Mauretanien - ein jungfräuliches Land ...
Wer bereits Marokko kennt und sich Mauretanien wie Marokko vorstellt, nur noch etwas ursprünglicher, der irrt gewaltig: Die marokkanische Kultur ist doch sehr stark von städtischen Siedlungen geprägt, man denke nur an Fes und Marrakech, so etwas gibt es gar nicht in Mauretanien. Nur die Karawanenstädte Chinguetti, Ouadane, Tichitt und Oualata haben eine Geschichte, aber sie haben auch schon lange ihre Bedeutung verloren. Alle anderen Städte sind sehr viel neuer.
Die Bevölkerung im Nordteil ist von ihren Ursprüngen her sehr stark nomadisch geprägt und hat dies auch nicht vergessen, als die Landflucht begann und wegen der Dürre hunderttausende von Menschen in die Städte an der Küste zogen. Nomaden mussten oft wochenlang ohne Wasser auskommen, deshalb ist ihnen dieses Element fremd.
Sie kochen Tee mit Kamelmilch und das Baden bzw. der Besuch einer Hammam sind in der Tradition nicht verwurzelt. Aus dem gleichen Grund gibt es auch keine traditionelle mauretanische Küche, die Nahrung der Nomaden bestand aus Datteln, Kamelmilch und Fleisch. Auch Cafés, in denen man sitzen, Tee trinken und den Leuten zuschauen kann, sind so gut wie unbekannt ...
In den Sommerferien fährt man nicht wie anderswo ans kühle Meer, man besinnt sich auf seine Ursprünge und fährt in die Oasen. Azoughui bei Atar zum Beispiel zählt im Sommer statt seinen 300 Einwohnern plötzlich 6.000 Menschen, viele Bürger von Nouakchott haben hier Grundstücke und bauen im Sommer ihre Zelte auf.
Dort leben sie wie in früheren Zeiten, tauschen die Enge der Stadt mit der Weite der Wüste und ernähren sich von Milch und Fleisch. Sie tauchen wieder in das Stammesleben ein und helfen bei der Dattelernte. Familie, das weite Land, Milch und Fleisch sind der mauretanische Inbegriff für Wohlfühlen. Dann wird die Guetna gefeiert, das Dattelfest, und die frischen Datteln gekostet.
Diese nomadische Tradition zeigt sich auch noch bis heute in der Kleidung:. Selbst in Nouakchott sind die meisten Männer noch in den traditionellen "Darrah" gekleidet, ein weites, luftiges Gewand mit tiefen Schlitzen an den Seiten in den Farben weiß oder hellblau, es wird auch mit dem französischen Ausdruck "Boubou" bezeichnet. Darunter trägt man eine ebenso weite, luftige Hose und das ganze wird dann von einem Ledergürtel zusammengehalten, dessen Enden bis zum Boden reichen. Assoziationen bieten sich da an. In einen Boubou gekleidet kann man jeden antreffen, vom Bankdirektor bis zum Straßenjungen.
Das Land ist in seiner Natur noch sehr jungfräulich, noch nicht vom Tourismus verändert. Das macht natürlich das Reisen etwas schwieriger, aber alle, die die Herausforderung suchen, sind hier genau richtig ...
Ranger statt Roadster
Im Juni 2007 ging es dann los auf die große Reise: Als ersten Schritt hatte ich meinen Mazda Roadster gegen einen Ford Ranger eingetauscht. Zwar war ich auch in Marokko mit dem geringen Platzangebot des MX-5 gut ausgekommen, aber in Mauretanien muss es schon ein Dieselmotor sein - bleifreier Treibstoff ist nicht erhältlich und selbst verbleites Super nicht immer zu bekommen.
Auch die Versicherung war ein Problem, das es vorher zu klären gab: Mauretanien wird generell nicht eingeschlossen von den üblichen Versicherern, aber zumindest in Marokko sollte das Fahrzeug geschützt sein. Hartnäckige Verhandlungen bis in die Führungsspitze der Nürnberger Versicherung verschafften mir schließlich die gewünschte Grüne Karte.
Mit der Fähre von Sète nach Tanger kommt man erholt in Marokko an und hat dann nur noch die 2.500 km bis zur mauretanischen Grenze auf guter Asphaltstraße zurückzulegen ...
