Gardasee, Westseite: So, 28.10. - Mo, 29.10.01
Wieder einmal ist es Sonntag Morgen, spätestens seit den Ereignissen bei Schottland 98 also immer ein Grund besonders vorsichtig zu sein! Doch diesmal sind es keine Taxifahrer, die den scheinbar so ruhigen Morgen aufmischen, nein, diesmal sind es ganz normale Radfahrer. Ganz normal??
Nein, normal kann man das wirklich nicht nennen, was sich an diesem Morgen auf der Strecke rund um das Südufer des Gardasees abspielt. Sicher, es gibt wieder allgemein viel Verkehr, aber diese "Highlights" sind wirklich nicht zu übersehen: Wieder passieren wir Rudel von nervenden Möchtegern-Giro d´Italia-Radrennfahrern, sie drängen sich in beiden Richtungen auf der Fahrbahn, noch nie haben wir so viele auf einem Haufen gesehen, geradezu abenteuerliche Szenen und Überholmanöver spielen sich ab - welches Auto gewinnt und hat einen von denen auf dem Kühler?
Zum Glück sind wir es nicht und so umrunden wir den See unbehelligt von unerwünschten Begegnungen erster bis dritter Art. Im dichten Sonntagsvormittagsausflugsverkehr, zu dem offensichtlich jeder am See seinen kleinen bescheidenen Beitrag leisten will, fahren wir auf der Westseite wieder nach Norden.
Viele Tankstellen haben heute morgen geschlossen und natürlich keine mehr hat noch Normalbenzin im Angebot - im kommenden Dezember wird Umweltminister Trittin in Brüssel verhindern, dass es gemäß EU-Verordnung auch in Deutschland bald nur noch Superbenzin gibt. Was treibt die Mineralölindustrie (wie die meisten verbliebenen Turbokapitalismus-Branchen) eigentlich derzeit noch um außer Profitmaximierung? Sicher nichts! Oh ja, nach dem sanft entschlafenen Begriff des "Shareholders-Value" nennt man das heutzutage nun wieder ganz modern "Optimierung der Wertschöpfungskette" ...
Wer vor Maderno nicht aufpasst, fährt mit angeblich "allen Richtungen" direkt zum Idrosee, zu dem wir aber heute noch nicht wollen, auf keinen Fall jedoch wie gewünscht Richtung Riva. Wir kommen noch einmal davon mit einer Umrundung der Höhen, bis wir wieder zurück in den Niederungen am Westufer angelangt sind und erneut Richtung Norden am Gardasee entlang fahren können.
Aber dann sind wir schon fast da: In Toscolano-Maderno, wo uns das Camping Promontorio (N45°38.008´ E010°36.77´) erwartet. Als wir an dem wunderschönem Seeufer stehen, das hier in der milden Herbstsonne mit seiner Wasserfläche bis zum Horizont den Eindruck eines Meeresufers vermittelt, als wir also auf dem nahezu von Campern verlassenen und ganzjährig geöffneten Platz angekommen sind, der uns völlig überrascht, wissen wir: Hier sind wir richtig!
Toscolano-Maderno: Ein sehenswerter Ort - wer zu ihm genaueres wissen will, wird fündig beim "Lago di Garda magazine":
"Außer den beiden Zentren Toscolano und Maderno, die auf einem kegelförmigen Hügel am Fluss Toscolano liegen, besteht die Gemeinde aus verschiedenen malerischen Ortschaften: Maclìno, Vigole, Sanìco, Gaìno, Cecìna, Roìna, Cabiana, Folino und Bezzuglio. Das Gebiet wird von den Gipfeln des Monte Pizzocolo (1582 m) und des Monte Castello di Gaìno (866 m) beherrscht, von denen man ein unvergleichliches Panorama genießen kann.
Das Klima, das auch im Winter mild ist, eignet sich für einen idealen Urlaub. Am Küstenstreifen befinden sich zahlreiche Campingplätze und Hotelanlagen für alle Ansprüche. In den Ortschaften findet man Trattorien und charakteristische Lokale, wo Sie echte einheimische Küche kosten können.
Das Straßennetz und die Wanderwege sind sehr gut ausgebaut, so dass man das weite Hinterland gut zu Fuß, zu Pferd oder mit dem Mountainbike entdecken kann."
So weit das "Lago di Garda magazine", dem wir nichts hinzuzufügen haben. Wir stehen aber nun erst einmal an unserem Seeufer, und dessen spätherbstlichem Reiz kann man sich kaum entziehen. Vor uns auf dem Wasser ein reges Treiben, es vergeht kaum eine Viertelstunde, ohne dass die unterschiedlichsten Boote vor uns aufkreuzen - selbst die Wasserpolizei dreht vor unserem Stellplatz eine Ehrenrunde - überprüfen sie gerade ein verdächtiges grünes Fahrzeug am Seeufer ..?
