Über die Assietta nach Susa
Von Sestriere, dem im Winter recht belebten Skizentrum, beginnt die kurze Auffahrt zum Colle Basset, dem Beginn der Assietta-Kammstraße (D 366), den wir eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten. Außer uns war niemand da und wir suchten uns einen windgeschützten Stellplatz mit guter Fernsicht. Später kamen noch zwei deutsche Geländewagen vorbei, was zu einem kurzen Plausch mit deren Besitzern führte. Auf der Assietta sah man noch weitere zwei bis drei kleinere Jeeps oder Suzukis daher kommen, die jedoch nicht in unserer Nähe hielten. Die Sonne verschwand schon bald sehr romantisch hinter dem Mont Chaberton, dem 3.136 m hohen Berg mit abgeflachter Spitze und einer italienischen Geschützbatterie dort oben, die den Italienern im Jahr 1940 bei einem kurzen Gefecht mit den französischen Nachbarn eine äußerst blamable Niederlage und die Zerstörung der Stellung nach einem einzigen Tag einbrachte ...
Nach Sonnenuntergang gegen 19:00 Uhr war der Tag aber noch nicht zu Ende und das Koch- und Abendprogramm begann: Im Tal hatten wir ausnahmsweise Fleisch eingekauft und neben Mozzarella-Tomaten als Vorspeise gab es Halsgrat mit Ratatouille - lecker! Danach wieder Wein und Musik, diesmal passend zur Umgebung das Album "Eric Burdon declares war". Es sollte ja keine Langeweile aufkommen ...
Die Assietta ist eine "Genussstraße" und beliebt bei allen Bergfahrern. Aber die Saison und damit der Gegenverkehr waren vorbei. Kein einziges Fahrzeug kam uns an diesem Vormittag entgegen. Der wolkenlose Himmel steigerte den Genuss noch und so erlebten wir einen herrlichen Fahrtag. Am Colle d´Assietta zweigt eine gesperrte Schotterstraße zum Gran Serin ab, die im weiteren Verlauf über die Gipfelregionen um 2.700 m Höhe nur noch als Wanderweg genutzt werden darf oder kann? Wir blieben jedoch auf der Assietta und verloren langsam an Höhe bis zum Ende der Kammstraße bei Piano dell´Alpe, wo wir das Schild auf Bild unten rechts fanden ...
Am Colle Basset war die Straße noch geöffnet, hier am nordöstlichen Ende am Tag darauf jedoch schon geschlossen. Wir waren also möglicherweise das letzte Fahrzeug des Jahres auf der Assietta! Im Gegensatz zur Angabe im Denzel besteht jedoch keine Gewichtsbeschränkung auf 3,5 Tonnen, nur in der Breite sind lediglich 2 Meter erlaubt (Wobei sich das Verkehrszeichen "LKW-Verbot" in Deutschland bereits auf 3,5 Tonnen bezieht. In Österreich und Italien dagegen sind tatsächlich "richtige" LKW gemeint).
Auf Teerstraßen ging es nun weiter über den Colle delle Finestre und hinunter nach Susa in vielen schönen Kehren, nur wenige so eng, dass ich reversieren musste ...
Für Susa hatten wir uns ein paar Stunden reserviert: Schon zweimal war ich nur mäßig vorbereitet in diesem Ort gewesen und hatte beim Spazieren durch die Einkaufsstraßen die historische Seite der alten Römerstadt nicht mitbekommen. Nun wollten wir auch ein paar alte Steine besichtigen und davon gibt es noch etliche!
