abfall bestimmt war, aber auch relativ nah am Puget Sound Naval Shipyard (PSNS) lag, einer Werft, die von der Navy als einzige nationale Einrichtung für die Entsorgung außer Betrieb gestellter nukleargetriebener Schiffe vorgesehen war.
Die erste Reaktorkammer eines U-Bootes, die beim PSNS zur Überführung zum Standort Hanford vorbereitet wurde, war im Jahr 1990 aus der USS SCAMP (SSN-588) ausgebaut worden. Das Verfahren, welches bei der SCAMP und den vielen anderen veralteten nukleargetriebenen Kriegsschiffen angewandt wurde, die nach ihr ebenfalls in Vergessenheit gerieten, haben wir im Folgenden zusammengefasst.
Eher zufällig konnte das ganz spezielle Design der Reaktorkammern von US Navy U-Booten recht leicht für einen relativ wirtschaftlichen Entsorgungsprozess genutzt werden (Bild rechts).
Der erste Schritt ist dabei die Entfernung des abgebrannten Kernbrennstoffs und ein entsprechender Atommülltransport per Bahn in abgeschirmten Containern in die Wiederaufbereitungsanlage der Navy in Idaho.
Kontaminierte Flüssigkeiten werden anschließend aus dem Reaktorbehälter, den Dampfgeneratoren, den Pumpen und dem Leitungssystem, das in der Reaktorkammer verlegt ist, ablaufen gelassen und entsprechend entsorgt. Diese Bestandteile der Kammer bleiben an ihrem Platz. Jegliches Restwasser wird abgesaugt unter Verwendung von Absorbern, die sich immer noch in der Kammer befinden. Als Ergebnis bleibt nur rund ein Promille der vorher bestehenden Reststrahlung übrig.
In einem Trockendock wird ein außer Dienst gestelltes U-Boot in drei oder mehr Teile zerschnitten. Die abgetrennten Reaktorkammern werden vorn und hinten mitsamt zugehörigen Leitungssystemen und Kabelverbindungen versiegelt und mit allen Innereien eingekapselt.
Aufnahmeeinrichtungen für Transport und Lagerung werden dann an der Hülle der Reaktorkammer angebracht. In unserem Bild unten links ist die Reaktorkammer eines U-Boots auf der rechten Seite sichtbar, die abgetrennt und für den Transport vorbereitet wurde ...
Das Ergebnis dieses Prozesses ist ein versiegelter Behälter, der in der Regel ca. 10 Meter durchmisst und 12 Meter lang ist bei einem Gewicht zwischen 1.130 und 1.680 Tonnen. Nachdem er aus dem Trockendock herausgekommen ist, wird jeder Behälter auf der Oberseite einer Barge eingeschweißt (Anm. der Red.: ein antriebsloser Schwimmkahn, der auch als Leichter, Schute oder Prahm bezeichnet wird, siehe Bild oben rechts). Ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen kommen bei der Barge zur Anwendung, die jeden möglichen Vorfall beim Transport behandeln sollen.
Die aufwändige Route, die bei jeder Reaktorverschiffung genommen werden muss, ist in unserem Bild rechts dargestellt und dauert in der Regel drei Tage. Jährlich erfolgen ein oder zwei derartige Transporte.
Trotz zahlloser Vorhersagen von Katastrophen verliefen alle bisherigen Transporte (mehr als 120) bisher ohne Zwischenfälle. Bei jeder Verschiffung wird der eingesetzte Schlepper durch einen zweiten Reserveschlepper begleitet, ein dritter "Sicherheits"-Schlepper ist an der Pazifikküste für eventuelle Notfälle stationiert.
Ein anzunehmendes "Worst Case"-Szenario wäre die Kollision des Verbandes mit einem anderen Schiff, wobei die Barge versenkt wird. Der Bruch einer versiegelten Reaktorkammer wird dabei nicht einmal im Entferntesten für möglich gehalten. Es bestehen jedoch Verfahren, wie man derart unwahrscheinliche Vorfälle im Griff behalten will.
