In den Norden von Island

Zwei Tage später: Ortswechsel von südlichem zu nördlichem Hochland, von Hekla zur Askja, von drohendem Ausbruch zu soeben stattgefundenem Ausbruch. Die Anfahrt über eine der beiden großen Hochlandpisten, die F26 im Sprengisandur-Tal, geht sehr flott. Zwar gibt es viele Kilometer ruppige und wellige Pistenabschnitte, aber mir den großen Reifen und dem robusten Unimog können wir mit 60 bis 80 Sachen einfach drüberbrettern und sind an diesem Tag bei weitem das schnellste Fahrzeug auf der Strecke. Als Zwischenziel steuern wir die Wanderhütte mit Hotpot in Laugafell an, wenige Kilometer nordöstlich des Gletschers Hofsjökull.

Laugafell, kleines Paradies mitten im Nirgendwo Ingvars Blumengarten oberhalb der Warmwasserquelle In der Hütte links kann man übernachten, der Hotpot ist neben der Fahnenstange rechts ...

Kaum aus dem Fahrzeug ausgestiegen, werden wir von dem freundlichen, bescheiden wirkenden Hüttenwart mit Handschlag und gutem Deutsch empfangen: "Ich bin Ingvar und führe euch über den Platz" sagt er leise, zeigt uns die Sanitäranlagen mit den geschlechtergetrennten Umkleideräumen, leitet uns die paar Meter zum warmen Pool und weist auf den Blumengarten am Beckenrand hin, wo er uns besonders auf eine zweijährige Pflanze aufmerksam macht: "Dieses kleine Kraut, hier steht es, kommt im ersten Jahr, sammelt Sonnenenergie und Nährstoffe in der Wurzel an und treibt im nächsten Jahr zu einer solchen Blütendolde wie hier aus, die sich zu einem Samenstand wandelt, bevor die Pflanze im kalten Herbst stirbt."

Erinnert ein klein wenig an die Agave im Mittelmeerraum, nur wird unsere Pflanze hier keine 5 Meter, sondern nur 20 cm hoch. Ingvar macht das alles so nett, dass wir uns gerne auf ein längeres Gespräch einlassen und seiner Einschätzung zustimmen, wir seien hier in einem kleinen Paradies mitten im Nirgendwo. Später beobachten wir, dass jeder Neuankömmling auf diese Weise von Ingvar begrüßt wird und sich längere Zeit mit ihm unterhält. Somit hat er keine Langeweile und die Leute haben ein gutes Gefühl - Note 1 für Ingvar. Auch in unserem internen Hotpot-Ranking bekommt der Platz eine Bestnote: Lage in der Natur, bequemer und kurzer Zugang und konstant warmes Wasser. Nur weil wir später einen noch besseren Pool mit Dusche finden, landet Laugafell knapp auf Platz 2 ...

Weiter Richtung Norden auf der F821 kommen wir an drei großen Wasserfällen vorbei: Zu dem ersten namens Hrafnabjargafoss geht eine kleine Piste hinunter und man könnte unten mit dem Wohnmobil ungestört und einsam stehen, in den Schlaf gelullt von dem monotonen Rauschen der gewaltigen Wassermassen. Wenige Kilometer weiter flussabwärts kommt der Aldeyjarfoss, der Geologenfall. Von mir so benannt, weil er für geologisch interessierte Leute wohl die No. 1 ist unter den Wasserfällen Islands. Schön sieht man die Basaltsäulen am Flussrand, die von den tektonischen Kräften verbogen und später vom Wasserfall freigewaschen wurden.

Nah an der Abbruchkante des Hrafnabjargafoss ... Gebogen durch tektonische Kräfte ... Aldeyjarfoss: Hochinteressante Auswaschungen mit sauber freigelegten Basaltsäulen

Am mächtigen Godafoss vorbei und durch das touristisch fast schon überlaufene Gebiet Myvatn (Mückensee) fahren wir zum bekanntesten Hochlandziel Islands, dem Askjakrater. Die knapp 100 Kilometer lange Anfahrt über die F88 läuft am ehemaligen Vulkan Herdubreid vorbei, einem der markantesten Berge Islands überhaupt.

