10.Tag: Sonntag, 24.08.97, 06:00 Uhr UTC
Aufstehen um diese Zeit bei ca. 0°C kann so toll sein?! Noch einmal wollen wir jedenfalls unseren Fehler nicht wiederholen, zu spät aufzustehen, denn bestraft vom Leben wollen wir unsere heutige Fahrt zur Askja nicht beenden ...
Wir rollen langsam wieder von der Hütte Sigurdarskali in Richtung Norden davon - die F902 ist auch in der Gegenrichtung nicht gerade angenehm für unseren Nissan. Erleichterung macht sich breit an Bord, als wir endlich wieder unbeschadet am Abzweig zur F903 ankommen - oft genug im Schrittempo haben wir uns wieder zu unserem vorgestrigen Ziel zurück getastet.
Diesmal bleiben wir auf der F902 und fahren wieder stundenlang durch wirklich bizarr unwirkliche Landschaften, die vielfältig wechseln und erneut hinter jeder Kurve andere atemberaubende Anblicke bieten ...
Die Palette reicht von Sand, Schotter, Lava, Steinplatten bis zu Strandgras am Wegesrand, das wohl kaum zur Wegbefestigung irgendwann gepflanzt wurde. Langsam aber sicher sucht sich der Pickup mit seiner Explorer-Last über alle Hindernisse sein Ziel.
Während zwar keine Furten mehr auf uns warten, lauern dafür erneut aber etliche Wellblech- und sonstige Unannehmlichkeiten, die einen schon wieder dazu verleiten, kurz und ungesehen zur "Pistenrandsau" zu werden, um das schlimmste vom Fahrwerk abzuwenden. Dass dabei verbotenerweise manchmal zumindest eine Spur außerhalb der "offiziellen" Piste verläuft, wird in Anbetracht der schon vorhandenen Spuren billigend in Kauf genommen - sollte eigentlich nicht sein, aber in Anbetracht der Gesamtsituation sitzt einem das Fahrwerk näher als die Pistenvorschrift!
Das Wetter ist erneut traumhaft - die Sonne brennt vom Himmel, während wir einem offensichtlich neuen Pistenverlauf in Richtung F910 folgen, der zur Hütte Dreki (Drekagil) führt. Kurze Funkkontakte auf der Strecke erweisen sich als einseitig und phantomhaft - bis heute wissen wir nicht, ob wir einem in Deutsch geführten DX-Gespräch aufgesessen sind oder tatsächlich ein lokales QSO verfolgt haben: Die Gegenstation antwortet wie üblich nicht, hat aber stark schwankende S-Werte, nicht gerade ein Hinweis auf nahe Stationen!
Bei der Anfahrt zur Askja und die Hütte Dreki, die schon von weitem erkennbar ist, weicht die Spannung an Bord. Diese Strecke war tatsächlich kein Vergleich zur Piste Richtung Kverkfjöll und wir haben genug zeitliche Reserven, um auch noch unser weiteres Ziel, den Krater Viti, anzusteuern.
Doch was steht da nahe der Hütte Dreki? Aus der Ferne sieht es aus wie ein Hymer-Wohnmobil, aber das kann und darf (?) ja wohl eigentlich nicht sein, nicht in dieser Gegend! Je näher wir kommen, um so mehr wird der Verdacht zur Gewissheit: nahe bei der Hütte Dreki steht tatsächtlich ein Hymer! Kein Wunder, dass der entsetzte Explorer-Fahrer direkt dorthin steuert. Wir erreichen tatsächlich einen Hymer, jedoch unterscheidet sich dieser erheblich von dem, was man sonst unter dem Namen gewöhnt ist. Hohe, breite Geländereifen lassen es mehr als ein Expeditionsfahrzeug erscheinen denn als Womo - doch: Kein Insasse daneben zu sehen. Wir ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir die Besatzung dieses Fahrzeugs bis zu unserer Abreise noch häufig treffen und nicht zuletzt auch schätzen lernen werden!
