Vielbesuchte Sandwüste im Süden
Damit haben wir nun das Kapitel "Steinwüste" abgeschlossen und brechen auf zu einer neuen Wüste, der Sandwüste und Dünenlandschaft im Süden des Landes. Bis nach Merzouga und den hohen Dünen des Erg Chebbi sind es zwar noch einige lange und holprige Kilometer, aber wir düsen nonstop durch und sind am frühen Abend schon bei der Auberge mit Camping La Gazelle Bleue, wo wir uns mit den drei anderen Fahrzeugen, Bremach, Iveco und Benz treffen.
Die Aussicht von der Dachterrasse ist super, tagsüber ziehen Kamelkarawanen mit Touristen an uns vorbei und etwa zwei Stunden vor dem Sonnenuntergang beginnt die große Motorshow. Mit laut heulenden Turbinen jagen Geländewagen und Motorräder über die Dünen und die steilen Hänge hoch. Manche Motoren verhungern mitten im Hang und die Piloten haben dann riesige Probleme, ihre Gefährte wieder unbeschadet in tiefere Lagen zu bringen. Die Könige sind aber die Side-by-Side Quads, diese leichten, aber breiten Buggys mit Motoren bis über 100 PS, die es an fast jedem Camp hier zu leihen gibt ...
Nach dem Sonnenuntergang wird es endlich ruhig, wir bekommen in der Auberge ein feines marokkanisches Menü aufgetischt und danach ist es dunkel genug für das Nachtprogramm: Ich stelle mein Spektiv auf, ein Naturbeobachtungsfernrohr mit bis 60-facher Vergrößerung und richte es auf den Jupiter.
Es ist immer wieder faszinierend, wie beeindruckt wir alle sind von der realen Betrachtung des großen Planeten und seiner vier deutlich sichtbaren Monde, obwohl wir doch schon öfter Bilder von Jupiter und noch viel mehr Monden in Medien gesehen haben.
Die vier großen Monde "in echt" zu beobachten hat aber was! Saturn und Mars sehen wir heute aber nicht. Die Position des Saturns werde ich aber später ermitteln und der Mars soll erst in einigen Stunden aufgehen ...
Die nächsten zwei Tage vertrödeln wir, haben Zeit für Dünenwanderungen, Wäsche waschen und Spaziergänge zur Ortsmitte. Später suchen wir uns in der Nähe ein kleines Dünenfeld für Fahrübungen, nur mit unseren zwei, etwas leichteren Bremachs. In meinem Fahrzeug sitzen wir zu dritt und jeder darf einmal einige Kilometer ans Steuer, um ein Gefühl für das Sandfahren und Gleiten über niedrige Dünenkämme zu bekommen. Über die kleinen Buckel hüpfen wir ohne Probleme, aber als Roland am Steuer sitzt, fallen ihm die gestrigen Quads wieder ein und er steuert mit Vollgas eine deutlich höhere Düne an ...
Zu unserem großen Glück verhungert zwei Handbreit vor dem Dünenkamm der zu schwache Motor: 146 PS sind halt viel zu wenig für 4,5 Tonnen. Roland will zurücksetzen und es noch einmal versuchen, versinkt aber mit allen vier Rädern im Weichsand. Wir müssen aussteigen und das Auto freischaufeln. Nach Untersetzen von vier Sandblechen kommen wir zwar wieder aus dem Loch, aber ein Blick über den angesteuerten Dünenkamm zeigt deutlich, dass es hier nicht drüber geht für uns. Senkrecht bricht der Kamm auf der Lee-Seite etwa drei Meter ab und wären wir nur noch zwei Meter weiter gekommen, würde das Fahrzeug nun mit dem Bauch auf dem Kamm liegen: Die Vorderräder in der Luft und die Hinterachse ohne Traktion. Da hätten wir trotz Andis Seilwinde Stunden schaufeln müssen, um wieder freizukommen. Meine Glücksfee ist mir wieder einmal gefolgt nach Marokko ...
Was haben wir gelernt dabei: Eine hohe Düne muss sich wenigsten einer vorher angesehen haben. Und man braucht Sandbleche unter allen vier Rädern, zwei davon nutzen überhaupt nichts. Acht Bleche wären noch besser, dann könnten sich alle Räder von Blech zu Blech hangeln. Ja klar, eine komplette Blechspur beidseits wäre … langweilig. Was wir schon wussten, nur vergessen haben: Ein Bremach ist kein Quad!