Einige Furten sind zu queren, aber deren Reiz erschließt sich im Unimog kaum. Da werden gerade mal seine Fußsohlen nass. Eine freundliche Rangerin stoppt uns, fragt nach den Zielen und gibt uns interessante aktuelle Informationen. Nach dem obligatorischen Hinweis auf das strenge Offroad-Verbot erzählt sie uns vom neuen Lavafeld durch den erst Monate vorher beendeten Holuhraun-Ausbruch und von einer neu entstandenen warmen Quelle dort. Das wollen wir am nächsten Tag erkunden.

Etwa 3 Kilometer vor der Askjahütte müssen wir wieder einmal Schlepphilfe leisten. Eine sechsköpfige isländische Familie wollte mit ihrem alten Range Rover einen Ausflug zur Askja unternehmen, der Range hatte aber etwas dagegen und blieb stehen. Mit uns stehen nun 8 Laien vor der geöffneten Kühlerhaube, schauen in den Motorraum des V8 und bringen trotz ihrer geballten Unkenntnis das Teil nicht zum Laufen. Das nutzt dem Range aber nichts: Er wird vom Unimog an den Haken genommen und über die letzte Furt zur Askjahütte gezogen. Vielleicht ist ja hier gerade ein Automechaniker unter den Besuchern ...  

Anfahrt zur Askja, Herdubreid im Hintergrund ... Karte der Holuhraunregion, aus: Infomaterial der Parkverwaltung Askjakrater: Vorne Viti, hinten der zugefrorene Öskjuvatn ...

Der Wetterbericht vermeldet ein Ende der seit zwei Tagen anhaltenden mild-wechselhaften Lage und für übermorgen sogar Schnee auf der Askja. Das treibt uns an und wir fahren heute noch zum Kraterrand hoch: Dort sehen wir die riesige, etwa 7 bis 8 km durchmessende Kaldera, den Überrest eines gewaltigen Vulkanausbruchs vor 10.500 Jahren. Die beiden Kraterseen erreicht man über einen 2,3 km langen Fußmarsch durch feuchten Firnschnee.

Dort angekommen zeigt sich auch der große Öskjuvatn (beim Ausbruch im Jahr 1875 entstanden) noch überwiegend vereist. Nur der kleine tückische Kratersee Viti (Hölle) mit seinem milchig-blauen 27°C warmen Wasser lädt zum Bade ein. Keiner der Besucher fällt auf diesen Trick der Hölle herein. Die kreisrund und wie ein umgekehrter spitzer Kegel geformten Kraterwände aus steilem losem Sand lassen einen zwar schneller als gewollt hinein rutschen, aber nur schwer wieder heraus kommen. Und wenn dann der Ameisenlöwe aus dem Kratergrund hochkommt und Sand wirft, ist eine Flucht ganz unmöglich.

Durch die Erosionen im Winter ist der im Bericht Island ´97 vom Explorer Team beschriebene Fußpfad nicht mehr zu erkennen. Und selbst wenn man nach einem Bade auch diese Schwierigkeit überwunden hätte, müsste man die zwei Kilometer im Matschschnee und durch die Kälte zurück gehen. Ja, ja, nur die Harten kommen in den Garten des Viti. Wir sind jedenfalls nicht so blöd (oder vielleicht auch einfach nicht hart genug ... ). Aber der Blick über dieses gigantische Naturpanorama und die bei besserem Wetter mögliche Wanderung am Rand des großen Sees ist die Anreise dorthin allemal wert.

Schüttet man Wasser in eine der Spalten, dann ... ;-))Das Wetter wird schlechter und gut eingekleidet fahren wir am nächsten Tag die F910 nach Süden: Bis vor wenigen Monaten war dies die südliche Zufahrt zur Askja, aber nun hat sich das Lavafeld der Holuhraun Eruption über diese Piste geschoben und sie unpassierbar gemacht. Ob und wann hier Straßenbaumaßnahmen erfolgen, um die Passage wieder zu ermöglichen, ist nicht bekannt.