Von der Hütte Dreki verläuft eine nicht gerade einladende Piste (wenn man von der Umgebung absieht!) über ca. 8 km bis zu einem Parkplatz in der Nähe vom Krater Viti, weitere stramme 35 Minuten zu Fuß sind vom Parkplatz aus erforderlich, bis man endlich am Rand des eindrucksvollen Gebildes steht.
Unterwegs begegnet uns das Fahrzeug des Paares, das wir ermutigt haben, doch noch den Weg über die Gletscherzunge zur Eishöhle am Kverkfjöll zu wagen - voller Dankbarkeit verraten sie uns Tipps, wo man am besten zum Baden in den Kratersee steigen sollte ...
Dass Viti die Übersetzung von "Hölle" bedeutet, glauben wir gern, als wir bei Wind und einsetzendem leichten Regen den lehmigen Abstieg in die Tiefe des grünen Sees betrachten. Hinter dem Viti liegt im Dunst der beeindruckend große Öskjuvatn, der eigentliche Kratersee der Askja. Die große Caldera-Landschaft am Rande der Sandwüste südlich des Herdubreið wird von diesem See dominiert, der erst 1875 entstanden ist und in den darauffolgenden Jahren stetig gewachsen sein soll, bis er mit derzeit ca. 11 qkm Fläche und 217 m Tiefe Islands tiefster See wurde. Er ist jedoch für uns im Moment unerreichbar und außerdem eiskalt, so dass eine nähere Erkundung entfällt.
Da die einzigen Menschen in der Umgebung uns gerade in Richtung Parkplatz passiert haben, beschließen wir sofort den Abstieg zum Viti, um am Grund des Kraters ein völlig ungestörtes Bad zu nehmen - ein mühsames Unterfangen, wie sich beim Abstieg herausstellt.
Auf allen Vieren rutschend kommen wir schließlich unten an (N 65°02,78245´ W016°43,45238´) und verstehen, warum der Abstieg gerade bei Nässe hochgefährlich sein kann - man möchte nicht raten, wieviel Touristen in den letzten 10 Jahren hier wohl abgerutscht sein mögen!
Das Baden im See mutet geradezu unheimlich an. Zwischen Schwaden und Sprudeln, die aus dem warmen Wasser in die kalte Umgebungsluft steigen, befindet man sich einsam und verloren in einem See mit enorm hoch steil aufragenden Wänden, das Echo hallt unwirklich über die leere Wasseroberfläche. Oben am Kraterrand ist bei einsetzendem Nieselregen kein einziger Mensch auszumachen - so also beginnt der Abstieg zur Hölle! Trotzdem ist das Bad hier ein Erlebnis, das man wohl nie mehr vergessen wird ...
Der Aufstieg gestaltet sich über den nassen, engen und steilen Lehmpfad fast noch unangenehmer als der Abstieg: Immer wieder nach unten rutschend kommen wir auf allen vieren krabbelnd nur sehr langsam bis zum Kraterrand vorwärts. Die bestehende Gefahr wird auch noch überdeutlich, als der größte Teil des Wegs geschafft ist und man wieder auf dem glatten Seitenpfad angekommen ist - nur ein falscher Tritt ...
Bei immer stärker werdendem Regen kommen wir pitschnass wieder am Parkplatz beim Explorer an, die halbe Stunde Fußweg haben wir im echten "Sturmschritt" geschafft. Heute erweist sich die Sitzheizung als echte Bereicherung. Während wir erneut z.T. im Schrittempo die 8 km zum Campingplatz an der Hütte Dreki zurückrollen, heizen wir uns nach allen Regeln der Kunst ein ...
Das Sauwetter am Drekagil Camping (N 65°02,524´ W016°35,73148´) verstärkt sich im Laufe des Abends. Wir sind froh, nach kurzem Rundgang wieder gemütlich in der Kabine sitzen zu können und nicht wie die meisten anderen (wenigen) Touris in patschnassen Zelten.
Der Kassettenrekorder bekommt an diesem Abend wieder viel zu tun, während es draußen (Regen) und drinnen (Cognac) schüttet ...
© Text/Bilder 1997 J. de Haas