Alkoholfreier Wein:

  Wir haben es gewagt ...

Null Prozent ...

Immer häufiger wird heutzutage in den Medien über alkoholfreien Wein berichtet als Alternative zu "normalem" Wein.

Auf den ersten Blick hat das sicherlich Vorteile: Zum einen kann man bedenkenlos nach dem Genuss noch mit dem Auto fahren, zum anderen etwa fröhlich schwanger sein und man kann seine Leber entlasten, insbesondere wenn die GOT- und GPT-Werte beim Blutbild die Limits überschreiten sollten ...

No alk, no risk ...Aber um was handelt es sich eigentlich bei "alkoholfreiem Wein", was bedeutet überhaupt alkoholfrei und wie schmeckt das Ganze? Wir haben uns daran gewagt, das (für uns) zu klären ...

Bei alkoholfreiem Wein handelt es sich um eine deutsche Erfindung: Der Winzersohn, Weinhändler und promovierte Politologe Dr. Carl Jung hatte zu Beginn des 20. Jhdts. die Idee, Wein herzustellen für Konsumenten, die keinen Alkohol trinken durften. Eine Reise in den Himalaya brachte ihn auf die richtige Spur: In großen Höhen kocht Wasser bei weit niedrigeren Temperaturen - eine Tatsache, die es zu bewältigen gilt, wie es Wanderern auf Höhenrouten bekannt ist und natürlich auch Berg-Restaurants wie z.B. dem Restaurant Matterhorn Glacier Paradise, das wir bei unserer Reise zum Matterhorn besucht haben.

Aus dieser Erkenntnis entwickelte Jung ein patentiertes Verfahren: Der Ausgangswein wird zunächst traditionell gekeltert. Dann werden dem Wein im Vakuum zuerst die Aromen (Bukettstoffe) entzogen, danach auch der Alkohol. Anschließend werden die Aromen und etwas Zucker der nun entstandenen Flüssigkeit wieder hinzugegeben. Gefiltert wird sie dann in Flaschen abgefüllt. Das Ganze läuft bei Temperaturen von unter 30°C. Anfangs war der alkoholfreie Wein kein echter Verkaufsschlager, aber dank der Prohibition in den USA konnte das Weingut Jung den Vertrieb durch Export ausbauen ...

Neben dem Vakuum-Extraktionsverfahren von Dr. Jung wurden schließlich auch andere Verfahren entwickelt: Darunter eines mit "Umkehrosmose", bei dem die Alkoholmoleküle durch eine Membran ausgefiltert werden. Dabei werden allerdings auch andere Moleküle gefiltert, wodurch die Weine ihre Aromen und Farbstoffe verlieren. Bei einem anderen Verfahren, der "Dünnschichtverdampfung", wird der Wein destilliert. Leider verlieren sich durch die hohen Temperaturen auch viele Geschmacksstoffe, was man anschließend durch Zugabe von Traubensaft versucht zu kompensieren.

Der Riesling vom Erfinder ...Natürlich wurde dieser alkoholfreie Wein auch heftigst diskutiert: Handelt es sich eigentlich wirklich um Wein oder ist es nur eine "Weinfälschung"? In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat man dann in der Weinverordnung den Begriff "alkoholfreier Wein" aufgenommen. Seit 2021 gilt nun in ganz Europa per EU-Verordnung alkoholfreier Wein oder alkoholreduzierter Wein als WEIN und nicht nur als Getränk aus Trauben. Es müssen somit nun u.a. auch Anbau-, Verarbeitungs- und Bezeichnungsregeln beachtet werden.

Abweichend von "normalem" Wein muss bei alkoholfreiem Wein ein Mindesthaltbarkeitsdatum angegeben werden.

In der üblichen EU-Regulierungswut wurde aber wohl die Öko-Verordnung für Wein übersehen: Nach dieser Verordnung ist das Entziehen von Alkohol für Bio-Weine unzulässig. Wird Alkohol entzogen, verliert der Wein sein Bio-Siegel.

Verwirrend ist selbst auch der Begriff "alkoholfrei" (im Bürokratiedeutsch "entalkoholisiert"). Alkoholfrei darf sich der Wein nennen, wenn er weniger als 0,5 % Alkohol enthält. Nur wenn auf dem Etikett "ohne Alkohol" steht, ist tatsächlich auch kein Alkohol darin enthalten.