Das bedeutendste Bauwerk im Ort ist der Augustusbogen aus weißem Marmor in sehr gutem Erhaltungszustand. Kaum zu glauben, dass er etwa gleich alt ist wie die direkt daneben stehenden Mauerreste des Castellum Romanum, also der Burg des Präfekten und des Aquädukts, das in diese Befestigungsanlage führte. Die Achse des Augustusbogens weist genau in die Richtung des riesigen Hausbergs von Susa, dem 3.537 m hohen Rocciamelone, seit ewigen Zeiten ein Kultberg und heute der höchste Wallfahrtsort der Alpen. Ja, der Gipfel gilt als Wallfahrtsziel. Susa selbst liegt auf bescheidenen 496 Metern Höhe, es geht also in 7 km Entfernung über 3.000 m hoch, rekordverdächtig. Es war ganz klar der Gletscher, der seinerzeit alles wegschliff, sich aber an der Felsenpyramide die Zähne ausbiss - bildlich gesprochen ...
Inzwischen war es Freitag Nachmittag, die Woche war für uns vorbei. Ab Samstag wollten wir wieder in zwei Etappen zurückfahren. Aber im Tal zu übernachten bei diesem Trubel, das kam nicht in Frage. Was bot sich da an bei Susa? Klar, der Colle del Colombardo (D 354) vom Susatal nach Norden ins Tal der Stura di Viu (nicht zu verwechseln mit der Stura di Demonte weiter im Süden) und dann über Turin, Mailand, Verona wieder nach Ala neben der Brennerautobahn auf Höhe des Gardasees, meinem beliebten Zwischenstopp bei der guten Pizzeria al Giardino.
Die Auffahrt zum Colombardo Pass war in der unteren Hälfte zwar asphaltiert, aber steiler als alle bisherigen Pisten und teilweise eng - im ersten Gang ohne Untersetzung anfahren konnte mein Viereinhalbtonner da nicht mehr. Aber sonst verlief alles nach Plan und der Nachtplatz oben am Colle war wieder einmal vom Feinsten: Tiefblick auf die Lichter der Großstadt Turin ...
Was bleibt?
Rückblickend hatten wir eine recht engagierte Fahrwoche ohne echten Ruhetag. Die ausgesuchten Strecken waren ambitioniert, die erste sogar zu schwierig für solch ein großes Fahrzeug. Diese falsche Streckenwahl und meine beiden Fahrfehler haben mir psychisch schon etwas zugesetzt, ich konnte mich anschließend zu wenig entspannen, ganz im Gegensatz zum gut 10 Jahre jüngeren Erich.
Wenngleich das auch keine Frage des Alters, sondern eher der Einstellung ist, schließe ich für mich doch daraus, dass mein Viereinhalbtonner mehr als Wohnmobil und weniger als Geländewagen punkten kann. Ich werde also in Zukunft das Augenmerk auf einsame Ziele und weniger auf rassige Anfahrten legen. Aber das hat schon etwas: Die Nacht im Hochgebirge zu verbringen, ohne auf eine laute und überfüllte Hütte angewiesen zu sein ...
© 2020 Sepp Reithmeier, Bilder: Erich Junker, Sepp Reithmeier
Nachtrag: Was passiert auf solchen Pisten eigentlich bei Gegenverkehr ..?
Nachdem wir diesen Bericht von Sepp und die anderen gelesen hatten, stellte sich uns sehr bald wieder mal die schon seit langem vertraute Frage: Was passiert hier auf solchen Alpenpässen eigentlich bei einem wirklich ausgerechnet an dieser Stelle nicht erwünschten Gegenverkehr? Wenn man in vielen Jahren nicht nur heftig unter irgendwelchen Kehren auf diversen Passstraßen gelitten hatte, ohne Automatik und mit mindestens drei Verfolgern hinter dem eigenen Fahrzeug, war man natürlich auch immer schon besonders "begeistert" gewesen in Hinblick auf einspurige Pisten in Erwartung von Gegenverkehr in den nächsten fünf Minuten ...
Und der kam dann eigentlich auch recht regelmäßig und zuverlässig nach gefühlten sechs
Minuten: Irgendwelche Manöver rückwärts zu
irgendwelchen Ausweichen waren dann die Folge, und da das
Gegenverkehrs-Fahrzeug natürlich auch grundsätzlich immer von hilflosen
Fahrer**Innen gesteuert wurde, waren diese Rückwärtsfahrten natürlich
dann auch immer von einem selbst zu erledigen ...