Die Küstenwache begleitet jeden Transport und hält die Berufsschifffahrt auf der ganzen Route auf Abstand. Der wichtigste Aspekt im Zusammenhang mit einer gesunkenen Barge wäre dabei die Blockade vorhandener Schifffahrtswege. Als weitere Vorsichtsmaßnahmen erfolgen keine Transporte bei schweren Unwettern - wie sie typisch sind während des Winters im Nordwesten, außerdem während extrem heftiger Strömung flussabwärts im Columbia River oder aber zur Laichzeit der Lachse.
Sobald ein Schubverband den Hafen von Benton erreicht hat (Bild links), werden die versiegelten Reaktorkammern auf einen vielrädrigen Transporter gehievt für die rund 11 km lange Strecke, die an Land bis zur Endlagerstelle zurückgelegt werden muss. Zusätzlich zur Navy und anderen Bundesbehörden überwachen auch die Umweltbehörden von Oregon und vom Bundesstaat Washington den Transportvorgang.
Es ist naheliegend, dass kein anderer Verkehr auf den Straßen der Region erlaubt ist, wenn derartige Transporte sich ihrem Endziel nähern. Am "Trench 94" angekommen, fährt das Transportfahrzeug langsam einen Erdwall herunter auf einer Seite der Grube. An der festgelegten Endposition wird die versiegelte Reaktorkammer auf die vorgesehenen Stützen herabgelassen und mit diesen verschweißt.
Die Größe eines typischen versiegelten Behälters kann im Vergleich zu der Person gesehen werden, die sich im Bild unten rechts unter diesem Behälter zwischen der Stützenkonstruktion bewegt. Klassifiziert als schwach strahlender radioaktiver Abfall, ist die Außenstrahlung des Behälters so niedrig, dass sie bereits wenige Meter entfernt nicht mehr messbar ist.
Bleiabschirmungen, Asbest und PCBs, die bewusst im Behälter belassen wurden, stellen bei Langfristbetrachtung eine theoretische Umweltbedrohung dar. Allerdings nur, wenn hier eine Einwirkung von außen erfolgen würde - ein sehr unwahrscheinliches Szenario, wenn man die Art der Sicherheitshülle berücksichtigt.
Letztendlich wird die Grube nach Erreichen ihrer Kapazitätsgrenzen mit Erde aufgefüllt werden. Derzeit ist sie noch geöffnet, um verschiedene Verträge zwischen den USA und Russland zu erfüllen bezüglich Sichtprüfungen von nuklearen Waffensystemen. Wenn sie einst zugeschüttet sein wird, soll die Bodenbeschaffenheit an der Endlagerstätte vorhandene Nässe fast vollständig eliminieren. Zusätzlich soll die Wandstärke der versiegelten Behälter jedes Austreten des innen gelagerten Materials mindestens 1.000 Jahre lang verhindern. Zu der Zeit soll dann die Reststrahlung innerhalb der Reaktorkammern so weit abgefallen sein, dass sie auch dann ohne Bedeutung ist, falls etwas freigelegt werden sollte ...
Die ganze Angelegenheit ist eine nicht gerade billige Lösung: Die Entsorgungskosten für jedes außer Dienst gestellte U-Boot liegen zwischen 25 und 50 Millionen US $. Die Kosten für Seeschiffe liegen noch etwas darüber. Der Anteil der Kosten hieran für die Entsorgung der Reaktorkammern wurde bislang nicht veröffentlicht.
Manche sind der Meinung, der hier geschilderte Prozess der Entsorgung ganzer Reaktorkammern wäre verschwenderisch und brächte einen fragwürdigen Aufwand mit sich. Aber die US Navy hält bisher einen makellosen Rekord an Reaktorsicherheit und das soll auch dann nicht enden, wenn ein nukleargetriebenes Schiff außer Dienst gestellt und verschrottet wird.