Dunstig und warm ist es an "unserem" Seeufer, in Anbetracht des herrlich gelegenen Campingplatzes beschließen wir spontan, auch den nächsten Tag hier zu verbringen - wo sonst soll es sonst schöner sein als hier?
Ein starker Wind kommt auf, der uns ordentlich durchbläst - ob das die Ausläufer des Bora sind, einem Fallwind, der möglicherweise aus Richtung Postojna in Slowenien kommt? Die Richtung würde ungefähr stimmen, aber ansonsten handelt es sich um reine Spekulation! Auf jeden Fall bekommen wir jetzt auch in der schönen Herbstsonne unseren Windchill ab, so dass man sich bald nur sehr wohl fühlt vor dem Explorer mit Kappe und runter geklappten Ohrenschützern. Wer dabei noch versucht, draußen Zeitung zu lesen, bekommt nun echt Arbeit ...
Nicht am Wind stören sich unsere Besucher, eine ganze Großfamilie von Katzen mitsamt ihrem Nachwuchs findet sich nach und nach bei uns ein und natürlich inspiziert man auch die gesamte Ausrüstung - heute und morgen werden wir uns über einen Mangel an Besuchern und Spaß mit ihnen nicht beklagen können ...
Wer an diesen Tagen hoch schaut auf die umgebenden Hänge und Gipfel westlich des Gardasees, wo sich nur Umrisse aus dem Dunst schälen, der spürt mehr als nur einen Hauch von Herbstmelancholie, die über diesem Ambiente liegt - ein wirklich bezaubernder Ort hier am leeren Seeufer, leicht könnte man mehr als zwei Tage an dieser Stelle verbringen ...
An einem der beiden Tage führt uns ein Spaziergang zum Ortsteil im Nordosten unseres Camps: Vorbei an einer interessanten Olivenmühle geht es nach Toscolano, dem einen der beiden Zentren der Ansiedlung. Historisch bedeutend scheint es zu sein, wie wir ebenfalls im "Lago di Garda magazine" nachlesen können:
"Allem Anschein nach war Toscolano das antike Dorf ´Benacum´, welches dem See seinen ursprünglichen Namen verliehen hatte. Zeugnis für die Existenz der römischen Siedlung sind archäologische Funde, die vor allem in dem Gebiet gemacht wurden, wo sich einst eine prunkvolle Villa befand. Vom 9. bis 14. Jh. war Maderno der Hauptort der Riviera der Provinz Brescia und anschließend der Sommersitz der Fürsten Gonzaga von Mantua. Es kam dann bis 1797 unter die Herrschaft von Venedig. ..."
Unser Spaziergang führt uns zur markanten Pfarrkirche "Pietro e Paolo", zu der wir ein letztes Mal obiges Magazin zitieren:
"Sie befindet sich in Toscolano und stammt aus dem Jahre 1584. Die Außenarchitektur ist streng und deutet auf den klassischen Barock hin. Sie enthält beachtliche Holzschnitzereien, u. a. das Bischofskatheder aus dem 17. Jh. und die riesigen Gemälde von Andrea Celesti (1637-1712). In den Wänden sind zwei römische Gedenksteine eingemauert, von denen der eine Lucio Settimo Severo und der andere Marco Aurelio Claudio gewidmet ist."
Soweit unser Ausflug in die Historie dieses sehenswerten Ortes, der Abend der beiden Tage sieht uns dagegen wieder auf dem Campingplatz: Hier wartet ein gemütliches Lokal direkt auf dem Gelände, das auch jetzt noch von einigen Dauercampern und Besuchern von außerhalb belebt ist. Nur am Wochenende gibt es hier die Spezialität: Die Pizza scheint weit und breit bekannt zu sein und lockt offenbar etliche Besucher an. Als wir am Montag Abend auch eine bestellen wollen, gehen wir leider leer aus, aber das "Ersatzessen" ist ebenfalls nicht zu verachten ...
Umgeben von unseren Katzen, der malerischen Umgebung des Sees, dem abflauenden Wind und dem einen oder anderen Glas Rotwein genießen wir den Abend - bevor wir endgültig dem italienischen Flair verfallen und bereits hier stecken bleiben, muss etwas geschehen! Wir treffen einen harten Entschluss: Aller Beschaulichkeit und Idylle zum Trotz wollen wir morgen aufbrechen. Es soll endlich auf die "FUGAWI-Teststrecke" gehen, auf unseren geplanten Weg über den Pass nach Westen, Richtung Geheimtipp - den Lago d´Idro!
© 2002 J. de Haas