Insofern unsere Anfrage an Sepp: Was machst du eigentlich, wenn dir ausgerechnet an so einer Stelle wie auf deinem Bild rechts oder an noch übleren Stellen wie der, wo der Kratzer am Felsen erfolgte, jemand entgegenkommt ..? Gibt´s dafür einen Plan, wird es vielleicht gefährlich? Hier die Antwort von Sepp, und er hat tatsächlich auch dafür etwas vorbereitet:
An dieser Engstelle wurde mir eigentlich zum ersten Mal richtig klar, was es bedeutet, genau hier auf einen Gegenverkehr ähnlicher Fahrzeuggröße zu treffen. Selbstverständlich muss dabei ein Fahrzeug im Rückwärtsgang bis zur nächsten Ausweichstelle zurückfahren. Aber den Bremach rückwärts an einer solch engen und ausgesetzten Felsrippe vorbei zu lenken, ist eigentlich unmöglich, da die Hinterräder nicht lenkbar sind und der Platz zum Ausholen für die Vorderachse nicht reicht. Je nach Gelände könnte dies auch für das entgegenkommende Fahrzeug gelten. Was nun?
Fest steht: Ein Fahrzeug muss rückwärts um die Kurve. Und wenn man dazu die Hinterachse mit einem hydraulischen Wagenheber, der am Differentialkorb ansetzt, Zentimeter um Zentimeter Richtung Kurveninneres versetzt. Das erfordert einen geschickten und mutigen Beifahrer und sehr viel Zeit. Aber wie sollte man das anders umsetzen?
Ich habe das Experiment gemacht und im Prinzip funktioniert es. Dazu brauchte ich keine Hilfsperson, nur ein keilförmiges Holzstück habe ich mir extra dafür angefertigt. Aber meine Aussage "Zentimeter um Zentimeter" muss man bei meinem Verfahren tatsächlich wörtlich nehmen: Mein normaler Stempelwagenheber hat sine Hebehöhe ausgeschöpft, da sind gerade einmal 3-4 cm seitlicher Versatz zu beobachten gewesen. Nun muss man den Heber wieder abbauen, zusammendrücken und erneut ansetzen, um wieder 3-4 cm Versatz zu bekommen. Ein Teleskopheber wäre hier klar im Vorteil ...
Aber deine Sorgen bzgl. gefährlicher Tätigkeiten sind anders zu formulieren: Die Abgase des laufenden Bremachmotors dürften das größte Problem sein. Kein Hochbocken oder schräg stehen. Die Hinterräder stehen zu jeder Zeit voll auf dem Boden, werden lediglich cm um cm versetzt. Und logisch muss der Fahrer am Steuer sitzen und die Bremse treten. Man könnte die Vorderräder aber auch durch Keile, Steine etc. immobilisieren.
Ich habe auch ein Bild montiert, siehe oben links. Darauf sieht man oben die Ausgangsposition, unten die Endposition nach Ausfahren des Stempels. Drei oder viermal hat es die Räder jeweils um einen cm nach links versetzt. Ich vermute, dass diese kleine Versetzung bei einem robusten Geländewagen keine übermäßige Beanspruchung des Radlagers darstellt. Auch nach Auskunft eines befreundeten Kfz-Ingenieurs und langjährigen Dekra-Prüfers sind die Radlager eher nicht das Problem. Da hält der Alltag eines Geländewagens ganz andere Belastungen für das Lager bereit. Aber dass der Achskörper, also die Differentialhülle, bei solchen Manövern eingedrückt werden könnte, das sieht er eher als Gefahr. Man sollte also eine Gummi- oder Filzmatte zwischen Wagenheber und Achskörper einfügen.