Genaue Verkaufszahlen gibt es nicht, aber der Marktanteil von alkoholfreiem Wein beträgt schätzungsweise 1% in Deutschland ... Marktanteil gesucht ...

Nach soviel Theorie geht es in die Praxis - raus mit den Weingläsern! Und wie gut, dass ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt bei einem der Tester eine seit längerem anstehende Leberkur geplant ist: Wir bestellen eine ganze Auswahl an Weinen - Rotwein, Weißwein, Rosé, Sekt. Reinsortige Weine wie Tempranillo, Merlot, Cabernet Sauvignon und Cuvées mit Herkunft Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich - eine bunte Mischung.

Die Verkostung als Speisenbegleiter zog sich über mehrere Wochen hin - die Leber dankte es auf jeden Fall!

Beim ersten Wein - einem Rotwein - war das Bouquet überraschend: Es erinnerte keineswegs an Wein, aber auch nicht an Traubensaft. Eher an eine Mischung aus abgestandenem Fruchtsaft mit ganz leichter Essignote. Nach bei Wein oft vorhandenen Schlieren im Glas suchte man vergebens ...

Wir waren fleißig ...Der erste Schluck ernüchterte dann im wahrsten Sinne des Wortes: Ein irgendwie verdünntes Weingetränk ohne irgendwelche Geschmacksdimensionen oder gar einen nennenswerten Nachhall. Das Essen dazu half dem Wein auch nicht weiter: Es "ertrug" den Speisenbegleiter, wurde aber auch geschmacklich in keiner Weise angereichert, was bei "richtiger" Weinauswahl dazu der Fall sein sollte. Es fiel auf, dass dagegen eine unangenehme "Saftkomponente" von Schluck zu Schluck immer penetranter wurde.

Man tröstete sich damit, dass es ja der erste Wein war und hoffte auf Besseres, leider vergebens. Wir konnten auch bei den reinsortigen Weinen keine Ähnlichkeit erkennen zu den entsprechenden "Vollweinen": Ob Weiß-, Rosé- oder Rotwein, es wurde einfach nicht besser, immer wieder das eigenartige Bouquet, immer wieder die zunehmend penetranten Geschmacksnoten, die aber mit Wein wenig zu tun haben. Starke Kühlung half ein wenig ...

Besonders fürchterlich war dann schließlich der Versuch, aus den Weinen einen "Gespritzten" bzw. eine "Schorle" zu machen - eine echte Plörre!

Weinglück sieht anders aus ...Ein bisschen erinnerte die Geschmacksarmut an die Versuche, fettfrei zu kochen und zu braten, auch dabei blieb der Geschmack auf der Strecke. Was Butter und Olivenöl für die Speisen, das sind wohl die alkoholischen Aromen für den Wein.

Allerdings haben zwei (!) Getränke positiv abgeschnitten: Der alkoholfreie Sparkling (Sekt) von Freixenet, da hat aber sicher die Kohlensäure die fehlende Aromatik kompensiert, und schließlich auch der Riesling vom Erfinder-Weingut Jung: Der schmeckte zwar auch nicht wie ein "Vollriesling", war aber gut gekühlt ganz angenehm zu trinken ...

Zusammenfassend war unser Ausflug in die alkoholfreie Weinwelt unter dem Strich sehr enttäuschend: Marketing-Slogans wie "Wer Lust auf Wein hat und auf Alkohol verzichten will, für den ist alkoholfreier Wein eine echte Alternative ..." können wir nicht bestätigen. Auch die zahlreichen positiven Berichte in den Medien über den Geschmack der alkoholfreien Weine sind für uns nicht nachvollziehbar. Vielmehr bleibt der Satz "Sag mir wo die Aromen sind? Mit dem Alkohol verschwanden sie geschwind ..."

Nach der Testphase: Wieder "richtiger" Wein muss sein ..!An dieser Stelle möchten wir einen Herrn Proschinger aus dessen Interview mit dem österreichischen STANDARD zitieren, dieser Herr betreibt in Wien ein Geschäft für alkoholfreien Wein: "Man darf sich nicht vorstellen, dass alkoholfreier Wein nach Wein schmeckt". Recht hat er und wir haben uns nach unserem Ausflug in die alkoholfreie Welt wieder so richtig auf einen "normalen" Wein gefreut ..!


© 2024 Sixta Zerlauth


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