Nach dieser lehrreichen Übung wagen wir uns auf die bekannte Piste von Merzouga Richtung Zagora, die in ca. 25 km Entfernung etwa parallel zur algerischen Grenze verläuft. Die knapp 20 km bis Taouz sind längst asphaltiert und die Piste danach fast ohne Herausforderung für Allradfahrzeuge. Auch die Orientierung ist denkbar einfach, wir fahren genau auf dem Track SMZ des Pistenkuh-Führers. Nur einmal queren wir eine drei Kilometer breite Schwemmtonebene mit einigen Querrillen, wie wir sie von der Steinwüste schon kennen, diesmal aber tiefsandig. An einer dieser Stellen hat der Mercedes Vario von Stefan und Renata Probleme, vielleicht hatten sie zu wenig Schwung. Aber durch Luftablassen und beherztes Gas geben klettert der 7,5 Tonner ohne fremde Hilfe schließlich doch hinüber ...
Wir fahren am späten Nachmittag auf einen empfohlenen Nachtplatz an einer Düne zu, als uns ein Landy mit Münchner Kennzeichen entgegenkommt: Klar hält man da an, fragt nach woher und wohin. Plötzlich ein lauter Schrei! Unsere Münchnerin Andrea aus dem Iveco fällt ihrer guten Bekannten Claudia in die Arme. Wohl wussten die beiden von der Marokkoreise der anderen, hatten aber keine Informationen über das genaue wann und wo. Das Treffen ist also rein zufällig. Da unser Nachtplatz nur noch wenige Kilometer entfernt ist, schließt sich das Münchner Paar unserer Gruppe an und wir fahren an einer Auberge namens Hassi Fougani vorbei und noch zwei Kilometer weiter an den Rand einer etwa 50 Meter hohen Düne (N 30° 39.796' W 04° 38.777'): Dort finden wir einen der schönsten Nachtplätze der ganzen Reise.
Wir haben uns gerade eingerichtet - es ist der heißeste Tag der ganzen Reise mit 35°C Lufttemperatur-, haben alle Luken und Fenster geöffnet sowie Tisch und Stühle aufgestellt, da knattert ein kleines Mofa heran und ein Berber kommt freundlich grüßend an unseren Tisch, wo wir ihm einen guten Platz und eine Dose Bier anbieten, die er gerne annimmt. Muhammed will uns unbedingt zu seiner Auberge in zwei Kilometern Entfernung einladen, er hatte uns beim Vorbeifahren gesehen und auf Einnahmen gehofft.
Da er sehr verständlich Englisch spricht, wird es eine lange Unterhaltung mit vielen Einblicken in sein Leben und Überleben dort in der immer trockener werdenden Wüste. Aber seinem dringendsten Wunsch wollen wir wirklich nicht entsprechen, unser Nachtplatz direkt unter der hohen Düne ist einfach genial. Fast schon traurig klingt seine Frage: "Ja, wovon soll ich denn leben?" Diese ehrliche Offenheit berührt uns schon und wir versprechen ihm, morgen zum Frühstück in seine Auberge zu kommen und handeln gleich einen sicher unüblich hohen Preis aus. 40 Dirham soll er bekommen pro Person, insgesamt also knapp 40 Euro einnehmen. Da ist Muhammed zufrieden, schiebt noch zwei Dosen Bier in die Taschen seines Berberumhangs und fährt wieder heim ...
Am nächsten Morgen fällt unser Frühstück aus und wir packen zusammen, um Muhammeds Auberge zu besuchen. Das Frühstück ist in Ordnung, es schmeckt gut und keiner bekommt Durchfall. Das wäre auch furchtbar dort, die Toilette in der Auberge hat nämlich keinen Tropfen Wasser. Eigentlich bin ich das ja gewohnt mit meiner TrockenTrennToilette im Bremach. Aber ein Spülkloo ohne Wasser ist eben noch keine moderne TTT ...