Der Lavastrom hat auch den Lauf des nördlichen Arms des Flusses Jokulsa a Fjöllum um einige hundert Meter verschoben. Die Rache des Flusses war eine Abkühlung der fließenden Lava, die letztlich zum Stillstand des Lavastromes führte, der auch von oben keinen Nachschub mehr bekam. Dadurch ist eine neue Touristenattraktion entstanden.

Man kann über das frische Lavafeld laufen und bekommt einen Eindruck, wie scharfkantig die erkaltete Steinmasse ist. Ein Besucher aus der Schweiz stolpert nur einmal leicht und muss sich mit der Hand abfangen. Schon hat er eine tiefe Risswunde an der Hand. Wir treffen unsere Rangerin von gestern hier auf dem Lavafeld wieder: Sie hat Verbandsmaterial dabei und zeigt uns nach ihrer ersten Hilfe ein interessantes Phänomen.

Kleine gelblich angelaufene Spalten im Steinboden hatten wir schon vorher bemerkt. Aus ihnen raucht es leicht und wenn man die Finger in den schmalen Spalt steckt, spürt man die Wärme von unten. Die Frau schüttet etwas Wasser in einen Spalt und wenn man genau aufpasst, hört man in der Tiefe ein zischendes Geräusch. In nur 70 cm Tiefe ist die Temperatur schon über der Siedetemperatur des Wassers ...

Unsere Rangerin führt die kleine Gruppe, bestehend aus drei Touristenfahrzeugen, noch an die Stelle, wo der Kampf zwischen Fluss und Lavastrom stattgefunden hat: Erst geschätzte 5 Kilometer die F910 zurück Richtung Askja und dann rechts, also südlich ab noch weitere 3-4 km (siehe Karte mit unseren tracks am Berichtsanfang).

Aufregendes Bad im Lava-Hotpot ...Dort zeigt sie uns die heiße Quelle am äußersten Ende des Lavastroms: Ein Teil des Flusswassers fließt immer noch durch das poröse Lavagestein und unter der Lavadecke durch und erwärmt sich dabei. An der Stelle, die für Touristen freigegeben ist, kommt das Wasser mit einer Temperatur um 38°C bis 45°C zum Vorschein und bildet die Badestelle. Die einsame Lage an diesem noch vor wenigen Monaten "heiß" umkämpften besonderen Ort und der kalte Fluss direkt daneben für die "Harten" lassen uns diesem Hotpot die Rankingnummer 3 geben.

Die hübsche Rangerin geht hier übrigens nicht ins Wasser - ja, das hätte uns gefallen! Trotzdem beschenkt Martin sie für ihre wirklich freundliche und hilfsbereite Art mit einer Flasche Weißwein aus der, wie er ihr sagt, besten Weinlage Deutschlands, dem Würzburger Stein. Er wohnt nämlich direkt unterhalb dieses Weinbergs und die Trauben wachsen ihm fast in den Mund. Lokalpatriotismus nennt man das, und die Rangerin ist sichtlich gerührt ...

Der Tag ist fortgeschritten und wir machen uns auf den Rückweg, nehmen dabei die andere Straße zur Askja, die F910 nach Norden bis zur Kreuzung mit der F905. Dort kommt uns ein Suzuki Jeep entgegen mit zwei Frauen, die heftig winken. Martin hält an und schaut, was los ist. "Hallo Nachbar aus Würzburg, ich komme aus der Schweinfurter Gegend, also gleich um die Ecke" tönt es in breitem Fränkisch.

Franke trifft Fränkin, sage ich nur. Nach Abklingen der lokaltypischen Begrüßungsrituale werden wir gefragt, ob wir einen Erstatzkanister hätten. Sie haben sich leider etwas verfahren und auf den Pisten deutlich mehr Benzin gebraucht, als angenommen. Nun fahren sie schon auf Reserve, müssen aber noch zur gebuchten Übernachtung, der Hütte an der Herdubreidalindir.