Bald war ich in Dakhla angelangt, der letzten Stadt vor der mauretanischen Grenze. Diese Stadt liegt unglaublich schön an einer herrlichen Lagune und könnte sich gut für den Tourismus eignen, wenn es denn nur nicht so weit wäre. Am nächsten Morgen ging es dann Richtung Grenze. Ich war schon ein bisschen aufgeregt: Das Visum hatte ich bereits vorher besorgt. An der marokkanischen Kontrollstelle lief es recht flott. Das einzige Problem war das Fahrzeug, man musste angeblich nach Rabat telefonieren, ob es nicht evtl. gestohlen sei. Das dauerte etwas, aber die Beamten waren sehr nett.
Die Strecke von Marokko bis zum marokkanischen Kontrollposten ist asphaltiert. Dann folgen 4 km üble Rüttelpiste durch das Niemandsland mit vielen Abzweigungen bis zum mauretanischen Posten. Während noch vor wenigen Jahren die Fahrt wegen der Minengefahr nur im Konvoi möglich war, ist die Strecke nun frei zu befahren. Man darf sie nur nicht verlassen. Und das ist genau der Punkt im Niemandsland, es führen ziemlich viele Pisten hin und her, jedoch ist der Verlauf der Hauptspur bei Tag, wenn die Grenze geöffnet ist, ganz gut zu erkennen. Vom mauretanischen Posten an folgt dann wieder erstklassiger Asphalt.
Einreise ...
In Mauretanien empfängt mich ein ziemlich böse aussehender Zöllner, winkt mich beiseite und kontrolliert alle Gepäckstücke. Ich weise ihn darauf hin, dass ich zwei Flaschen Wein habe - das ist zwar offiziell verboten, wird aber geduldet. Er nimmt sie gleich mal zur Seite. ich dagegen packe alles wieder ein, auch die Flaschen. Es gibt ein Hin und Her, aber ich bestehe darauf. Er ruft seinen Chef und der sagt, ist okay, zwei Flaschen sind in Ordnung ...
Die Grenzbeamten dann sind wieder sehr freundlich und mir wird mein erster mauretanischer Tee angeboten: Der ist ganz anders als ein marokkanischer, obwohl die Grundsubstanz die gleiche ist. Der große Unterschied ist, dass der Tee ganz oft in alle Gläser hin und her gefüllt wird, damit ein schöner Schaum entsteht, und bevor dann die Gläser gefüllt werden, hat jedes bereits einen Bodensatz mit diesem weißen Schaum, "Mousse" genannt.
Von der Grenze ist es nicht weit nach Nouadhibou, genau wie Dakhla ganz wunderschön auf einer Landzunge gelegen. Doch welch ein Unterschied im Stadtbild! Nur flache, schäbige Häuser. Mein angesteuertes Ziel, der Camping Baie de Levrier, sollte im Zentrum, sein. Aber wo ist das Zentrum? Alles sieht gleich aus. Mit Hilfe der GPS-Koordinaten finde ich den Platz und werde sehr nett von Ali empfangen: Er kümmert sich um den Geldtausch, die Versicherung und beschafft mir eine mauretanische Sim-Karte, alles zu fairen Preisen.
Auch die Unterkunft ist annehmbar und die Duschen sind heiß. Ali schlägt einen Besuch im Fischerhafen vor und liefert mich dort mit seinem Auto ab. Ich hole sofort meine Kamera heraus und will Fotos machen, doch schon kommt ein Soldat und verbietet mir das. Aber nicht mit mir: Ich will wissen, warum nicht. Es sei Gesetz, heißt es nur. Habt ihr in Google Earth schon die herrlich scharfen Bilder von Nouadhibou gesehen? Nun, aber Fotos, nein. Ich bestehe darauf, den Chef zu sprechen, es ist Freitag Mittag und der hat frei ...
Aber er kommt: Extra für mich. Sein Büro ist eine ziemlich düstere Kammer, aber mir wird ein Stuhl zugewiesen und eine Flasche Wasser gebracht. Es folgt ein langes Gespräch mit dem Chef, bei dem er mir stolz die bereits konfiszierten Filme zeigt. Ich zeige ihm meine zwei Digitalbilder und er erlaubt mir gnädig, sie zu behalten ...
Am nächsten Morgen geht es dann weiter nach Nouakchott. 500 km auf nagelneuer Asphaltstraße. Auf halber Strecke eine ebenso neue Raststätte, so dass auch die Treibstoffversorgung keine Probleme macht. Die neue Straße - von einem deutschen Unternehmen mit EU-Mitteln gebaut - verändert einiges im Land, den Alltag der Menschen und die wirtschaftlichen Bedingungen. Heute schafft man die Strecke in durchschnittlich fünf Stunden. Die Straße quer durch die Wüste ist immer der Gefahr von Sandstürmen ausgesetzt: Hier weht der Harmattan aus der Sahara. Die Netze, die die Dünen zurückhalten sollen, sind noch nicht besonders effizient.