Vor der Weiterfahrt nach Zagora machen wir noch einen mehrtägigen Abstecher von der Wüste, fahren den Pistenkuh-Rundkurs ANR Nekob und feiern danach Andis 60-ten Geburtstag auf einem Palmenplatz in Quarzazate. Danach müssen Stefan und Renata wegen eines defekten Stoßdämpfers an ihrem Vario die bekannte Werkstatt in Zagora aufsuchen, zwei Tage auf ein Ersatzteil warten und kommen später mit ihrem Vario über die Hauptstraße nach. Eine Übernachtung am Sahara Star Hotel 24 km südlich von Zagora mit abendlicher Himmelsführung an professionellen Sternenteleskopen fällt auch in diese hier übersprungenen Tage ...
Weiter in kleinerer Besetzung ...
Ohne Stefan und Renata im defekten Vario starten wir in Mhamid eine zweitägige Wüstentour zum Erg Chegaga und Iriqi-See, Endziel die kleine Stadt mit dem unaussprechlichen Namen Foum Zguid.
Die offizielle Piste verläuft uns zu weit im Norden und berührt die Weichsandfelder kaum, das ist auch gut für normale PKWs. Wir folgen aber der Piste SMF aus dem Pistenkuhbuch und kommen damit weiter hinein in die Dünenregionen des Erg Chegaga. Es wird die schönste Wüstenstrecke überhaupt und ich komme mir vor, wie ein Skifahrer auf einer Buckelpiste: Die flacheren Luvhänge kommen wir mit dem Allradler und viel Schwung leicht hoch und fallen dann auf der Leeseite zwei Meter steil hinab, und dies immer wieder von neuem. Die Lenkung ist im weichen Sand nicht mehr präzise, sondern immer etwas schwammig, ähnlich wie auf gleitenden Brettern im Schnee. So fahren wir mehr oder weniger den ganzen Fahrtag mit wachsender Begeisterung dahin und suchen uns dann am Nachmittag ein schönes Plätzchen für die Nacht unter dem grandiosen Wüstenhimmel.
Am nächsten Tag geht es weiter mit dem Surfen im Sand, die Querdünen sind heute aber nicht mehr so hoch und sportlich wie gestern. Später führt eine zum Teil ruppige Piste nördlich am Lac Iriqi vorbei bis etwa 20 km vor Foum Zguid, wo uns Stefan und Renata in ihrem Mercedes entgegenkommen. Gemeinsam fahren wir einige Kilometer den Track SFF und das Tal bis zu den markanten Felsformationen hinein, um dort zu bleiben. Wieder einmal kommen zwei junge Typen auf einem kleinen Motorrad zu uns und wollen irgendwas haben. In erster Linie wollen sie aber Selfies mit unseren Autos im Hintergrund aufnehmen - Instagram lässt grüßen - und verschwinden bald wieder ...
Das Kochen mit Blick auf unser Wanderziel für den nächsten Tag und ein gemütliches Zusammensitzen bei angenehmen Temperaturen genießen wir ungestört. Am nächsten Tag fahren wir noch gemeinsam zu einer luxuriöseren Übernachtung auf dem Stellplatz vor dem Hotel Bab Rimal, dem angesagtesten Platz in Foum Zguid. Hier gibt es für 12 Euro, also etwas mehr Geld als sonst, ein echt gutes Menü und einen großen Pool mit kühlem und sehr sauberem Wasser: Was für eine Wohltat, aber auch ein toller Luxus am Wüstenrand. Das Hotel ist gut besucht von Reisenden mit Motorrädern, Geländewagen und geführten Wüstentouren, die mit den schon erwähnten geilen 100-PS Buggys über Stock und Stein, vor allem aber auf die höchsten Dünenkämme düsen und auf den schrägen Hängen sogar kurven können. Wer Motorsport liebt und den Trubel des Massentourismus aushalten kann, ist sicher gut bedient mit dieser Variante, die man für überschaubare Summen buchen kann.
Am nächsten Morgen trennen wir uns vorübergehend: Mein Freund Roland muss unbedingt auf den Toubkal, den mit 4.167 Meter höchsten Berg Nordafrikas. Diese Tour hat Roland von Anfang an als Bedingung für seine Teilnahme an der Reise genannt und dieses Versprechen muss nun eingehalten werden. Aber das ist eine andere Geschichte und die folgt im zweiten Teil!
© 2023 Sepp Reithmeier, Fotos: Sepp Reithmeier, Sonja Ertl, Roland Schömer