Islands wohl schönste Tankstelle in Mödrudalur ...Leider fahren wir Diesel und nicht Benzin, können also nicht aushelfen. Aber die schönste Tankstelle Islands bei Mödrudalur, unserem heutigen Nachtplatz, wäre nicht sehr weit. Geht nicht, obwohl wir sie gerne mitgenommen hätten, aber das würde dann zu spät für die Hütte an der Herdubreid. Vielleicht hat ja dort jemand ein paar Liter.

Wir sind so schlau und tauschen Handynummern, wollen uns erkundigen, ob die Tankstelle wirklich Benzin da hat und ihr das über Telefon mitteilen. Natürlich hat die Tanke Benzin und Martin gibt Bescheid: Dabei erfährt er, dass die Mädels ihr Benzinproblem leider nicht lösen konnten und ihr Bordcomputer meint, es wäre noch Sprit für 125 km da, das Navi sagt aber 115 km bis zur Tankstelle. Das haut bei den Straßenverhältnissen nicht hin. Wir finden aber eine tolle Lösung: Beide Fahrzeuge planen für den nächsten Tag sowieso, die letzten 30-40 km der Vortagsstrecke wieder zurück zu fahren, kommen also automatisch am heutigen Treffpunkt vorbei. Wir füllen unseren 20-Liter Ersatzkanister mit Benzin und am nächsten Tag wird der Unimog zum Tanklaster.

Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt 10 Uhr treffen wir auf unsere Tankkundinnen: Es erscheint schon fast wie eine "typisch deutsche" Leistung, nach einer fast dreistündigen und langsamen Anfahrt über Stock und Stein von der Hütte Herdubreidlinda und mit dem letzten Tropfen Benzin so punktgenau am Treffpunkt zu sein. Es bewahrheitet sich hier wohl das afrikanische Sprichwort: Ihr Europäer habt die Uhr, wir in Afrika haben die Zeit ...

Schade, dass das Wetter so sauschlecht ist, gerne hätten wir mit den beiden Damen, der Fränkin und ihrer Freundin aus Flensburg, etwas länger geratscht. Die hätten uns schon gefallen, stellen wir nach der Trennung fest. Aber Martin hat ja die Handynummer und einem innerfränkischen Regionaltreffen steht nichts im Weg ...

Genial: Warmwasserbecken mit Naturdusche, unten fließt der kalte BachWir folgen wieder einer Route aus dem Pistenkuhführer und fahren die F910 nach Osten, biegen kurz vor Bru, der Brücke über den großen Fluss Jökulsa a Dal, der 910 weiter folgend nach Süden Richtung Karahnjukar-Staudamm ab und suchen nach ca. 15 Kilometern an einem genau definierten GPS-Wegpunkt nach dem im Führer beschriebenen Richtungsschild Laugarvellir.

Am Boden liegt es, beinahe hätten wir es übersehen, gewaltsam hat es wohl der Wind abgerissen. Nach zwei Kilometern geht es steil und ruppig in das Tal nach Laugarvellir und der Name lauga sagte es ja schon: Dort muss es eine heiße Quelle, einen Badeplatz geben.

Und dieser Hotpot ist unsere unbestrittene Nummer 1: Oberhalb einer verlassenen Bauernhütte läuft tief in den Grasboden eingefressen ein schmales, dampfendes Bächlein ins Tal und fließt dann wenige Meter vor der Mündung über einen Felsen in den kalten Fluss, wobei es als etwa 3 Meter hoher Wasserfall in ein 5x5 Meter großes Becken stürzt. Genial. Genau die richtige Temperatur, eine einsame und urige Umgebung und ein Wasserfall, der hervorragend als Dusche und Rückenmassage dienen kann. Optimieren kann man den Genuss noch, wenn man für das Ein- und Aussteigen eine Unterlage mitnimmt, vielleicht eine Gummifußmatte aus dem Auto. Dann hat man den Algen- oder Lehmmatsch am Beckenrand nicht zwischen den Zehen. Aber sonst ist es kaum steigerungsfähig ...


© 2015 Sepp Reithmeier