11.Tag: Montag, 25.08.97, 06:00 Uhr UTC
Wieder ist es 0°C am Morgen, wieder heißt es um diese Zeit aufstehen, denn wir wissen ja nicht, was uns heute auf der Piste erwarten wird. Frösteln ist trotz Thermoschutz hinter der Zeltplane angesagt, auch ist in der Nacht der +5°C Heizungswächter (erstmalig?) angesprungen, wie man hören konnte - Wintercamping pur?
Wir wollen heute weiter zum Herdubreið, dichte Morgennebel über dem Camp und eine ungewisse Ahnung von Licht lassen einen schönen Tag erwarten. Während die Nebelschwaden den Explorer umwehen, ist eine Fotoserie angesagt ...
Schon kurz nach unserer Abfahrt wird erkennbar, dass wir uns nicht getäuscht haben: Ein Traumwetter erwartet uns, während wir in der Ferne bereits die "Breite Schulter" Herdubreið, Islands angeblich schönsten Berg erkennen, der unsere heutige Tour dominieren wird.
In der Tat wird es eine "Rundreise" um den Herdubreið: Wir rollen über die berüchtigte F88 Richtung Nordosten, die Piste ist von unterschiedlicher Qualität, wieder einmal ist auf Steinplatten zum Teil Schrittgeschwindigkeit angesagt. Die Ódádahraun, die Wüste der Missetäter, lassen wir auf dieser Piste links liegen, ganz im Gegensatz zur Tour Island 95, wo wir auf der F26, dem Sprengisandur, vorbeifuhren, also auf der anderen Seite. Eigentlich ein kleines Land, aber die "Straßenverhältnisse" lassen alle Entfernungen im Hochland gigantisch werden ...
Der ständige Anblick der 1.682 m hohen "Breiten Schulter" (wie sagte noch einer später zu seiner Frau bezüglich dieses Bergs: "Komm her du Breite ...") entschädigt für alles, rundherum gehts weiter mit verschiedensten Prospektanblicken. Hat er sich heute bei strahlendem Sonnenschein und Sichten bis zum Abwinken eigens für uns mit einer derart dekorativen Wolke geschmückt?
Nach der Begegnung mit insgesamt zwei Fahrzeugen (inkl. einem freundlichen Ossi) seit Abfahrt von der Askja erreichen wir einen touristisch interessanten und ausgeschilderten Punkt, bei dem auf den nahen Verlauf der Jökulsá verwiesen wird, die irgendwo in dieser Gegend auch mit der Kreppa zusammenfließt.
Wir nutzen Gelegenheit und Parkmöglichkeit neben der Piste (N 65°09,64494´ W016°12,33189´), um uns den reißenden Gletscherfluss auch an dieser Stelle anzuschauen, viel weiter nördlich als beim letzten Mal am Kverkfjöll. Der kurze Fußweg lohnt sich allemal, bietet sich doch hier wirklich ein eindrucksvolles Schauspiel eines wilden grauen Flusses, auf dem man wirklich kein River-Rafting machen muss!
Kurz vor Mittag erreichen wir den Campingplatz von Herdubreiðarlindir (N 65°11,51562´ W016°13,18258´), erneut sind die letzten Meter vor dieser bereits aus größerer Entfernung sichtbaren Stelle die zähesten, kein Problem aber erneut für die Linienbusse, von denen bereits einer auf unser Passieren wartet ...
Die F88 kreuzt hier direkt das Gelände des Campingplatzes, jeder muss hier durch auf seinem Weg in Richtung Norden. Da das Traumwetter anzuhalten scheint und man endlich mal wieder unter seiner Plane in der Sonne sitzen und alles Nasse der letzten Tage trocknen will, beschließen wir hier zu bleiben - unsere fünfte Übernachtung in Folge im Hochland seit unserer Ankunft in Seyðisfjördur, die Vorräte reichen noch.
Zur Abfahrt bereit steht auf dem Campingplatz - der Gelände-Hymer! Ein älterer freundlicher Insasse mit langem wallenden weißen Bart, der ihm später zu Recht den CB-Skip "Seehund" verschaffen wird, gibt uns Auskunft über einen hinteren Teil des Platzes, für den man zunächst eine Furt kreuzen muss, der dafür aber viel angenehmer liegt als der vordere, insbesondere für Campingfahrzeuge. Er erkundigt sich nach den Sandstrecken Richtung Kverkfjöll, da er diese gemeinsam mit seiner Frau, die das Ungetüm lenkt, evtl. noch fahren will. Kurz danach brechen die beiden auf, nicht ohne dass wir uns noch einmal die großen Geländereifen unter seinem Womo angeschaut haben.
Wir rollen auf den hinteren Teil des Platzes (zu empfehlen!) und schlagen dort (völlig allein) unser Camp auf. Während alle Planen etc. zum Trocknen in der Sonne hängen und wir unter dem Vordach sitzen, werden wir wie schon vorne am Hymer von ganzen Schwärmen kleiner Fliegen überfallen - eine Außenstelle vom Myvatn?
Da der Wind hervorragend steht, werden Drachen ausgepackt und die Campingidylle am Fuße des Herdubreið vervollständigt. Ob die Götter, deren Sitz der Herdubreið sein soll, uns wohl bei diesem hier seltenen Schauspiel zuschauen ..?
Während der Wind später weiter auffrischt und sich der Himmel langsam zuzieht, wird der OKD Leichtwinddelta gegen ein Skywindow ausgetauscht, an dem bald darauf auch die mächtige Knüpferschlange zerrt.
Ein kurzer Spaziergang führt uns am Abend zu einem Erdverschlag, in dem erneut der überallgegenwärtige Ausgestoßene Eyvindar gehaust haben soll. Bei einem Sprung hinein wie dies wohl ein Ausgestoßener machen würde, verstauche ich mir allerdings einen Fuß - von diesem kurzen Ausflug in das harte Dasein eines Outlaws im Hochland werde ich noch mehrere Wochen zehren!
Ein einzelner Hamburger mit einem Unimog gesellt sich im Verlauf des Abends noch zu uns. Er erzählt, dass er für den nächsten Tag eine Besteigung des Herdubreið plant und hofft auf anhaltend gutes Wetter - kühne Erwartung! Er erwähnt, dass sein "Wüstenschiff" derart schaukelt, dass er lieber von hier aus zu Fuß zum nahen Berg gehen will, als die Alternative zu nehmen - eine schlechte Piste dorthin. Beruhigt wenden wir uns wieder dem Redaktionsfahrzeug zu, das mit solchen Fahrzeugen hier noch allemal mithält!
Von unserem Platz aus besteht ein fantastischer Rundblick in alle Richtungen: in der Ferne im Nordosten zeigen sich verschiedene Regenbogen, die zusammen mit sich dort auftürmenden Wolkengebirgen wieder einmal wie so oft einen nahezu surrealistischen Akzent in das Szenario bringen, auch Snafjell und Kverkfjoell sind in der Ferne jetzt gut zu sehen - irgendetwas ausgelassen wird heute wirklich nicht, die Götter scheinen unsere Vorstellung gemocht zu haben!
Wieder einmal kommt ein Beitrag aus einem alten MERIAN in Erinnerung: Demnach kann eine "Reise nach Island die Rückkehr zum Wesentlichen sein, eine Wallfahrt zu neuen Wirklichkeiten". Hier draußen gibt es wirklich Tage, wo dieses mehr als greifbar wird ..!
© Text/Bilder 1997 J. de Haas