Andere technisch erfahrene Bremach- bzw. Iveco-Besitzer sind ebenfalls der Meinung, dass bei Verwendung einer weichen Zwischenlage, also Gummi, Filz oder Weichholz, zwischen Wagenheber und Achskörper kein Problem für den Differentialkorb besteht. Die Technik ist gang und gäbe in der Bau- oder Landwirtschaftstechnik, um etwa liegengebliebene Lastwagen von der Fahrbahn zu bringen. Es dürfte aber vorteilhaft sein, den Wagenheber in einem weniger geneigten Winkel, also mehr unter dem Differential anzusetzen.
Wie dem auch sei, um einen ausreichenden Lenkeinschlag zu bekommen, muss man sicher eine halbe bis ganze Stunde arbeiten. Aber wenn es keine Alternative gibt ..?
Und noch mehr zu Gegenverkehr und Westalpen ...
Auch Hans-Jörg Wiebe, Autor unserer beiden anderen Berichte Westalpen August 2020 und Westalpen September 2020 teilte uns mit, wie er das mit dem Gegenverkehr und anderem sieht:
Ein interessanter Bericht von Sepp, die Tour kommt auf meine Liste; einige Strecken haben sich überschnitten.
Zum Thema Gegenverkehr: Wir sind seit 20 Jahren auf vielen Strecken in den Westalpen unterwegs gewesen und hatten noch nie das Problem, dass es rückwärts nicht mehr weiter ging.
Ein paar Tipps und Erfahrungen dazu:
- Auf engen Passagen (einspurig) merken wir uns immer die letzten Ausweichstellen.
- Wir beobachten die Piste weit in Fahrtrichtung auf Gegenverkehr und warten lieber an einer Ausweichstelle, auch wenn es dauert.
- An engen Passagen behalten wir auch die Höhe im Auge (Felsüberhänge).
- Rückwärts fahren nach Spiegeln sollte der Fahrer beherrschen; der Beifahrer übernimmt die Außensicherung.
- Wir haben 3,3 to, 5,20 m Länge und 1,75 m Breite. Mit diesen Maßen kann man sich gut auch auf engen Pisten bewegen. Wesentlich größere Fahrzeuge (insbesondere in der Breite) müssen mit Problemen rechnen. Der Unterbau der Pisten und manche Auswaschungen können bei Schwergewichten zu Problemen führen. Viele Strecken werden zum Glück zumindest sporadisch unterhalten, aber mit 4,5 to würde ich so manche Strecke nicht fahren.
- Die seitliche Versetzung mittels Wagenheber mag funktionieren, die Auswirkung auf Lager etc. vermag ich nicht einzuschätzen. Es kann aber auf solchen Pisten eigentlich keine Lösung sein, dann sollte man wohl eher mit einem kleineren Fahrzeug unterwegs sein.
Zur Nummerierung der Alpenpisten im Denzel: Dort wurden irgendwann mal eine Reihe neuer Strecken aufgenommen und dabei leider die Nummerierung geändert (z.B. bei der Maira-Stura (D 380, 26. Auflage von 2016. D 378 in der aktuellen 27. Ausgabe). Genau genommen müsste man nun die Nummer der Ausgabe mit referenzieren.
Noch etwas: Die Unwetter Anfang Oktober haben massive Schäden im Royatal (das zum Tendepass führt) hinterlassen. Das Tal und der Pass werden auf Jahre nicht befahrbar sein; die Bahntrasse von 1910 blieb unzerstört und ist jetzt das einzige Verkehrsmittel dort außer dem Hubschrauber. Viele Brücken und lange Strecken der Straße sind einfach weg. Die Südrampe des Tendepass aus dem Tunnel kommend ist verschwunden. Es ist kaum zu glauben, die Zerstörung sind einfach unbegreiflich ...
Siehe dazu auch folgende YouTube-Videos:
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sepp finden sich in unserer Autorenübersicht!