Umweltaktivisten zeigen sich natürlich stets besorgt, dass jeder Transport zu einer Katastrophe an der nordwestlichen Pazifikküste führen könnte. Falls sie sich jedoch um etwas Sorgen machen wollen, das viel eher ein Problem darstellt, dann müssten sie ihre Aufmerksamkeit auf die russischen Praktiken bei der Zerlegung von Atom U-Booten lenken, wo kontaminierte Reaktorkammern mitsamt restlichen Brennstäben einfach in bevölkerten Häfen "zusammengeschoben" werden (Bild rechts).
Derzeit werden Reaktorkammern mehrerer atomgetriebener Kreuzer der US Navy bei PSNS für den Transport zum Hanford Areal vorbereitet. Sie sind größer und schwerer als die aus den U-Booten, aber das grundsätzliche Verfahren ist das gleiche. Die größten Reaktorkammern von Kreuzern sind die beiden zur USS LONG BEACH (CGN-9) gehörenden, dem ersten der Gattung "Atomkreuzer". Sie sind jeweils 11,60m x 11,30m x 12,80m groß und wiegen 2.250 Tonnen.
In den kommenden Jahren werden auch die 8 Reaktorkammern der im Dezember 2012 außer Dienst gestellten USS ENTERPRISE (CVN-65) als separate Einheiten für den Transport und die Endlagerung vorbereitet. Sie haben ungefähr gleiche Größe und Gewicht wie die der LONG BEACH. Aber um diese Transporte zu realisieren, ist die Entfernung erheblicher Mengen umgebender Struktur und Tonnen von strahlungssicherer Abschirmung erforderlich. Es wird erwartet, dass dieses erfolgt, während der Rumpf der ENTERPRISE das größte Trockendock von PSNS belegt.
In den späten 90er Jahren hatte ich die Gelegenheit, während eines Besuchs des Hanford Areals am Rand von "Trench 94" zu stehen. Es war eine bedrückende Szenerie ... zumindest für jemanden, der wie ich ein wenig bei der Entstehung einiger nuklearbetriebener Schiff der Navy beteiligt war.
Es verschaffte zwiespältige Gefühle, etliche der Reaktorkammern hier in der Gruft zu sehen, in und an denen ich einst bei Newport News Shipbuilding (NNS) gearbeitet habe.
Was für ein Kontrast zum damals freudigen Anlass, als das erste bei NNS gebaute Atom U-Boot, die USS ROBERT E. LEE (SSN-601) im Jahr 1959 getauft wurde und schließlich majestätisch in den James River glitt. Mehr als drei Jahrzehnte später war alles, was von diesem Recken des Kalten Krieges übrig geblieben ist, eine unschädliche, lediglich als Nr. #5 markierte Blechdose; neben anderen in einem großen Loch im Boden ...
Die allerdings in der Praxis bestehende Realität ist, dass es sich bei "Trench 94" um eine ausgereifte Endlagerstätte für veraltete Reaktorkammern handelt. Aber als ewiger Romantiker bei Themen der Seefahrt ziehe ich es vor, diese "Friedhofsgeschichte" etwas positiver zu beenden: Ich möchte dabei an den jahrzehntelangen erfolgreichen und schützenden Dienst erinnern, der von der ENTERPRISE und Dutzenden anderen atomgetriebenen Schiffe für unser Land geleistet wurde.
Dieser Gedanke, wenn auch zugegebenerweise
unverhohlen nostalgisch, bringt ergreifende Szenen wie die rechts
unten abgebildete in Erinnerung - und die scheinen mir sehr viel
charakteristischer zu sein für das letztendliche Vermächtnis dieser Schiffe
...
© 2015 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin
Nachtrag, Juli 2017: Noch mehr zum atomaren Wahnsinn ...
Aufgrund seiner Historie hat sich unser Autor Bill Lee auch noch mit etlichen anderen atomaren Vorhaben befasst, die seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in den Köpfen von diversen Entwicklern in unterschiedlichen Ländern herumspukten. Solche Projekte betrafen sowohl den Eisenbahnverkehr als auch die Luftfahrt:
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Bill Lee finden sich in unserer Autorenübersicht!