Entlang der Strecke entstehen die ersten Dörfer. Zelte, Bretterbuden und feste Häuser stehen nebeneinander. Die neue Trans-Sahara-Verbindung bietet auch den Nomaden, die nach und nach sesshaft werden, eine Perspektive. In dem Fischerdorf Tiouillit, 100 Kilometer von Nouakchott entfernt, haben sich Nomaden niedergelassen. An der neuen Straße stehen Zelte und eine Hütte, die als Küche dient. Eine "Auberge", wie die Reisenden das nennen. Für die Köchin Hana, die seit zwei Jahren hier lebt, ist die Straße ein Fortschritt: Viele Reisende, Mauretanier wie Touristen, kehren bei ihr ein ...
Nouakchott
In Nouakchott herrscht ein mörderischer Verkehr - niemand hält sich an irgendwelche Regeln, der Stärkere gewinnt. Die Armut ist im Straßenbild unübersehbar: An Ampeln betteln verschmutzte Kinder mit umgehängten Blechdosen, sie nehmen Geld und Nahrungsmittel, die in die Dose kommen. Dies sind nicht etwa elternlose Straßenkinder, sondern Schüler von Koranschulen, Talibeh genannt, die statt eine Ausbildung zu bekommen, auf die Straße zum Betteln geschickt werden.
Behinderte auf Rollstühlen werden an verkehrsreichen Kreuzungen mitten in den Verkehr geschoben, um Almosen zu erbetteln. An vielen Stellen der Stadt wohnen auf leeren Grundstücken Familien in notdürftig zusammengenähten Zelten. Die große Mehrheit der Autos befindet sich in einem bedauernswerten Zustand - demolierte Karosserien, fehlende Scheinwerfer und Türen, qualmende Motoren. Aber gleich daneben fahren blank polierte Geländefahrzeuge neuester Bauart, sogar ein Hummer wird gesichtet, die sich arrogant einen Weg durch die fahrenden Autowracks bahnen ...
Viele Menschen wohnen in so genannten Kebbas (wörtlich: Müllkippe) ohne fließendes Wasser und Strom, die im näheren Umfeld der Hauptstadt entstanden sind, wie Arafat und El Mina. Immer vor der Regenzeit, also im Mai/ Juni, ist die Wasserknappheit am größten: Eselskarren, mit Fässern beladen, bringen das Wasser von den Zisternen in die Wohnungen. Die hygienischen Bedingungen der Entnahmestellen und der Fässer sind mangelhaft und der Preis steigt, je weniger Wasser vorhanden ist. Im Juni 2007 zogen die Bewohner von Arafat vor den Präsidentenpalast und brachten ihren Ärger zum Ausdruck, dass es für sie kaum noch Wasser gibt, während die Reichen ihre Gärten sprengen.
Für den Reisenden gibt es inzwischen komfortable Übernachtungsmöglichkeiten und ich entscheide mich für das Beste: das Mercur. Ein Hotel mit europäischem Standard, ebensolchen Preisen, aber auch mit sehr freundlichem Personal, das sich um die Gäste kümmert.
Besonders gut hat mir ein Besuch auf dem "Marché Capitale" gefallen: Schon vorher werden an der Straße dorthin die wunderbaren, handgefertigten "Boubous" der Männer blau gefärbt und hängen zum Trocknen über der Straße. Die beste Zeit für einen Besuch des farbenfrohen Marktes ist der späte Nachmittag, wenn alle Händler ihre Stände aufgebaut haben und der Platz voller Leute ist. Ein Sprachengewirr herrscht hier, als habe sich ganz Westafrika am Gemüsestand versammelt. Hassaniya, Bambara, Fula und Mandinka.
Erstaunlich gering ist das Angebot an Obst und Gemüse, die in der traditionellen maurischen Küche nicht viel verwendet werden. In einem Bereich in der Mitte des Marktes bietet eine Gruppe von in Boubous gekleideten Herren den Wechsel aller Währungen an, als Zeichen ihres Geschäftes haben sie eine große Tasche umhängen. Sie lassen sich nicht gerne fotografieren. Wer hier tauschen will, sollte ein wenig verhandeln und sich vorher auf der Bank oder im Hotel nach dem Kurs erkundigen. Wenn man sich von einem der Jungen zu einem Geldwechsler bringen lässt, ist der ganze Kursvorteil allerdings durch seine Provision weg. Aber auch in den Straßen um das Marktgebäude setzt sich der Markt fort. In vielen kleinen Handwerksläden werden Artikel auch gleich vor Ort hergestellt ...
© 2007 Edith Kohlbach